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Die Schönheit der Landschaft hatte abgenommen. Es war, als läge ein grauer Schleier über ihr und beraubte sie jeglicher Pracht.

Ich sass mit Nathan am Tisch und starrte durch die offene Haustür in den Garten. Wolken sammelten sich am Himmel und in wenigen Stunden würde es regnen kommen. Nathan sass mir schweigend gegenüber und rührte mit dem Löffel in der Holztasse herum. Er hatte noch keinen Schluck genommen und der Dampf unserer Tees vereinte sich über unseren Köpfen.

„Was willst du jetzt tun?", brach ich schliesslich das Schweigen.

Er sah mich nicht an, sondern zuckte mit den Schultern. „Ich werde dich zurückbringen."

„Wohin?", fragte ich verwirrt.

„Nach Halen", meinte er schlicht.

Ich riss die Augen auf und stellte die Tasse ab, die ich in den Händen gehalten hatte. Das konnte er doch nicht ernst meinen.

„Was?"

Nathan drehte den Kopf zu mir. In seinen Augen schimmerte Erstaunen. „Dort gehörst du doch hin", sagte er fragend.

„Woher willst du das wissen?" Mittlerweile klang ich wohl etwas gereizt, weshalb er seufzte und einen Schluck des Tees nahm.

„Ich nehme an, dass du von dort kommst, weil du auf den Namen reagiert hast. Und selbst wenn ich mich irren würde, würden wir dort eine Spur finden."

Ich sagte nichts mehr dazu und trank schweigend meine Tasse aus. Draussen zogen sich die Wolken dichter zusammen und in der Ferne erklang ein Donner. Nathan zog meine leere Tasse zu sich und füllte sie auf. Schweigend schob er sie über den Tisch und lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück.

„Hast du Angst?", fragte er nach einer Weile.

Ich ergriff die Tasse und zuckte mit den Schultern. „Wegen dieser Kreatur?"

Er nickte und ich trank einen Schluck, bevor ich ihm antwortete. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee war, ihm zu sagen, dass ich schreckliche Angst vor diesem furchterregenden Ding hatte.

„Ein bisschen vielleicht", gab ich halbwegs zu.

„Ich will einfach, dass du weißt, dass ich auf dich aufpasse, okay? In der nächsten Zeit wird sich keine weitere Kreatur hierher wagen, aber wenn wir in Halen sind, wird es von ihnen wimmeln. Lass dir auf keinen Fall anmerken, dass du sie erkennst."

Ich fragte mich zum hundertstens Mal, ob ich ihn falsch eingeschätzt hatte. Er hatte eine sehr distanzierende Art und doch schien er so hilfsbereit und zuvorkommend, dass ich nicht wusste, was ich von ihm halten sollte. Er schien, als würde er für gewöhnlich keinen intensiven Umgang mit Menschen pflegen, weshalb er oft unsicher und nervös rüberkam. Doch irgendwie traute ich auch Inas Worten. Nathan war ein netter Junge, der einfach nicht besonders gesprächig und leicht reizbar war.

„Danke", sagte ich unsicher.

Nathan zog leicht den Kopf ein und blickte tief in seine Tasse. Er leerte sie und schenkte sich nach. Ich musterte ihn. Sein dunkles Haar verdeckte zur Hälfte sein Gesicht und sein Mund hatte er zusammengepresst.

„Das ist der Grund, wieso ich dich nicht bei mir haben wollte", gab er aus dem Nichts zu. „Ich wollte dich nicht in die Nähe von diesen Kreaturen bringen."

„Weiss Ina es?", fragte ich und setzte die Tasse wieder an meine Lippen.

Er blickte nervös auf und strich sich das Haar aus der Stirn, bevor er mich ansah und sich schliesslich überwand, mir zu antworten.

„Ja."

„Kann sie die Kreaturen auch sehen?", fragte ich erstaunt.

Er schüttelte den Kopf und nagte an seiner Unterlippe. „Sie ist ein Mensch", sagte er, als würde das alles sagen.

„Wieso hast du es ihr erzählt?" Er verwirrte mich.

Nathan blickte in den Garten, wo es schon anfing zu tropfen. Die Hitze hatte abgenommen und eine erfrischende Kühle war eingetreten. Ich wärmte meine Hände an der Tasse.

„Wenn du als Kind so schreckliche Kreaturen siehst, musst du das jemanden erzählen", sagte er dann.

