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Das Licht weckte mich am Morgen. Ich hatte von Nichts geträumt und war die ganze Nacht in einer undurchdringlichen Dunkelheit geschwebt. Draussen pfiffen die ersten Vögel und das Sonnenlicht durchflutete den Waldrand wie Nebel. Ein Specht sass auf einem Ast dicht an meinem Fenster.

Ich richtete mich auf und streckte mich. Der Schlaf war erholsam gewesen und hatte gut getan. Mein Körper fühlte sich wach an.

Als ich mich genug wach fühlte, stand ich auf, öffnete die Tür und stieg durch die Dachluke die steile Treppe herunter. Von Nathan war nichts zusehen, als ich im Esszimmer ankam. Die Tür stand offen und ein leichter Wind wehte durch das Zimmer. Ich tapste zum Türrahmen und blickte in den Garten hinaus, auf der Suche nach ihm. Doch er war auch nicht im Garten.

Das Haus warf einen dunklen Schatten auf den Garten, der bis zum Baum reichte. Ich trat hinaus und atmete tief ein. Es roch nach Blumen, Tau und Wald.

Ich blickte mich um und ging schliesslich zum Baum. Ich nahm an, dass Nathan im Wald jagen gegangen war. Vorsichtig setzte ich mich in den Sessel und zog die Beine an. Ich lehnte mich zurück und blickte über die Landschaft.

Die Berge leuchteten in der Morgensonne und ich sah nicht weit entfernt den Fluss vorbeiziehen. Ich schloss die Augen und hörte dem Zwitschern der Vögel zu, während der sanfte Wind über meine Haut strich.

Zum ersten Mal, seit ich aufgewacht war, dachte ich an nichts. Ich sass im Sessel, der leicht hin und her schwankte, und genoss mein Dasein in vollen Zügen. Ich fühlte mich befreit und frei. Das erste Mal, dass ich wirklich fühlte, was es bedeutete, frei zu sein.

„Guten Morgen."

Langsam öffnete ich die Augen und blickte in Nathans Gesicht. Ich richtete mich auf und rieb mir die Augen. Er wirkte einiges wacher als ich und in seinem Gesicht konnte ich nicht das geringste Anzeichen von Verärgerung erkennen.

„Guten Morgen", nuschelte ich.

Er hatte das Gewehr auf der rechten Schulter und trug beinahe das Gleiche wie am Vortag. Das braune Hemd steckte in seiner Lederhose, ein Stück hing heraus und seine Füsse steckten in dunklen Stiefeln.

„Hast du gut geschlafen?", fragte er.

Ich nickte und meine nackten Füsse berührten das hohe Gras. Mein weisses Kleid war zerknittert vom Schlaf und die Schlaufe an meinem Hinterkopf hatte sich leicht gelöst. Einzelne Haarsträhnen hingen mir in die Augen und ich musste sie immer wieder wegpusten.

Er folgte meinem Blick in die Ferne und stellte das Gewehr vorsichtig am Baumstamm ab.

„Heute gehen wir zu Ina. Sie hat sicher ein paar Kleider für dich, aus denen ihre Tochter rausgewachsen ist."

„Brauch ich wirklich neue Kleider?", fragte ich zögerlich. Der Gedanke, in anderen Stoff gehüllt zu werden, stimmte mich nicht freudig. „Ich kann doch das anlassen."

„Das riecht irgendwann aber nicht mehr besonders frisch", widersprach Nathan mir. „Wir werden dir aber auch nicht fünfzig neue Kleider kaufen. Vier werden ausreichen."

Ich verzog das Gesicht, als hätte ich in etwas Saures gebissen. Nathan verdrehte die Augen, als er meinen Gesichtsausdruck sah.

„Stell dich nicht so an, Maureen. Es sind nur Kleider." Zum ersten Mal sprach er meinen Namen nicht aus, als würde er sich daran den Mund verbrennen.

„Ich kann dieses doch waschen", versuchte ich ihn umzustimmen.

Doch er schüttelte bloss den Kopf. „Es gibt neue Kleider. Das diskutieren wir jetzt nicht. Hast du schon gegessen?"

