Waldläufer

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Um Mitternacht, wenn die Menschen erst schlafen,
Dann scheinet uns der Mond,
Dann leuchtet uns der Stern;
Wir wandeln und singen
Und tanzen erst gern.

Johann Wolfgang von Goethe, Elfenlied


„... übertreibst."

„Ich übertreibe nicht, Tib!"

Die Stimmen rissen mich aus dem Schlaf. Ich hielt die Augen geschlossen, hörte nur dem Gespräch zu.

„Glaubst du wirklich, sie wäre so dumm?", hörte ich Tiberius sagen.

„Nein, aber... Ich hab sie doch gesehen. Was, wenn... Er kann sie doch nicht... Was er damals mit Vainn gemacht hat... Und sie hat ihn trotzdem nicht... Tiberius, ich habe gehört, was sie gesagt haben. Wenn du wüsstest... Ich glaube, ich sollte...-"

Pan." Ich linste zwischen meinen Wimpern hindurch nach oben und sah die beiden keine zwei Meter entfernt stehen, Tiberius hatte die Hände auf Pans Schultern gelegt und schüttelte ihn ein bisschen. „Beruhige dich. Es ist ja nicht so, als hätte sie ihn geheiratet."

„Aber...-"

„Nichts aber. Keira wird sich richtig entscheiden. Sorge lieber dafür, dass sie dich wählt, und hör auf, Trübsal zu blasen", unterbrach Tiberius ihn und ließ ihn los.

„Verdammt." Pan sah regelrecht verzweifelt aus. „Was soll ich nur machen, Tiberius?"

Der Magier zog eine Augenbraue hoch.

„Du bist doch alt genug, um selbst zu wissen, wie das geht."

Pan lächelte traurig.

„Ja, stimmt wohl."

„Na siehst du?" Tiberius legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie sahen aus wie Vater und Sohn, was ich niemals erwartet hätte und irgendwie seltsam... berührend fand. „Versuch es einfach, dann wird es schon funktionieren."

Pan ließ den Kopf hängen, ein halbes Grinsen lag auf seinen Lippen.

„Seltsam, aber das ist das erste Mal, dass ich so etwas fühle, weißt du?"

„Ja", sagte Tiberius und sah in Richtung Wald. „Ja, ich weiß." Seine Stimme veränderte sich und nahm einen lockeren Ton an, als er fortfuhr: „Und jetzt geh schlafen. Du siehst aus, als hättest du seit Tagen kein Auge zugemacht."

Die beiden schwiegen, und ich überlegte, ob ich meinen Scheinschlaf beenden sollte, doch die Entscheidung wurde mir abgenommen, als Grey neben mir plötzlich aufstand und einfach wortlos losging. Blinzelnd setzte ich mich auf.

„Grey?" Sie reagierte nicht. Ich rappelte mich auf und machte einige Schritte hinter ihr her. „Grey!"

Auch Tiberius und Pan wurden auf Grey aufmerksam, allerdings schienen sie sofort zu wissen, was los war.

„Mist." Mit einem entnervten Seufzen rieb sich Pan über das Gesicht. „Ich hatte gehofft, das bleibt uns erspart."

Tiberius warf ihm einen Habe-Ich-Es-Nicht-Gesagt-Blick zu.

„Los, mach schon. Du bist doch Experte, was so was angeht."

Pan warf ihm einen Blick zu, bevor er Grey nachlief und dann rückwärts vor ihr herging. Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch. Was sollte das denn werden? Plötzlich hob er die Hand.

„Bleib stehen."

Überraschenderweise hörte Grey sofort und blieb unbe­weglich stehen.

„Wer ruft dich?"

Grey antwortete nicht, ihre Schultern zitterten. Vorsichtig ging ich näher ran. Nun sah ich auch, dass Greys Blick ängstlich war, aber sie sah nicht Pan an. Sie sah hinter ihn in den Wald. Pan nickte langsam.

„Hab ich mir gedacht."

Er drehte sich um und verschwand zwischen den Bäumen. Grey bewegte sich noch immer nicht, aber dieses Mal suchte ihr Blick den meinen, darin stand unglaubliche Angst.

„Tiberius!", rief ich. „Was ist hier los?"

