Nur vier Jahre

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

ronan – taylor swift (tv)

Augstine hatte die Sonne seit einer Woche nicht mehr gesehen.

Der Oktober war längst nicht so dunkel wie der November es werden würde, aber die Sonne brauchte wohl eine Pause von dem brutalen Sommer, den sie hinter sich hatten.
Die grauen, zerfetzten Wolken am Himmel schienen mit jeder Minute schwerer zu werden – es würde vermutlich bald anfangen zu regnen, so wie neuerdings wohl jeden Tag.

Die Blätter unter Augustines alten, schwarzen Winterstiefeln blieben an ihren Schuhsohlen kleben, die moosbewachsenen Steinplatten waren dank ebendieser nasser, roter und gelber Ahornblätter noch rutschiger als sonst.

Der Friedhof war ein Ort der Stille, hieß es, und dieses Sprichwort wurde heute wieder bestätigt. Augustine zog ihre Regenjacke enger zusammen, als könnte sie die kalten Hände, die an ihrem Herzen rissen so irgendwie aussperren. Natürlich funktionierte es nicht, was hatte sie auch erwartet.

Augustine grüßte eine alte Dame, die gelbe Blumen (Nelken vom Supermarkt, vier Euro neunundneunzig der Strauß) auf das Grab ihres verstorbenen Ehemanns legte. Die Frau ging gebückt und langsam, als wäre jeder Schritt, den sie machte, etwas besonderes.

Augustine schluckte trocken; sie war zu jung, um hier zu sein. Sie sollte Halloween nicht auf dem Friedhof verbringen.
Sie sollte sich irgendein lustiges Kostüm anziehen, sich mit ihren Freundinnen treffen und die bunten Kostüme der Grundschulkinder bewerten. Sie sollte sich mit orangefarbenen, kürbisförmigen Gummibärchen und schwarzer, klebriger Lakritze vollstopfen und sich zum zehnten Mal die Addams Family Filme ansehen.

Aber all das sollte Jimmy auch tun.
Er war auch zu jung, um auf dem Friedhof zu sein.

Er sollte nicht unter der Erde liegen, zwischen all den Menschen, die im Leben wenigstens die Chance hatten, etwas zu lernen - etwas zu erleben, an dem sie sich in den schlimmen Momenten festhalten konnten.

Die weiße Kerze auf dem Grab ihres Bruders war heruntergebrannt, das Glas darum war am Boden dreckig von der nassen Erde.

Jim Regalskji
2012-2016
Der Himmel hat einen Engel mehr
Wir werden dich nie vergessen

Augustine kniete sich vorsichtig hin, akzeptierte, dass ihre Hose an den Knien sofort von der Mischung aus Schlamm und Wasser durchweicht wurde. Dann nahm sie die Kerze und wischte die Erde mit ihrer rechten Hand notdürftig weg.

„Hallo Jimmy.", sagte sie dann und stellte das Glas zitternd wieder neben den Grabstein ihres kleinen, toten Bruders. „Ich bins. Deine Schwester."

Der graue Stein ignorierte sie.

„Ich habe dir was mitgebracht.", sagte Augustine leise und griff in ihre große Jackentasche. Sie zog ein kleines, flaschengrünes Matchbox Auto heraus und legte es so dicht neben den Grabstein, dass es fast in den wild wuchernden Pflanzen dahinter verschwand.

Augustine hielt kurz inne, als warte sie auf eine Reaktion von Seiten des Grabsteins. Doch wieder wurde sie ignoriert, also zog sie das zerknitterte, karierte Papier aus ihrer anderen Jackentasche: „Ich ... ich habe dir etwas geschrieben. Ich -"

Doch Augustine konnte jetzt keine neuen Worte finden, der Anblick des Grabstein, das endgültige Zeichen, dass ihr Bruder jetzt wirklich wirklich wirklich woanders war, nahm ihr den Atem weg, den sie brauchte, um Gedanken zu fassen, die nicht von Tränen unterdrückt wurden. Also las sie nur den Brief vor, weil das das einzige war, was sie jetzt noch tun konnte: „Lieber Jimmy. Wir haben seit einem Jahr keine Blaubeerpfannkuchen mehr gegessen. Ich war einmal mit Mum einkaufen und schon als sie die Beeren sah, konnte sie mir nicht mehr in die Augen sehen.