Das klang logisch. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlen musste, wenn man schon in Kindesalter von solchen Anblicken verstört wurde.

„Das tut mir leid", war das Gescheiteste, was ich über die Lippen bekam.

Nathan sah mich wieder an und lächelte mich an. Zum ersten Mal lächelte er mich direkt an und ich erkannte, dass er ein wirklich gutaussehender junger Mann war. Meine Wangen wurden rot und ich blickte hastig wieder in meine Tasse.

„Muss es nicht", sagte er sanft. „Ich habe mich daran gewöhnt. Irgendwann sind sie gar nicht mehr so furchterregend, wie sie selbst glauben, zu sein."

„Wirklich? Ich hätte selbst nach dem hundertstens Mal noch Angst", gab ich schliesslich zu.

Nathan lachte auf. „Hoffen wir mal, dass es nicht sooft vorkommen wird."

„In Halen wird es das jedoch, nicht?", fragte ich zögerlich.

Ich spürte seinen weichen Blick auf mir. Wahrscheinlich wollte er mich beruhigen und es funktionierte keineswegs. Alles kribbelte.

„Wahrscheinlich. Aber du musst keine Angst haben. Solang du sie nicht mit einem morschen Ast zu attackieren versuchst, sollte dir eigentlich nichts passieren", meinte er und ich hörte ein leichtes Schmunzeln aus seiner Stimme heraus.

Ich sah auf und fing seinen Blick ein. In seinen dunklen Augen funkelte Belustigung, jedoch nicht die von der spöttischen Sorte, sondern es wirkte fast schon warm.

„Ich hatte Angst, es könnte dich töten", murmelte ich verteidigend.

Dieses Mal konnte ich die Röte auf Nathans Wangen sehen und er zog scharf Luft ein.

„Wieso hattest du Angst um mich?", fragte er erstaunt.

Verlegen wandte ich den Blick wieder ab. Vielleicht hätte ich das besser nicht gesagt. „Dieses Ding hat ausgesehen, als könnte es dich mit einem Schlag töten."

Nathan atmete aus und ich nahm eilig noch einen Schluck Tee, um nicht noch etwas Dümmeres sagen zu können, was mich noch tiefer in die Verlegenheit geritten hätte.

„Danke."

Erstaunt runzelte ich die Stirne und sah auf. Eigentlich hätte ich etwas anderes erwartet und dieser Dank verwirrte mich. Nathan sah mich ohne jede Belustigung an.

„Bitte?"

„Aber tu das nie wieder." Da war es schon.

Ich verdrehte die Augen und wollte etwas sagen, doch er liess mich nicht aussprechen.

„Das hätte für dich tödlich enden können, genauso wie für mich. Du hast sie noch wütender gemacht, als sie schon war", sagte er eindringlich. „Ich möchte nicht Schuld an deinem Tod sein."

Die ganze einigermassen gute Stimmung war vorüber. Ich setzte meine Tasse ab. „Bist du nicht."

„Bin ich, wenn du mich mit einem morschen Ast verteidigen willst", meinte er.

„Der morsche Ast musst du nicht ständig erwähnen", maulte ich, weil es mich beschämte.

Mittlerweilen regnete es draussen in Strömen. Bevor er mir antwortete, stand Nathan auf und ging zur Tür. Es hatte leicht rein geregnet und es wurde immer kühler. Er schloss die Tür und kam zurück. Nachdem er sich gesetzt hatte, beugte er sich etwas vor und sah mich eindringlich an.

„Du solltest einfach wissen, dass du niemals in der Lage sein würdest, eine solche Kreatur zu töten. Du kannst nicht einfach mit einem spitzen Gegendstand auf sie einschlagen. Du hast nicht die Kraft, dieses Höllengeschöpf zu töten."

„Du hattest doch ein Messer", sagte ich verwirrt.

Nathan lehnte sich wieder zurück und nickte. „Ja, aber du bist bisher ein Mensch und du hast nicht die gleiche Wirkung auf die Kreaturen wie ich."

Die Frage brannte mir sei einer ganzen Ewigkeit auf der Zunge, doch ich wusste, dass er sie mir nicht beantworten würde. Trotzdem wollte ich sie unbedingt stellen, weshalb ich mich nicht länger zurückhalten konnte.

„Was bist du?", platzte es aus mir heraus.