„Nein", murrte ich und stellte mich an wie ein trotziges Kind.

„Auf dem Tisch sind Beeren und Brot gestanden", sagte Nathan, ohne auf meine Unstimmigkeit einzugehen. „Hast du das nicht gesehen?"

Ich schüttelte den Kopf. Das musste ich wohl übersehen haben. Er seufzte und lehnte sich neben das Gewehr gegen den Baum. Ich musste meinen Kopf drehen, um ihn ansehen zu können.

„Was gefällt dir denn nicht daran, neue Kleider zu kriegen?", fragte er schliesslich.

Ich zuckte mit den Schultern. Was mich wirklich daran störte, wusste ich selbst nicht. Der Gedanke daran, in Kleider zu steigen, die nicht nach mir rochen, schreckte mich ab. Irgendetwas tief in mir wusste, dass ich mich dann nackt fühlen würde.

„Weiss nicht."

„Dann solltest du auch nichts daran auszusetzen haben", erwiderte er schlicht. „Kommst du mit rein?"

Dieses Mal wartete er darauf, dass ich vom Sessel kletterte und ihm folgte. Das hohe Gras kitzelte meine nackten Füsse. Ich trat wieder ins Haus und musste feststellen, dass auf dem Tisch wirklich eine Schale Beeren und ein Stück Brot standen. Ein Becher Milch war auch bereitgestellt.

Nathan verschwand im Zimmer, um sein Gewehr abzulegen und die Munition herauszunehmen, wahrscheinlich damit ich ihn nicht im Schlaf damit erschiessen konnte. Ich setzte mich hin und fing an zu essen.

Als er zurückkam, setzte er sich mir gegenüber. Er wirkte kein Stück müde. Schweigend biss ich auf dem Brot herum, knabberte an den Beeren und trank den Becher Milch aus. Er sass mir still gegenüber und beobachtete mich, während ich ass.

Die Beeren schmeckten süsslich und zugleich bitter und vermischten sich mit dem Geschmack der Milch. Es war das reinste Festessen.

Nachdem ich fertig gegessen hatte, zog Nathan die Teller vom Tisch und verräumte sie wieder. Dann setzte er sich wieder zu mir und stützte die Ellenbögen auf dem Tisch ab. Sein Blick war eindringlich.

„Wenn wir zu Ina gehen, müssen wir darüber sprechen, wie es weitergehen soll. Ich kann dich nicht ewig hier wohnen lassen. Ich lass eigentlich niemand bei mir wohnen, schon gar nicht Fremde."

Ich nickte zögerlich, weil ich nicht recht wusste, was ich darauf antworten soll. Nathan seufzte.

„Ich hoffe, du kannst das verstehen. Das hat nichts mit dir zu tun, aber ich bin nicht wirklich gastfreundlich."

Das hatte ich schon bemerkt, doch ich sagte auch jetzt nichts.

„Wir sollten los. Ina erwartet uns schon eine ganze Weile", sagte er und richtete sich auf.

„Es ist Morgen." Aus meinem Mund klang es wie eine Frage.

„Ja."

Ich stand auf und folgte ihm zur Tür. Er drängte mich raus und schloss ab. Ich strich mein Kleid glatt und öffnete mit geschickten Fingern meine Schlaufe, um meine Haare neu zusammenzubinden. Ich musste schrecklich aussehen.

Er drehte sich zu mir um und sah mir kurz dabei zu, wie ich meine Haare zusammenfasste und die Schlaufe neu band.

„Können wir los?", fragte er.

Ich nickte und er lief los. Ich eilte ihm hinterher und schloss das Gartentor hinter mir. Wir liefen den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Doch dieses Mal schwiegen wir nicht. Nathan war gesprächiger gestimmt, als den Tag davor, was ich ausnutzte. Während wir nebeneinander herliefen, fing ich an, ihn mit Fragen zu löchern, und er gab grosszügig Antworten.

„Wer ist Ina eigentlich?", fragte ich, als wir nur wenige Schritte vom Haus entfernt waren.

