der Hölle entkommen °✨° Di. 15.12.2020

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Nächste Triggerwarnung!
Heute wird die Hintergrundgeschichte
von Jimin und Minseok erzählt.
Bitte lies das nur, wenn Du selbst psychisch stabil bist
und nicht irgendwann durch Gewalt traumatisiert wurdest.

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Ich wache gegen 9.00 Uhr wieder auf und schlängele mich aus dem Bett. Ich darf Jimin nicht aus den Augen lassen. Im Moment hat er Fieber und schläft fast wie ein Toter. Aber wenn er aufwacht, könnte er wieder durchdrehen. Ich husche durchs Bad, ziehe mich schnell an und schnappe mir mein Telefon. Nacheinander telefoniere ich alle meine Mitarbeiter durch. Gut, dass heute Dienstag ist, da wird die Hütte nicht so voll sein, dass ich zwingend gebraucht werde. Changbins Nachbar Chenhyun ist inzwischen gut eingearbeitet und in der Küche eine echte Hilfe. So kann ich zumindest immer wieder nach Jimin sehen. Wenns sein muss, bleibe ich ganz bei ihm.

Dann telefoniere ich lange mit Taehyung. Er hat sich seinen PC und seine Arbeit ins Krankenhaus bringen lassen. Der Kleine ist nach wie vor nicht ansprechbar, aber wenigstens schlagen die Medikamente an. Er atmet wieder etwas freier und schläft ruhiger. Der Arzt war da und ist sehr zufrieden.
Tae schickt mir ein Bild von der kleinen, mageren Hand mit dem Plüschhund darinnen, die auf der Bettdecke liegt. Auch eins, wie er im Ganzen so verkabelt da liegt, winzig klein in dem riesigen Bett, aber das kann ich Jimin nicht zeigen. Jetzt kommt noch ein Bild von seinem Kopf, wie Taes Hand ihn streichelt. Das geht wieder, trotz Atemmaske.

Ich lasse die Zimmertür offen und erledige meinen Haushalt. Dann hole ich mir Arbeit aus dem Büro nach oben. Tae hatte mir heute Nacht seinen Autoschlüssel zugeworfen, als er mit dem Krankenwagen wegfuhr. Da wir uns mit nichts außer den Jungs beschäftigt haben, ist sein Auto also sogar offen. Ich hole Jimins Rucksack raus und schließe bei der Gelegenheit das Auto ab. Den Rucksack von Jimin nehme ich mit hoch und stelle ihn neben mein Bett. Dann schaue ich dem Jungen wieder beim Schlafen zu. Der Ärmste hat eindeutig keine Erkältung oder Husten. Er kann ganz normal atmen. Aber er glüht wie ein Ofen und wälzt sich hin und her. Manchmal schreit er oder weint. Oder bettelt - das ist vielleicht sogar noch das Schlimmste.
Was müssen die beiden ertragen haben!

Chenhyun kommt schon mittags ran und bereitet die Kneipe auf den Abend vor, damit ich oben bleiben kann. Ab und zu holt er sich eine neue Order, dann arbeitet er weiter. Das entlastet mich sehr. Ich weiß, dass die das auch ohne mich hinkriegen werden heute. Und so habe ich den Kopf frei für Jimin. Er muss endlich wieder Kind sein dürfen. Sich alles von der Seele reden dürfen.

Als hätte er eine innere Uhr, wacht Jimin exakt um 15.00 Uhr auf, zu dem Zeitpunkt, wenn in den letzten Wochen immer sein Flyer-Job geendet hat. Ich setze mich zu ihm und warte ab. Erst dreht er seinen Kopf hin und her und brummt mit geschlossenen Augen. Dann tastet seine Hand um ihn herum. Und dann sitzt er mit einem Mal senkrecht im Bett und reißt die Augen auf.
„Seokie? Seokie! Wo bist du?"
Erst jetzt sieht er mich und springt mich fast an.
„Patrick, wo ist Minseok?"