Nathan seufzte. „Maureen, das kann ich dir nicht beantworten."

„Wieso nicht?"

„Ich habe dir schon viel zu viel erzählt. Mehr, als ich dürfte. Find dich bitte damit ab." Er sah mich bittend an.

Ich verzog das Gesicht, fragte jedoch nicht weiter. Schweigend tranken wir den Tee fertig und Nathan setzte noch einen Kessel an. Ich verfolgte ihn mit meinem Blick, als er mehr Feuerholz holte. Mit einem Streichholz zündete er das Holz an und entfachte nach einigen Minuten ein Feuer, auf dem das Wasser innerhalb einer Viertelstunde anfing zu kochen.

„Was hast du heute eigentlich machen müssen?", fragte ich irgendwann.

Nathan war noch immer mit dem Feuer beschäftigt, das er nie aus den Augen liess. Wahrscheinlich aus Angst, es könnte das ganze Häuschen abfackeln.

„Hat sich erledigt", sagte er schlicht.

„Womit?", fragte ich weiter und legte meinen Kopf auf meine aufgestützten Hände.

Er hob den Kesseldeckel und blickte hinein. „Durch den Vorfall."

Das klang logisch.

„Was hättest du machen müssen?"

Darauf ging er nicht ein. „Hoffentlich regnet es morgen nicht. Ich muss Feuerholz hacken gehen, wir haben beinahe keines mehr."

„Kann ich mitkommen?", fragte ich und in meiner Stimme schwankte ein begeisterter Unterton mit.

Er drehte sich um und blickte mich abschätzig an. „Bist du dir sicher?"

„Ich kann das", meinte ich mit voller Überzeugung.

„Ich habe ein bisschen Angst, du könntest dir ins Bein hacken", gestand er mir.

„Ich schaff das schon."

„Hast du das schon mal gemacht?", fragte er vorsichtig.

Einen Moment schwieg ich, doch dann sagte ich: „Keine Ahnung. Aber so schwer wird es wohl nicht sein."

Nathan schüttelte lachend den Kopf.

„Dir gebe ich die Axt ganz bestimmt nicht", sagte er zufrieden und drehte sich wieder um.

Beleidigt zog ich eine Schnute und liess die Hände sinken. „Kann ich es nicht einmal ausprobieren?"

Er hob den Kessel mit Leichtigkeit vom Feuer und leerte das kochende Wasser in den Krug. Er ging mit dem Kessel zur Tür, öffnete sie und stellte ihn in den Regen. Als er zurückkam, griff er nach dem Kräuter.

„Also?", fragte ich, als er mir wieder gegenübersass.

Er warf die Kräuter in den Krug und schüttelte den Kopf. „Ich lass nicht zu, dass du dir eine Verletzung holst, an der du in spätestens vier Tagen verblutest."

„Ich pass auf", sagte ich mit flehendem Ton.

„Ich pass eher auf dich auf."

Damit war das Thema für ihn durchgekaut und er schnitt ein komplett anderes an.

„Glaubst du, du hast Familie?", fragte er mich.

Leicht irritiert über den Wechsel runzelte ich die Stirn. „Ich glaube nicht."

„Wieso? Glaubst du nicht, sie suchen dich?", fragte er weiter.

Ich dachte über seine Frage nach. Wie sollte ich ihm sagen, dass ich mir ganz sicher war, dass ich keine Familie hatte, da ich aus mir selbst geschlüpft war? Der Einzige, der mich suchen könnte, war mein Erschaffer, doch irgendwie erschien mir selbst dieser Gedanke sehr unwahrscheinlich.

„Ich denke nicht", sagte ich.

„Irgendjemand muss dich doch vermissen", stocherte er.

Ich wandte meinen Blick ab und zuckte mit den Schultern. „Ich kann mich an niemanden erinnern."

Er schenkte mir Tee nach und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das kommt noch. Das glaubt Ina jedenfalls", meinte er und lächelte mich aufmunternd an. „In ein paar Tagen wissen wir sicher mehr."

Ich hob den Kopf und erwiderte vorsichtig sein Lächeln. Nathan wandte seinen Blick ab und trank einen Schluck.

„Glaubst du das auch?", fragte ich unsicher.

Er schwieg einen kurzen Augenblick, während er nachdenklich auf seiner Lippen herum biss. „Vielleicht. Ich hoffe es für dich, aber ich kann es dir nicht sagen."

