Ihr Name, den keiner in den Mund nahm

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Mit flüssigen Handbewegungen zog sie den Strich auf ihrem Augenlid nach, wobei ihre Hand ruhig den farbigen Stift hielt, ohne das Anzeichen eines leichten Zitterns, so wie es bei den weitaus jüngeren der Fall war, die im Versuch, ihre Augen heraus zu putzen, kläglich versagten. Ganz im Gegenteil zu ihr. Sie, die selbst die widerspenstigsten Wimpern ihres Kranzes tuschen konnte, ohne dass sie ihr helle Haut berührte, die im künstlichen weißen Licht der Badezimmerleuchte wie Marmor schimmerte und das Schwarz ihrer Augen nur noch mehr betonte. Der Bronzeton ihres Lidschattens hatte die selbe Farbe wie ihre Wangen, die durch ihre markanten Wangenknochen besonders zur Geltung kamen. Er griff den Bernstein in ihren nun zu Schlitzen verengten Augen auf und ließ sie funkeln, sodass sie den Anschein erweckte, sie sei ein elegantes gieriges Raubtier, das dem Gelüst der Rache gefolgt war, um den Hunger der Wut zu stillen. Es überraschte sie nicht sonderlich, dass ihre Haut im Spiegel makellos erschien und ihre verkniffene Miene zeugte davon, dass es ihr beinahe gleichgültig war. Keine Makel in dieser Welt zu tragen war nicht allzu selten. Es war normal, betonte sie zu manch später Stunde, denn sie waren alle ebenmäßig und vollkommen.

Gekonnt trug sie mit einem weiteren feineren Pinsel neues Puder auf, um den leichten Schweißfilm auf ihrer Stirn und die natürliche Rötung ihrer Wangen zu übertünchen und ihre Haut wieder rein wirken zu lassen. Sie war rein. Keine unreine Pore zierte ihre Gesicht, keine Narbe verriet, dass sie so manch eine Schönheitsoperation hinter sich hatte. Die zuvor krumme Nase, die gerichtet wurde. Der schönere Hals, den sie durch einen talentierten Freund erhalten hatte. Ihr Spiegelbild war perfekt. Sie war perfekt, so wie jeder andere in diesem Haus, in dieser Stadt, in diesem Land. Die Welt war perfekt und das überprüfte sie nur noch mit einem erneuten und letzten Blick in den beinahe milchigen Spiegel vor ihr, da sie für diesen Abend ein letztes mal ihr kirschroten Lippen bewundern wollte, um den Entschluss fassen zu können, dass sie ihren glamourösen Lippenstift in der kleinen glitzernden Handtasche lassen konnte, da sie ihn nicht für ein zweites Nachtragen benötigen würde.

Mit einem geschmeidigen Schwingen ihrer Hüfte öffnete sie die verschmierte Tür des kleinen Feierdampfers mit spitzen Fingern, darauf bedacht, dass ihre frisch lackierten langen Fingernägel die mit Keimen übersäte Klinke nicht berühren mussten und ihre hohen neuen Schuhe nicht über die Kante kratzten, denn das wäre in ihren hübschen Augen, und in den Augen der Welt, eine Katastrophe gewesen, zumal die roten Sohlen nicht allzu beschädigt werden sollten.

Der dünne Stoff ihres viel zu kurzen Designerkleides schmiegte sich an ihren zierlichen Körper und der elfenbeinfarbige Teint ging zu ihre gespenstische Haut über, weshalb sie nur noch blasser wirkte. Wie eine Statur der Barockzeit. Mit Schnörkeln versehen, weich und zart wie Samt und so klar im Blick, dass man das Gefühl hatte, ein fremdes Prachtstück der Kunst unter der glitzernden Wasseroberfläche des Meeres zu beobachten. Es schien, als stamme sie aus dem Barock. Ihre höflichen und grazilen Manieren, die durch sie eingeleitete Modeära, ihre perfekte Persönlichkeit. Sie könnte die Gattin des Sonnenkönigs sein und keiner würde hinter vorgehaltener Hand tuscheln oder sich wundern, wie sie es auf den Thron geschafft hatte. Man sagte ihr nach, sie sei nahezu königlicher Abstammung und das hatte teils ihrer fabelhaften Haltung teils ihre beneidenswerten Ausstrahlung zu verdanken, die sie Halt gebend durch ihr Leben geführt hatte. Entschlossen drückte sie ihre Schultern nach hinten, fand das Gleichgewicht auf ihren erschreckend hohen Absätzen und setzte diesen so bekannten Blick auf, der verriet, wie genau sie doch wusste, wie sie auf andere Personen wirkte. Denn auch unter Vollkommenen gab es besondere Prachtstücke und laut ihr, was sie so eines und keiner wagte ihr zu widersprechen. Weswegen auch? Es existierte kein Argument, das stichhaltig genug war, gegen ihre anzukommen. Sie war taktisch klug und pflegte ein gewisses Ansehen, worüber sie insgeheim auch mehr als nur erleichtert war. Bei dem Gedanken daran, was mit Leuten geschah, die nicht das Glück hatten, höher in der Pyramide zu stehen, lief es ihr kalten den Rücken hinunter und sie schüttelte energisch den Kopf. Eine Dame ihres Standes musste sich über solch eine Art von Pack keine Gedanken machen, zu jeder Zeit hatte sie erprobte Kämpfer an ihrer Seite, die bis in den Tod gehen würden, solange nur ihr Leben dadurch gerettet würde. Ohne zu zögern und ohne auch nur einen Staubpartikel, der auf ihrem makellosen Kleid aus Satin landen würde. Sie lächelte bei diesem Gedanken, ehe sie sich jedoch zusammenriss und ihren Mund zusammenkniff. Sie durfte sich solch einen Gefühlsausbruch nicht leisten, dem war sie sich bewusst. Es würde Strafen mit sich ziehen, wenn jemand sie so entdeckte. Sie hatte damit keine Probleme, da sie genug Zeit während eines Gesprächs hatte, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Das verbot die Regierung nicht, was für eine Frau wie sie eine Woge der Erleichterung ausgelöst hatte, denn sie sprach viel, erzählte viel und kommentierte viel, da wäre es kein leichtes Unterfangen, seine Reaktionen zu verbergen.

