Im Kokstaxi nach Hause

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Im Bunker ist es laut. So laut sogar, dass ich Kopfschmerzen davon bekomme. "Maurice." Ich halte meinen Kumpel am Arm fest. "Hast du Tua irgendwo gesehen?"
Maurice kratzt sich am Hinterkopf, dann leuchten seine blauen Augen auf. "Der ist zur Tür raus. Vor ein paar Minuten. Hast du schon draußen geguckt? Vielleicht ist er auch nur eine rauchen."
Ich schüttle den Kopf. "Nee, ist er nicht, da war ich schon. Danke trotzdem", sage ich.
Mir kommt unser Gespräch wieder in den Sinn. Tuas komische Reaktion darauf, dass ich der Meinung bin, Ablenkung eben nicht im Rausch zu suchen. Nicht wie Tarik zum Beispiel. Als ich die obere Etage betrete, traue ich meinen Augen kaum. "Ist nicht dein Scheiß-Ernst", rutscht es mir raus und noch während ich es sage, schiebt Jenn mich aus dem Weg und flieht vor dem grausamen Schauspiel, auf das ich nun freie Sicht habe. Am Tisch sitzt ihr Freund; die Reste einer Line sind auf der schwarz lackierten Platte zu sehen. Er hält ein Ziehröhrchen mit dem Logo des Kokainklans in der Hand und ich würde ihm gern den Hals umdrehen. Die Gewaltfantasie ist kurz so stark, dass ich mich vor mir selbst erschrecke. Aber der Schock wird überlagert von Erstaunen, das sofort in unbändige Wut umschlägt, denn Tarik sitzt nicht allein auf dem Sofa.
"Bastian Krüger!", rufe ich und laufe mit erhobenem Zeigefinger auf Tariks Nebenmann zu, der auf der schwarzen Couch sitzt und mich aus großen Augen - mit geweiteten Pupillen - anschaut. Mit eiserner Miene mustere ich ihn. "Wer hat wen angestiftet?", frage ich ihn kalt. "Du ihn? Oder war's umgekehrt?" Mein Blick gleitet rüber zu Tarik, der sich auf den Lederpolstern zusammenkauert.
"Was ist denn falsch bei dir?", findet Bastian seine Sprache als Erster wieder. "Muck doch nicht rum."
"Was falsch bei mir ist? Lass doch endlich die Finger vom Speed!", belehre ich ihn laut. Ich möchte ihm gerade am liebsten volles Rohr mitten ins Gesicht schlagen. Die Brutalität meiner Gedanken trifft mich damit schon zum zweiten Mal heute Abend vollkommen unvorbereitet, aber alles stößt wohl irgendwann an seine Grenzen. So auch mein Pazifismus.
"Ihr seid Junkies", knurre ich. "Alle beide. Elende, hoffnungslose Hunde, ihr ehrenlosen Bastarde -"
"Iara", höre ich Sinan hinter mir sagen. Er hat mir eine Hand auf die Schulter gelegt, doch ich schüttle sie ab, drehe mich zu ihm um und schaue zu ihm hoch. "Ja, guck noch zu. Guck zu, Sinan, wie dein Freund sich das Hirn wegkokst. Wie er sein Leben durch ein beschissenes Glasröhrchen zieht und seine Freundin ihm davonläuft, weil sie die Wahrheit bald nicht mehr ertragen kann!" Sinan fällt scheinbar keine Antwort darauf ein, aber das ist nicht weiter dramatisch.
Maurice ist der nächste, der sein Glück versucht und mich beruhigen will. "Du bist mit lauter dummen Arschlöchern befreundet, das weißt du doch, oder nicht?", fragt er mich.
"Tolle Freundschaft", schnaube ich. "Wenn ihr high seid, wer seid ihr dann noch?", übergehe ich Maurice und wende mich wieder an Bastian und Tarik. "Dir", deute ich auf Bastian, "musste ich helfen, als du Herzrasen bekommen hast und nicht mehr wusstest, wo oben und wo unten ist. Ich habe dich schon in allen Krankenhäusern in ganz Berlin und Brandenburg besucht, seit ich dich kenne und weißt du überhaupt, wann du das letzte mal im Krankenhaus warst, ohne dass es um irgendeine Drogen-Scheiße ging, Bastian?"
Er schüttelt den Kopf.