Ich senkte den Blick und schwenkte meine Tasse hin und her. Ina hatte mir viel Mut zu gesprochen und hatte so zuversichtlich gewirkt, doch Nathan schien da seine Bedenken zu haben.

„Also, ich stelle es nicht ausser Frage, aber ich weiss nicht, ob du dich jemals wieder an irgendetwas erinnern wirst. Aber in ein  paar Tagen werden wir sehen, wer von uns Recht behalten hat." Er sagte das entschuldigend, als hätte er ein schlechtes Gewissen.

„Wieso sollte ich mich nicht mehr an irgendetwas erinnern?", fragte ich leicht niedergeschlagen. Ich hatte gehofft, mich wenigstens irgendwann an meinen Erschaffer erinnern zu können, doch Nathan zerschmetterte meine Hoffnung.

Er kratzte sich am Hinterkopf. „Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass du einfach einen Schlag auf den Kopf bekommen hast und ausgesetzt wurdest. Ich glaube, das war kein Mensch."

In seinen Augen glitzerte Unsicherheit. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, wie ich das aufnehmen würde. Doch, da ich schon davor von dem ausgegangen war, reagierte ich nicht anders darauf. Ich war enttäuscht, aber diese Vermutung zog mich nicht noch weiter runter.

„Und deswegen sollte ich mich an nichts mehr erinnern können?"

Nathan seufzte und nickte. Er tat mir schon fast leid. Er sah nicht glücklich aus, während er mir seine Vermutungen auftischte. Ich konnte sehen, dass es ihn viel Überwindung kostete, so offen mit mir zu sprechen.

„Ja", sagte er schliesslich. „Ich denke, dass du einen Angriff überlebt hast, wobei du eigentlich die schrecklichsten Wunden davon tragen müsstest. Es gibt aber auch Kreaturen, die sich nur auf eine Person fixiert haben. Die restlichen Menschen blenden sie dann komplett aus. Vielleicht war das bei dir der Fall."

„Was meinst du mir ausblenden?", fragte ich vorsichtig.

Er umfasste die Tasse mit beiden Händen. Der Regen tropfte leise gegen die Scheiben und perlte an ihr ab.

„Sie wollen nur eine Person töten, weshalb sie die anderen Menschen ignorieren. Das sind meistens die mächtigsten Kreaturen, denn sie müssen dich nicht berühren, um dich zu töten. Sie können Besitz von dir ergreifen, ohne dich einmal berührt zu haben. Nur die höchsten Opfer töten sie direkt."

Mir wurde kalt und ich nahm noch einen Schluck, um die Kälte herunterzuspülen. „Wie meinst du das?"

Nathan zuckte mit den Schultern. „Sie können dich zu Sachen zwingen, die du nie tun würdest, wenn du bei Bewusstsein wärst. Also kann es sein, dass du mit einer Person zusammen warst, als einer dieser Kreaturen es auf ihr höchstes Opfer abgesehen hatte. Das würde erklären, weshalb du keine Wunden hast."

„Wieso teilen die Kreaturen ihre Opfer in Ränge auf?", fragte ich mit ängstlichem Erstaunen.

„Das tun nur die Mächtigsten. Die Jüngeren töten wahllos und müssen Körperkontakt herstellen, wenn ihnen das nicht gelingt, dann können sie weder von dir keinen Besitz ergreifen, noch dich töten. Die Mächtigsten töten nicht wie die Jüngeren, um zu überleben. Sie töten aus Spass. Die höchsten Opfer sind diejenigen, die sich verschuldet oder gegen die Kreaturen ausgesprochen haben."

„Das im Garten war - ?"

„Ein Junger", beendete er meinen Satz. „Er war nicht so gefährlich."

Mir verschlug es für einen kurzen Moment die Sprache. Nicht so gefährlich? Ich wollte gar nicht wissen, was es für weitere Kreaturen gab.

„Haben die keinen Namen?", fragte ich.

Nathan blickte mich erstaunt an und fing an zu lachen. „Für was brauchen die denn Namen?"

„Keine Ahnung."

„Wir nennen sie einfach die Kreaturen der Totenwelt. Namen brauchen die nicht", meinte er schlicht.

„Aber jede Kreatur ist doch anders", meinte ich verwirrt. „Wie unterscheidet man sie?"

