Nachtgedanken °✨° Mo. / Di. 22.12.2020

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Es ist seltsam. Nachdem ich mich noch an den Küchenkartons ausgetobt und vier Spülmaschinen im Schnellgang hab laufen lassen, schaue ich intuitiv nach Jimin. Der war mit Apeum am Abend nochmal im Hof und gammelt jetzt bei Patrick im Gästezimmer. Apeum liegt in ihrem Körbchen neben dem Bett. Als ich die Tür öffne, fliegt sofort ihr Kopf hoch, und sie mustert mich misstrauisch, bis sie mich erkennt. Dann legt sie den Kopf wieder ab, schaut mich aber weiter an. Ich selbst bin auch hundemüde und würde am liebsten drei Tage lang schlafen. Aber ich muss mit Patrick reden. Also packe ich weiter aus, fülle Schränke und Schubladen, rücke Möbel zurecht und versuche zu erfühlen, was ich in dieser Wohnung wohl wo am liebsten tun werde.

Als Patrick mitten in der Nacht nach oben kommt, bin ich schon kurz vorm Wegdämmern. Aber Apeum schlägt an, und so gehe ich runter zu dem Iren. Der sitzt wie immer noch zum Abschalten in seiner Küche.
„Mensch, Tae, was machst du denn hier mitten in der Nacht. Warum schläfst du noch nicht?"
„Weil wir schon wieder eine Entscheidung treffen müssen."
„Setz dich."

„Pass auf. Du warst in den letzten Tagen nicht so viel im Krankenhaus, aber einmal hast du Chen doch erlebt, gestern, oder?"
„Ja, und ich habe in der kurzen Zeit schon begriffen, wie sehr die beiden aneinander kleben. Es wäre unverantwortlich, ihn so alleine zu lassen. Ja, wir können den Kleinen hier ein paar Tage aufnehmen, bis er ganz gesund ist."
„Auch für länger?"
Fragend schaut er mich an.
„Wie oft benutzt du die Räume, die unter der Seite der Jungs sind?"
„Nie? Ich nutze ein riesiges Wohnzimmer und die beiden Zimmer am Flur unter deinen. Was soll ich alleine mit vier weiteren Räumen?"
„Genau. Wie laut ist es in deiner Wohnung, wenn unten im Pub Betrieb ist?"
„Das geht eigentlich. Unter den nicht genutzten Räumen sind der Billardtisch und die Bücher- und Spieleecke. Da ist es nicht so laut. Worauf willst du hinaus?"

„Chens Eltern haben beide einen Frühmorgen-Job und einen Abend-Job. Dazwischen ist er in der Schule. Dieses Kind ist praktisch immer alleine. Die Eltern lieben ihren Sohn, aber sie arbeiten sich krank und krumm für Miete und Schulgeld. Sie wohnen weit außerhalb, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie haben kein Auto. Sie arbeiten beide hier in der Stadt."
Patricks Augen weiten sich. Er hat mich verstanden.
„Und da meinst du, wenn wir schon so verrückt sind mit dieser Männer-WG, dann könnte ich doch gleich meine Wohnung teilen und die Lees auch noch hier einziehen lassen. ... Weil?"

„Weil die Eltern dann eine sichere Wohnung und deutlich kürzere Wege zur Arbeit haben, weil Chen dann nicht mehr alleine ist und auch seine Eltern mehr sieht, weil Minnie dann einen Spielkameraden hat, nicht so viel bespaßt werden muss und Jimin sich mehr auf sich konzentrieren kann. Weil mir völlig egal ist, wie viele Gören ich abends ins Bett bringe. Und: weil du uns aufnimmst, weil du einsam bist. Antworte nicht, denk einfach kurz nach. Wenn wir zu dritt und mit dem Hund da oben leben. Und du lebst in dieser riesigen Wohnung hier unten weiter alleine. Vertreibt das dann wirklich deine Einsamkeit?"