„Irgendein Wesen versucht, sie zu sich zu rufen. Der Zauber funktioniert nur bei besonders empfindsamen Menschen und ist ziemlich schwer zurückzuverfolgen", erklärte der Magier und sah Pan nach, der zwischen den Bäumen verschwunden war. „Offensicht­lich hat Keijo seinen Ursprung trotzdem gefunden."

Tatsächlich kam Pan in diesem Moment wieder zwischen den Bäumen hervor, er hielt irgendetwas in der Hand und grinste breit. Das Etwas war etwa dreißig Zentimeter groß, grün mit spitzen Zähnen und wehrte sich heftig und zeternd.

„Hier ist der Übeltäter." Mit einem selbstzu­friedenen Grinsen hielt Pan den Kobold, den er am Kragen seiner roten Jacke festhielt, in die Luft. Der Kobold keifte irgendetwas davon, dass er Pan und uns andere alle umbringen würde, mit vielen obszönen Worten, die ich noch nie gehört hatte und auch eigentlich gar nicht kennen wollte. Pan schüttelte ihn so heftig, dass der Kobold tatsächlich die Klappe hielt.

„So, jetzt wo du endlich still bist...", sagte er, „kannst du es dir aussuchen: entweder gibst du unsere Freundin frei, oder wir bringen dich um, womit der Fluch auch gebrochen wäre. Also?"

„Bevor ich dir einen Gefallen tu, lass ich mich killen!", spie der Kobold aus.

Pan zuckte mit den Schultern.

„Deine Entscheidung."

Aus dem Nichts hielt er einen Dolch in der Hand und drückte ihn dem kleinen Wesen an die Kehle, das wild zu zappeln anfing.

„Ah! Na gut, na gut, ist ja gut!", schrie es. „Ich lös den Fluch ja! Hast du gehört? Ich gebe sie frei!"

Zufrieden grinsend ließ Pan den Dolch sinken.

„Gut. Dann los!"

Der Kobold machte eine flinke Handbewegung und Grey sackte in sich zusammen. Ich packte sie unter den Armen, bevor sie auf den Boden aufschlagen konnte, und zog sie so gut wie möglich wieder auf die Beine. Grey krallte sich an meiner Hand fest, in ihren Augen stand die blanke Angst.

„Alles gut", murmelte ich und hielt sie fest. Der Kobold wehrte sich erneut heftig in Pans eisernem Griff.

Ich hab's gemacht! Jetzt lass mich los!"

Pan grinste.

„Gut, wenn du darauf bestehst..."

Er fuhr herum und schleuderte den Kobold durch die Luft. Mit einem gellenden Schrei verschwand er zwischen den Bäumen. Pan lachte schallend. Unglaublich, ihm war nicht im Entferntesten anzumerken, wie es ihm vor wenigen Minuten gegangen war - und wahrscheinlich immer noch ging. Es sah aus, als wäre alles so wie immer. Tiberius schüttelte nur den Kopf.

Hat irgendjemand eine Ahnung, wo dieser Taugenichts von einem Zigeuner ist?"

Okay... Ich hatte zwar mitbekommen, dass Tiberius Gin nicht sonderlich gut leiden konnte, aber das hatte ich jetzt nicht erwartet. Ich zuckte mit den Schultern. Seit letzter Nacht hatte ich Gin nicht mehr gesehen.

„Wahrscheinlich schmollt er in irgendeiner Ecke", schlug Pan sehr hilfreich vor.

„Smoke ist...-", begann Grey, als sie unterbrochen wurde.

„Ich habe dir gesagt, du sollst mich Gin nennen. Nicht Smoke. G-I-N. Ganz einfach", sagte Gin, der plötzlich aus dem Wald angestapft kam. „Wenn du dir so eine Masse Text merken kann, wirst du dir ja wohl drei Buchstaben merken können."

„Sag ich ja, er ist schmollen gegangen", murmelte Pan, so leise, dass ich es kaum verstand, und wahrscheinlich war es auch gar nicht für meine Ohren bestimmt gewesen. Grey, die davon nichts bemerkt hatte, nickte verschüch­tert. Gin nickte und sah mich an, in seinem Blick lag ein Ausdruck, den ich nicht definieren konnte. Ganz kurz wirkte er, als wolle er etwas sagen, doch dann schüttelte er nur den Kopf und wich meinem Blick aus.