„Die Schneiderin des Dorfs", antwortete er.

„Seit wann kennt ihr euch?"

„Sie hat mich grossgezogen", erwiderte er.

Erstaunt blickte ich Nathan an. „Ist sie deine Mutter?"

Mit dieser Frage brach ich ihn zum Lachen und er schüttelte den Kopf. „Nein, Ina ist nicht meine Mutter."

„Wo sind denn deine Eltern?"

„Das Gleiche könnte ich dich fragen", meinte er bloss.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiss es nicht. Aber ich werde es sicher irgendwann herausfinden", log ich. Ich wusste sehr wohl, dass ich keine Eltern hatte. Ich hatte einen Erschaffer, doch er war weder mein Vater noch meine Mutter.

„Das habe ich mir fast gedacht."

„Wo sind wir?"

Er warf mir einen amüsierten Blick zu. „Immer noch im Süden."

„Hat das hier denn keinen Namen?", fragte ich erstaunt.

„Nein, wir nennen es einfach Süden. Wir geben den Dörfern keine Namen. Dafür sind wir zu klein. Nur die Städte tragen Namen", erklärte er.

Die Städte. Ich überlegte, ob ich einen Namen davon kannte. Doch sie wollten mir nicht einfallen.

„Wie heissen die Städte?", fragte ich neugierig.

Wir entfernten uns vom Waldrand und ich erkannte die ersten Häuser des Dorfs.

„Nija, Halen, Ender, Tril, Ine und Una", zählte Nathan auf. „Das sind die sechs grössten Städte, die es gibt."

Ich war überrascht, dass der Name Halen ein leichtes Ziehen in der Brust auslöste. „Wo liegt Halen?"

„Im Norden", antwortete er. „Eine der hässlichsten Städte, die es gibt. Es ist kalt dort und es hängen ständig Wolken am Himmel. Die schlimmsten Menschen versammeln sich dort."

Weshalb kam mir der Namen dieser Stadt so bekannt vor? So wie Nathan darüber sprach, konnte es dort kaum angenehm sein. Ich schluckte.

„Ist es wirklich so schlimm dort?", fragte ich zögerlich.

Nathan zuckte mit den Schultern. „Ich war einmal dort und dorthin will ich nie wieder. Es riecht nach Kohle und am Tag ist es fast gleich dunkel wie in der Nacht."

Ich schwieg betreten. Nathan blickte mich von der Seite an und runzelte die Stirn.

„Wieso meinst du?"

„Einfach so. Der Name hat interessant geklungen", murmelte ich.

„Ich würde dir davon abraten, jemals dorthin zu gehen", sagte er bloss und fragte nicht weiter.

Ich wandte den Blick von ihm ab und sah zu den Bergen am Horizont. „Hatte ich auch nicht vor."

Den restlichen Weg schwiegen wir und endlich waren wir am Dorfrand angekommen. Wir liefen den gleichen Weg an den Häusern vorbei, bis wir auf den etwas breiten Weg kamen. Am Morgen war mehr los als am späten Nachmittag. Die Menschen schoben ihre Schubkarren durch die Gegend, die Kinder liefen in Scharen zum Dorfplatz und hatten Stofftaschen umgehängt, Frauen trugen leere Körbe auf die Felder und einige Händler, die im Dorf übernachtet hatten, stellten ihre Stände wieder auf.

Wir überschritten den Dorfplatz und bogen am Rathaus vorbei ab in eines der kleinen Seitengassen. An einem schmalen eingeengten Haus mit schrägem Dach und schon einigen losen Dachziegeln machte Nathan halt. Die grün gestrichenen Fensterläden waren offen und auf dem Fenstersims stand eine verkümmerte Blume in einem grauen Topf. Zwei Treppenstufen führten zur kleinen Eingangstür.

Nathan klopfte und wir mussten nicht lange warten, da öffnete ein kleiner blonder Wuschelkopf die Tür und blickte uns mit grossen blauen Augen entgegen. Der Junge konnte erst sechs Jahre alt sein und trug eine blaue Latzhose und ein graues Hemd. Als er Nathan sah, breitete sich auf seinem Gesicht ein breites Grinsen aus und man konnte seine zwei Zahnluken genau erkennen.

