27 - Stolpern

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Dieses Kapitel ist entstanden, weil ich mich entschlossen habe, das Kapitel Am*dam zu teilen - in die Stadt im Rahmen der Story einerseits und das schwere Thema um Anne Frank und die Stolpersteine andererseits. Es lohnt sich also, auch das vorherige, völlig umgearbeitete Kapitel nochmal zu lesen.

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Ich hätte die Station Am*dam einfach zu einer Station der persönlichen Stabilisierung und des entspannten Bummelns machen können, ohne Last und Sorge. Zumindest für Jimin und Jeongguk war das dringend dran. Aber das Leben fragt oft nicht danach, was wir brauchen. Ich wollte sie auch ins Anne-Frank-Haus schicken. Ich wollte das Schwere nicht aussparen. Also habe ich ihnen diese völlig andere Ebene auch noch zugemutet. Namjoon hat jetzt im Zusammenhang mit dem Konzert in Saudi-Arabien (11.10.2019) gesagt, dass ihre Auftrittsorte und die Geschäftspolitik von BigHit sich nicht an politischen Gegebenheiten orientieren. Verständlich aus der Sicht eines Geschäftsmannes. Fragwürdig? Entscheide selbst. Aus der Sicht der Jungs selbst programmatisch - vor allem durch das, was Jimin (sinngemäß) noch hinterher geschoben hat: "Wir gehen überall hin, wo Menschen sind, die uns sehen wollen. Alles andere interessiert uns nicht." Ob das richtig ist - darüber soll sich jede/r selbst eine Meinung bilden.

Vielleicht ist es mal wieder typisch deutsch gedacht, da nach der "political correctness" zu fragen. Für die Mädels im Stadion hat es mich gefreut. (Also für die, die sich die Preise von 500,-$ pro Ticket leisten konnten ...)  Aber irgendwie scheinen die Koreaner eine seltsame Haltung dazu zu haben. Denn: Im Herbst 2018 hat es ein kleines Erdbeben zwischen BTS/BigHit/Südkorea und Japan gegeben. Dazu muss man wissen, dass Japan Korea mehrere Jahrzehnte lang besetzt hielt, die Kultur und Sprache unterdrückt hat und abertausenden von Koreanern unvorstellbares Leid zugefügt hat. Im Gegensatz zu Deutschland, das in Bezug auf seine Schuld im 2. Weltkrieg irgendwann die Kurve gekriegt und eine Kultur des Erinnerns und der Sühne entwickelt hat, verbietet es offenbar das asiatische Ehrgefühl oder Stolz oder "schießmichtot", dass der japanische Staat sich einmal in einer wirklich geeigneten Form für das geschehene Unrecht entschuldigt. Dass Korea befreit wurde, lag auch nur daran, dass die beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen. Japan war am Ende und hat schlicht ein kräftezehrendes Problem entsorgt, als es Korea in die Freiheit entließ.

Nun hat Jimin im Herbst 2018 (?) anlässlich des Unabhängigkeitstages Koreas von Japan ein T-Shirt getragen, auf dem unter anderem ein Atompilz zu sehen war. Riesige Wellen der Empörung schwappten hoch. BTS wurde aus einer japanischen Fernsehsendung ausgeladen, der japanische Staat und jede Menge selbst berufener Einzelner haben förmlich die Ächtung des K-Pop gefordert, ... Und jeder halbwegs vernünftig und sensibel denkende Mensch packt sich nur noch an den Kopf. 1000 Fragen stellten sich mir. Wie kann ein Staat sich weigern, sich für hunderttausende massenvergewaltigte Frauen, erschlagene Männer und verhungerte Kinder ordentlich zu entschuldigen - in echter Demut wohl bemerkt? Wie kann ein T-Shirt-Designer diese Tatsache ausschlachten, indem er das Leid hundertausender japanischer Zivilisten, das elende jahrzehntelange Sterben der Betroffenen von Hiroshima und Nagasaki in einen Triumph Koreas umwandelt? Wie muss eine Kultur beschaffen sein, wo ein Käufer eines solchen T-Shirts das nicht nach ein bisschen Nachdenken so geschmacklos findet, dass er das nicht freiwillig anzieht?

