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„Glaubst du, es wird für immer so bleiben?", fragt Flor.

„Was meinst du? Ob die Welt für immer dieser verschissene Ort sein wird, der sich mehr nach Hölle anfühlt als nach Himmel?", erwidere ich und führe den Joint an meine Lippen.

„Bist du spontan religiös geworden?", lacht Flor und streckt die Hand aus, damit ich ihr die Tüte weiterreiche. Ich schnaube den Rauch spöttisch durch meine Nase aus, während sie weiter redet, den Blick auf die Lichter der Stadt unter uns gerichtet. „Die Welt ist scheiße. Ist wirklich so. Aber ich mag uns und was wir aus unserem mickrigen Leben machen." Sie grinst mich an, während der Joint zu ihren Lippen wandert.

Nördlich der A40 gehört die Stadt den Arbeiterkindern, den Immigranten und den Alkoholikern. Aufgewachsen an der Grenze zur ärmsten Stadt Deutschlands, hab ich schon immer genommen, was das Leben mir feilgeboten hat.

„Die Welt ist scheiße", wiederhole ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Eigentlich gibt es genug Gründe, mein Leben zu mögen – aber ich tu's nicht. Zumindest an melancholischen Abenden wie diesem, die sich nach Ewigkeit anfühlen und nach Abgasen schmecken. Der süßliche Rauch brennt in meiner Lunge, als ich den letzten Zug einsauge und den Joint an der Stahlkonstruktion des ehemaligen Zechengebäudes ausdrücke, auf das wir geklettert sind.

Flor sieht mich weich an. „Mensch, Yaron, du bist mal wieder die Fröhlichkeit in Person."

„Ich glaub, das Gras ist kaputt", erwidere ich mit einem leichten Grinsen und richte mich auf. Meine Finger sind steif, es ist kalt geworden. Vor mir erstreckt sich die leuchtende Skyline meiner Heimat, einer Metropole inmitten des Ruhrgebiets. Der Lichtsmog der Stadt lässt die Sterne am Nachthimmel verblassen.

„Glaubst du, woanders ist es anders?", nehme ich das Gespräch wieder auf. Besser würde es nicht treffen. Ich liebe meine Stadt, aber ich bin nicht glücklich hier. Ob das die Schuld der Stadt ist, kann ich nicht sagen. Generell eher die vom Kapitalismus, auch wenn das nach Verantwortung abgeben und einen Bösen sucht klingt.

„Ja", sagt Flor. „Egal, was für 'nen beschissenen Ruf Ostdeutschland hat – in Dresden und Weimar chillen die Leute zusammen auf der Straße. Es gibt Freiräume, in denen man eigentlich immer jemanden trifft. Connewitz fühlt sich an wie ein Festival, überall Zecken. Ist schon geil."

„Ich glaub, es ist zu groß hier."

„Und zu repressiv. Freiräume? Fehlanzeige."

„Ja." Wir können hier alles haben – und das ist einfach zu viel, glaube ich. Hier reiht sich Stadt an Stadt an Stadt, keine Grenzen, keine Dörfer, ein zusammenhängendes Bahnnetz. Wenn ich zum großen Supermarkt fahre, durchquere ich vier Großstädte – in zehn Minuten.

Wir haben auch alles, was keiner haben möchte. Rechtsradikale Bullen (natürlich alles Einzelfälle), zwei verfeindete Motoradclubs, Clanstrukturen und eine gut organisierte und vernetzte Gruppe Neo-Nazis, die viel zu toxisch männlich sind, um ihrem Namen, der Jungs beinhaltet, gerecht zu werden.

„Nächstes Mal kommst du mit", lässt Flor mich wissen.

„Wohin?" Ich ziehe die Beine an und schlinge meine Arme herum.

„Wohin du willst. Leipzig. Berlin. Jena."

„Dortmund. Morgen."

„Was willst du morgen in Dortmund?"

„Es gibt 'nen Workshop zum Thema Häuserkampf." Dortmund hat das anarchistische Zentrum. Außerdem ist Dortmund nur dreißig Kilometer entfernt und nicht vierhundertfünfzig.

„Leipzig liegt hinter Dortmund. Wir können direkt weiter in dieselbe Richtung", grinst Flor.

Ist ja nicht so, dass ich die Welt nicht sehen will. „Ich hab Uni."

„Gründe gibt's immer, Yaron. Und zwar immer mehr. Heute ist es die Uni, morgen der Job, übermorgen deine Familie."

„Hm", mache ich. Vielleicht sollte ich wirklich nein zur Pflicht und ja zum Leben sagen. Mit ein bis zwanzig Bier im Kopf kann ich wunderbar gegen die Leistungsgesellschaft wettern, aber mich selbst aus dem Hamsterrad befreien, schaffe ich maximal bis nach dem Kater. „Wollen mir langsam mal los?" Ich sehne mich nach Wärme.

„Okay."

Wir klettern von der imposanten Industrie-Ruine und springen in den Kies, der laut knirscht in der Stille der Nacht. Irgendwo in der Ferne rauscht die Autobahn. Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinander her. Das stillgelegte Zechengelände lassen wir hinter uns und erreichen bald die von Laternenlicht erhellte Straße. Schienen liegen in ihrer Mitte und wir laufen über die rote Ampel zur nächsten Kreuzung. Statt der Straße zu folgen, biegen wir auf den dunkel daliegenden Fahrradweg ab. Zwischen Waldstreifen, Gesamtschule, Schrottplatz und einem alten Förderturm laufen wir über den unebenen Asphalt, der von den Baumwurzeln verdrängt wird.

„Warum willst du nicht mit mir wegfahren?", unterbricht Flor die Stille, die nur von einem fernen Autorennen untermalt wird. Sie spricht weiter, als ich gerade Luft zum Antworten hole. „Bin ich dir peinlich?"

Ein Lachen löst sich aus meiner Kehle. „Quatsch!" Ich schubse Flor zur Seite und sie stolpert auf die hundekotverseuchte Wiese am Wegrand. „Du bist nicht das Problem."

„Ich weiß." Lachend wirft Flor sich ihre dunkelbraunen Dreads über die Schulter. „Du bist das Problem."

„Ich mach mir einfach zu viele Gedanken."

„Viel zu viele Gedanken. Manchmal frage ich mich, wie ein einzelner Mensch so viel denken kann. Und ob ich dumm bin, weil ich es nicht tue."

„Bist du definitiv", erwidere ich und finde mich einen Atemzug später in der Mitte des Weges wider.

„Arschloch." Flor lacht.

„Selber." Ich werfe mich mit der Schulter voran gegen sie, aber Flor blockt. Keine Ahnung, wieso sie so standfest ist, obwohl sie einige Kilos weniger wiegt als ich – aber ich kann sie nicht umwerfen. Nicht aus dem Gleichgewicht bringen, wenn sie es nicht zulässt.

„Gibt dir keine Mühe", amüsiert sie sich. Dann ist ihre Hand an meiner Seite und mein Lachen raubt mir den Atem.

„Gnade!", rufe ich, während ich nach Luft ringend in die Dunkelheit zu fliehen versuche, aber Flor greift den Stoff meiner Jacke und hält mich zurück.

„Niemals!", ruft sie und ich falle fast aufs Maul, als ihr Gewicht schwungvoll in meinem Rücken landet. Einen Arm um meinen Hals geklammert, kitzelt sie mich an der Brust, am Bauch und an meiner Seite, bis wir zusammen zu Boden gehen. Die Kälte steigt mir in die Glieder, während ich Flor in die Augen sehe und die dunklen Wolken aus meinem Kopf verschwunden sind.

„Ich will ja mit dir wegfahren", flüstere ich. Unser Lachen klingt in meinen Ohren nach, neben uns rauscht der Wald.

Flor lächelt. Sie legt eine Hand an meine Wange. „Lass uns eine Stadt aussuchen, in der noch keiner von uns war."

Ich nicke. „Okay." Ihre Augen sind grün und schauen mich an, als blickten sie in meine Seele.

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