„Nathan", rief der Junge freudig.

Nathan lächelte den Jungen mit dem liebevollsten Lächeln an, das ich bei ihm jemals gesehen hatte, und ging vor ihm in die Hocke. „Hey, George, wie geht es dir denn?"

„Gut. Ich kann jetzt nämlich den Handstand", erklärte George. „Soll ich ihn dir zeigen?"

„Später, ich muss mit deiner Grossmutter sprechen", meinte Nathan.

Georges blaue Augen glitzerten vor Freude. „Ich zeige es dir gleich nachher. Aber du darfst es Mama nicht sagen. Sie hat immer Angst, dass ich auf den Kopf falle."

„Ich werde ihr nichts sagen, versprochen. Rufst du deine Grossmutter?"

„Grossmutter!", brüllte George, nachdem er sich hastig umgedreht hatte.

Nathan richtete sich wieder auf und George blickte neugierig an ihm vorbei. „Wer ist das?"

Nathan drehte sich zu mir um und ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte.

„Das ist Maureen", stellte er mich vor.

George streckte mir seine Hand entgegen. „Hallo, Maureen. Ich bin George und schon sechs."

Ich schüttelte ihm verlegen die Hand. „Hallo, George."

In diesem Moment erschien Ina an der Tür. Heute trug sie kein Kopftuch. Ihre blonden Haare hatte sie in den Nacken gebunden und ihre Augen strahlten ähnlich wie die von George, als sie uns sah. Sie hob ihren braunen Rock und kam näher. George machte ihr Platz und verschwand kichernd und laut verkündigend, dass Nathan wieder daheim sei, im Haus.

„Guten Morgen, ihr beiden", begrüsste Ina uns. „Maureen, das war mein kleiner Neffe George. Wie gesagt, meine Kinder sind mit ihren Familien auf Besuch. Meine Tochter ist heute morgen nachgereist. Aber kommt doch rein."

Nathan trat ein und ich folgte ihm. Im Inneren des Hauses war es kühl und dunkel. Der Eingangsbereich war klein und ein schmaler Gang führte in ein weiteres Zimmer. Die Holzwände waren nackt und einzelne Kerzenständer standen auf den Kommoden, die herumstanden. Ina führte uns durch den Gang. Wir gelangten in ein weiteres Zimmer, das etwas grösser war. Eine Treppe führte an der Wand hoch in den zweiten Stock und darunter stand ein grosser Sessel, dessen Polster schmutzig und zerrissen war. Ein grosser Esstisch stand neben der Treppe und darum waren zehn Stühle plaziert. Auf dem Tisch stand ein grosser Kerzenständer und eine junge Frau in einem roten Kleid war dabei die Kerzen anzuzünden. Als sie die Schritte hörte, drehte sie sich um.

Sie versteckte ihr rotblondes Haar unter einem roten Tuch und hatte die gleichen blauen Augen wie Ina. Sie hatte ein schmales Gesicht mit rötlichen Wangen und einen dünnen Mund. Sie wirkte müde und zerbrechlich. Ihre Haut hatte die Farbe von Porzellan und sie legte mit ihren dünnen Fingern die Streichholzschachtel auf den Tisch.

„Nathan, wie schön dich wiederzusehen", sagte sie mit weicher Stimme. „Wie lang ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben?"

Nathan ging auf sie zu und nahm sie flüchtig in den Arm, was sie zum Lächeln brachte.

„Ein Jahr", sagte er.

„Umarmung sind noch immer nicht dein Ding, was", meinte die Frau liebevoll.

Nathan schüttelte den Kopf. „Wie geht es dir, Anna?"

Anna wandte sich wieder dem Kerzenanzünden zu. Ihre Bewegungen wirkten träg und schlaff.

„Blenden. George hilft, wo er kann, und Oliver verdient genug, dass ich nicht arbeiten muss. Es könnte nicht besser laufen."