„Im Krankenhaus."
Wie der Blitz fliegt die Bettdecke beiseite, und ich greife energisch zu.
„Dein Fuß. Du kannst jetzt nicht loslaufen. Tae ist bei ihm."
„Aber ... ich muss doch ... ich kann doch nicht ..."
Jimin stammelt und weint.
„Doch, du kannst. Wir haben uns das wirklich gründlich überlegt, ob wir euch trennen. Wir wissen, dass das schwer ist für dich. Aber Minnie geht es so schlecht, dass er künstlich beatmet und ernährt wird, damit sein Körper das schafft. Tae ist bei ihm und weicht ihm nicht von der Seite. Wenn der Kleine aufwacht, dann wird er Tae sofort sehen. Versprochen!"

Plötzlich kippt Jimins Stimmung.
„Ich hätte ... wäre ich doch bloß früher ... Wenn er jetzt ..."
„Jimin, Minseok wird nicht sterben. Der Arzt, der ihn heute Nacht hier untersucht hat, war inzwischen nochmal bei ihm, und er hat Tae gesagt, dass Minnie ganz stabil ist und das sicher schaffen wird. Er ist jetzt sehr krank. Aber er wird wieder gesund. Und du darfst dir bitte keine Vorwürfe machen. Andere haben Verbrechen an euch begangen. Du trägst keine Schuld daran. Und ... nein, auch nicht daran, dass Minnie jetzt so krank ist. Du hast dich selbst niedergerungen, um uns überhaupt zu vertrauen. Du hast eine unglaubliche Kraft in dir. Sie konnten dich nicht brechen, und das hat auch Minnie gerettet. Du. Bist. Nicht. Schuld!"

Ich lasse ihn einfach weinen. Wenns sein muss, Tage und Wochen. Er ist nicht gebrochen. Aber er ist traumatisiert. Nach einer Weile beruhigt er sich ein bisschen, aber seine Augen zeigen noch immer lodernde Panik.
„Wird jetzt das Jugendamt kommen und ihn mitnehmen?"
„Nicht so schnell, denn der Arzt hat noch nicht gemeldet, dass er euch gefunden hat."
„Wir werden gesucht???"
„Darf ich dir erzählen, was in den letzten Tagen alles passiert ist? Dann beantworten sich viele Fragen von selbst."
Jimin nickt.
„Aber du musst mir sagen, wenn es dir zu viel wird! Wir haben Zeit, ich gehe heute Abend nicht runter, ich bin ganz für dich da."
Wie ein Kind robbt er zu mir rüber und krabbelt auf meinen Schoß. Er schmiegt sich an mich, als wolle er in mich hineinkriechen.
Danke, guter Gott, dass er mir so vertraut!

„Also. Als eure Eltern starben, kamt ihr in dieses privat geführte Waisenhaus in Busan. Eure Tante konnte nicht das Sorgerecht erringen für euch. Letzte Woche haben es drei ältere Jungs geschafft zu entkommen. Sie sind Brüder. Und im Gegensatz zu allen anderen, die versucht haben, sich zu verstecken, sind diese Drei auf direktem Wege zum Polizeipräsidium gerannt. Sie hatten nämlich inzwischen herausgefunden, dass die bestochenen Beamten NICHT bei der Polizei sondern nur im Jugendamt, in den Schulen und beim Vormundschaftsgericht sitzen. Die drei Jungs haben alles erzählt und gezeigt, und beim Anblick ihrer Narben wurde ihnen sofort geglaubt. Also wurde am Sonntag das Waisenhaus geräumt und alle Beteiligten verhaftet. Sie sind sich sicher, dass sie alle erwischt haben, zumindest alle, die jemals in dem Haus aufgetaucht sind, weil einige der älteren Mädchen und Jungen die Kraft und die Wut aufgebracht haben, sich durch endlose Verbrecherkarteien und -Bilder zu arbeiten. Sie haben einige Leute erkannt, die alle gefasst werden konnten.

Anhand der Personengruppe wurde schnell klar, dass das Haus einem Zuhälterring gehört, der nicht für sanfte Töne bekannt ist. Und das habt ihr leider alle sehr zu spüren bekommen. Aber: die führenden Köpfe waren bei der Polizei schon lange auf der Liste und sind jetzt alle hinter Gittern. Es gibt keine Möglichkeit, sich per Kaution freizukaufen, und alle Maulwürfe in den Ämtern wurden ebenfalls identifiziert. Sie haben wirklich gründliche Arbeit geleistet. Ihr werdet nicht mehr verfolgt, Jimin. Ihr seid frei!"

