Das Schloss

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Doch wüstes Volk in der Sorge Gewand
Nahm Thron und Reich in Beschlag.
Weh, nie mehr dämmert in jenem Land
Der Tag, weh, nimmer ein Tag!
Und alles, alles, was dort umher
Je prangte an Herrlichkeit,
Ist nur eine traumhafte Mär
Aus längst vergessener Zeit.

Edgar Allan Poe, Das verwunschene Schloss

„Euren Blicken nach ist es das", stellte Tiberius hinter uns fest. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir stehen geblieben waren. Pan grinste.

„Jepp."

Tiberius zog nur eine Augenbraue hoch.

„Worauf wartet ihr dann noch?"

„Darauf, dass du fragst."

Pan schenkte mir einen aufmunternden Blick, bevor er seine Schritte beschleunigte und als erster zwischen den Fels­wänden hindurch­schlüpfte. Einige Sekunde später kam er zurück.

„Alles sicher. Ihr könnt kommen!"

Ich warf einen Blick zurück auf Gin und Grey, die mich er­wartungsvoll ansahen. Wie es aussah, sollte ich als nächste gehen. Seufzend folgte ich Pan und ging zwi­schen den Felsen hindurch. Der Anblick, der sich mir bot, verschlug mir glatt die Sprache. Vor uns lag ein vielleicht zehn Meter langer Vorsprung, wieder mit diesem wider­lich kranken Gras bewachsen, danach führte eine Klippe scheinbar hunderte Meter hinab. Und dann, etwas weiter hinten, hob sich ein riesiges Schloss schwarz von dem apfelmusfarbenen Himmel ab. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich die prunkvollen Verzierungen sehen, den rei­chen Stuck, der die Türme schmückte. Ein riesiges Fes­tungstor bildete den Eingang, nach beiden Seiten gingen breite Gänge ab, die durch große Rundbögen zu betreten waren, die eine unheimliche Kerkeratmosphäre verur­sachten. Über dem großen Haupttor hielten zwei riesige Gargoyles Wacht, bei denen ich mir gar nicht so sicher war, ob sie wirklich nur zur Verzierung gedacht waren. Ich bekam eine Gänsehaut, obwohl es gar nicht kalt war, allein wegen der gruseligen Ausstrahlung des Schlosses. Pan neben mir verschränkte die Arme vor der Brust. Ihn schien die Anlage nicht halb so sehr zu beeindrucken wie mich.

„Tja, ich hätte mehr erwartet. So verschwendungssüchtig, wie er angeblich sein soll..."

Ungläubig starrte ich ihn an. Er zuckte nur grinsend die Schultern.

„Du glaubst gar nicht, was es hier alles für Schlösser gibt. Dagegen ist das da nur eine Ansamm­lung von Steinchen."

„Da hat er recht", stimmte Tiberius, der gerade ebenfalls durch die Lücke zwischen den Felsen kam, Pan zu. We­nigstens sahen Gin und Grey genauso überwältigt aus wie ich. Pan grinste immer noch und ging weiter auf den Abgrund der Klippe zu.

„Na dann, auf in die Schlacht. Wir wol­len Soryas schließlich nicht warten lassen...-"

Seine Worte gingen in ein krampfhaftes Husten über, er krümmte sich zusammen.

„Pan!"

Mit schnellen Schritten ging ich zu ihm und packte ihn an den Schultern. Im selben Moment stieg mir ein bei­ßender Geruch in die Nase, so scharf, dass ich am liebs­ten die Luft angehalten hätte. Eisen, schoss es mir durch den Kopf. Verdammt, verdammt, verdammt! Pan hielt meinen Arm fest, sein Gesicht war bleich wie ein Laken, während das Husten immer schlimmer wurde. Er ging in die Knie und krümmte sich zusammen, sein ganzer Kör­per wurde von dem Husten geschüttelt, das beinahe ei­nem Röcheln glich. Ich hielt ihn weiter fest, doch Pan schien es gar nicht zu bemerken. Keuchend versuchte er, Luft zu holen, doch es wollte nicht funktionieren, weil ihn sofort ein weiterer Hustenanfall schüttelte.