Hei, es war Jimin. Der freundlichste, weichste, zugewandteste Mensch, der mir seit langem untergekommen ist! Und wir werden nie erfahren, ob er das Shirt gekauft hat. Oder BigHit. Ob er nachgedacht hat über das, was auf seinem Rücken zu sehen war. Ob er das bewusst und freiwillig angezogen hat. Oder ob das vielleicht "Dienstkleidung" war. Ich konnte jedenfalls im Netz keine offizielle Entschuldigung für das Tragen dieses Shirts finden. Weder von BigHit noch von Jimin selbst. Die Jungs haben sich daraufhin allerdings glaube ich demütig gezeigt und sich mit noch lebenden Opfern der Atombombenabwürfe getroffen. Aber auch da wissen wir nicht, ob das ein persönliches Bedürfnis oder eine taktische Maßnahme war. Wie können Regierungen anfangen, das Leid der gequälten Koreaner aufzurechnen gegen das Leid bebombter Japaner? Beides war himmelschreiendes Unrecht im völkerrechtlichen Sinne - und vor allem war beides erkauft mit dem unsäglichen Leid hunderttausender konkreter einzelner Menschen.

Ein anderes Mal hat es ein Shooting gegeben, bei dem Namjoon deutlich sichtbar eine Militärmütze getragen hat mit einem fetten Hakenkreuz vorne drauf. Da bin dann selbst ich hin und her gerissen zwischen "Welcher Idiot von der Requisite hat denn da sein Hirn an der Kasse abgegeben?" und "Mensch, Junge! Du bist selbst intelligent genug, um zu wissen, dass man sowas nicht für alles Geld der Welt aufsetzt. Hättest Du Dich da nicht weigern können?" Ich meine - ich weiß ja nicht, was bei denen in der Schule so im Geschichtsunterricht abgeht. Sicher nicht im Schwerpunkt Europa. Aber ein BISSCHEN was außer koreanischer Geschichte wird da doch sicher bei rumgekommen sein. Man könnte also wissen, dass ...

Was hat das nun mit Am*dam zu tun? Schon ein paar Jahre früher hat es ein weiteres, in meiner Wahrnehmung (!) durch BigHit verursachtes "kleines Missgeschick" gegeben. 2014. Die erste Welttournee führte BTS nach Berlin, Stockholm, keineAhnungwo und Brasil. Und bei diesem Aufenthalt in Berlin hat es diverse Photoshootings gegeben. Eines davon wurde veranstaltet - im Holocaust-Mahnmal. Dieses Mahnmal von der Größe von zwei Fußballfeldern besteht aus 2711 Betonstelen, die in Reihen in der Nähe des Brandenburger Tores rumstehen. Die Jungs wurden gestylt, auffällig geschminkt und für dieses Shooting mitten zwischen diese Stelen gestellt. Tolle Fotos - keine Frage. Aber wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Überall am Rand dieses Stelenfeldes stehen Schilder, die zu respektvollem Umgang mit dem Mahnmal, mit der Geschichte, mit der Bedeutung dieses Ortes aufrufen. Ein Fotoshooting dieser Art fällt mit Sicherheit nicht unter die Kategorie "respektvoll". Als die ersten Bilder davon im Netz auftauchten, hat es ein Riesenhallo gegeben. Im Endeffekt sind die Bilder nicht im Album-Booklet gelandet und auch im Netz nur noch schwer und vereinzelt zu finden. Der das Mahnmal tragende Verein hat sich damals auch ganz klar geäußert, dass das weder beantragt noch erlaubt gewesen sei. Entschuldigung von BigHit? Fehlanzeige, soweit ich weiß. Ich kann nur vorschlagen, selbst danach zu googeln und sich eine Meinung zu bilden.

Viele Menschen besuchen täglich dieses Mahnmal. Sie laufen zwischen den Stelen hin und her, denken darüber nach. Viele - aber nicht alle. Die anderen spielen fangen, klettern drauf rum, machen witzige Fotos, hüpfen über die Zwischenräume - klar, nicht jeder respektiert die Ernsthaftigkeit dieses Ortes, BTS ist mit dem Ausrutscher nicht alleine. Aber das macht es nicht weniger falsch.

Ich konnte einfach nicht anders, als die Jungs damit zu konfrontieren. Sie mit der Nase auf ein einzelnes, sehr berührendes Schicksal zu stoßen. Und dann Namjoon zu Tina aufs Sofa zu scheuchen. In Berlin habe ich ja die Stolpersteine noch obendrauf gesattelt. Persönliche Betroffenheit angesichts soviel persönlichen Leids. Ich hatte einfach das Bedürfnis, die Jungs zumindest in meiner Geschichte ein bisschen zu sensibilisieren für eine Verantwortung, die wir alle jeweils für die Geschichte unseres eigenen Landes tragen. Denn das tun wir - ob wir wollen oder nicht.

Das hier drüber sind die Stolpersteine, die in Am*dam vor dem Wohnhaus der Familie Frank liegen, in dem sie bis zum Untertauchen gelebt haben. Das Anne-Frank-Haus an der Prinsengracht ist unglaublich beeindruckend, phasenweise erdrückend. Es lässt unmittelbar fühlen, wie furchtbar das gewesen sein muss. Es ist eigentlich nicht möglich, das lächelnde Gesicht mit den großen, dunklen Augen von sich selbst wegzuhalten. Was ihr Vater Otto Frank (der als einziger der acht Eingesperrten überlebt hat) mit der Veröffentlichung der Tagebücher geschaffen hat, geht unmittelbar unter die Haut und ins Herz. Wer in Am*dam ist, sollte sich die Zeit nehmen und sich dem stellen. Das mit der Zeit ist allerdings wörtlich zu nehmen, denn inzwischen ist der Andrang so groß, dass für die Ausstellung zwei weitere Nachbarhäuser dazugekauft wurden und man stundenlang Schlange steht, wenn man sich nicht vorher schon zeitlich genau terminierte Tickets gekauft hat. Monate vorher ...

Das Thema zieht sich weiter durch die nächste Station. Denn in Berlin machen die Jungs gemeinsam mit Chris einen Bummel durch die Reste des alten Berlin. Bei der Gelegenheit stolpern sie im wahrsten Sinne des Wortes über einige Stolpersteine. 


Der Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Inzwischen liegen STOLPERSTEINE in 1265 Kommunen Deutschlands und in einundzwanzig Ländern Europas. 'Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist', zitiert Gunter Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Auf den Steinen steht geschrieben: HIER WOHNTE...  Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch. Mit einer kleinen Gedenkveranstaltung bei der Verlegung wird der Menschen gedacht, die dort wohnten und dann ermordet wurden. Sie sind unauffällig, manche stehen ein bisschen vor, so dass man tatsächlich stolpern kann. Wer will, kann sie sehen.

Da, wo die Jungs mit Chris rumlaufen, liegen sogar  jede Menge Stolpersteine. Warum? In Russland, im ganzen Osteuropa lebten sehr viele Juden, und sie wurden bereits im 19. Jahrhundert massiv verfolgt. Das Wort "Pogrom" ist russisch. Und natürlich sind viele von ihnen geflohen. Da gleichzeitig in Deutschland die Industrialisierung so richtig Fahrt aufnahm, kamen viele in die deutschen Ballungszentren, um Arbeit zu finden. Da ein großer Teil von ihnen orthodoxe, also streng gläubige Juden waren, wollten sie die Gebote auch in der neuen Heimat halten. Eines davon besagt, dass der Gläubige am Sabbat nicht mehr als 1000 Schritte gehen darf. Unter anderem deshalb haben sich viele möglichst in direkter Nähe zu einer Synagoge angesiedelt - in diesem Fall um die große Synagoge in der Oranienburger Straße. In den Wohnungen in diesen Hinterhöfen lebten Arbeiter - das heißt viele, viele Menschen auf engem Raum. Und deshalb liegen dort vor praktisch jedem Haus viele Stolpersteine. So viele, dass man sie nicht übersehen kann. Das Bild im Header gibt einen Eindruck davon.

Dort steht auch dieses Denkmal:

Zumindest bei meinem Namjoon, der als sensibler Denker dargestellt ist, erzeugen diese beiden Ereignisse so kurz hintereinander ein kleines inneres Erdbeben. Das Anne-Frank-Haus und die Stolpersteine nehmen ihn echt mit und setzen eine Lavine von Fragen und Unbehagen in seinem Kopf in Gang. Wie ist das mit persönlicher Verantwortung - für mein Weltbild und für mein Handeln? Und wie ist das mit Kollektivschuld, mit Völkermord, mit politischer Verantwortung? Und wie zum Kuckuck kriege ich diese großen, dunklen Augen wieder aus meinen Träumen??? Erst intensive "Sofa-Time" verhilft ihm wieder zu innerer Ruhe.

Ich werde diesen sieben jungen Menschen aus Südkorea niemals persönlich begegnen, auch wenn ich mir das mit meiner Geschichte herbeigeschrieben habe. Aber ich würde viel dafür geben, einmal mit ihnen über diese Fragen nachzudenken. Verstehen zu wollen, wie das koreanische Weltbild gestrickt ist, dass solche Vorfälle passieren können. Wie sie ihre eigene Rolle - immerhin starke Vorbildrolle! - sehen bei solchen moralischen und politischen Fragen. Auch in Deutschland gibt es tatsächlich Menschen, die den historischen Fakt des Holocaust leugnen. Und Menschen, die genau solche furchtbaren Taten auch heute, auch in Deutschland wieder, begehen. Aber genau deswegen dürfen wir nie aufhören zu mahnen, zu erinnern, unsere Stimme dagegen zu erheben.

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14.10.2019





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