Nathan seufzte und lehnte sich zurück. Draussen regnete es immer fester und die Kälte drang mittlerweile auch ins Haus. Ich fröstelte leicht, obwohl den ganzen Tag über die Hitze dominiert hatte.

„Ich muss wissen, was die Kreatur kann und was ihre Schwachpunkte sind. Mehr brauch ich über sie nicht zu wissen. Um das herauszufinden, brauche ich keinen Namen, sondern sie einfach genau anzusehen." Er musterte mich. „Hast du kalt?"

Ich nickte zögerlich. Ruckartig schob er seinen Stuhl zurück und zögerte einen kurzen Moment. Er blickte mich abschätzend an, bevor er schliesslich zur Tür, die in die Waffenkammer führte, schritt und dahinter verschwand. Zitternd sass ich am Tisch und wartete. Währenddessen ging ich alles durch, was ich über ihn wusste.

Er konnte kein Mensch sein, so wie er sprach. Er benannte die Kreaturen nicht bei Namen, wusste jedoch woher sie kamen und wie sie zu unterteilen war. Er kannte seine leiblichen Eltern nicht und war bei Ina aufgewachsen. Seit er klein war, konnte er die Kreaturen sehen. Mittlerweile wusste er auch, wie er sie töten konnte. Er war für mich ein einziges Mysterium. Wahrscheinlich erging es ihm mit mir nicht anders.

Das Einzige, was er über mich wusste, war, dass ich entweder kein Mensch oder einer der speziellen Sorte war. Er hatte mich im Wald gefunden und ich wusste nichts über meine Vergangenheit oder Person.

War man überhaupt eine Person ohne Vergangenheit?

Während ich vor mich hin grübelte, kam er zurück. Erst, als er etwas vor auf den Tisch legte, zuckte ich zusammen. Er hatte einen langen Mantel geholt und setzte sich nun beteilungslos mir gegenüber.

Vorsichtig griff ich nach dem Mantel. Es war ein Ledermantel, der ihm gehören musste. Er verströmte den Geruch von Kastanien.

„Zieh ihn schon an", forderte Nathan mich auf, ohne mich anzusehen.

Ich richtete mich etwas auf und schlüpfte hinein. Ich war augenblicklich umgeben von Nathans Geruch. Wie beim ersten Mal war ich benebelt. Die Wärme kroch an mir hoch und breitete sich aus wie eine Welle.

„Danke."

Nathan nahm meinen Dank nickend zur Kenntnis. „Kannst sie für die Zeit hier behalten."

„Ist der Norden sehr kalt?", fragte ich.

„Es ist der Norden", antwortete er, als würde das alles erklären.

„Also, ja?"

Nathan musste schmunzeln und es bildeten sich Grübchen. Es fiel mir auf, dass wir uns bisher noch nie so lang unterhalten hatten, ohne dass er gereizt oder genervt war. Freude durchströmte mich. Ich könnte mich an diesen herzlichen Umgang gewöhnen.

„Ja. Es schneit viel und es hat viel Eis. Wahrscheinlich wird es dir nicht so gefallene wie hier."

Das glaubte ich auch. Ich wusste nicht recht, ob das etwas für mich sein würde. Kälte und Eis. Ich schauderte schon beim Gedanken.

„Wieso wirkt jetzt eigentlich alles so dunkel?", fragte ich.

„Wie meinst du das?" Nathan musterte mich verwirrt.

Ich zögerte, bevor ich mich getraute, das zu fragen, was ich schon lange hatte fragen wollen. „Ich habe das Gefühl, es wirkt seit dem... Vorfall,  alles so dunkel."

„Das ist immer so", sagte er nach einem kurzen Schweigen. „Für einige Tage verliert die Umgebung ihre Schönheit und es regnet. So ist es immer."

„Hast du sie getötet?"

Nathan nagte an seiner Unterlippe und ich konnte ihm deutlich ansehen, dass es ihm unangenehm war zu antworten. Er verzog schliesslich den Mund.

„Nein", sagte er ehrlich. „Ich kann sie nicht töten. Niemand kann diese Kreaturen töten."

Seine Worte verunsicherten mich. Wenn man diese Kreaturen nicht töten konnte, würden sie für immer leben?

„Wieso kann man sie nicht töten? Kann diese Kreatur wiederkommen?"