„Pan, komm schon."

Ich versuchte, ihn aufzurichten. Er schüttelte meine Hand ab und sah aus, als wolle er etwas sagen. Aber als er Luft holte, wurde er nur noch bleicher und beugte sich zitternd vornüber. Pa­nisch sah ich zu Tiberius, der bereits in eine Tasche sei­nes Umhangs griff. Er kniete sich ebenfalls neben Pan, in der Hand eine schmale Phiole mit einer dunkelblauen Flüssigkeit darin.

„Trink das", wies er Pan an und hielt ihm die Phiole hin. Wortlos nahm Pan das Behältnis entgegen, seine Hand zitterte heftig. Aus seinem Mundwinkel lief ein schmales Rinn­sal Blut, als er die Phiole ansetzte und die - bestimmt nicht sonderlich angenehme - Flüssigkeit hinterkippte, was ihm ziemliche Schwierigkeiten zu bereiten schien.

„Das wird die Wirkung des Eisens abschwächen." Tiberius beobachtete, wie Pan sich auf den Rücken fallen ließ und rasselnd Luft holte. „Ich weiß nicht, wie lange es anhalten wird, aber uns bleiben höchstens zehn Minuten."

„Danke", murmelte Pan, seine Stimme klang rau. Der Magier nickte und erhob sich wieder. Kurz sah ich ihn an, bevor ich mich über Pan beugte.

„Kannst du aufstehen?"

Er zog nur spöttisch eine Augenbraue hoch und rappelte sich auf, wobei mir auffiel, dass er so flach wie möglich atmete.

„Wir müssen da runter." Sein Blick wanderte zu Tiberius. „Kann ich Magie anwenden?"

Der Magier nickte und ich konnte Pan die Erleichterung ansehen. Wie es aussah, gab es auch Zaubertränke, bei denen man keine Magie mehr einsetzen konnte. Gut zu wissen. Mit vorsichtigen Schritten ging Pan weiter, bis zum Rand der Klippe, und hielt uns auffordernd seine Hände hin.

„Sicher, dass du das machen willst, Keijo?"

„Sagen wir einfach, mein Bedürfnis, zu klettern, hält sich in Grenzen. Also..."

Er sah uns abwartend an. Ich war die erste, die seine Hand ergriff. Sie war eiskalt. Fragend - und etwas be­sorgt - sah ich ihn an, doch er wich meinem Blick aus. Grey und Gin wechselten einen Blick, bevor Grey Luna auf den Arm nahm und Gin sowohl ihre Hand als auch Pans Arm ergriff. Pan verzog das Gesicht, sagte aber nichts sondern sah Tiberius einfach nur weiter an.

„Komm schon, Tib", sagte er auffordernd. „Wir wissen nicht, wie lange es hält."

Seine Stimme wurde immer heiserer und er hustete ein­mal, wie zur Bestätigung seiner Worte. Mit einem Seuf­zen verdrehte Tiberius die Augen und ergriff meine Hand. Im nächsten Moment begann die Luft um uns herum zu flackern, der Boden unter meinen Füßen verschwand und automatisch klammerte ich mich fester an Pan. Ich hatte keine Lust, hinzufallen. Mit einem Rucken blieben wir stehen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass nicht alles so geklappt hatte, wie es sollte. Dieses Gefühl könn­te natürlich auch davon herrühren, dass Pan fluchte. Blinzelnd öffnete ich die Augen.

„Verdammter Mist!", entfuhr es mir. Wir standen auf einem kaum einen halben Meter breiten Vorsprung un­gefähr zwanzig Meter über dem Boden! Kein Wunder das Pan wie irre fluchte.

„Was zur Hölle soll das!?"

Ungläubig sah ich zu, wie er in die Knie ging und mit der Hand durch die Luft wedelte. Wir pressten uns hier förmlich an die Wand und er stand da ganz locker, als wären das zwanzig Zen­timeter und nicht zwanzig Meter, die er runterfallen könnte! Pans Blick sprühte förmlich vor Wut, als er sich langsam wieder erhob.

