Reihenhaus der Einsamkeit

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Ich brüte noch über seinen kryptischen Worten, als er die Klingel neben der Haustür aus rot gestrichenem Holz längst betätigt hat. Es dauert nicht lange, bis Ivanka uns öffnet. Seine Mutter sieht hübsch aus und noch genauso, wie ich sie seit der Beerdigung von Tuas Opa in Erinnerung behalten habe. Ihre schwarzen, langen Haare hat sie zu einem voluminösen Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trägt eine weiße, mit floraler Spitze besetzte Bluse und khaki-farbene Chinohosen. Kleine silberne Creolen schmücken ihre Ohren und schlichte, dazu passende Armreifen klimpern an ihrem schmalen Handgelenk, als sie die Hände ausstreckt, ihren Sohn umarmt und sich mit ihren glänzenden, transparent lackierten Naturnägeln in sein schwarzes Oberteil krallt. Unter ihren Augen liegen die gleichen dunklen Schatten wie unter seinen, obwohl sie notdürftig versucht hat, sie mit einer Schicht Concealer abzudecken.
"Hallo", ringt sie sich ein Lächeln ab und mustert mich. Sie bemüht sich, Freundlichkeit und Offenheit auszustrahlen, aber es will nicht klappen. Auch in ihren Augen spiegelt sich die Melancholie, die ich bei meinem Freund in den letzten Tagen so oft erspähen konnte.
"Hey", begrüße ich sie schüchtern und lächle verhalten. Was ist denn hier los?
"Kommt rein", bittet Ivanka uns und ich betrete den Flur, in dem wir unsere Sachen ablegen.
"Wie geht's?", fragt Tua sie und seine Mutter presst die Lippen aufeinander.
Sie zuckt mit den Schultern und nimmt einen hektischen Atemzug. Dann bekreuzigt sie sich. "Kostja schläft", sagt sie zu mir und ich nicke langsam. Möglicherweise ist Tuas Vater von der Arbeit im Garten hinterm Haus erschöpft, oder er hält immer um diese Uhrzeit Mittagsschlaf. Ich möchte es gern leichtfertig abtun, aber der Gedanke, dass Kostja wahrscheinlich kein sonderlich großes Interesse daran hat, mich kennenzulernen, wenn er sich bei unserer Ankunft direkt durch ein Nickerchen entschuldigen lässt, nistet sich in meinem Hinterstübchen ein. Bin ich doch bloß ein weiterer Name für Tuas Eltern, obwohl er mir versprochen hat, dass er genau das vorab verhindern will, indem er sie darauf vorbereitet, wie ernst er es diesmal meint? Vor ein paar Tagen haben wir noch darüber geredet, eines Tages vielleicht mal zu heiraten und es hat sich eigentlich nicht nach einem lockeren Witz angefühlt.
Ivanka lotst uns in die Küche, die in warmen Brauntönen gehalten ist. In den Erker geschoben steht ein runder Esstisch, über dem eine Papierlampe hängt. "Möchtet ihr was trinken?" Sie deutet auf eine schlichte Porzellankanne und Tua bejaht ihre Frage mit gedämpfter Stimme, bevor er einen Stuhl für mich zurückzieht. Auffordernd sieht er mich an und ich setze mich. Ivanka serviert uns zwei Tassen frisch aufgebrühten Tee. Dem Duft nach zu urteilen wohl eine Kräutermischung. Ein seltsam bedrückendes Schweigen legt sich über unsere Runde. Was für ein fantastischer Start ... "Das Haus ist sehr schön", unternehme ich einen lahmen Versuch, die Konversation in Gang zu bringen.
"Danke", lächelt Ivanka und sieht dann Tua an. Sie streicht ihrem Sohn über die Wange. "Weißt du noch, wie du die Wände mit ihm eingezogen und den Keller renoviert hast vor unserem Einzug?"
Tua nickt und sieht angestrengt aus dem Fenster. Seine Mutter lässt ihre Hand wieder sinken und beginnt den Ehering an ihrem Finger zu drehen.
In meinem Bauch breitet sich ein mulmiges Gefühl aus. Ich trinke einen Schluck Tee, um meinen Magen zu beruhigen. "Ähm", räuspere ich mich. "Ich müsste mal zur Toilette."
"Die Tür gegenüber", instruiert Ivanka mich und ich stehe auf, berühre im Vorbeigehen meinen Freund am Arm. Er lässt sich nichts anmerken.Als ich mein Gesicht im Spiegel betrachte, schweift mein Blick zu dem altmodischen Kassettenrekorder auf dem Badschrank. Mit CD- und Radio-Funktion. Daneben stapeln sich Soudtracks berühmter Filme. Die bunten Cover korrespondieren perfekt mit den vielfarbigen Kerzen, die auf dem Badewannenrand stehen. Das Wachs ist marmoriert und die Formen sind eigenartig. Alle diese Kerzen sind selbst gezogen und erinnern ein bisschen an Wahnvorstellungen eines Acid-Trips. Kurz checke ich, ob Stean mir geschrieben hat. Fehlanzeige. Meine persönliche Mary Poppins lässt mich im Stich, ist das zu fassen?
Ich lasse mich auf der schmalen Stufe nieder, die zur Eckbadewanne raufführt. Die Fliesen sind kühl. Der ganze Raum ist es. Das Bad wird offenbar nicht beheizt. Bis auf die Kerzen und CDs ist alles steril und weiß. Fast wie in einer Arztpraxis oder in einem Chemielabor. Fröstelnd knöpfe ich meine dicke Strickjacke zu. Die Stimmung ist komisch und negativ belastet, seitdem wir hier sind. Wenn ich nur wüsste, wieso ...Aber Tua bringt keinen Ton raus. Er hat unsere Taschen hochgetragen in sein ehemaliges Kinderzimmer.
Jede Menge veraltete Produktionstechnik stapelt sich auf und unter dem Schreibtisch, der eigentlich bloß eine robuste Holzplatte auf schwarz lackierten Metallbeinen ist. In der einen Ecke liegen Synthesizer auf einem Haufen. Es gibt einen Plattenspieler und jede Menge Vinyl-Platten dazu; ein großes Bücherregal, in dem die Romane kaum alle Platz finden. Einige Exemplare liegen unordentlich auf den senkrecht aneinandergereihten Stapeln darunter. Das Bett ist selbstgebaut aus Europaletten. Jemand hat es frisch für uns bezogen, wahrscheinlich seine Mutter. Die Bettwäsche duftet nach Waschmittel. Unter den Paletten sehe ich Glas aufblitzen, als Tua das Licht einschaltet und die Vorhänge zuzieht. Neugierig kneife ich die Augen zusammen. Ist das ein Wodka-Etikett? Ich gehe auf die Knie und ziehe die Flasche raus. Sie ist voll.
"Gib das her."
Ohne Widerworte reiche ich ihm den Wodka und er marschiert los, raus aus dem Zimmer. "Sind da noch mehr?", ruft er mir aus dem Badezimmer gleich nebenan zu.
Ich beuge mich ein zweites Mal runter und ertaste zwei weitere Flaschen, die ich mitnehme. Tua kippt den Wodka ins Waschbecken. Ich schraube eine Flasche Bourbon auf und reiche sie ihm. Der Inhalt rinnt über die Keramikschale in den Abfluss."Johannes", unterbricht uns Ivanka. Sie adressiert ihn auf Russisch und wie von der Tarantel gestochen bewegt Tua sich auf den Treppenabsatz zu. Ich zupfe an seinem Ärmel und ziehe fragend eine Augenbraue hoch. Er umfasst mein Handgelenk. "Mein Vater ist wach." Wir laufen zu dritt im Gänsemarsch die Treppe runter und Tua drückt die Klinke zu einem Zimmer runter, von dem ich keine Ahnung habe, was mich darin erwartet. Es ist wohl eine Art Büro, jedenfalls gibt es Regale mit Büchern und Akten. Nur eins widerspricht meiner Theorie. Das Krankenbett in der Mitte des Zimmers, in dem Tuas Vater liegt, angeschlossen an jede Menge Schläuche und Maschinen.

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