Er musste die Angst in meiner Stimme gehört haben, denn er schüttelte beruhigend den Kopf. „Ich kann sie verbannen. Töten ist eine ganz andere Sache. Die Verbannung kann nur durch bestimmte Umstände aufgelöst werden. Also wird uns diese Kreatur wahrscheinlich nie wieder über den Weg laufen."

„Kannst du sie denn wirklich nicht töten?", fragte ich verunsichert.

Nathan musste sich deutlich unwohl in seiner Haut fühlen, denn er trommelte hektisch auf dem Tisch herum.

„Lass uns doch über etwas anderes sprechen", meinte er. „Erzähl mir doch ein wenig mehr über dich."

„Ich weiss nichts über mich", sagte ich.

Das Feuer knisterte und draussen fing der Wind an zu heulen. Nathan stand auf und hastete zur Tür. Der Regen peitschte ihm augenblicklich entgegen. Der Himmel war schon fast schwarz und es donnerte und blitzte. Er griff nach dem Kessel und schloss die Tür hinter sich. Er zog den Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die Haustür zu. Mit nassen Haaren und Regentropfen auf der Nasenspitze kam er zurück und stellte den Kessel zurück ans Feuer.

„Irgendetwas fällt dir doch sicher ein. Was magst du sehr?", hackte er weiter.

Das erste Mal, dass er sich wirklich ehrlich für mich interessierte, ohne den Hintergedanken, mich durch jede nützliche Information loszuwerden.

Nervös musterte ich meine Finger. „Die Vögel?" Es klang mehr nach einer Frage, als nach einer Antwort.

Erstaunt hob er eine Augenbraue.

„Die Vögel?", wiederholte er ungläubig. „Ich hätte gedacht, du kämst mit Blumen oder Kleider."

„Wieso sollte ich mit Kleider kommen?", fragte ich verständnislos.

Er zuckte lachend mit den Schultern. „Viele Frauen mögen Kleider."

„Das heisst noch längst nicht, dass ich Kleider mögen muss." Ein feines Lächeln legte sich auf meine Lippen.

Seine Augen funkelten und ich wusste nicht recht, wohin ich blicken sollte. Mit einem Schmunzeln beugte er sich vor. „Das heisst, du bist also nicht wie der Rest?"

„Du solltest vielleicht nicht alle Frauen in eine Schublade stecken", erwiderte ich leicht trotzig.

„Da hast du recht, aber bisher ist mir noch keine aufgefallen, die nicht in diese Schublade gepasst hätte."

Ich hob leicht den Kopf und kreuzte augenblicklich seinen Blick. Noch nie war mir aufgefallen, dass darin auch so viel Güte und Sanftheit liegen konnte.

„Wirklich noch nie?", fragte ich ungläubig.

Er schüttelte schon fast entschuldigend den Kopf. „Wirklich noch nie. Wobei du gerade dabei bist, die Erste zu werden."

Das brachte mich zum lachen. Er grinste mich breit an und lehnte sich zurück. Er griff nach seiner Tasse.

„Die Natur ist viel schöner als Kleider", sagte ich schliesslich.

Nathan trank die Tasse aus. „Da hast du recht. Aber Blumen ist etwas, über das reden nur Frauen."

„Findest du sie denn nicht schön?"

„Doch, aber darüber muss man doch nicht sprechen", meinte er schlicht.

Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ach, und über was sprichst du?"

Er tat so, als müsste er darüber nachdenken, bevor er sagte: „Über nichts. Eigentlich bin ich nicht besonders gesprächig. Aber wenn jemand mit mir spricht, dann über das Jagen."

Das hatte ich auch schon bemerkt, umso erstaunter war ich, dass er seit dem Vorfall offen mit mir sprach. Vielleicht fühlte er sich dadurch verbunden zu mir. Er war mir ein Rätsel.

„Wieso sprichst du denn gerade so viel mit mir?", fragte ich vorsichtig, weil ich die ganze gute Stimmung nicht verderben wollte.

Nathan zuckte mit den Schultern und schob die Tasse vor sich hin. „Keine Ahnung. Soll ich nicht mehr so viel sprechen?"

„Nein, nein", unterbrach ich ihn hastig. Das wollte ich ganz bestimmt nicht. Durch seine distanzierte Art hatte ich mich wie ein mühsames Anhängsel gefühlt, das er verdammt war, durch die Gegend zu schleppen.