„Aber ... warum seid ihr euch alle so sicher, dass wir dazu gehören? Ich mein' ... ja, wir waren dort. Über zwei Jahre lang, bis uns schließlich die Flucht gelang. Aber ..."
„Die Narben. In der Zeitung waren Bilder von den Kindern. Von hinten. Mehrere der Älteren haben sich selbst nicht geschont und alles ausgesagt, was passiert ist. Die Polizei hat nicht alle Details an die Öffentlichkeit gelassen, aber ich bin ja nicht doof. Es war ein Zuhälterring, und manche Kinder hatten viele Narben, andere gar keine. ... Habe ich recht mit meiner Vermutung?"

Jimin nickt erschöpft.
„Mach mal Pause. Diese Bilder im Kopf ..."
Ich halte ihn ganz fest und wiege ihn hin und her, bis er mir signalisiert, dass ich weiter reden darf.
„Sie waren echt skrupellos. Über ihren Maulwurf im Jugendamt haben sie es so eingerichtet, dass sie nur Geschwisterkinder bekommen haben. Einzelkinder wollten sie nicht. Die Geschwister konnten sie gegeneinander ausspielen und erpressen. Und deshalb seid auch ihr da gelandet. Weil sie dich wegen des Kleinen erpressen konnten."

Wieder sackt Jimin wimmernd in sich zusammen.
„Ich wollte das nicht. Ich musste! Ich ... es war so furchtbar. Er war dabei. Er hat mir ins Gesicht gesehen, als ich das ausgesprochen habe. Ich ... Ich hasse mich dafür. Aber ich hatte doch keine Wahl!"
Die Worte ringen sich qualvoll aus seinem Mund, der ganze ausgemergelte Körper wird geschüttelt von all dem furchtbaren Erleben, all der furchtbaren Last.

„Jimin? Darf ich es aussprechen?"
„NEIN!!!"
...
„Nein."
...
„Doch."
„Du stoppst mich, o.k.?"
Ich nehme ihn wieder ganz fest in den Arm und drücke seinen Kopf gegen meine Schulter.
„Das jeweils ältere Geschwisterkind wurde im Beisein des oder der Jüngeren gezwungen, eine Entscheidung zu fällen. Entweder werden alle regelmäßig verprügelt. Oder ..."
„Stop!!!"
Ich halte sofort meinen Mund und warte ab. Mehrere Minuten vergehen in zermürbender Stille.
„Kannst ... kannst weiter machen."

„Entweder Prügel oder Zwangsprostitution."
Seine Hände krallen sich in meinen Pullover.
„Und du, mein armer, geliebter, wunderbarer Jimin, wurdest gezwungen, diese Entscheidung für dich und Minnie zu fällen."
Totenstille.
„Und: nein, tausendmal nein! Du musst dich nicht schuldig fühlen. Diese ... A...löcher haben ein schweres Verbrechen an euch, an euren unschuldigen Seelen begangen. DU hast NICHTS falsch gemacht. Du hast dich für die weniger schlimme Variante entschieden. Und das war gut so. Auch, wenn du immer zusehen musstest, wie er verprügelt wurde. Auch wenn du dann schließlich am eigenen Leib erfahren hast, wie weh deinem Bruder getan wurde, weil sie dich nicht brechen und umstimmen konnten. Du konntest wenigstens hinterher immer für ihn da sein. Die anderen Kinder wurden nämlich getrennt. Durch dieses Martyrium mussten sie ganz alleine durch."

Inzwischen weinen wir beide, weil selbst ich es kaum aushalte, das laut zu sagen. Aber ich glaube fest, dass Jimin es letzten Endes braucht, dass all seine Qual und Verantwortung endlich gesehen und ausgesprochen wird. Dass er damit keinen Augenblick länger allein bleibt.

„Patrick? Werden sie ihn mir wegnehmen?"
„Das glaube ich nicht. Das wäre ein weiteres Verbrechen. Da ihr beide so aneinander hängt, werdet ihr sicherlich nicht getrennt. Wie gesagt – der Arzt hat euch noch nicht gemeldet. Das wird er erst tun, wenn wir alle das O.K. geben. Wir alle, also auch du. Die Polizei hat natürlich sofort das Büro im Heim durchsucht. Sie haben eine unvorsichtigerweise geführte Liste aller Kinder gefunden. Und das mit den vorhandenen offiziellen Akten der Kinder verglichen. Wer, wie lange, woher, wohin ... Und dabei ist ihnen aufgefallen, dass von zwei Kindern auf der Liste die Akten fehlen. Deshalb haben sie euch so im Fokus.
Jimin, die Bilder in den Zeitungen zeigen praktisch einen Hochsicherheitstrakt. WIE hast du das geschafft, an die Akten ranzukommen???"

Jimin richtet sich ein bisschen auf und lächelt zum ersten Mal wieder. Ein triumphales Glitzern taucht kurz in seinen Augen auf.
„Putzdienst. Dafür wurden wir reingelassen, weil sie zu faul waren, wenigstens die Büros selbst zu putzen. Ich habe nach und nach rausgefunden, wo alles ist. Und gesehen, dass auf den Akten echt Staubschichten waren. War ja auch kein Wunder. Die wurden vom Jugendamt mit den Kindern geliefert und nie wieder angefasst. Alles, was da wirklich passierte, landete ja nicht in der Akte. Und dass ich die irgendwann eingesackt habe, haben die wahrscheinlich nie mitgekriegt. Sie haben sich einfach zu sicher gefühlt."

„WOW! Ich bin echt stolz auf dich. Und dann hast du eure Flucht geplant?"
Jimin schüttelt wieder den Kopf.
„Meine. Ich war nicht so verrückt. Ich wollte einfach nur zur Polizei und Hilfe holen. Ich hatte erst die Flucht geplant und dann die Akten gestohlen. Aber Minnie hatte dort ... wir alle hatten einen echt leichten Schlaf. Wie du gesagt hast – Meister im Aufderhutsein. Der Kleine ist wach geworden und hat mich nicht weggelassen. Ich musste aber weg, wegen der Akten. Das Risiko zu bleiben, war einfach zu groß. Also ... hab ich ihn mitgenommen. Und damit begann das monatelange Versteckspiel."

„Und du hast es geschafft. Ihr seid entkommen. Ihr seid am Leben. Und ihr seid hier."
Wieder weinen wir miteinander. Aber diesmal mischt sich auch Erleichterung unter den Schmerz.
„Sie suchen euch. Nicht, um euch einzufangen. Sondern um euch zu helfen, vielleicht zu eurer Tante zu bringen. Die ist schon kontaktiert worden. Aber zu ihr seid ihr ja nicht gegangen. Zu recht übrigens. Sie hatte eine ganze Zeit lang im Sommer das Gefühl, dass sie und ihr Haus beobachtet würden. Dort wärt ihr sofort eingefangen worden."

„Und ... das stand alles in der Zeitung???"
„Das meiste, ja. Und es kam im Radio. Und in den Nachrichten. Sie wollen euch wirklich helfen. Jedem in Busan ist klar, dass dieser Winter euch den Garaus machen muss, wenn ihr denn überhaupt noch lebt."
...
"Wie gut, dass ihr noch lebt. Die Welt hätte zwei wunderbare Menschen verloren."
Die letzten beiden Sätze sind mir einfach so rausgerutscht. Aber Jimin scheinen sie gut zu tun. Er schmiegt sich wieder an mich.
„Ja. Wie gut, dass du dafür gesorgt hast, dass wir noch leben. Du und Tae. Ohne euch wäre Seokie jetzt tot. Und ich vor lauter Verzweiflung wahrscheinlich bald auch."

Endlich, endlich klingt seine Stimme freier, weniger ängstlich.
„Ich ... weiß gar nicht, was ich sagen soll. Dass ich dir sooo wichtig bin. Ich bin doch nichts Besonderes."
„Doch, das bist du. Du bist ein ganz besonderer Mensch. Deine Kraft, deine Entschlossenheit, dein Durchhaltevermögen, deine Liebe zu deinem Bruder, dein Verantwortungsbewusstsein, dein Lachen, deine Sehnsucht nach Leben – das alles gibt es so nur ein einziges Mal auf der Welt. Das macht dich einzigartig. Doch, du bist was Besonderes!"

„Ich glaub, das werd ich nie verstehn."
„Musst du auch nicht. Du darfst einfach fühlen, dass wir dich und deinen Bruder so lieben, wie ihr seid."
„Das fühle ich. Sehr. Und das fühlt sich wunderbar an. Danke. So sehr danke!"

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15.12.2020    -    15.1.2021

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