„Gut, jetzt wo wir vollzählig sind", sagte Tiberius, „können wir ja endlich weiter."

Ohne ein weiteres Wort ging Tiberius in den immer noch nachtschwarzen Wald davon, in der Erwartung, dass wir ihm folgten. Schnell beeilten wir uns, hinterherzu­kommen. Pan lief neben mir, wir schwiegen, da keiner sich traute, etwas zu sagen. Er hatte offensichtlich gerade den Entschluss gefasst, etwas zu sagen, da bedeutete mir Tiberius, zu ihm zu kommen. Ich warf Pan einem entschuldigenden Blick zu.

„Ich komme gleich wieder", versprach ich schnell und schloss zu Tiberius auf, der uns führte. Ein ganz kleines bisschen war ich froh, diesem Gespräch noch einmal ent­kommen zu sein. Ich war mir nicht sicher, ob ich schon bereit dafür war. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, ging Pan zu der ziemlich überraschten Grey und begann, ihr irgendetwas zu erzählen. Doch trotzdem sah ich ganz kurz den mutlosen Blick, den er mir zuwarf, und mein Herz zog sich zusammen.

„Was ist denn?", fragte ich Tiberius. Einen Moment sah er mich einfach nur an, bevor er denn Kopf schüttelte.

„Du solltest aufpassen, was du wählst", sagte er rätsel­haft. Verständnislos sah ich ihn an. Meinte er jetzt die Sache mit Gin und Pan? Oder etwas anderes? Oder alles?

Deine Entscheidungen können noch großen Einfluss auf die Zukunft haben, Keira", sagte er und klang plötzlich furchtbar alt und müde. „Du weißt noch nicht mal ansatz­weise, was auf dich zukommt."

„Und warum erklärst du es mir nicht einfach?", fragte ich.

Er seufzte tief.

„Hier ist nicht der richtige Ort. Zu viele neugierige Ohren. In Avalon wird es hoffentlich besser sein, dort werde ich dir alles erklären." Offensichtlich hatte er meinen Blick bemerkt, denn er lächelte. „Ja, du darfst jetzt gehen. Na los, mach schon."

Ich grinste ihm zu, bevor ich mich zurückfallen ließ, um wieder neben Pan zu laufen. Okay, dachte ich und seufzte tief. Zeit, sich der Sache zu stellen.

Pan blickte von seiner Unterhaltung mit Grey auf, als er mich sah, sagte irgendetwas zu ihr und kam dann zu mir rüber. Einige Minuten liefen wir nur schweigend neben­einander, keiner wusste wirklich, was er sagen sollte. Ich schenkte ihm ein etwas schiefes Grinsen, das er genauso schief erwiderte.

„Keira?"

„Ja?"

Erleichtert sah ich ihn an. Dieses Schweigen hätte ich keine Sekunde länger ausgehalten.

„Es... tut mir leid." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ihm diese Entschuldigung ziemlich schwer fiel. „Ich hätte euch gestern nicht belauschen sollen. Das ist mir auch klar, aber...-"

„Pan." Überrascht sah er mich an. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du am allerwenigsten. Ich bin diejenige, die sich ent­schuldigen sollte", erklärte ich leise. „Es tut mir unend­lich leid. Wirklich. Ich wollte dich nicht verletzen."

„Keira...", begann er, unterbrach sich, schien kurz zu überlegen. „Wenn du... Wenn du lieber mit ihm..."

Fassungslos starrte ich ihn an. Hatte er mir gerade wirklich dieses Angebot gemacht? Trotz allem, was er heute Morgen zu Tiberius gesagt hatte?

„Es ist... na ja, ich würde es nur gerne wissen", endete er und versuchte sich an einem Lächeln, das allerdings ein bisschen aussah wie das eines traurigen Clowns. Oh Gott... Dieser Blick gab mir beinahe den Rest. Ich wollte nicht, dass Pan trau­rig war. Und schon gar nicht durch meine Schuld.

„Pan..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Um Worte ringend, sah ich ihn an. „Ich... ich weiß nicht... du..." Ich schüttelte den Kopf. „Ich war noch nie verliebt, weißt du? Das alles ist... vollkommen neu für mich."