Ich glaube, sie bereut es, dass sie dir damals nicht mehr von den Pfannkuchen gebacken hat, obwohl du sie so sehr liebtest. Wir alle bereuen Dinge." Augstine hielt kurz inne, zwang sich, ihre zittrige Stimme irgendwie zu stärken. Ihr kleiner Bruder sollte sie nicht trauern sehen, er sollte sich nicht um ihre Tränen kümmern müssen. „Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit gehabt. Wir hätten so vieles machen können! Du hast nicht eimal die Harry Potter Filme gesehen, weil Mum meinte, dass du zu jung dafür wärst, und du warst auch zu jung dafür, aber ... ich wünschte einfach, wir hätten dir ein ganzes Leben in deinen vier Jahren geben können.

Ein ganzes Leben, mit Schule, Schulabschluss, Arbeit, Rente und all dem tollen Kram dazwischem.
Aber du bist nicht mal bis zur Schule gekommen."

Wieder musste Augustine stoppen. Ihre Stimme brach, ein seltsam kehliger Laut kam aus ihrem Mund und sie biss sich auf die Lippe, um die Tränen in ihren Augenwinkeln zu stoppen: „Ich würde dich so gerne noch einmal umarmen, Jimmy. Nur eine Umarmung.
Und danach würde ich mit dir in den Park gehen, und wir würden schaukeln und ich verspreche dir, ich würde dich dieses Mal sogar an schubsen, obwohl Mum meint, du wärst alt genug um das allein zu schaffen.

Ich würde dir trotzdem helfen.

Und ich würde dir ganz viele Schimpfwörter beibringen, damit du die Leute, die du nicht magst, in deinem Kopf auf die fiesesten Arten beschimpfen kannst, wenn sie gemein werden. Du kennst ja nicht mal das Wort Idiot, oder? Oder wieso hast du mich immer nur Eierkopf genannt?

Na ja, jetzt kennst du das Wort Idiot. Aber verwende es nicht leichtsinnig, bitte. Nur in deinem Kopf, okay?
Nur, wenn die anderen dich nicht hören können."

Augstine atmete laut ein und stockend wieder aus. Die erste Träne floss über ihre Wange, sie wischte sie weg: „Wir könnten nochmal Astronaut spielen. Und wir können so tun, als würden wir kochen. Sogar in der echten Küche. 

Und danach essen wir die Schokoriegel mit getrockneten Früchten und ich werde dir meinen schenken, weil ich die Riegel nämlich ekelhaft finde, aber ich weiß, dass du sie liebst.

Ich hätte dir heute einen mitgebracht, aber unser Supermark hat sie aus dem Programm genommen, weil alle sie so widerlich fanden. 

Jimmy, ich wünschte wir hätten mehr Zeit gehabt! Ich wünschte, wir hätten ... wir konnten nicht mal die Rakete fertig bauen und das tut mir so leid. Sie steht immer noch unfertig in deinem Zimmer. Manchmal sehe ich Dad die Rakete anstarren, manchmal streckt er die Hand danach aus, als wolle er sie fertigstellen, aber das schafft er nie. Und ich weiß auch nicht, ob er es jemals schaffen wird."

An dem Punkt endete der Brief und Augustine musste von dem nassen Papierstück aufsehen. Es hatte begonnen zu nieseln und sie hatte angefangen zu weinen. Natürlich hatte sie angefangen zu weinen, sie hatte gewusst, dass sie anfangen würde zu weinen.

„Jimmy, wir lieben dich.", flüsterte sie schließlich leise und legte eine Hand auf den kalten, rauen Grabstein.

Sie hörte wie hinter ihr jemand über den Kies lief und sie beschloss, dass es Zeit war zu gehen. Sie hatte alles gesagt, was sie sagen wollte.
Außerdem weinte sie jetzt immer stärker, und sie wollte ihren Bruder doch nicht traurig machen. Mit gesenktem Kopf und vor Kälte roten Händen zog Augustine eine Sonnenbrille aus ihrer Regenjackentasche und setzte sie auf, um ihre roten Augen zu verbergen.

Auf dem Rückweg grüßte sie wieder die alte Dame von vorhin, die immer noch an dem Grab ihres Manns stand und die Nelken mühsam darauf drapierte, genau darauf bedacht, dass von jeder die beste Seite zu sehen war. 

Doch ihr Bruder war nicht einmal alt genug dafür gewesen, als dass er sich über Blumen gefreut hätte.


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro