La Familia

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"Was möchtest du kochen?", fragt Tua mich, während er fürsorglich eines meiner zusammengefalteten T-Shirts auf dem Stapel der Sachen ablegt, die er bereits aus meinem Koffer geholt hat.  
"Ob ich kochen will steht wohl gar nicht zur Debatte, hm?", blicke ich vom Display meines Handys auf.
"Kümmere dich um deine Mails, damit ich das Ding für die Woche in den Tresor einschließen kann", zeigt er auf das Smartphone. 
"Schon gut, ich beeile mich", lächle ich reumütig. "Übrigens danke, dass du meine Klamotten für mich auspackst."
"Mehr tipp tipp, weniger bla bla", ermahnt er mich, lächelt aber einen Sekundenbruchteil über die Schulter hinweg zu mir zurück.
Rasch vervollständige ich die Agenda für die FIA-Jungs, die ich primär bei Universal betreue; mit alternativen Vorschlägen, für den Fall, dass etwas nicht so hinhaut, wie ich mir das vorgestellt habe. Die Band steht kurz vor dem Release ihrer neuen Single. Offiziell bin ich auf Arbeit krankgemeldet, trotzdem kann ich es mir nach wie vor nicht erlauben, bei meiner Chefin in Ungnade zu fallen. Meine nächste Karriereentscheidung steht ebenso in den Startlöchern wie in den Sternen. Es könnte zwar sein, dass ich die Ausbildung abbreche, aber mein Wille ist noch nicht vollständig gebrochen. Ich trage immer noch den Ehrgeiz in mir, das erstmal durchzuziehen. Sobald ich mein Ausbildungszeugnis mit der Beglaubigung der Universal Music Group in der Tasche habe, stehen mir in der Musikbranche alle Türen offen. Das leichtfertig zu verspielen, wäre einfach nur dumm.
"Du hast nicht auf meine Frage geantwortet", meint Tua, als ich Gmail schließe. Ich schlage die Decke, die ich vorhin über meine Beine gezerrt habe, um, strecke mich und stehe mit dem Handy in der Hand auf. "Entschuldige", gähne ich. "Ich weiß nicht richtig, worauf ich Lust habe. Vielleicht was Scharfes. Mit Chili oder Knoblauch. Kennst du ein Rezept, das schnell geht?" Mir knurrt der Magen. Unser langes Gespräch im Regen hat ganz schön an meinen Kräften gezehrt.
Tua presst die Lippen leicht aufeinander, während sich eine Falte zwischen seine Augenbrauen furcht - Sein typisches Denker-Gesicht. "Mhm", gibt er ein bejahendes Geräusch von sich. "Ist eigentlich eher ein Sommerrezept, liegt nicht schwer im Magen. Wärst du einverstanden mit Zitronenspaghetti?"
"Klar, klingt gut", lächle ich und ziehe ihn am Kragen seines Hoodies zu mir runter, um ihn zu küssen. Als wir uns voneinander lösen, bricht Tua den Blickkontakt nicht. Nachdem er mich eine Weile verliebt angeschaut hat, lächelt er. "Wir müssen dann einkaufen gehen. Der Edeka ist ein paar Kilometer weg, aber es hat aufgehört zu regnen. Theoretisch könnten wir laufen."
"Das wäre doch eine Idee. Ich muss eh noch was zum Thema Vergangenheit loswerden." Mit dem Daumen streiche ich besänftigend über seine glatte Wange.
"Dann erledigst du das auf dem Weg", nickt er verständnisvoll.

Dick eingemummelt in meinen geliebten Wintermantel, hake ich meinen Zeigefinger in der Ärmelschnalle an Tuas gefütterter Fliegerjacke aus Leder ein. "Meinst du, du könntest die Heizung noch etwas aufdrehen, damit es mollig warm ist, wenn wir zurückkommen? Oder widerspricht das der Kälte-Philosophie eines osteuropäischen Migrantenkindes?" 
"Rassistin", sagt er trocken und dreht die Heizung auf vier hoch. Wir verlassen Hand in Hand das Ferienquartier und ich umarme Tua von hinten, während er abschließt. "Du bist ganz schön nähebedürfig heute", stellt er prompt fest. "Ja, weil ich heute realisiert habe, wie sehr ich dich mag", nuschle ich an seinen Rücken gepresst. 
"Wie bitte?", lacht er. 
"Weil du kuschlig bist", ändere ich den genauen Wortlaut. Er sollte sich besser nicht daran gewöhnen, mich so friedlich zu erleben. Ich traue mir selbst nicht über den Weg. Der Urlaub wird in sieben Tagen enden. Sobald ich in meinen Alltagstrott zurückgekehrt bin, kann ich für nichts garantieren. Mein Job walzt jeglichen Frieden sowieso platt wie ein Panzer. 
Tua bemerkt meinen glasigen Blick. "Hey, denk an was Schönes." Er hebt mein Kinn an. "Sieh dich um." Ich werde von ihm so justiert, dass ich in die Ferne schauen kann. Vor uns erstrecken sich endlose Roggenfelder. 
"Felder sind wirklich toll", erkläre ich deswegen. „Ich finde sie zwar urdeutsch, aber mich beruhigt ihre organische Gleichförmigkeit. Sie sind ein Stück Natur, aber ein vom Menschen gemachtes; wie ein aufgeschütteter Sandstrand oder ein künstlich angelegter Teich."
"Weißt du noch, wie du mich abends an den Stadtrand mitgenommen hast, zu der Zeit, als wir ständig aufeinanderhingen, noch bevor wir zusammenkamen?", fragt er. "Die Felder dort waren prächtig und golden. Das hat mich an meine Kindheit erinnert. In Reutlingen konnte ich solche Felder von meinem Zimmerfenster aus sehen. Meine erste Field-Recording-Datei habe ich als kleiner Hosenscheißer inmitten der kniehohen Ähren aufgenommen." 
"Literal Field-Recording", spotte ich.
"Literally", bestätigt er und ich kichere. "Lass uns losgehen", verlangt Tua, legt einen Arm um meine Hüfte schiebt mich in Richtung Feldweg. Eine Weile schweigen wir, hauchen stumm unsere Atemwölkchen in die kalte Luft, die noch nach Regen duftet. Es ist absolut windstill und menschenleer um uns herum. 
"Hat es dir gefallen, als wir auf dem Baum saßen und den Sonnenuntergang genossen haben?", frage ich leise. 
"Dir hat's gefallen", grinst er. Er streicht mir eine verirrte Locke hinters Ohr. "Mir hat gefallen, was dir gefallen hat." 
"Du hast mir gefallen", grinse ich zu ihm hoch. Doch meine Erinnerungen an dem Abend am Stadtrand reichen noch weiter. "Ich hatte wie so oft, Angst über dich und mich nachdenken zu müssen und ich habe mich auch an dem Abend standhaft dagegen gewehrt. Trotzdem ist irgendwie durchgesickert, dass es in Zukunft noch anstrengender werden würde, die Sache zwischen uns weiter wie ein Geheimnis zu hüten. Ich war längst dabei, mich in dich zu verlieben. Es gab viele Momente, in denen ich das eigentlich wusste. Sogar ganz am Anfang, als ich mir eingeredet habe, dass ich keine Beziehung will. An dem Morgen im Orsons-Studio zum Beispiel, an dem du mir deinen Pulli zum Anziehen gegeben hast, weil ich was Frisches für die Arbeit brauchte." 
"Im Townhouse schon?", meint er verwundert. 
"Natürlich." Ein Schmunzeln stiehlt sich in mein Gesicht. "Du hast ihn mir danach geschenkt, das weißt du noch, oder, alter Mann?", necke ich ihn. 
Tua verdreht lachend die Augen. 
Schnell füge ich hinzu: "Keine Sorge, du hast mir keine Signale gesendet. Weder welche, die mir gezeigt hätten, dass du was Ernstes für mich empfindest noch welche, die bewiesen hätten, dass du null interessiert bist. Aber du hast mich die meiste Zeit über gut behandelt, trotz meiner Kratzbürstigkeit. Du bist so großzügig, Tua, du hast ein riesiges Herz." Inzwischen kochen die Worte in mir hoch. Wenn ich ihm nicht erzähle, was auf mir lastet, platze ich womöglich. Ich dränge mich an ihn, küsse ihn und versuche nachzuahmen, was ich verspürt habe, wenn früher unsere Lippen aufeinandertrafen. Sehnsucht, Verwirrung, Geborgenheit, Ungewissheit, Ekstase ... "Es war offensichtlich, dass du dich an meine Fersen geheftet hattest, weil du was Körperliches wolltest. Und ich habe dich bloß gewollt, weil ich dich haben konnte; und weil ich dachte, es kann nicht schaden, erstmal neue physische Erfahrungen zu sammeln, bevor ich mich ins nächste emotionale Drama stürze. Mir tut diese erste, lockere Phase zwischen uns mindestens so leid wie dir. Ich habe dich ausgenutzt wie du mich, also kann ich dich gar nicht verurteilen. Schlimmer ist aber, dass ich mir - erstens - dessen nie bewusst war und es - zweitens - vertuschen wollte. Später, als wir dann ein Paar waren, wollte ich ab einem bestimmten Punkt nämlich nur noch leugnen, auf was für einem schmutzigen, porösen Fundament wir Gefühle füreinander aufgebaut haben. Ich wurde immer naiver, desto näher wir einander kamen. Unsere emotionale Bindung war stärker als meine Bindung zu Harvey es jemals war; wesentlich stärker. Das hat mich überfordert. Du bist zufällig in meinen Trennungsschmerz reingerasselt und musstest ihn mit mir ausbaden." Diesmal küsse ihn mit dem, was von meinen aufblühenden Gefühlen übrig geblieben ist: Liebe. "Ich habe ziemlich üble Probleme damit, Leute, die mir am Herzen liegen, ihr Leben leben zu lassen. Statt mein eigenes zu regeln, manage ich lieber das der anderen. Das steckt tief in mir drin, es ist eine Gewohnheit und es hat hauptsächlich mit meiner Vergangenheit zu tun. Als mein Vater vom einen auf den anderen Tag aus meinem Leben verschwand, hat meine Mutter versucht für Carrie und mich zu sorgen, aber wir haben quasi allein den Haushalt in der Platte geschmissen und wir waren arm wie die Kirchenmäuse. Ich habe immer geglaubt, ich wäre dazu verpflichtet, mich irgendwie zu kümmern. Wenn Mama mal zu Hause war, haben Carrie und ich sie unterstützt, während sie in Akkordarbeit Klausuren korrigiert hat, damit ihre Töchter weiter zum Gesangsunterricht gehen konnten." 
"Du hattest Gesangsunterricht?", wirft Tua ungläubig ein. 
"Ja, bis zu meinem Praktikum nach dem Abi einmal die Woche." Ich seufze schwer. Kommen wir nun zum komplizierten Teil. "Ich habe mich in meiner Pubertät an Carrie gehalten und ihre Hobbys zu meinen erklärt, weil unter Gleichaltrigen niemand was mit mir zu tun haben wollte. Ich bekam Akne als ich zwölf wurde und die anderen Kinder aus meiner Klasse haben mich plötzlich gemieden, weil sie mich eklig fanden. Das war außerdem das Jahr, in dem Pari mit ihrer Familie nach Hamburg gezogen ist." 
"Oh, Iara." Tua fasst sich in den Nacken. Er weiß, dass ich den Kontakt zu Menschen brauche. "Das muss hart für dich gewesen sein." 
"War es, ich hatte Wut im Bauch", bestätige ich schluckend. "Jedenfalls ... Deswegen hatte ich nur an manchen Wochenenden Paris Freundeskreis in Hamburg, und in Berlin, wo ich wohnte, höchstens ältere Freunde. Die Leute, die so alt waren wie meine Schwester, waren im Gegensatz zu meinen Klassenkameraden wenigstens nett zu mir. Carrie hat Marten auf einer Party getroffen, sie haben sich auf Anhieb gut verstanden. Er und Benjamin sind Halbbrüder für mich geworden, schließlich waren Carrie und ich unzertrennlich, ich kannte die beiden. Mit vierzehn, als ich die KKK-Jungs kennenlernte, war die Akne auch wieder weg und ich hatte mir endlich ein bisschen Selbstbewusstsein angeeignet. Kurz danach hat sich Betty mit mir angefreundet und es ging sogar in der Schule sozial bergauf für mich. Wir waren Freundinnen. Ich hätte ihren Verrat vermutlich sogar verkraftet, hätte sie sich jemals dafür entschuldigt, dass sie einem der Rapper aus meinem Freundeskreis auf die Pelle gerückt ist. Ich habe in der Hip-Hop-Szene mit Carrie meine zweite Familie gefunden, nachdem meine erste auseinandergebrochen war – Und auf meine Familie lasse ich nichts kommen", meine ich mit Grabesstimme.


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