Es donnerte und für einen kurzen Moment war der ganze Himmel erhellt. Das Licht strahlte durch die schmutzige Fensterscheibe hindurch.

Nathan musste bei meiner Reaktion lachen.

„Keine Angst, ich fange nicht sofort wieder an, zu schweigen. Aber gewöhn dich vielleicht nicht zu sehr daran. Heute bin ich gut drauf."

Ich verstand ihn immer weniger. Heute wäre ein Tag, an dem er nicht gut hätte drauf sein sollen. Ich wusste ja nicht, ob ihm eine solche Kreatur im Garten den Tag versüsste, doch für mich hatte das einen bitteren Geschmack, der sich durch die ganzen restlichen drei Tage gezogen hätte. Wahrscheinlich würde er das auch tun.

„Werde ich nicht", murmelte ich etwas niedergeschlagen.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass er wenigstens ein bisschen aufgetaut war und nicht gleich wieder zu einem Eisklotz wurde, doch anscheinend hatte ich mich getäuscht.

Er kratzte sich am Kopf und nickte in Richtung meiner Tasse. „Magst du nicht mehr?"

„Doch." Ich griff nach ihr und trank sie leer.

Nathan schob seinen Stuhl zurück und streckte sich. Ich liess meinen Blick über sein Gesicht wandern. Ich hatte das Gefühl, jede einzelne Sommersprosse ausmachen zu können. Obwohl er sehr dunkle Augen hatte, glaubte ich den Unterschied zwischen Pupille und Iris ausmachen zu können. Erst jetzt viel mir auf, dass er eine rötliche Narbe hatte, die sich unter dem rechten Auge befand und ziemlich schmerzhaft und gefährlich aussah. Es sah aus, als hätte derjenige, der sie ihm zugefügt hatte, das Aug verfehlt.

„Soll ich uns was kochen?", riss Nathan mich aus meinen Gedanken.

Reflexartig nickte ich.

„Wir haben noch Kaninchen", schlug er vor. „Kaninchen und Bohnen?"

„Soll ich dir helfen?", fragte ich.

Er schüttelte dankbar den Kopf. „Ich mach das schon."

Und das machte er auch. Er verschwand ein weiteres Mal in der Waffenkammer und kam mit dem gebratenen Kaninchen zurück, das wir gestern nur zur Hälfte gegessen hatte. Er spiesste es wieder an den Stab und hängte es über das Feuer. Obwohl er den Kessel erst gerade von draussen herein geholt hatte, ging er mit ihm noch einmal zur Tür und schloss sie auf.

Als er sie öffnete, drang die Kälte wie ein Feuerwerk in das Haus. Sie drang in jede Ecke, kroch den Wänden entlang und vermischte sich mit der warmen Luft. Nathan brauchte nicht lange, bis der Kessel zur Hälfte mit dem Regenwasser gefüllt war. Augenblicklich schloss er die Tür wieder und schloss ab.

Ich zitterte und schlang seinen Mantel fester um mich. Woher er die Bohnen nahm, konnte ich nicht sehen, doch er warf drei Hände voll in den Kessel und hing ihn neben das Kaninchen über das Feuer. Ich sah ihm dabei zu.

Der Geruch von Gebratenem und Bohnen verteilte sich nach einer Viertelstunde im ganzen Häuschen und ich bemerkte, dass ich Hunger hatte. Mein Bauch knurrte leise. Nathan und ich sprachen die ganze Zeit, in der er kochte, kein einziges Wort, doch die Stimmung war nicht kühler geworden. Ich spürte noch immer die Wärme, die ich vorhin schon gespürt hatte. Er hatte sich nicht von mir abgewandt, sondern war einfach beschäftigt. Das Gefühl, dass er mich zum ersten Mal wirklich zu verstehen versuchte, machte mich glücklich.

Ich genoss die Stille, obwohl ich sie bisher immer als unwohlig empfindet hatte. Ich verfolgte Nathan mit meinem Blick und stellte fest, dass er alles mit grösster Sorgfalt machte. Er stellte alles zurück an den Ort, woher er es genommen hatte, nachdem er es gebraucht hatte. Er achtete auf alles, was er tat, auch wenn er sich dessen gar nicht ganz bewusst zu sein schien. Wahrscheinlich hatte er jahrelang darauf geachtet und jetzt war es zu einer Angewohnheit geworden, die er nicht mehr beachtete und als selbstverständlich verstand.

Ich war mir sicher, dass er jede kleine Veränderung bemerken würde. Wenn irgendwo etwas verrückt sein würde, auch nur einen Zentimeter, er würde es merken.

Schliesslich drehte er sich zu mir um und ein leichtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht.

„Das Essen ist fertig", verkündigte er.

Ich richtete mich auf, um ihm zu helfen, doch er warf mir einen verspielten warnenden Blick zu. „Wag es nicht, aufzustehen und mir zu helfen. Ich mach das schon."

Zögernd setzte ich mich wieder. Nathan griff nach zwei Tellern und fing an, Fleisch vom Kaninchen zu schneiden und Bohnen zu schöpfen.

Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Fensterscheiben und ich befürchtete fast, sie könnten nachlassen und die ganze Feuchtigkeit ins Haus lassen.

Nathan trat an den Tisch mit den beiden gefüllten Tellern und schob mir einen zu. Er reichte mir einen Holzlöffel und setzte sich mir gegenüber. Schweigend fingen wir an, zu essen. Es schmeckte gut, so wie bisher alles, was er mir aufgetischt hatte. Erst als die Teller leer waren und er sich eine zweite Portion geholt und fertig gegessen hatte, ergriff er das Wort. Er schob den Teller von sich und stemmte sich mit den Ellenbögen auf.

„War es gut?", fragte er vorsichtig.

Ich musste lächeln und zog den Mantel enger um mich. „Ja, du hast ein echt gutes Händchen fürs Kochen."

Ich konnte ihm die Freude ansehen. Er grinste mich breit an und zog meinen Teller zu sich. Er stellte ihn in den seinen.

„Ina würde sich sehr über deine Worte freuen", meinte er.

„Kann sie auch so gut kochen?", fragte ich und zog eine Augenbraue hoch.

Nathan verzog das Gesicht. „Sie ist eine wahre Göttin in der Küche. Da bin ich nichts im Gegensatz zu ihr."

Ich musste mir eingestehen, dass er mir sympathischer wurde und ich mich immer wohler fühlte in seiner Gegenwart. Meine Gedanken huschten unfreiwillig zu dem Ereignis vor wenigen Stunden und mein Lächeln erlosch augenblicklich. Nathan bemerkte es sofort.

Er seufzte und lehnte sich zurück. „Denkst du an die Kreatur?", fragte er verständnisvoll.

Obwohl ich eigentlich keine Schwäche zeigen wollte, nickte ich und biss mir auf die Unterlippe. Diese Augen würden mich für den Rest meines Lebens verfolgen, da war ich mir sicher. Ich würde nie wieder etwas Furchteinflössenderes sehen. Wobei, Nathan hatte gesagt, es gab Tausende von ihnen und es sei einer der Harmloseren gewesen.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin da und ich beschütze dich genauso, wie ich alle anderen vor ihnen beschütze."

Er meinte es ernst. Ich konnte es aus seiner Stimme hören und obwohl ich mir sicher war, dass ich in seiner Gegenwart sicher war, zog sich etwas in mir zusammen. Ich war nur so lang vor ihm sicher, wie er nicht wusste, was ich war. Das machte mein Herz schwer und träge. Es liess die Angst in mir steigen und ich wusste, dass ich meine wahre Existenz so lange vor ihm verbergen musste, wie es möglich war. Ich glaubte nicht, dass er nicht dahinterkommen würde, aber ich musste den Augenblick herauszögern.

Nathan schien meine Unsicherheit zu bemerken, doch er glaubte, sie bezog sich auf das Zusammentreffen mit der Kreatur, weshalb er vorsichtig nach meiner Hand griff, die auf dem Tisch lag. Es war ihm leicht unangenehm. Er sah mich nicht direkt an, als er mit mir sprach.

„Du wirst das wahrscheinlich nie vergessen, aber du wirst es irgendwann verarbeitet haben. Es ist vielleicht schwer, weil es Kreaturen sind, an die man nie geglaubt hat. Doch du wirst das irgendwann mit der Zeit verarbeitet und akzeptiert haben, dass die Welt nicht nur schöne Seiten, sondern auch düstere und dunkle hat, die genauso wichtig sind. Und wenn du das akzeptiert hast, dann bist du einer der wenigen Menschen, die die Welt verstanden hat."

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