Ich stand still neben Ina, die sich räusperte und schliesslich mit eiligen Schritten auf Anna zuging. Sie nahm ihr die Streichhölzer ab und zog ihr einen Stuhl her, auf den Anna sich schwer atmend setzte.

„Maureen, mein Kind, setz dich", forderte Ina mich auf, während sie die Kerzen anzündete. „Anna, du solltest dich nicht überanstrengen."

Nathan setzte sich und ich bewegte mich langsam aus dem Schatten, um mich neben ihn zu setzen. Als ich mich gesetzt hatte, blies Ina das Streichholz aus.

„Maureen, das ist meine Tochter Anna. Anna, das ist Maureen, von der ich erzählt habe", machte sie uns miteinander bekannt.

Anna richtete sich schwach auf und lächelte mich schon fast traurig an. „Tut mir schrecklich leid, was passiert ist."

„Danke", murmelte ich und senkte den Blick.

Ina huschte um uns herum. „Habt ihr schon gegessen?"

Nathan bejahte und, nachdem sie uns Wasser eingeschenkt hatte, setzte sie sich auch.

„Ich habe Kuchen gebacken", sagte Anna, bevor Ina das Wort ergreifen konnte. „Willst du ein Stück probieren, Nathan?"

Sie klang schon fast flehend. Nathan zögerte kurz, gab sich dann aber geschlagen. „Ja, das wäre lieb."

Annas Gesicht hellte sich auf. „Ich werde euch zwei Stücke holen."

„Kannst du das denn?", fragte Ina besorgt.

Anna richtete sich auf und wankte dabei ein bisschen. „Mach dir keine Sorgen, Mutter. Ich schaff das schon." Sie ging davon.

Ina seufzte und sah ihr kurz nach, bevor sie sich uns zuwandte.

„Wie seid ihr gestern zurecht gekommen?", fragte sie.

Nathan zuckte mit den Schultern. „Ganz gut. Aber wir sollten überlegen, was wir machen können. Maureen kann nicht für immer bei mir bleiben."

Ina warf mir einen kurzen Blick zu, doch ich starrte einfach die dunkle Tischplatte an. „Das habe ich mir schon gedacht. Ist dir in der Zwischenzeit etwas eingefallen?"

Ich schüttelte den Kopf und überlegte, ob ich erwähnen sollte, dass Halen etwas in mir geweckt hatte. Ich erinnerte mich an diesen Namen.

Nathan stöhnte auf und verbarg das Gesicht in den Händen.

„So kommen wir nirgendwohin", seufzte er. „Maureen, irgendetwas ist dir doch sicher eingefallen. Du kannst es uns erzählen. Wir wollen dir doch nur helfen."

„Tut mir leid", murmelte ich. „Ich weiss nichts."

„Ist dir wirklich nichts mehr eingefallen?", fragte er verzweifelt. „Nicht einmal etwas?"

Entschuldigend schüttelte ich den Kopf und bevor er weiterfragen konnte, kam Ina ihm zuvor.

„Es ist schon in Ordnung, Maureen", sagte sie sanft. „Du brauchst wahrscheinlich einfach noch eine Weile. In ein paar Tagen wirst du dich wieder an irgendetwas erinnern."

Nathan starrte sie ungläubig an. „Und diese Tage soll sie wohl bei mir übernachten?"

Ina warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Sei nicht so. Sie war ja bisher kein schlechter Gast, oder?"

Ich fühlte mich stets unwohl. Nathan war wirklich nicht begeistert davon, mich weiterhin bei ihm wohnen zu lassen, was ich gewissermassen verstehen konnte. Doch ich hatte mich nicht schlecht benommen. Ein paar Male hatte ich sogar das Gefühl gehabt, er fände es gar nicht mehr so schlimm, dass ich bei ihm hatte schlafen müssen.

„Du weißt, dass ich das nicht kann. Ich brauche meine Privatsphäre. Ich will dich nicht auf die Strasse setzen, Maureen. Aber ich habe nicht viel Geduld." Dieses Mal klang er fast entschuldigend.