"Du warst neun", frische ich seine Erinnerung auf. Die Geschichte hat er mir mal erzählt. "Du hast dir damals den Arm gebrochen, als du von der Leiter in runtergefallen bist, auf die du zusammen mit deinem Vater zum Äpfelpflücken klettern musstest. Es war im goldenen Herbst. Du hast beide Hände ausgestreckt, weil du zwei auf einmal nehmen wolltest und bist auf dem dicken Ast abgerutscht. Im nächsten Moment hast du losgeschrien, weil dein Arm unter deinem Körper eingeklemmt war. Dein Rechter. Du konntest nicht schreiben, keine Hausaufgaben machen und deswegen wollte deine Mutter dich zu Hause behalten. Aber du hast darauf bestanden, in die Schule zu gehen. Du wolltest unbedingt, dass deine Freunde auf deinem Gips unterschreiben. Und deine Lehrer, denn du mochtest deine Lehrer. Besonders deine Deutschlehrerin. Könnte sie dich jetzt gerade hier sehen, Bastian: Sie würde sich dreimal überlegen, ob du diese Unterschrift tatsächlich verdienst. Du hast alles, du bist stinkreich; du hast deine Freunde um dich, Menschen, die dich lieben, verdienst im weitesten Sinne mit der Musik dein Geld - Du bist der King. Warum brauchst du Upper, um dich auch so zu fühlen?", will ich wissen. "Ich weiß nicht, ob ich von dir oder von ihm enttäuschter bin", füge ich noch hinzu und nicke in Tariks Richtung. "Du hast mit dem Scheiß angefangen, weil du musstest und du warst nie jemand, der aus freien Stücken konsumiert hätte. Es war dein Aufnahmeritual. Und jetzt, wo du jemand völlig anderes bist, wo du die Wahl hast, die du davor nie hattest, triffst du dieselbe beschissene Entscheidung. Herzlichen Glückwunsch. Du bist raus aus dem Ghetto, aber das Ghetto nicht aus dir und du kannst es nicht lassen; du kannst es nicht lassen, obwohl du eine Freundin mit 'ner Suchtvergangenheit hast. Obwohl sie dich darum bittet. Ich dachte bis vor fünf Minuten noch, dass du bloß stur bist und sie nicht ausreichend ernstnimmst. Aber wenn das gar nicht stimmt und du ihre Bedenken nachvollziehen kannst, wenn du sie verstehst und das trotzdem tust, Tarik, dann hast du ein Problem. Entzug auf eigene Faust hilft dann nicht mehr." Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. "Dann ist es dafür zu spät." Schniefend wische ich mir mit dem Ärmel unter der Nase entlang. "Gott, ihr seid so bescheuert, ich hasse euch manchmal", fiepe ich und beiße mir in den Arm, um nicht zu schluchzen.
"Du hast doch gar keine Ahnung, wie das ist", sagt Bastian plötzlich. "Scheiße, Iara, du hast mir den Trip versaut", seufzt er grantig. Der Schnee hat sein Ego aufgeblasen, wie immer.
"Deine Todessehnsucht ist wirklich bemerkenswert", kontere ich und trete an die beiden heran. "Steht auf."
"Sonnenschein, was hast du denn jetzt vor?", fragt Tarik und rutscht nervös auf dem Sofa hin und her.
"Ihr sollt aufstehen!", brülle ich.
Maurice unterbricht uns. "Iara, mal ehrlich, was soll das denn werden?"
"Ich bringe sie nach Hause", erkläre ich. "Fühlt sich ja außer mir scheinbar niemand dazu berufen."
"Alle beide?" Maurice schaut mich fragend an. "Du willst dir sowohl Bastian als auch Tarik krallen und mit ihnen durch die Stadt tingeln?"
"Hoffentlich wird's so entspannt, wie's bei dir klingt", bestätige ich. "Auch wenn ich das bezweifle."
"Das sind zwei Erwachsene Männer auf Speed, die kriegst du doch nie heil nach Hause", formuliert Maurice seinen berechtigten Einwand.
"Wette doch dagegen, vielleicht schlägt dir jemand einen Deal vor, den du nicht ablehnen kannst. Sinan", lächle ich den DJ in der Ecke zuckersüß an. "Wie wär's? Wettest du mit Maurice?"
Sinan schüttelt den Kopf. "Ich rufe dir jetzt ein Taxi für den Transport."