„Dieser verfluchte Bastard blockiert meine Magie." Er verengte die Augen zu Schlitzen. „Na, das werden wir ja noch sehen."

„Lass das, Keijo."

Pan ignorierte Tiberius einfach und balancierte förmlich an der Kante des Vorsprungs, während er leise Worte murmelte. Ich hörte genauer hin - und erstarrte, als ich erkannte, dass ich ihn verstehen konnte.

„...zu durchdringen der Schatten Bann,

mit Blut zu verhindern, dass Dunkles gewann..."

Schnell hörte ich weg. Ich wollte das nicht verstehen. Was auch immer Pan da sprach, es war auf keinen Fall Englisch. Ich sah zu Tiberius, der aussah, als würde er Pan am liebsten unterbrechen. Warum tut er es dann nicht? Als hätte er meine Gedanken gelesen, sah Tiberius mich an.

„Wenn ein Zauber einmal begonnen wird, kann er nicht mehr unterbrochen werden. Ansonsten kann das schlimme Folgen für den Magie Wirkenden bedeuten."

Ich biss mir auf die Lippe, während ich weiter beobach­tete, wie Pan über die Felskante balancierte. Mein Blick wanderte zu Gin und Grey, die sich genau wie ich an die Felswand in unserem Rücken drückten, Grey presste Luna an ihre Brust, während Gin wachsam jede einzelne von Pans Bewegungen beobachtete. Ich folgte seinem Blick - und sah gerade noch, wie Pan einen Sprung ins Nichts machte. Ich presste mir die Hand auf den Mund, um nicht aufzuschreien. Tiberius neben mir wirkte über­haupt nicht erschrocken oder sonst irgendwie beeindruckt.

„Der taucht gleich wieder auf", meinte er schulterzu­ckend und zählte mit den Fingern ab. 4, 3, 2, 1...

Gerade als Tiberius die Hand zur Faust ballte, schwang sich Pan wieder über die Kante des Vorsprungs, sein Ge­sichts­ausdruck war mehr als zufrieden.

„Von wegen großer Magier." Er klopfte sich nicht vorhandenen Staub von der Kleidung, ein selbstzu­friedenes Grinsen auf dem Gesicht. „Ich bin viel besser!"

Tiberius verdrehte nur die Augen.

„Dann kannst du uns ja sicher auch hier runter bringen."

Pan grinste.

„Klar."

Auch ich warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er verdrehte die Augen.

„Die Eisensphäre endet etwa fünfzig Meter weiter oben, Keira. Mir geht's gut, wirklich. Also, kommt ihr oder was?"

Erneut nahm er unsere Hände - wobei sich das dieses Mal wegen dem begrenzten Platz noch schwerer gestal­tete als sowieso schon - und einen Sekundenbruchteil später standen wir am unteren Rand der Klippe. Und die­ses Mal sogar ohne dass irgendwer hinfiel. Langsam hob ich den Blick. Das Schloss war höchstens noch hundert Meter entfernt und ragte Unheil verkündend über uns auf, die schwarze Steinfassade schien jedes noch so schwache Licht einzusaugen wie ein schwarzes Loch. Eigentlich fehlte nur noch das Gewitter, und man hätte die perfekte Kulisse für einen Draculafilm. Schnell schüttelte ich den Gedanken ab und sah die anderen an.

„Und wie kommen wir da jetzt rein?"

Grey und Gin sahen ziemlich ratlos aus, Pan zuckte grin­send die Schultern.

„Hey, ich bin nur für die Motivation zuständig."

„Alle kleineren Tore und verborgenen Zugänge sind durch Zauber geschützt", stellte Tiberius fest. Woher weiß er das denn jetzt schon wieder? „So wie ich das sehe, bleibt uns keine andere Wahl als den Haupteingang zu benehmen und auf das Überraschungsmoment zu hoffen."

„Klasse!"

Ich war mir nicht sicher, ob Pan das mit Absicht gesagt oder einfach nur laut gedacht hatte. Auf jeden Fall klang es sehr sarkastisch. Erneut wanderte mein Blick zu dem gigantischen Schloss, ich hatte das Gefühl, die Gargoyles über dem Tor würden uns beobachten. Als würden sie auf unseren nächsten Zug warten. Da die Dämmerung bereits eingesetzt hatte und der Himmel damit innerhalb von fünf Minuten beinahe vollkommen schwarz sein würde - so wie ich das in den letzten Tagen mitbekom­men hatte -, konnten wir auch gleich anfangen.

„Na dann mal los."

Tibe­rius hob einen Arm, um uns zu stoppen, als wir bereits Anstalten machten, loszugehen.

„Was habt ihr vor? Einfach da rein­marschieren?" Sichtlich belustigt sah er uns an. „Wir werden uns unsichtbar ma­chen. Wenigstens so weit können wir uns schützen."

Huch. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich verschwand. Als ich die Augen wieder öffnete, nickte Tiberius zufrieden.

„Du hast geübt."

Automatisch musste ich an die peinliche Szene in Taramyrias Schloss denken, als Pan uns trotz der Unsichtbarkeit mit Leichtigkeit ent­deckt hatte. Ich spürte, wie ich rot wurde, und war froh, dass niemand es sah. Auch wenn es um Pans Mund­winkel verdächtig zuckte. Er denkt jetzt aber nicht an das gleiche wie ich, oder? Augenblick­lich wurde ich noch roter. Oh mein Gott.

„Keijo, du wirst Grey tarnen", sagte Tiberius, der - glücklicherweise - nichts von meinen Gedanken mitbe­kommen hatte. Wäre ja noch schöner. Pan sah zu Grey, grinste und hielt ihr auffordernd die Hand hin. Zögerlich nahm Grey sie, Luna hielt sie weiter mit dem anderen Arm fest. Gin kommentierte das ganze mit einem düste­ren Blick.

„Was ist denn los, Zigeunerjunge?", grinste Pan spöttisch. „Hast du dir auf die Zunge gebissen?"

„Ich kann es nur nicht leiden, wenn meine Schwester von einem dreckigen Elf ange­fasst wird."

„Ach, und wenn du sie anfasst, ist das so viel besser?", erwiderte Pan spitz. „Wer von uns beiden hat sein Leben in einem heruntergekommenen Lager von Land­streichern verbracht?"

„Sag das noch ein Mal..."

Gins Hand wanderte zum Knauf seines Schwertes, ich hatte ihn selten so wütend gesehen.

„Versuch's doch."

Aus dem Nichts tauchte ein Dolch in Pans freien Hand auf.

„Keijo!", wies Tiberius ihn zurecht. „Wir haben keine Zeit für so was."

Pan schenkte Gin noch ein gefährliches Grinsen, bevor er seinen Dolch in die Luft warf, wo der sich einfach in Nichts auflöste. Grey hielt er währenddessen die ganze Zeit fest, sie starrte nur sprachlos zwischen den beiden hin und her. Mir erging es nicht anders - nur dass es bei mir niemand sah. Gin warf Pan einen feindseligen Blick zu, während Tiberius ihn auffordernd ansah.

„Was?", schnauzte Gin, alles andere als glücklich über die momentane Situation.

Betont gleichmütig zuckte Tiberius die Schultern.

„Du kannst auch gerne in diesem Zustand in das Schloss eindringen. Aber beschwere dich nicht, wenn du es nicht weiter als bis auf zwanzig Meter ran schaffst."

Gin grummelte etwas Unverständliches, bevor er Tibe­rius auffordernd ansah. Der seufzte entnervt und machte eine Hand­bewegung in seine Richtung. Einen Augen­blick später war er verschwunden...

„Moment mal."

Ich war mir nicht sicher, ob die anderen mich gehört hat­ten - aber das war mir in diesem Moment eigentlich egal. Mit großen Schritten ging ich auf Gin zu und sah ihn aus zusammenge­kniffenen Augen an.

„Warum zur Hölle kann ich dich sehen?"

Gin zuckte überrascht zusammen - wie es aussah, konnte er mich nicht sehen. Aber offensichtlich hören.

„Du kannst ihn sehen?"

Tiberius sah forschend in meine Richtung. Ich musterte Gin. Seine leuchtend roten Haare hatten eine nicht ganz so intensive Farbe, die grauen Spitzen wirkten beinahe schwarz, seine Gesichtszüge waren nicht genau zu erken­nen und auch seine sonstigen Konturen schienen nicht so scharf wie normal.

„Leicht verschwommen." Ich trat einen Schritt zurück. „Aber ja, sonst schon."

Tiberius schüttelte ungläubig den Kopf.

„Keijo, würdest du dich bitte auch unsichtbar machen?"

Pan zuckte die Schultern und verschwand im nächsten Moment. Aber... ich konnte ihn immer noch erkennen. Wenn auch um einiges schwächer als Gin, kaum mehr als ein Umriss und in der Luft hängende Farben.

„Und?"

Pan grinste, bevor er die Hand aus­streckte und damit vor meinem Gesicht rumfuchtelte.

„Äh... ja", sagte ich, bevor ich ärgerlich nach seiner Hand schlug. „Könntest du bitte damit aufhören?"

Lachend ließ Pan den Arm sinken.

„Und ich dachte immer, nur Elfen können durch den Nebel sehen", meinte er, bevor er sich nachdenklich ans Kinn tippte. Ach, er kann das also auch? „Also, Elfen und... oh."

„Was, oh?", fragte Tiberius entnervt.

„Die alten Völker der Nebelwanderer konnten das an­geblich auch." Pan schüttelte den Kopf. „Darauf hätte ich auch früher kommen können."

„Für dieses Gespräch bleibt später noch Zeit", wies Tiberius uns zurecht, bevor er ebenfalls unsichtbar wurde. Pan griff nach Greys Hand und im nächsten Augenblick wurde auch ihr Körper transparent, Luna in ihren Armen war kaum noch auszumachen. Mir fiel auf, dass Gin und Tiberius bei weitem... stofflicher waren als Pan und Grey. Woran das wohl lag...?

„Kommt jetzt."

Tiberius riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich nickte, bevor mir einfiel, dass er das ja nicht sehen konnte.

„Gut."

Pan sah aus, als hätte er am liebsten laut losgelacht. Ich warf ihm meinen Halt-bloß-die-Klappe-Blick zu, was ihn dieses Mal allerdings wirklich zum Lachen brachte.

„Keijo!"

„Ja, ja, schon gut."

Pan machte eine - ziemlich witzige - Geste in seine Rich­tung, die der Magier natürlich nicht sehen konnte.

„Kommt."

Ich konnte sehen, wie sich Tiberius' Schemen in Richtung des Schlosses bewegte. Schnellen Schrittes folgte ich ihm, bevor mir auffiel, dass sowohl Gin als auch Grey ziemlich verloren in der Ge­gend herum standen. Sie konnten uns ja nicht sehen! Tiberius aber auch nicht, dachte ich bei mir. Obwohl es den wahrscheinlich nicht weiter interessierte. Er ging einfach davon aus, dass wir ihm folgen würden. Ich warf Pan einen Blick zu und deutete auf Grey, die Luna vorsichtig auf dem Boden absetzte. Die junge Wölfin schien die Unsichtbarkeit nicht zu stören, sie schien genau zu wissen, wo Grey sich befand. Wahrscheinlich, weil sie sie riechen konnte. Pan zog eine Augenbraue hoch - auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass er wusste, was ich meinte.

„Pan!"

„Ja, ja, schon gut", erwiderte er. „Hab dich doch nicht so!"

Ich grummelte irgendetwas vor mich hin, während ich wieder auf Gin zutrat und seine Hand nahm. Ein leichter Stromschlag durchfuhr meinen Arm. Überrascht blickte er auf - und ich wäre beinahe ins Stolpern gekommen. Er sah mir direkt in die Augen. Auch wenn ich mir zu hun­dert Prozent sicher war, immer noch unsichtbar zu sein, sah er mir direkt in die Augen, das Grau seiner Iriden schien zu wabern wie Rauch und noch dunkler zu werden. Kann er mich etwa sehen? Ich machte Anstalten, etwas zu sagen, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich formte mit dem Mund ein lautloses okay, was er mit einem Grinsen quittierte. Als ich mich umdrehte, sah Pan uns an, ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, doch als er meinen Blick bemerkte, kehrte sein Grinsen zurück, als wäre es nie weg gewesen.