Ich blickte auf, doch er sah mich nicht an. Ina seufzte und verschränkte die Arme.

„Nathan, es sind nur ein paar Tage."

„Ina, du weißt, dass ich nicht ein paar Tage Zeit habe. Je schneller wir das geklärt haben, umso besser für mich", murrte er.

Ina warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Nathaniel, du benimmst dich wie ein kleines Kind. Es ist nicht für lange. Wenn Anna und Sam mit ihren Familien wieder gehen, kann ich dich aufnehmen, bis wir jemanden gefunden haben, den du kennst." Sie lächelte mich an.

Ich lächelte zögerlich zurück und zuckte erschrocken zusammen, als Anna zurückkam. Ihr Gesicht war noch bleicher, als zuvor, und ihre Hände zitterten, während sie mit zwei Tellern Beerenkuchen auf uns zukam. Nathan wollte schon aufstehen, um ihr zu helfen, doch sie erreichte den Tisch gerade noch, bevor sie umgekippt wäre.

Ina schüttelte bloss den Kopf und Nathan legte fürsorglich eine Hand auf ihre Schulter. Schweratmend schob Anna mir den Teller entgegen und sank in ihrem Stuhl zusammen.

„Danke", murmelte ich und sie schenkte mir ein müdes Lächeln.

Ina sagte nichts, obwohl ich gedacht hatte, sie würde ihre Tochter dafür tadeln. Stattdessen forderte sie mich mit einem aufmunternden Nicken dazu auf, ein Stück des Kuchens zu probieren. Zögerlich biss ich ab.

Anna war eine Traumköchin. Der Kuchen schmeckte köstlich und alle meine Sinne verlangten mehr. Mein Bauch forderte mich auf mehr zu essen und der Geschmack betörte mich.

„Es schmeckt köstlich", brach ich heraus.

Sie versuchte zu lächeln, doch sie war wohl zu müde dafür. Jedoch konnte ich ihre Glücklichkeit in ihren strahlenden Augen erkennen. „Danke", wisperte sie.

Nathan biss ebenfalls ein Stück ab und kaute anerkennend darauf herum. „Maureen hat Recht. Du hast dich dieses Mal wirklich selbst übertroffen, Anna."

Ina lachte.

„Sie wird immer wie besser."

Anna war zu müde, um sich ein weiteres Mal zu bedanken. Ina wandte sich wieder der eigentlichen Thematik zu.

„Ist das eine Abmachung, Nathan?", fragte sie.

Nathan schluckte den Kuchen herunter und legte sein Stück wieder auf den Teller. „Wann wird das denn sein?"

Anscheinend konnte er mich wirklich nicht schnell genug loswerden. Ina zuckte mit den Schultern und warf Anna einen kurzen Blick zu, als wollte sie sich absichern, dass ihre Tochter dem Gespräch nicht aktiv beiwohnte. Anna schien in ihre eigene Gedankenwelt abgeschweift zu sein. Ihre blauen Augen waren ganz glasig.

„In vier Tagen."

Nathan seufzte. „Vier Tage. Eigentlich kann ich mir das nicht leisten."

„Ich such mir sonst ein anderer Ort", schlug ich vor.

Er sah mich erstaunt an. „Das wäre mir ja recht, aber leider kann ich das auch nicht zulassen. Ich will dich nicht vertreiben. Ich würde dich ja gerne für immer bei mir aufnehmen, aber ich kann nicht. Und zwar nicht, weil ich nicht will."

„Aber ich habe das Gefühl, ich falle dir gewissermassen zur Last", meinte ich und biss von meinem Kuchenstück ab.

„Tust du mir auch, aber du kannst nichts dafür."

Ina trank ihr Wasser und beobachtete uns. Schliesslich setzte sie ihren Krug ab. „Du wirst das aushalten."

Nathan warf ihr einen eindringlichen Blick zu.

„In drei Tagen ist der Monat um", sagte er mit Nachdruck.

Sie seufzte. „Dann Maureen doch zu mir kommen."

Er wischte sich über das Gesicht und atmete tief ein, bevor er mich kurz ansah und dann seine Haltung aufgab.