Patrick steht auf, geht ans Fenster und schaut auf die nun nachtstille Straße. Die Hände in den Hosentaschen, unbeweglich steht er da. Dann fängt er mit leiser Stimme an zu sprechen.
„Seit vierzehn Jahren lebe ich in diesem Haus. Seit sieben Jahren ganz alleine. Ich bin aufgegangen in meinem Pub, liebe meine Gäste und meinen Job, schlafe so lange ich will, muss niemand für nichts um Erlaubnis fragen und kann in der Stille dieses Hauses völlig abschalten von dem allabendlichen Lärm.
Weißt du, wenn ich mich einsam fühle, muss ich in Zukunft nur eine Treppe hochsteigen. Wahrscheinlich werde ich froh sein, wenn ich mal ab und zu RUNTER steigen darf. Ich bin Kinder nicht gewohnt. Weder den Umgang mit einem tief traumatisierten Jugendlichen noch den mit einem überdrehten Brummkreisel wie Minnie.
Dass ich mein Herz für Jimin entdeckt habe, dass du mir das Hirn rumgedreht hast mit deiner 180°-Wende, dass wir alle auf unsere eigene Art um mehr Würde und Freude in unseren Leben kämpfen – Das hat in mir das Unterste zu oberst gekehrt. Als ich mit Jimin bei dieser Tierfarm ankam, haben mich die weiten Weiden an Irland erinnert, und mit einem Mal brannte eine Sehnsucht in mir, die ich gar nicht beschreiben kann. Das heißt jetzt nicht, dass ich hier den Griffel fallen lassen und Fahnenflucht begehen werde. Aber ich habe begriffen, dass dieses Land für mich immernoch nicht richtig Heimat ist. Es vielleicht nie sein wird. Heimat ist da, wo das Herz schlägt. Aber wo schlägt mein Herz? Hier? Da? Überall oder nirgends?"

Wieder steht er eine Weile schweigend da, und ich warte ab, weil ich das Gefühl habe, dass das noch nicht alles war.
„Taehyung, du hast mir erzählt, was dir die Villa und die Druckerei bedeuten. Welche Erinnerungen daran hängen, aber auch welche Entfremdungen dich verändert haben. Wo schlägt dein Herz?"

Ich muss nicht lange überlegen.
„Hier. Jetzt schon. Das Herz kann lernen zu wandern. Mein Herz hat das jedenfalls gelernt. Und im Moment und hoffentlich für sehr lange Zeit schlägt es hier. In diesem Haus, in deinem Pub, im Leben von Minnie und Jimin. ... In deinem Leben. Du bist mit all deiner europäischen Andersartigkeit nicht einfach ein bunter Vogel in Korea. Du bist ein Anschubser in meinem Leben gewesen. Was in diesen paar Wochen im Dezember 2020 bei mir und bei dir und bei den Jungs alles passiert und in Bewegung gekommen ist, ist nur die Spitze vom Eisberg. Wir beide befinden uns jeder auf unsere Weise in einem Wirbel der Ereignisse, in dem wir kaum zum Luftholen, geschweige denn zum Nachdenken und Hinspüren kommen. Aber was ich bei dir vor allem spüre, ist die Einsamkeit. Die Sehnsucht nach Veränderung. Die Sehnsucht nach Beziehungen zu Menschen, die dir etwas bedeuten."

„Mir ist schwindelig vor lauter Veränderungen. Ich weiß nicht, ob ich jetzt so schnell noch eine Veränderung verkrafte. Die Familie Lee hier aufzunehmen, würde mir deutlich näher rücken als ihr alle da oben. Ich ... kann dann keine Tür mehr hinter mir zumachen. Verstehst du?"
„Hm. Versteh ich. Aber du hast mit der Wendeltreppe, der Wohnungsteilung oben und dem Dachausbau doch sowieso schon alles auf den Kopf gestellt. Du nutzt hier unten nur die Hälfte der Wohnung. Wenn du hier auf dieser Etage die Gästetoilette zu deinem Bad machst und in der anderen Hälfte eines der Zimmer zur Küche, dann musst du nur noch eine Tür in den Flur stellen. Und schon kannst du wieder eine Tür hinter dir zumachen. Chen wird viel oben sein. Seine Eltern werden mehr als bisher, aber immer noch sehr wenig zu Hause sein. Und im Endeffekt dient es allen. Sobald die Druckerei saniert ist, werde ich dir eine der Lage angemessene Miete für diese Luxushütte da oben zahlen. Lass die Familie hier eine Miete zahlen, die sie sich leisten können. Vielleicht engagierst du die Mutter in Stoßzeiten noch im Pub."