„Dann mal los!", sagte er betont fröhlich. „Sonst ist Tib über alle Berge und wir stehen immer noch hier rum wie bestellt und nicht abgeholt."

Tatsächlich sah Tiberius unglaublich genervt zu uns zurück - wie es aussah, hatte er einen sechsten Sinn wenn es darum ging, es mitzubekommen, wenn nicht alle das machten was er wollte. Wortlos folgten wir ihm, ich konnte nicht verhindern, mich immer wieder nervös um­zusehen, auch wenn ich nicht recht wusste, warum. Es war ein wenig, als würde eine... bedrohliche Atmosphäre über uns hängen. Ich war aber nicht die einzige, die es bemerkte, auch Tiberius sah sich immer wieder um, und Luna flehmte in die Luft, als würde sie etwas wittern, sie blieb die ganze Zeit über dicht an Greys Seite. Da weder Grey noch Gin sehen konnten, wo wir hinlaufen mussten - auch wenn ich mir bei Gin gar nicht mehr so sicher war -, hielt ich weiterhin seine Hand, von der ein beständiges Pulsieren ausging. Das Gefühl war... seltsam. Nicht un­angenehm, aber ungewohnt. Pan warf uns immer wieder Blicke zu, die Gin nicht zu bemerken schien. Ganz kurz keimte ein schlechtes Gewissen in mir auf, aber dann riss ich mich zusam­men. Er hielt ja schließlich auch Greys Hand! Sollte er sich mal nicht beschweren. Plötzlich blieb Pan direkt vor mir stehen.

„Was ist los?"

Ich bedeutete Gin, stehen zu bleiben. Auch Tiberius hatte offensichtlich be­merkt, dass etwas nicht stimmte, denn er war keinen Me­ter weiter stehen geblieben und starrte nun befremdet geradeaus. Als würde er versuchen, etwas zu sehen, was eigentlich gar nicht da war.

„Hier ist eine Blockade." Langsam wanderte sein Blick zu mir. „Wenn wir sie durchbrechen, wissen Soryas Leute sofort wo wir uns befinden."

„Es ist ein wenig, als würden sie einer Leuchtspur fol­gen." Pan grinste. „Also los. Brechen wir die Blockade!"

„Das kostet viel Magie", gab Tiberius zu bedenken. „Sie werden es sofort bemerken, wenn der Zauber beschädigt wird."

Pan verdrehte die Augen - was Tiberius zwar nicht sehen konnte, ich aber genau bemerkte.

„Du weißt genauso gut wie ich, dass sie schon längst wis­sen, dass wir hier sind, Tib."

„Ja", sagte Tiberius zur allgemeinen Überraschung - na ja, wenn man Pan mal ausnahm.

„Na also. Dann lass uns anfan­gen."

Wortlos trat Tiberius einen Schritt zurück und somit ne­ben Pan. Der ließ Greys Hand los - was ich schnell wie­dergutmachte, indem ich sie ergriff - und reckte die Arme nach vorne.

„Eins", zählte er mit einem kämpferischen Grinsen, „Zwei, und Drei."

Die Explosion war markerschütternd. Nicht, dass sie laut gewesen wäre - ich glaubte nicht einmal, dass auch nur ein Ton zu hören war - aber die Magie rollte über mich hinweg wie eine Welle, die mich mitzu­reißen drohte. Wie es aussah musste ich wirklich etwas geschwankt haben, denn Gin ergriff meine Hand fester und hielt jetzt mich fest anstatt anders herum. Pan warf ihm einen bit­terbösen Blick zu - den Gin allerdings nicht sehen konnte, weshalb er nicht viel brachte -, doch als Pan meinen Blick spürte, grinste er wieder.

„So, Barriere aufgehoben. Heute muss keiner rumlaufen wie ein überdimensiona­les Glühwürmchen."