Ruhig und gezielt lief sie weiter. Der Gang, durch den sie sich nun schlängelte, war eng und immer wieder stieß sie mit der Schulter gegen das kalte Material, dass ein unangenehmes heißes Prickeln auf ihrer Haut auslöste, sobald sie sich ihm nur näherte. Vielleicht war es die stickige Luft oder der beißende Geruch nach Dunst und Parfum, der sie so reagieren ließ, doch sie wehrte alles erfolgreich ab, indem sie sich äußerlich nichts anmerken ließ. Sie war eine Meisterin ihrer Kunst. Das Verbergen jeglicher Gefühle war ihr schon immer recht gut gelungen. Als sie in frühen Kindesjahren von einem wütenden Jungen auf einer üppig bewachsenen Wiese ins Gesicht geschlagen wurde und ihre sorgfältig aufgetragene Farbe verwischte fing sie nicht an zu weinen. Denn wäre sie in Tränen ausgebrochen, hätte sie die Mühe ihrer Mutter, das Puder und die anderen Partikel, vollends zerstört. Sie bewahrte Ruhe, besah den Täter jedoch durchgehend mit finsteren Blicken, sodass dieser irgendwann die Schleusen öffnete und Rotz und Wasser heulte. Es war kein schöner Anblick und als die aufpassenden Erwachsenen heran geeilt kamen war sie nicht ansatzweise überrascht, als man ihm keinen Glauben schenkte und sie die Herzen der älteren erwärmte, worüber sie hinaus Mitleid erhielt und zu Wiedergutmachung ein ausgefallenes Eis ausgehändigt bekam. Wäre es nach ihr gegangen, hätte man Jonathan für seine körperliche Gewalt noch viel härter bestrafen können als ihm nur eine einminütige Standpauke zu halten, doch auch das waren nur Gedanken eines jungen Mädchens gewesen, das nun mit ihren neunundzwanzig Jahren mitten im Leben stand und dieses in vollen Zügen genoss.

Nach einem letzten tiefen Einatmen der immerhin etwas angenehmen frischen Luft zog sie eine weitere Tür auf, deren einst helles Holz ergraut war und von den vielen erschöpfenden Gestalten nun knarzte und bebte.

Sie hasste dieses Lokal aus vollem Herzen und sie hätte niemals freiwillig einen Fuß in diesen schmuddeligen Pub gesetzt hätte Theodor sie nicht dazu gedrängt. Sie war kein Mensch, der auf diese Art und Weise gerne feierte. Sie sah sich eher an einem edlen Tisch eines Banketts, an dem wichtige Leute des Landes Platz genommen hatten, als mit angetrunkenen Bürgern über die Tanzfläche zu schaukeln. Doch auch das nahm sie in Kauf, wenn sie ihren Ehemann damit beglücken konnte, denn auch er schoss so manch eine Regel in den Wind, um das feine Lächeln zu sehen, das dann ihre Lippen zierte.

„Ah, da ist sie ja! Darf ich sie Ihnen vorstellen Mrs. Winters. Meine -" er hielt für eine lange Sekunde inne und musterte sie auf eine derartige Weise, dass sie sich ein Lächeln kaum verkneifen konnte. Er wirkte dümmlich, verträumt und nicht wie ein gefasster Ansehen schindender junger Mann „- bezaubernde Frau!" überschwänglich zog er sie an sich, während eine Hand an ihrer Hüfte verweilte. Bewusst hatte er ihren Namen gemieden, das spürte sie und sie verabscheute es, doch sie hielt die fiebrigen Worte bei sich und ließ sich stattdessen bereitwillig eine Strähne, die sich aus ihrer strengen Flechtfrisur gelöst hatte, aus dem Gesicht streichen.

Niemand nahm in der Öffentlichkeit ihren Namen in den Mund. Außer man war dazu gezwungen Lady Larissa LaCoeur bei Namen zu nennen.

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