„Wenn du meinst", murmelte er.

Sie lächelte ihn an. „Maureen, du hast doch sicher nichts dagegen, noch ein paar Tage bei Nathan zu bleiben?"

Ich schüttelte den Kopf. Nathan zuckte mit den Schultern und richtete sich auf.

„Dann wäre das ja geklärt. Ich setze sie in drei Tage bei dir ab."

Ina nickte. „Wollt ihr schon gehen?", fragte sie.

Nathan schob den Stuhl zurück und stand auf. Vom Geräusch schreckte Anna aus ihren Gedanken.

„Ja, ich muss noch ein paar Sachen erledigen", meinte er. „Hast du Maureen eventuell noch ein zwei Kleider von Anna?"

Ina stand ebenfalls auf und ich ass hastig mein Kuchenstück auf. Sie deutete auf den Sessel unter der Treppe. „Ich habe mir schon fast gedacht, dass du noch Kleider brauchen wirst. Die sollten dir sogar gehen. Du kannst sie behalten. Anna braucht sie sowieso nicht mehr."

Dankend wollte ich etwas sagen, doch Nathan liess mich nicht aussprechen.

„Danke, Ina." Mit grossen Schritten schritt er auf den Sessel zu und hob die Kleider auf.

Ich stand auf und fing gerade noch rechtzeitig die zwei Paar Schuhe auf, die er mir entgegenwarf. Ich presste sie gegen meine Brust und warf ihm einen bösen Blick zu, den er ignorierte.

„Wir sollten uns beeilen, Maureen."

Anna richtete sich mit grossen Augen auf. „Gehst du schon, Nathan?"

Er lächelte sie an. „Ich komme in drei Tagen wieder."

Ihre Unterlippe fing an zu beben und einen Moment lang hatte ich Angst, sie könnte in Tränen ausbrechen, doch sie hielt sie tapfer zurück.

„Lässt du mich alleine?", fragte sie weinerlich.

Ina eilte um den Tisch und nahm ihre Tochter in den Arm. Sie drückte sie sanft gegen ihre Brust. „Mein Kind, du bist doch nicht alleine. Ich bin da für dich, mein Liebling."

Anna strich sich eine Träne von der Wange und atmete tief ein, bevor sie sich mir zuwandte.

„Es tut mir schrecklich leid", wisperte sie. „Ich wünsche dir das Beste."

Ich war leicht überfordert mit der Gesamtsituation, setzte jedoch ein Lächeln auf. „Danke, ich dir auch. Der Kuchen war himmlisch."

Nathan umarmte Anna kurz. „Du bist nicht alleine. Ich bin immer bei dir und wenn du mich brauchst, schreibst du mir einfach. Dann werde ich mich sofort auf den Weg machen."

Sie küsste seine Stirn und blickte ihn mit tränenden Augen an.

„Du bist ein guter Mensch, Nathan."

Er lächelte sie an und löste sich von ihr. Er drehte sich zu mir um und nickte mir zu. „Gehen wir."

Ina begleitete uns zur Tür, während Anna sich am Tisch sammelte. Sie drückte mich an ihre Brust und grinste mit einem breiten Lächeln an.

„Wir sehen uns in drei Tagen. Lass dich währenddessen nicht von Nathan nerven, ja?" Sie zwinkerte mir zu.

Nathan schnaubte. „Wenn ist das anders herum", meinte er.

„Jaja, das sehen wir dann. Also Abmarsch."

Nathan drehte sich um und ich winkte Ina ein letztes Mal, bevor ich mich umdrehte, um ihm hinterher zu eilen. Er war schweigsam und ich hatte auch nicht gerade das grösste Bedürfnis zu reden, weshalb wir still nebeneinander herliefen und vor uns hinstarrten.

Ich war so sehr in meine Gedanken versunken, dass Nathan mich einmal darauf aufmerksam machen musste, dass ich abbiegen musste. Beinahe wäre ich in eine Hauswand hineingelaufen. Verlegen eilte ich ihm nach und lief dann mit einem etwas klareren Blick durch die Gegend.

Wieso fiel es mir so schrecklich schwer, mich an etwas zu erinnern? Es brauchte ja nur eine klitzekleine Kleinigkeit zu sein, die mich dorthin führte, wo ich einst gewesen war. Einem Ort, an dem ich erschaffen wurde oder wo ich einst gelegen hatte als Staubkorn unter Tausenden. Eine Traurigkeit breitete sich in mir aus, deren Ausmass ich nicht gewohnt war. Ich war an keinerlei Gefühle gewohnt, doch diese Art der Gefühle überrollte mich wie eine Lawine aus Steinen. Mein Herz zog sich sehnsüchtig leidend zusammen und raubte mir den Atem. Ich fühlte mich mit einmal geschlagen und entmutigt.

Wir waren aus dem Dorf getreten und liefen die Wiese hoch zum Waldrand. Das Gras strich meine Waden und die Schuhe, die Ina mir geschenkt hatte, baumelten um meinen Hals wie eine Kette. Nathan hatte die Kleider über seine Schulter geworfen und sah erstaunlich witzig aus, wie er damit durch die Wiese schritt und ein grimmiges Gesicht zog.

Ich sah wieder auf meine nackten Füsse und scharrte damit in der losen Erde. Sie waren schon ganz schmutzig von dem ständigen barfuss laufen. Eine wirkliche Waschgelegenheit hatte ich bisher nicht gehabt.

Meine Hände strichen über den Wildmohn und ich sah, wie eine Biene von einer Blüte zur Nächsten schwebte. Sie wirkte so niedlich und flauschig. Ich streckte die Hand nach ihr aus, doch sie flog aufgeschreckt davon. Mit meinem Blick folgte ich ihr, bis sie schliesslich aus meinem Blickfeld verschwunden war.

Wir waren am Waldrand angekommen und ich musste mir eingestehen, dass der Schatten gut tat. Die Hitze war mittlerweile gestiegen und die Sonne stand höher am Himmel. Sie brannte erstaunlich stark auf die Landschaft nieder. Der Schatten dagegen war kühl und erfrischend.

Nathan tat mir ein bisschen leid, da er die ganzen Kleider schleppen musste. Ihm schien die Hitze jedoch nicht das Geringste auszumachen. Er schwitzte nicht mal.

Ich verdrehte die Augen und lief immer noch schweigend neben ihm her. Wir waren schon fast bei seinem Haus angekommen, als er mit einmal wie versteinert stehen blieb. Ich runzelte die Stirn und blieb ebenfalls stehen.

Als ich ihn ansah, erkannte ich das Raubtierartige wieder, das ich gesehen hatte, als er mich gefunden hatte. Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück. Nathan beachtete mich gar nicht, sondern starrte einfach geradeaus. Ich blickte nach vorne, konnte jedoch nichts erkennen.

„Nathan, was - ?", fing ich an, doch er brachte mich mit nur einem eindringlichen Blick zum Schweigen.

Ich wurde langsam nervös. Nathan starrte wieder nach vorne und ging leise einige Schritte. Hastig folgte ich ihm und achtete darauf, dass die Äste unter meinen Füssen nicht knacksten. Endlich konnte ich Nathans Haus sehen, doch das was ich sah, beunruhigte mich.

Irgendetwas stimmte nicht. Das Haus war auf einmal von einer gewissen Dunkelheit umgeben, die ich nicht wirklich beschreiben konnte. Es wirkte nicht mehr so einladen wie davor, obwohl es noch immer das Selbe war. Meine Augen suchten den Auslöser dafür.

Mein Herz rutschte mir in die Hose, als ich ihn fand. Mein Mund wurde staubtrocken und ich stand wie festgefroren neben Nathan, der das Ding nicht aus den Augen liess.

Neben dem Baum in seinem Garten sass eine pechschwarze Kreatur. Von weitem wirkte sie wie ein Hund, doch die Augen schimmerten rot wie Rubine in der Sonne und leuchteten bis zu uns.

„Nathan", wisperte ich ängstlich, „ist das dein Hund?"

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