1 - Durchgefallen

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Ich wusste ja schon immer, dass das Leben scheiße sein kann, aber dass es so beschissen ist, hätte selbst ich nicht gedacht.

„So ein verdammter Kuhmist!", fluche ich, nachdem meine Zimmertür lautstark ins Schloss gefallen ist. Die Bilderrahmen, die an der pink-weiß gepunkteten Wand hängen, erzittern bei dem Knall und sind ein Ausdruck meiner Frustration.

Ich kicke mir umständlich die hellblauen Chucks von den Füßen, pfeffere meinen Rucksack neben den Schreibtisch und lasse mich dann bäuchlings auf mein Bett fallen.

Schreie, die in pure Verzweiflung getränkt sind, verlassen meine Lippen, sobald sich mein Gesicht in das weiche Alpaka-Kopfkissen drückt. Mit meinen Fäusten trommele ich immer wieder auf die Matratze; so lange bis ich keine Kraft mehr habe und meine Wut langsam verraucht.

Warum muss eigentlich immer ich diejenige sein, die so viel Pech im Leben hat? Nicht dass ich anderen Menschen etwas Schlechtes wünschen würde, aber das Karma kann sich ruhig auch mal ein anderes Opfer zum Piesacken aussuchen.

Ein bisschen Abwechselung hat schließlich noch niemandem geschadet, richtig?

Ich spüre, wie sich drei verräterische Tränen aus meinen Augenwinkeln lösen und wische sie sofort wieder weg.

Ja, der Tag war extrem beschissen, aber leider kann mein Geheule die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Was passiert ist, ist passiert.

Um mich von meiner schlechten Laune abzulenken, greife ich nach dem Buch, das auf meinem Nachttisch liegt. The Green Mile von Stephen King: Ein Roman, der mir auf jeder einzelnen Seite eine Gänsehaut verpasst.

Ich möchte das Buch gerade aufschlagen und mich in die Welt von John Coffey entführen lassen, als es plötzlich an meiner Zimmertür klopft. Noch bevor ich ein „Herein?" oder „Ja?" von mir geben kann, ertönt die verunsicherte Stimme meiner besten Freundin. „Milli?", fragt sie. „Darf ich reinkommen?"

So wie ich Franny kenne, presst sie in diesem Moment ihre Ohrmuschel gegen die Tür und kaut dabei an ihren Fingernägeln herum - eine lästige Angewohnheit, wenn sie nervös ist.

Alles in mir schreit, ihre Frage mit einem „Nein!" zu beantworten, doch letztendlich ist es ein gezwungenes „Ja", das über meine Lippen huscht.

Keine Ahnung, woran das liegt, aber ich kann Franny einfach keinen Wunsch abschlagen.

Nur einen Atemzug später steckt meine beste Freundin ihren roten Lockenschopf durch die Tür. Über ihren braunen Augen, die mich an Kakaobohnen erinnern, liegt ein Schleier aus Besorgnis und Angst.

„Ist alles okay, Milli?", möchte sie beunruhigt von mir wissen, während sie mit langsamen Schritten auf mein Bett zuläuft. „Ich, na ja, ich habe mir Sorgen gemacht, weil du eben wie ein wildes Tier an mir vorbeigestürmt bist."

„Bin ich?", hake ich nach, woraufhin Franny nickt.

Direkt macht sich mein schlechtes Gewissen bemerkbar, denn es war nicht meine Absicht, meine negativen Gefühle an meiner Freundin auszulassen.

„Oh man", seufze ich. „Tut mir leid."

„Schon gut", winkt Franny ab. Sie hockt sich vorsichtig zu mir auf die Bettkante und mustert mich eindringlich aus ihren dunklen Augen. „Ist etwas in der Uni vorgefallen?"

Bingo! Eine Millionen Gummipunkte für Franny!

Mein zerknitterter Gesichtsausdruck scheint Bände zu sprechen, denn Franny greift nach meiner Hand und malt kleine Muster auf meine Haut. Ihr Blick strahlt währenddessen Trost und Geborgenheit aus.

„Was ist passiert?", fragt sie mich. „Sag mir, für wen ich meine Boxhandschuhe auspacken soll und ich tue es. Versprochen!"

Obwohl ich immer noch deprimiert bin, zupft nun ein Schmunzeln an meinen Mundwinkeln.

Womit ich eine beste Freundin wie Franny verdient habe? Ganz ehrlich: Keine Ahnung.

„Auch wenn ich sehr gerne deine eingerosteten Box-Skills sehen würde, bezweifele ich, dass du Professor Hinston verprügeln willst, oder?"

Bei meinen Worten graben sich tiefe Furchen in Frannys Stirn. Ihre Augen sind leicht geweitet, als sie nachhakt: „Was hat der Menschenhasser jetzt schon wieder gemacht? Ich verstehe echt nicht, wie so ein Kerl auf junge Erwachsene losgelassen werden kann."

Willkommen im Club, Franny!

Professor Hinston ist mit Abstand der schlimmste Dozent, dem ich jemals in der Uni begegnet bin. Er ist nicht nur anspruchsvoll und streng, sondern kann nicht erklären und lässt sich auf keine sachlichen Diskussionen ein. Außerdem ist er verdammt schadenfroh und erniedrigt seine Studenten mit Worten. Von den Durchfallquoten in seinen Klausuren möchte ich gar nicht erst anfangen ...

Dass so jemand als Pädagoge bezeichnet wird, ist ein absoluter Witz!

Am liebsten würde ich die Schuld für meine Frustration auf Mister Ihr-geht-mir-alle-am-Arsch-vorbei abwälzen, aber leider wäre das nicht fair und nicht die Wahrheit.

„Hinston ist unschuldig", erkläre ich Franny. „Na ja, zumindest indirekt."

„Und nicht indirekt?"

Ich seufze. Dann kämpfe ich mich aus meinem Bett und mache mich an meinem Rucksack zu schaffen. Nach kurzem Wühlen halte ich einen zehnseitigen Papierbogen in der Hand, der mit krakeliger Schrift beschrieben ist.

„Hier." Ich drücke Franny die Zettel in die Hand und warte auf ihre Reaktion.

Ihre braunen Augen huschen neugierig über das Papier und füllen sich mit Bedauern, als sie die letzte Seite erreicht haben.

„Oh, Milli", murmelt Franny mitleidig und verwickelt mich in eine Umarmung. „Tut mir leid, dass du deine Prüfung nicht bestanden hast."

Ohne es kontrollieren zu können, sammeln sich Tränen in meinen Augen, die wenig später wie glühend heiße Feuerbälle über meine Wangen kullern.

Zu wissen, dass ich schon wieder eine Prüfung vergeigt habe und damit mein Studium aufs Spiel setze, ist verdammt frustrierend. Während ich in den ersten Semestern immer nur Bestleistungen erzielt habe, ist seit diesem Jahr der Wurm drin.

Ich habe das Gefühl, dass nichts mehr funktioniert und ich zu einer Versagerin geworden bin.

Noch ein einziges Mal kann ich die Prüfung von Professor Hinston wiederholen. Wenn ich dann erneut durchfalle, kann ich mir mein Journalismus-Studium abschminken - und zwar ein für alle Male.

Schöne Scheiße, in die ich mich da reingeritten habe; wenn auch unfreiwillig.

„Hör zu, Milli, dass du durchgefallen bist, ist kein Beinbruch", versucht mich Franny aufzumuntern. „Eigentlich wollte ich es nicht ansprechen, aber ich habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass dir eine kurze Auszeit guttun würde. Wenn du nicht gerade im Café eine Nachtschicht nach der anderen schiebst, bist du nur in der Bib am Lernen. Gönn dir mal eine Pause, um so richtig durchzuatmen!"

Franny löst sich aus der Umarmung und schaut mir stattdessen tief in die Augen. Ich kann erkennen, dass sie ihre Worte ernst meint und sich Sorgen um mich macht.

„Überleg es dir, ja?" Franny drückt kurz meine Hand. „Und nur damit du es weißt: Für dich würde ich auch den griesgrämigen Hinston verprügeln."

Obwohl es sich nicht richtig anfühlt, muss ich lachen. Es bedeutet mir unfassbar viel, dass Franny immer hinter mir steht und mir den Rücken freihält.

Einen Menschen wie sie sollte jeder in seinem Leben haben.

„Ich lasse dich dann mal wieder allein, okay? Wenn du reden möchtest, weißt du ja, wo du mich findest." Mit diesen Worten kehrt mir meine beste Freundin den Rücken zu und verschwindet kurz darauf aus meinem Zimmer.

Zurück bleibt ihr süßer Duft, der mich an Schokoladenkuchen erinnert.

Ob Franny wohl recht hat und ich wirklich mal eine Auszeit von meinem Alltag brauche?

Wie von selbst schweifen meine Augen zu der Fensterbank, auf der nicht nur Kakteen und Schneekugeln stehen, sondern auch ein Tischkalender, den mir meine Oma zu Weihnachten geschenkt hat.

Um ehrlich zu sein habe ich dem Kalender bisher nicht sonderlich viel Beachtung geschenkt, doch jetzt gerade zieht er mich magisch an.

Mit gerunzelter Stirn quäle ich mich aus meinem Bett und tapse dann zur Fensterbank hinüber. Dort angekommen lasse ich meine Fingerspitzen andächtig über das Papier streichen.

Abgesehen von den einzelnen Wochentagen, die auf dem weißen Untergrund abgedruckt sind, befindet sich auf der oberen Hälfte ein Bild. Anders als in den vergangenen Monaten handelt es sich dieses Mal um kein Landschaftsportrait, sondern um ein Zitat.

Life is short. Do stuff that matters.

Je länger ich auf die geschwungenen Buchstaben starre, umso enger zieht sich der Knoten in meinem Magen zusammen.

Wenn das kein Wink vom Schicksal ist, dann weiß ich es auch nicht!

Wie in Trance nehme ich den Kalender von der Fensterbank und stelle ihn neben meinen Laptop auf den Schreibtisch.

„Das Leben ist kurz", wiederhole ich leise die Worte von Siqi Chen. „Mache Sachen, die dir wichtig sind."

Ohne großartig darüber nachzudenken, was ich hier tue, klappe ich meinen Laptop auf. Meine Finger huschen blitzschnell über die Tastatur und verharren erst dann in ihrer Bewegung, als meine Augen auf einem Strandabschnitt mit weißem Sand und türkisfarbenem Wasser landen.

Sunhaven: Der Ort, an den ich schon immer mal reisen wollte.

Warum ich es bisher noch nicht getan habe? Weil mir entweder die Uni oder mein Job im Café in die Quere kamen oder ich schlicht zu wenig Geld hatte.

Mein Blick wandert erneut zu dem Tischkalender.

Life is short. Do stuff that matters.

Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, in der ich meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse an die erste Stelle setzen sollte. Die Arbeit und die Uni laufen mir nicht davon; das Leben allerdings schon.

„Ganz ehrlich, Maila?", rede ich mit mir selbst, um mir Mut zu machen. „Scheiß drauf!"

Klick.

Klick.

Klick.

Und schon ist mein Flug nach Sunhaven gebucht!

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