Pan nickte langsam.

„Du meinst, dass du noch Zeit brauchst."

Dieses Mal versuchte er, den niedergeschlagenen Unter­ton zu verbergen, und hätte ich nicht gewusst, was eigentlich los war, hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht mehr bemerkt.

„Nur, um das alles zu verstehen", sagte ich schnell. „Ich mag dich wirklich, sehr sogar, und... der Kuss..." Ich biss mir auf die Unterlippe. „Und... na ja, also... Ich würde es wirklich gern ver­suchen. Ob es funktioniert."

Ich musste nicht erklären, was ich meinte. Seine vor echter Überraschung geweiteten Augen zeigten mir, dass er verstanden hatte.

„Du meinst...", fragte er, nur um sicher zu gehen. Ich nickte mit einem etwas unsicheren Lächeln. Ein Grinsen schlich sich auf seine Züge, dieses Mal allerdings voll­kommen echt und ziemlich erleichtert.

„Gut", grinste er und nahm ohne zu zögern meine Hand. Das ging aber schnell... Moment - sind wir jetzt etwa... sind wir jetzt etwa zusammen!?, dachte ich fassungslos. Das geht zu schnell! Viel zu schnell! Mit einem kleinen Stöhnen lehnte ich meinen Kopf gegen Pans Schulter. Verdammt. Er lachte leise, als er mir über die Haare strich.

„Doch zu schnell?", fragte er und als ich zu ihm aufsah, grinste er tatsächlich. Hätte ich mir ja denken können. Ich wollte gerade etwas erwidern, als das Grinsen auf seinen Zügen schlagartig versteinerte.

„Was ist los?"

„Wir werden beobachtet."

In der Erwar­tung, dass er Gin meinte, drehte ich mich um. Gin schien allerdings eher damit beschäftigt zu sein, gerade nicht in unsere Richtung zu sehen.

„Von wem?", flüsterte ich.

„Das werden wir gleich rausfinden", sagte Pan, blieb stehen und sah starr in den Wald, als versuchte er, in dem allgegenwärtigen Dunkeldämmerlicht etwas zu erkennen, was mir verborgen blieb.

„Ich sag Tib Bescheid", verkündete er dann und sah den anderen hinterher, die bereits einige Meter Vorsprung hatten. „Warte kurz, ich komm gleich wieder."

„Pan...", begann ich, doch er war schon losgelaufen. Mit einem Seufzen sah ich in den Wald, in dem Versuch, etwas zu erkennen. Ganz kurz sah ich etwas aufblitzen, wie ein Schimmer. Vorsichtig ging ich einen Schritt näher, während ich bereits daran zweifelte, ob das so eine gute Idee war.

Und dann legte sich eine Hand über meinen Mund und zerrte mich nach hinten, in den Wald. Einen Moment war ich so geschockt, dass ich mich nicht wehren konnte. Ich hörte leises Gekicher, und dicht an meinem Ohr ich eine Stimme, bei deren Klang mir ein kalter Schauder den Rücken hinunterlief.

Helle, helle, leucht das Licht!

's sehen uns die Menschen nicht!"

Fassungslos hörte ich, wie andere Stimmen einstimmten, als würden sie ein Lied singen.

Über Stock und über Stein!

Ihr Leben wird das Meine sein!"

Endlich gewann ich meine Beherrschung wieder. Ich würde mich doch nicht einfach so in den Wald zerren lassen! Ich rammte meinen Ellenbogen nach hinten, dahin, wo ich den Bauch meines Häschers vermutete, und riss mich los. Als ich herumfuhr, stand ich einem Mann gegenüber, der mich fassungslos und voller Wut anstarrte, spitze Elfenohren lugten aus seinen dunklen Haaren hervor und zeigten deutlich, dass er alles andere als menschlich war. Alle meine Instinkte schrien, mög­lichst schnell wegzurennen, doch hinter mir und rings um mich herum standen noch mehr Elfen, die alle nicht gerade freundlich dreinblickten.

Schneller, schneller, durch die Schatten!

Uns Blicke nie gefangen hatten!", fauchten sie, auf ihren Gesichtern lagen fiese Grimassen, als würden sie ver­suchen zu grinsen. Der Elf hinter mir packte meine Arme, ich trat nach hinten und traf ihn am Knie. Es störte ihn kein bisschen.

Wir treiben dich in die Nacht hinein,

du wirst auf ewig die uns're sein!"

Bei ihren Worten rann mir ein kalter Schauder nach dem anderen über den Rücken. Sah aus, als müsste ich zu härteren Mitteln greifen, um ihnen zu entkommen. Erneut trat ich nach hinten, dieses Mal ein ganzes Stück höher. Dieses Mal verfehlte mein Tritt seine Wirkung nicht; mit einem Ächzen ließ der Elf mich los und stolperte zurück. Meine Chance! Ohne auf den Elf zu achten, der eh mit seinem besten Stück beschäftigt war, rannte ich los.

Leider waren Menschen um einiges langsamer als Elfen.

Ich spürte Hände an meinen Armen, bevor ich zurück­gerissen wurde. Im nächsten Moment fand ich mich am Boden wieder, ich spürte krallenartige Finger, die an mir rissen, und einen heftigen Schlag gegen den Kopf, der die Wunde von gestern wieder zum Bluten und meinen Blick zum Verschwimmen brachte. Ganz kurz konnte ich nichts sehen, bevor ich unsanft auf die Beine gerissen wurde, jemand packte mich in den Haaren und riss meinen Kopf hoch, ohne auf das Blut zu achten, das seine Hand befleckte.

„Du wirst sterben, Kleine", zischte eine Stimme direkt in mein Ohr, und ich wusste, dass ihr Besitzer keine Scher­ze machte. Mit letzter Kraft versuchte ich erneut, nach meinem Angreifer zu schlagen, doch er hielt meinen Arm fest und verdrehte ihn mir auf den Rücken. Autsch. Erneut wurde ich nach hinten gezerrt, tiefer in den Wald. Ich versuchte, irgendetwas zu sehen, aber ich konnte meinen Blick nicht fokussieren. Umso erschrockener war ich, als ein Pfeil direkt an meinem Kopf vorbeizischte, so nahe, dass ich die Federn an meiner Wange spüren konnte. Der Pfeil bohrte sich direkt zwischen die Augen meines Angreifers, er ließ mich los und kippte mit vor Schock weit aufgerissenen Augen auf die Knie, bevor er auf dem Boden landete. Eine Sekunde lang bewegte sich niemand, alle starrten auf die Leiche. Und dann brach die Hölle los. Erneut griff ein Elf nach mir, packte meine Schulter. Noch bevor ich reagieren konnte, fuhr ein Schwert durch die Luft und trennte dem Elf glatt den Kopf von den Schultern. Ich begegnete Gins ernstem Blick für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er herum­fuhr und einen weiteren Elf mit seinem Schwert attackierte. Ich tauchte unter dem Angriff einer Elfe hinweg, deren Miene vor Wut vollkommen verzerrt war, als sich einen Augenblick später ein Dolch von hinten komplett durch ihre Brust bohrte und auf der anderen Seite wieder austrat. Fassungslos starrte sie auf die Waffe, die aus ihrer Brust ragte, dann zu mir. Dann kippte sie lautlos zu Boden; der Dolch hatte genau ihr Herz durchbohrt. Einige Meter weiter sah ich Pan mit einer Sammlung von Dolchen in der Hand. Er grinste zufrieden. In diesem Moment fiel der Elf, gegen den Gin gekämpft hatte, seinem Schwert zum Opfer, dem letzten verblie­benen Elf bohrte sich ein Pfeil direkt durch die Kehle. Als er fiel, spritzte Blut auf. Ungläubig starrte ich die Leichen an, dann wanderte mein Blick zu Gin, Pan und zu Grey, die einige Meter entfernt stand, den Bogen immer noch erhoben. Tiberius lehnte scheinbar voll­kommen entspannt neben ihr an einem Baum.

„Guter Schuss", stellte er fest und brach damit das Schweigen.

„Äh... danke", sagte Grey und wurde rot.

„Wer...", begann ich und wollte auf Tiberius zugehen - oder zumindest in seine Richtung laufen -, doch als die Welt begann, sich um mich herum zu drehen, ließ ich es lieber bleiben. „Wer sind...", begann ich erneut, als mein Blick die Leichen streifte und ich mich schnell korri­gierte, „ich meine, wer waren die?"

Tiberius trat näher und kniete sich neben den Elfen, der ihm am nächsten lag und den Pan mit einem seiner Dolche den Schädel zertrümmert hatte. Wahrscheinlich wollte er untersuchen, ob sie ihm bekannt vorkamen, aber Pan war schneller.

„Das sind Waldläufer", stellte er fest, warf einen Blick auf den schwarzen Umhang des einen zu seinen Füßen und rümpfte die Nase. „Oder waren sie zumindest einmal."

Offenbar weckte das Tiberius Neugierde, denn er richtete sich auf und sah Pan forschend an.

„Du meinst, sie sind..."

„Jepp", stimmte Pan zu, noch bevor der Magier seinen Satz beendet hatte. „Wahrscheinlich hat der werte Erlkönig sich nicht noch länger mit ihnen rumschlagen wollen."

„Wie meinst du das?"

Pan grinste, aber es wirkte nicht gerade fröhlich.

„Er hat sie verdammt." Erneut sah er mit abschätzigem Blick auf die sechs Waldläuferleichen herab. „Hab mich eh schon gefragt, wie lange er denen das noch durch­gehen lässt."

„Verdammt?", fragte ich verständnislos.

„Du kanntest sie?", fragte Tiberius.

Pan nickte, ob auf meine oder Tiberius' Frage war mir nicht ganz klar - was durchaus daran liegen konnte, dass mein Schädel sich anfühlte wie mit dem Hammer bearbeitet.

In dieser Branche kennt man sich untereinander", sagte Pan. Okay, wie es aussah, meinte er Tiberius. „Das sind Vaegh und seine Meute. Eigentlich harmlos, aber unglaublich nervig. Ständig haben sie das Bedürfnis, Menschen verschwinden zu lassen. Ich frage mich schon seit Jahrzehnten, wann es unserem netten Herrn Oberon zu viel wird und er sie verdammt. Das hat sich jetzt wohl geklärt."

„Was meinst du mit verdammt?", fragte ich erneut. Ich hatte nicht vor, mich einfach ignorieren zu lassen.

Dass sie von einem der Herrscher verbannt wurden", erklärte Pan endlich. „Wenn sie nicht sterben - oder umgebracht werden - schließen sie sich den Verdammten an. Sie leben hinter dem Schlund, also nicht mehr direkt in den Nebelwelten, und haben es sich zur Aufgabe gemacht, die anderen Bewohner der Nebelwelt zu terrori­sieren." Er bückte sich und griff nach einem bronzenen Plättchen, das, durch eine lange Kette befestigt, am Umhang eines des Toten baumelte. „Aber das Zeichen hier kenn ich nicht. Tib, hast du eine Idee?"

Wortlos nahm Tiberius das Plättchen entgegen und betrachtete das darauf geprägte Emblem.

„Zeichen? Wofür?", fragte ich.

„Damit bezeichnen die Adeligen unter den Verdammten, das House of Lords, ihre Diener. Oder ihre Anhänger, wie sie es bezeichnen." Pan schnaubte belustigt. „Was heißt, dass sie Botengänge für sie erledigen dürfen."

„Ich glaube, bei diesen hier war das anders", sagte Tiberius und drehte das Plättchen zwischen den Fingern. „Das sieht eher aus wie das Zeichen eines der Herrscher als eines kleinen Adeligen. Allerdings weiß ich nicht, von welchem es sein könnte."

„Wir sind doch sowieso auf dem Weg nach Avalon, oder?", warf Gin ein. „Fragen wir doch einfach einen der ach so hochwohlgeborenen Elfen, die können doch eh alle Wappen auswendig. Wenn sie schon nichts anderes auf die Reihe kriegen."

Tiberius bedachte ihn mit einem Blick, der eindeutig sag­te, was er von seinem Ausdruck hielt, nickte aber.

„Das war der Plan. Am besten, wir setzen ihn auch in die Tat um und verschwenden nicht unsere Zeit, indem wir hier rumstehen und Zeit verschwenden."

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich mit wehendem Umhang um und ging zurück zum Weg. Grey folgte ihm schnell, als er an ihr vorbeiging, warf mir aber noch einen etwas besorgten Blick zu. Verständnislos schüttelte ich den Kopf - nur mal so: eine ganz schlechte Idee, die echt verdammt wehtat - und ging los, um ihr zu folgen. Eine Millisekunde später kam mir der Boden entgegen. Ich riss einen Arm hoch, doch bevor ich aufschlug packten mich zwei starke Arme und hielten mich fest. Überrascht sah ich Gin an, der mich vorsichtig auf dem Waldboden ablegte. Pan sah ziemlich angepisst aus, als er Gin mit Nachdruck - oder Gewalt, ganz wie man's nimmt - zur Seite schob und neben mir in die Knie ging. Gin starrte ihn eine Sekunde lang fassungslos an, hob dann selbstbewusst das Kinn, drehte sich um und folgte den anderen beiden.

„Halt still, ja?", murmelte Pan und legte mir eine Hand auf die Stirn. „Meine Heilkräfte sind nicht sonderlich gut ausgeprägt, aber dafür reicht es."

Ein warmes Kribbeln wanderte durch meinen Körper, ungläubig sah ich, wie sich die kleinen Schnittwunden schlossen, die von den Klauen der Waldläufer stammten (und sie hatten tatsächlich Klauen gehabt, auch wenn sie nun aussahen wie normale Finger!). Nach einer halben Minute nahm Pan die Hand von meiner Stirn, kam auf die Füße und half mir auf. Als ich stand, lächelte ich dankbar. Er brauchte einen Moment, um es zu erwidern. Prüfend sah ich ihn an, das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, war beinahe überwältigend. Er sah ziemlich blass aus, darüber konnte auch sein Grinsen nicht hinwegtäuschen.

Alles in Ordnung?", fragte ich leise.

„Ja, ja, alles klar", meinte Pan. Auf meinen misstrau­ischen Blick zuckte er mit den Schultern. „Wie gesagt, ich bin nicht so gut im heilen."

„Ja, aber...-", begann ich, aber Tiberius unterbrach mich und bewahrte Pan damit wohl vor einer Konfrontation, der er lieber aus dem Weg gehen wollte.

„Kommt ihr jetzt?", rief der Magier entnervt. „Wir haben nicht den ganzen Tag zeit."

Eigentlich schon, dachte ich bei mir, verkniff mir den Kommentar aber. Das musste jetzt nicht unbedingt sein.

Pan grinste und hielt mir seine Hand hin.

„Komm."

Mit einem Lächeln nahm ich sie. Während wir den anderen folgten, musste ich unweigerlich daran denken, was mit den Leichen war, die jetzt mitten im Wald lagen, doch als ich einen Blick über die Schulter warf, waren sie spurlos verschwunden. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab. Dieses Land machte mich noch verrückt. Ich sah zu Pan auf - er sah wieder einigermaßen normal aus und nicht mehr wie ein Geist -, als mir etwas einfiel, das er vorhin gesagt hatte.

„Was meintest du damit, dass man sich in dieser Branche kennt?"

Er sah mich reichlich verwirrt an.

„Du hast gesagt, man würde sich in dieser Branche kennen, als Tiberius dich gefragt hat, ob du die Elfen von vorhin kanntest", erklärte ich und sah ihn auffordernd an. „Was meintest du damit?"

Ein Grinsen schlich sich auf seine Züge.

„Ich kenne sie, weil jeder Waldläufer sie kennt", erklärte er rätselhaft. Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an, bevor mir aufging, was er meinte.

„Du bist Waldläufer!"

Darauf hätte ich aber auch früher kommen können!

„Richtig geraten!" Pan applaudierte. Ich zeigte ihm einen Vogel. „Heißt, ich kenne Vaegh und die Meute. Den Gerüchten nach ziemlich schlimm, aber, um ehrlich zu sein", er beugte sich etwas zu mir runter, als wolle er mir ein Geheimnis verraten, auf seinen Lippen lag ein Grinsen, „ich bin schlimmer."

Ungläubig sah ich ihn an. Obwohl, eigentlich war das gar nicht so unwahrscheinlich.

„Wie meinst du das - schlimmer?"

Anstatt einer Antwort bekam ich nur ein Lachen. Ich verdrehte die Augen. Klasse.

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