Er bedeutete uns, weiterzugehen. Was nur ich bemerkte. Auf mein Schulterzucken hin seufzte er und nahm wieder Greys Hand, bevor er weiterging. Ich zog Gin hinter mir her, als wir weiterliefen - und wäre beinahe nach hinten umgefallen. Das Schloss hatte auf seltsame Weise immer noch unglaub­lich weit weg gewirkt, aber jetzt, wo wir die Barriere durchschritten hatten, standen wir beinahe direkt davor. Das aus dunklem Holz bestehende Tor ragte gut vier Meter über uns auf, flankiert von zwei Säulengängen ganz aus schwarzen Stein. Von ihnen führten Rundbögen ins Innere des Schlosses, allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass diese Eingänge durch Zauber geschützt wa­ren. Warum schließlich einfach machen, wenn's auch umständlich ging? Und gut fünf Meter über unseren Köp­fen thronten die zwei Gargoyles, deren Anblick mir einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte. Sie sahen wirklich so aus, als würden sie sich jeden Augenblick auf uns stürzen. Mit einem Seufzen sah ich zu Pan und Tibe­rius. Pan zwinkerte mir zu, bevor er einen Schritt nach vorne machte. In diesem Moment fiel auch seine Un­sichtbar­keit von ihm ab, seine Konturen waren wieder schärfer und er sah gleich wieder... viel mehr aus wie Pan. Er stützte die Hände in die Hüften und tippte mit dem Fuß auf den Boden.

„Dann wollen wir mal." Grinsend hob er einen Arm. „Sesam öffne dich!"

Amüsiert zog ich eine Augenbraue hoch - und staunte nicht schlecht, als das Tor tatsächlich aufschwang.

„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder?"

Pan lachte sich halb tot. Na gut, hätte ich wohl auch ge­macht. Auch ich ließ meine Unsichtbarkeit abfallen, ge­nau wie die anderen - na gut, Tiberius und Pan ließen die Zauber verschwinden. Gegen den bisherigen schwachen Farbton blendete das grelle Rot von Gins Haaren mich beinahe, was mich fast zum Kichern brachte. Er zog eine Augenbraue hoch, doch ich sah nur grinsend zur Seite. Das würde ich ihm jetzt garantiert nicht erklären. Pan deutete auf die Tür in seinem Rücken.

„Wollen wir dann?"

Ich nickte schnell, bevor die anderen - na gut, bevor Gin - irgendetwas Unpassendes erwidern konnten. Wachsam betraten wir den Innenhof, nirgendwo waren Leute zu sehen, rein gar nichts. Irgendetwas lag in der Luft, ich wusste nicht genau, was, auch wenn ein selt­sames Gefühl der Vertrautheit in mir aufkeimte, das ich nicht genau zu benennen wusste. Luna schnüffelte, und ein leises Knurren drang aus ihrer Kehle. Beruhigend strich Grey ihr über das Fell. Ich sah mich genauer um - und erstarrte. Beinahe wäre ich zurückgetaumelt vor lauter Schock, so überwältigt war ich von dem Déjà-vu, das ich gerade durchlebte. Die Vision der Wahrsagerin, schoss es mir durch den Kopf. Daher kannte ich den Hof. Dieselben dunklen Wände, dieselben winzigen Büsche, die sich an den Boden zu drückten schienen. Der gleiche Springbrunnen in der Mitte, aus dem eine Fontäne aus Blut schoss... allein bei dem Gedanken durchlief mich ein Schauder und schnell wandte ich den Blick ab.

„Alles in Ordnung?" Pan war vor mich getreten und legte mir sanft eine Hand auf Schulter. „Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, sag Bescheid, ja? Hier gibt es Dinge, die... Oh." Sein Blick wanderte an mir vorbei, weiter nach oben, und seine Augen weiteten sich. „Oh."

„Was denn...?"

Ich drehte mich ebenfalls um, als ich ein Krachen hörte, wie von brechendem Stein. Ich erstarrte mitten in der Bewegung, das einzige Ge­räusch im Innenhof war Lunas leises Knurren.

„Verdammter Mist."

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