„Luxushütte."
Patrick schüttelt ungläubig den Kopf.
„Patrick, ist dir nicht klar, dass diese Wohnung da oben in Kombination mit dem Dach und der Lage innerhalb der Stadt ein echtes Luxusobjekt ist, nach dem sich die Schönen und Reichen dieser Stadt alle zehn Finger ablecken würden?"
„Du spinnst."
„Nein, ich spinne nicht. Ich habe in einem seltenen Moment von Langeweile mal nach vergleichbaren Immobilien und Mieten in diesem Stadtteil gegoogelt. Patrick, dieses Haus hat ein goldenes Dach. Ich bin wild entschlossen, dir die Miete für die gesamte Etage plus Dach in angemessener Höhe zu zahlen, sobald ich das kann. Dann zahle ich immernoch weniger, als ich in diese riesige, kalte Villa stecke. Aber mehr, als du jemals von irgendwem bekommen würdest. Die Kosten für die Jungs sind dann abgedeckt, und ..."

„Das will ich doch gar nicht!"
„Ganz ruhig, Brauner. Das weiß ich doch. Aber sieh es als eine Mischkalkulation. Ob ich was zur Miete der Lees dazuschieße oder den Anteil der Jungs übernehme, ist doch nun wirklich schnurzpiepegal. Wenn ich den Anteil der Jungs übernehme, merken die Lees aber nicht, wie sehr du bei ihnen abrundest. Sonst würden sie das nämlich nicht annehmen. Und jetzt habe ich genug auf dich eingequatscht. Lass das sacken. Wir bieten der Familie erstmal an, mit uns Weihnachten zu feiern. Dabei lernen wir sie näher kennen. Vertrau mir, ich taue die schon auf. Wir lassen das nach und nach wachsen, kümmern uns öfter mal um Chen. Und wenn wir in ein paar Wochen das Gefühl haben, dass es passt, und du wieder zur Ruhe und zum Nachdenken gekommen bist, dann kannst du immer noch darüber entscheiden. Ich wollte dir nur erzählen, was da in mir grade rumort."

Patrick dreht sich um und schaut mich direkt an.
„Ich sage ja gar nicht nein. In dem Moment, wo ich dich und die Jungs in mein Herz gelassen habe, seid ihr auch in meinem Haus eingezogen. Ich hatte die Idee mit dem Hund. Ich habe mich doch schon längst von meiner Tagsüber-Ruhe verabschiedet."
„Aber?"
„Keine Ahnung. Ganz ehrlich. Ich glaube, du hast recht. Ich sollte ins Bett gehen. Vielleicht weiß ich irgendwann in den nächsten Tagen von alleine, ob und wenn ja, was dieses 'Aber' ist. Es wird jetzt ja wieder ruhiger, wo die Handwerker mit eurer Etage fertig sind. Ich ..."
Er kommt auf mich zu.
„Du bist für mich ein tolles Gegenüber, Taehyung. Und für die Jungs ein wunderbarer großer Kumpel. Wir sind hier genau die richtige Mischung. Lass uns einfach abwarten, was das nächste Jahr bringt."

Er klopft mir auf die Schulter und geht einfach. Also trolle ich mich nach oben und steige zum ersten Mal hier in diesem Haus in mein Bett. Die erste Nacht in einem anderen Haus ist immer etwas Besonderes. Andere Geräusche, andere Gerüche, andere Lichtverhältnisse, ... Aber ich bin inzwischen erschöpft genug, um in tiefen Schlaf zu fallen, kaum, dass mein Kopf das Kissen berührt hat.

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21.12.2020    -    26.1.2021

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