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Ich sitze an der Bettkante und ziehe an meiner Zigarette, in der Hoffnung, dass sie mich zum Aufstehen motiviert. Auf dem Couchtisch neben meinem Bett stehen zwei Tassen benutzte Tassen. Flor ist letzte Nacht auf einen Kakao mit hochgekommen, ehe sie weiter nach Hause gegangen ist. Sie wohnt nicht weit weg, obwohl ich in der Grundschule der Überzeugung war, dass ihr Haus am anderen Ende der Welt liegt – immerhin liegt es hinter dem Rodelberg. Wir wohnen beide nicht mehr bei unseren Eltern, sind aber nur jeweils ein Stückchen weiter den Hügel hinunter gezogen. Flor lebt jetzt über dem türkischen Supermarkt, der früher ein Netto war und bei dem wir unsere Pepsi-Sucht befriedigt haben. Jetzt gibt es dort die geilsten Gewürze, die ich je bekommen habe.

Unmotiviert streiche ich die Asche im Aschenbecher ab. Das Bett riecht nach Schlaf, der Raum ist kalt. Ich könnte mich einfach wieder ins warme Kissen sinken lassen und noch drei bis fünf Stunden schlafen. Entspannt aufstehen und leckeres veganes Rührei frühstücken. Stattdessen müsste ich mich – ich werfe einen Blick auf mein Handy, das am Ladekabel bei 98% stehen geblieben ist – in fünf Minuten in meine Karre setzen und über den längsten Parkplatz Deutschlands die Bonzenhauptstadt des Landes ansteuern.


Die ersten zwanzig Minuten muss ich ohne Musik fahren und stehe davon fünfzehn im Stau. Immer wenn es kälter wird, verweigert mein CD-Spieler den Dienst. Er scheitert am Versuch, die CD zu lesen, spuckt sie aus und ich schiebe sie wieder hinein.

Stau ist ohne Musik besonders nervig. Ich vertreibe mir die Zeit des nervigen Stop-and-Go mit Kuppeln und Schalten und dem Beobachten der anderen Autofahrer*innen. Müde und gestresst wie ich schieben sie sich vorwärts, manche essen Käsestullen, andere trinken aus ihren portablen Kaffeebechern. Auch ich frühstücke immer auf der Autobahn. Menschen, die früher aufstehen um am Küchentisch zu essen, sind mir suspekt.

Ich biege von der A40 auf die A52 ab und sobald wir den Tunnel hinter uns gelassen haben, in dem seit Ewigkeiten Baustelle ist, flutscht es wieder. Mit dem Verkehr und mit der Musik. In den Ohren Alarmsignal lasse ich singend meine Stadt an mir vorbeiziehen, während ich mich über die volle Autobahn manövriere. Vorbei an Lärmschutzwänden vor Wohngebieten, mehr Lärmschutzwänden vor den Messehallen, ein paar Reiterhöfen und schließlich Feldern erreiche ich die Ruhrtalbrücke, unter der in schwindelerregender Höhe die Ruhr fließt. Die Aussicht ins Tal, auf die sattgrünen Wiesen, die Bäume am Hang und die Häuschen, ist atemberaubend und ich kämpfe jeden Tag darum, so viel wie möglich zu sehen, ohne einen Unfall zu verursachen.

Ich wechsle auf die A3 und meine Gedanken beginnen zu fliegen. Die Musik wird zum Hintergrundgeräusch und vermischt sich mit dem Rauschen der Autobahn. Im Autopilot bleibe ich auf der rechten Spur und schere nur aus, um LKWs zu überholen, während ich an das Gespräch mit Flor gestern denke.

Wieso sage ich nicht einfach ja? Habe ich nicht immer das Gefühl, alles zu verpassen, mein Leben nicht auszukosten? Ich hab Flor fremde Männer küssen sehen, sie bei Konzerten auf die Schultern gehoben und in die Menge geworfen. Bei ausgedehnten Campingplatz-Touren haben wir Abenteuer erlebt oder wir sind durch die Nacht gelaufen, wie schon so oft. Ich war bei vielem dabei, aber eben nur dabei.

Wieso küsse ich keine Fremden? Wieso klettere ich nicht auf die Bühne und springe selbst in die Menge? Wieso ist es nie meine Initiative?

Gute zwanzig Minuten später fahre ich auf den überfüllten hinterletzten Parkplatz meiner Uni. Ich verliere Zeit bei der Parkplatzsuche und noch mehr bei meinem Weg über den ausgestorbenen Campus zum richtigen Gebäude. Natürlich bin ich zu spät. Bin ich immer.


Hannover/DO-Hafen steht über dem rechten Pfeil auf dem blau-weißen Schild des Autobahnkreuzes. Das gleichmäßige Klicken des Blinkers mischt sich unter die Songs von Kotzreiz. Als Flor die CD mit ihrem üblichen Selbstbewusstsein in den CD-Schlitz geschoben hat, hat mein Radio seine Allüren spontan fallen lassen und sofort angefangen, die Songs abzuspielen ohne zu springen.

„Wenn du weiter geradeaus fährts, kommen wir nach Leipzig", sagt sie scheinheilig und ich sehe im Augenwinkel ihren Blick auf mir ruhen.

„Das ist schön für Leipzig", sage ich und folge weiterhin der Spur, die uns auf die A45 bringt. Flor greift an mein Lenkrad und übt Druck aus, versucht sanft, es nach links zu drehen. „Flor, Alter, ich fahre", lache ich.

„Aber in die falsche Richtung. Wir müssen weiter geradeaus. Die A40 runter und dann auf die A44."

„45. Und zwar genau jetzt." Ich halte weiterhin dagegen, während neben uns die Leitplanke auftaucht und uns vom Rest der Autobahn trennt.

„Da hast du was falsch verstanden", grinst Flor und behält die Hand am Lenkrad.

„Halts Maul und nimm die Griffel da weg, da vorn kommt 'ne Kurve." Lachend pack ich ihr Handgelenk und drücke zu, damit ihre Finger sich lösen, aber Flor ist stur.

„Ich bring uns zurück auf Kurs." Sie übt Druck auf das Lenkrad aus und das Auto schlenkert nach links Richtung Leitplanke.

„Ey! Willst du uns umbringen?"

„Im Gegenteil, ich will, dass du lebst!", ruft Flor dramatisch und bringt ihr Gesicht nah an meins. „Komm schon, Yaron. Lass uns ausbrechen, abhauen. Heute Leipzig und morgen die ganze Welt. Ich weiß, dass dus willst, ich weiß, dass du keinen Bock hast, jeden Morgen aufzustehen und in die Uni zu fahren und dich von alten weißen Männern zuquatschen zu lassen."

Ich lache lauter und drehe das Lenkrad mit Gewalt nach rechts um der Spur nach DO-Hafen zu folgen. „Jetzt gerade will ich ins AZ und mir den Beitrag zum Häuserkampf geben."

Flor lässt sich gegen die Lehne sinken und ich werfe ihr einen Blick zu, während ich der Kurve folge.

„Und morgen besetzen wir ein Haus", grinse ich und sehe sie amüsiert den Kopf schütteln, während ich den Blick auf meinen Seitenspiegel richte und den Blinker setze.

„Wehe, wenn nicht", erwidert Flor und boxt mir gegen die Schulter.

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