Weil Maurice näher an mir dran steht, tippe ich ihm auf die Brust. "Zu euch komme ich noch die Tage." Ich bedenke auch Sinan mit einem strengen Blick, bevor ich Tarik und Bastian jeweils an ihren Handgelenken packe und hinter mir herschleife.

"Gib mir deinen Schlüssel", sage ich zu Bastian, als wir eine knappe Stunde später vor seiner Wohnungstür stehen. Es ist dieselbe Wohnung, in der ich eine ganze Zeit lang mit ihm gewohnt habe, aber als ich aufschließe, stolpere ich über einen Haufen ausgezogener Jacken und lieblos in die Ecke geworfener Schuhe.
"Hast du der Putzfrau gekündigt, oder was?", knurre ich, als ich eintrete.
"Ich musste, die hat geklaut."
"Hoffentlich deine Drogen."
Voll ins Schwarze getroffen - Bastian sieht zu Boden und ich verdrehe theatralisch die Augen.
"Iara, kannst du Jenn anrufen?", spricht Tarik mich von der Seite an und ich packe ihn am Arm, mit dem er gerade an Bastians Garderobe zerrt, sodass sie aus der Wand zu reißen droht. Er ist dermaßen drauf, dass er gar nicht bemerkt, welche Kräfte er da aktiviert.
"Bei dir würde sie gerade eh nicht rangehen", murmle ich und schnappe ihn mir. "Setzt euch auf die Couch und guckt euch was im Fernsehen an."
"Ich habe Hunger", verkündet Bastian und steuert auf seine Küche zu.
Mit meiner freien Hand packe ich ihn an der Schulter. "Setz dich auf die Couch", zische ich. "Ich mache dir ein Sandwich oder so, aber setz dich hin und sei leise, solange ich mit Jenn telefoniere."
Im Küchenschrank finde ich Toast. Währenddessen scrolle ich durch meine Kontakte und tippe Jenns Namen im Telefonbuch an.
"Ja?" Wow, was für eine herzliche Begrüßung. Aber ich kann's ihr nicht verübeln.
"Ich wollte nur sagen, dass ich Tarik bei mir habe, der bleibt solange hier, bis er wieder nüchtern ist."
"Danke, Iara, wirklich. Hau ihn mal von mir, er ist nämlich 'n Idiot gewesen. Bastian hat auch gezogen."
"Ich weiß", grummle ich.
"Ich bin bei Tua." Wo sonst? Sie muss voll in sein Gespräch mit Momo über Hannes' kommenden Geburtstag reingeplatzt sein. Na ja, das ist gerade nicht meine primäre Sorge. "Also könntet ihr auch in unsere Wohnung", bietet Jenn an.
"Passt schon, Bastians Wohnung ist groß genug", lehne ich ab.
"Okay, Iara, bis dann."
"Bis dann." Ich lege auf, drehe mich um und komme Jenns Wunsch nach, indem ich Tarik fest haue. "Soll ich dir von deiner Freundin ausrichten. Sie ist bei Tua, der passt auf."
"Gut", haucht Tarik und starrt wie gebannt auf den Fernsehbildschirm. Auf der Fahrt hierher sind die beiden Jungs im Taxi komplett abgedreht. Ein Glück scheint ihr Trip langsam auszuklingen. Ich streichle Tarik über den Kopf.
"Hunger", grunzt Bastian und zieht an meinen Locken.
Sanft drücke ich ihn auf seinen Platz zurück. "Bin dabei, gedulde dich noch ein bisschen, ja?"
Als Tarik zu weinen anfängt, schmiere ich Bastian in Rekordzeit sein Sandwich, aber er ist längst weggetreten, als ich den Teller vor ihm abstelle. Deswegen entscheide ich mich, mich zuerst um den in tausend Tränen aufgelösten Tarik zu kümmern. Ich bugsiere ihn in mein altes Zimmer. Der Raum ist nach wie vor leer. Bastian will sich hier ein Büro einrichten, aber noch stehen keine Möbel in dem Raum. Die Tür lasse ich offen, falls Bastian ein verdächtiges Geräusch von sich geben sollte.
"Sie wird mich verlassen", murmelt Tarik und ich nehme ihn in den Arm und lasse ihn schluchzen.
"Jenn liebt dich zu sehr dafür", kläre ich ihn irgendwann auf, obwohl es nichts bringt. Für Klärung müsste er schon klar im Kopf sein. Und das ist er einfach nicht. Das muss aufhören.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro