19 - Herbst

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Am Tag ihrer Flucht schlief Aveline zu lange. Ihr dröhnte der Kopf von all dem Bier, das sie hatte trinken dürfen. Als sie das Arbeiterhaus verliess, schaute sie nicht zurück. Es wäre ihr schwerer gefallen, einfach zu gehen, wenn sie Richard nochmals angesehen hätte. Er schlief tief und fest in seiner Liege und schnarchte sanft. Der Alkohol zollte auch bei ihm seinen Tribut.

Aveline schlich barfuss ins Wohnhaus und schnappte sich den Pfeil und Bogen, den Rurik in seinem Zimmer gelassen hatte. Ihr Atem ging schnell und ihr Herz klopfte hart in ihrem Brustkorb. Sie bemühte sich, keinen Laut von sich zu geben und nichts im Wohnhaus umzustossen. Es sollte alles so aussehen, als wäre nichts geschehen - als sei sie wie vom Erdboden verschluckt worden.

Schnellen Schrittes lief sie über den Hofplatz in den Wald hinein, den Bogen um die Schultern gehängt und den Köcher in der Hand. Als Nächstes wollte sie Pilze sammeln und dann zu ihrem Versteck im Wald gelangen, wo sie in einem hohlen Baumstumpf ein Wolfsfell gelagert hatte. Das musste ihr als Schutz vor der Kälte für die Flucht reichen. Wenn jemand sie im Wald erwischen sollte, konnte sie noch immer behaupten, dass sie jagen gehen wollte.

Als sie in den düsteren Wald schritt, bemerkte sie, dass zwei Raben sie vom Dach des Arbeiterhauses beobachteten. Der eine krächzte leise, der andere flatterte nervös mit den Flügeln.

Sie fiel fast über ihre eigenen Füsse, so hastig lief sie durchs Unterholz. Auf halbem Weg zu ihrem Versteck fand sie eine lichte Stelle, auf welcher viele Pilze sprossen. Sie kniete sich nieder und begann die Pilze zu sammeln. Ihre Finger zitterten vor Aufregung, so hielt sie in ihrer Bewegung inne und atmete tief durch.

„Nur ruhig", murmelte sie zu sich selbst.

Die Pilze band sie in einem Tuch zusammen. Jetzt musste sie bloss ihr Versteck erreichen und von dort aus um den See herum bis zum Ende des Waldes laufen.

Ein Glücksgefühl stieg in ihr auf. Sie lächelte.

Die Freiheit war zum Greifen nahe.

Beim hohlen Baumstumpf angekommen, setzte sie sich zur Rast hin. Sie holte den zusammengerollten Wolfspelz aus ihrem Versteck hervor und klopfte das Fell ab. Es war etwas feucht, aber das würde in der Nachmittagssonne trocknen. Sie band sich das Fell über die Schultern und stand auf.

Da bemerkte sie es - das fehlende Gewicht an ihrem Hüftgurt.

Erschrocken hielt sie die Luft an, als ihre Hände ins Leere tasteten.

Der Dolch! Sie hatte ihren Dolch vergessen.

Ihre Knie gaben nach und sie fiel auf den Waldboden. Ein Schluchzer kroch ihre Kehle hoch und schüttelte sie durch.

Sie hatte den Dolch unter ihrer Schlafliege liegen lassen. Jeden gottverdammten Tag trug sie diesen Dolch mit sich. Ausgerechnet heute nicht!

Ihre Finger gruben sich ins Laub, in die feuchte Erde.

Hätte sie doch nur kurz zurückgeschaut, als sie aus dem Arbeiterhaus gerannt war. Nur einen Blick zurück! Sie war so darauf konzentriert gewesen, Richard nicht zu wecken, dass sie keinen Gedanken an ihr wichtigstes Werkzeug - ihre einzige Waffe - mehr verschwendet hatte.

Wut auf sich selbst mischte sich mit ihrer Verzweiflung. Sie fauchte aufgebracht und rappelte sich wieder auf.

Sie wäre ohne ihren Dolch in der Wildnis aufgeschmissen. Die raue Natur Jütlands war gnadenlos, das wusste sie. So sehr sich jede Faser ihres Körpers dagegen sträubte, sie musste nochmals zurück, wenn sie ihre Flucht überleben wollte.

Ihre Füsse setzten sich unwillkürlich in Bewegung. Erst ging sie. Doch dann wurde sie immer schneller. Sie begann zu rennen. Rascher als zuvor. Ihre Lungen schmerzten vor Anstrengung, aber ihre Beine trugen sie zurück.

Zurück zum Hof, zum Leben ohne Freiheit. Zum Leben mit diesen Barbaren. Zurück in die Hölle. Dorthin, wo sie nie wieder zurückkehren wollte.

Sie rannte so schnell sie konnte, stolperte über Wurzeln und Steine und schlug sich die Füsse wund. Die Tränen bewahrte sie sich für später auf. Es war jetzt nicht die Zeit, um zu weinen.

Ein Hornstoss in der Ferne.

Aveline blieb wie angewurzelt stehen, ihr Herz pochte hart unter ihren Rippen, so hart, dass der Hall ihr bis in die Ohren drang. Ihr Atem ging schnell.

Sie horchte und da erklang derselbe Ton ein zweites Mal - jegliche Ruhe durchdringend, als solle damit selbst die Natur und ihre Geister in eine bangende Starre versetzt werden. Die Nackenhaare standen ihr zu Berge, während ihre Augen das Dickicht absuchten.

Weit und breit herrschte Stille. Als hätte sich die Natur tatsächlich dem gellenden Befehl des Horns gebeugt.

Aveline setzte einen Schritt vor den anderen. Wer auch immer dieses Horn geblasen hatte, sie wollte es nicht wissen. Sie musste zurück - um jeden Preis.

Nach wenigen Augenblicken erreichte sie endlich den Waldrand. Das Wohnhaus erhob sich vor ihr. Graue Wolken zierten den Himmel, als sei dies ein Herbsttag wie jeder andere.

Da huschte ein Schatten durch die Luft. Aveline hob ihren Blick gen Himmel und kniff die Augen zusammen.

Zwei Raben kreisten über ihr, ihre Schwingen weit ausgestreckt.

Sie blieb abermals stehen und starrte die schwarzen Boten an. Waren das die Raben, von denen sie geträumt hatte? Ein ungutes Gefühl machte sich beim Gedanken an ihren schrecklichen Traum in ihrem Magen breit. Sie schüttelte den Kopf.

„Ich muss meinen Dolch holen."

Die Worte richtete sie an sich selbst, um ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihren Plan, ihre Aufgabe zu richten.

Entschlossen schritt sie über den Platz und steuerte auf das Arbeiterhaus zu. Sie hoffte, dass Richard noch immer tief und fest schlief.

Die Tür stand einen Spalt weit offen.

Aveline hielt die Luft an und horchte. Innerlich flehte sie Gott an, dass Richard nicht bereits aufgewacht war. Mit dem Fuss stiess sie die Tür auf. Das Holz quietschte, als sie den Kopf ins Innere streckte.

Richards Bett war leer.

Ihr Herz zersprang ihr fast in der Brust, als sie diese Tatsache realisierte, doch da fiel ihr Blick auf die silberne Klinge unter dem Bett. Hastig sprang sie zu ihrer Liege, griff nach dem Dolch und steckte ihn in ihren Gürtelhalter.

Vielleicht war Richard schon in die Stadt gegangen oder hielt sich auf dem Feld auf. Sie musste vorsichtig sein, wenn sie das Häuschen wieder verliess, denn sie wollte nicht von ihm erwischt werden.

Sie schlich hinaus und blickte um sich.

Da war niemand. Der Hofplatz war leer. Nur die zwei Raben, die hoch über ihr ihre Kreise zogen.

Aveline wollte sich schon in Richtung Wald machen, da bemerkte sie die offene Tür zum Wohnhaus. Das machte sie stutzig.

Die stand normalerweise nie so sperrangelweit offen.

Hatte sie die Tür nicht geschlossen, als sie gegangen war? Sie ging ein paar Schritte weiter, ihren Blick fest auf die Tür gerichtet. Da erblickte sie die zerbrochenen Tontöpfe am Eingang.

Wer hatte die zertreten?

Aveline blieb stehen. Irgendwas stimmte nicht. Ihre Instinkte schlugen Alarm. In wenigen Schritten näherte sie sich der Eingangstür und horchte.

Da waren Stimmen zu hören!

Sie schreckte zurück. Waren die Männer etwa schon zurückgekehrt? Aveline schüttelte ihren Kopf. Weder waren die Pferde im Stall, noch klangen diese Stimmen nach Rurik und Hjalmar.

Vorsichtig schlich sie rückwärts in Richtung Wald. Möglicherweise hatte Salka Gäste eingeladen und wenn sie Aveline jetzt bemerkte, dann war es um ihre Flucht geschehen.

Sie hatte schon fast den Waldrand erreicht, da durchbrach ein gellender Schrei die Stille.

Salka!

Das war Salka, die da nach Hilfe schrie!

Aveline blieb wie erstarrt stehen. Sie wollte weg. Einfach nur weg, doch sie konnte nicht. Ihr Gewissen, ihre innere Stimme liess es nicht zu.

Wenn Salka in Schwierigkeiten war ... dann musste sie nachschauen, was da vor sich ging. So sehr sie gehofft hatte, sie würde dieser Normannin eiskalt den Rücken zudrehen können - sie schaffte es nicht.

Seufzend legte sie ihr Gepäck an den Waldrand. Den Dolch umklammerte sie fest mit ihrer rechten Hand. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung.

Vielleicht war da ja überhaupt nichts Schlimmes. Vielleicht war Salka nur gestürzt und brauchte Hilfe.

Sie öffnete ihre Augen und blickte in den grauen Himmel. Die Krähen zogen noch immer ihre Kreise über dem Hof.

„Was wollt ihr mir sagen?", flüsterte Aveline und ging auf das Wohnhaus zu.

Eine Krähe krächzte heiser, als sie bei der Eingangstür angekommen war. Aveline blickte abermals hoch.

„Soll ich hinein?", fragte sie die Krähen leise.

Ein weiteres Krächzen.

„So sei es", sagte sie und verstärkte ihren Griff um den Dolch.

・・・

Das Wohnzimmer stand im Dunkeln. Nur schwaches Licht drang durch die Balken und die offene Tür in den Raum. Der Rest wurde von der Finsternis verschluckt. Aveline blinzelte im Versuch, etwas zu erkennen. Die Tür fiel hinter ihr zu.

Mit ausgestrecktem Arm und Dolch schritt sie durch die Wohnstube. Ihre Augen hatten sich noch nicht an die kargen Lichtverhältnisse gewöhnt. Ihr ganzer Körper zitterte so stark, dass sogar ihr Atem flatterte.

Ein Rascheln aus Ruriks Zimmer.

Aveline fuhr herum und tastete mit ihren Händen ins Nichts. Sie war noch immer so blind. „Salka?"

„Aveline!", hörte sie Richard aus der Dunkelheit rufen.

Seine Stimme war so nah! Sie erschrak dermassen, dass ihr der Dolch aus der Hand fiel und selbst als sie auf die Knie sank, um den Boden nach ihrer Waffe abzusuchen, fand sie ihn nicht mehr.

Da zog ein Geruch in ihre Nase. Ein Duft, den sie nicht kannte, der ihr jedoch einen unheimlichen Schauer über den Rücken jagte. Es stank. Nach Schweiss.

Männerschweiss.

„Ri-Richard?", hauchte sie in den Raum.

„Lauf", röchelte er. „Lauf ... so schnell du kannst!"

Ehe sie darauf reagieren konnte, wurde sie von zwei Händen gepackt und mit einer unglaublichen Wucht in die Höhe gerissen. Sie schrie entsetzt auf.

Im dem Moment wurde die Eingangstür aufgestossen und Licht flutete den Raum. Am Eingang stand eine Gestalt. Ein Riese mit Helm auf dem Kopf und in der Hand eine Axt. Sein Gesicht lag im Schatten. Aveline blinzelte dem hellen Licht entgegen, es stach fürchterlich in ihren Augen.

Da wurde sie auf die Knie gezwungen. Ein Mann stand hinter ihr und hielt ihr die Hände fest auf dem Rücken. Er war es, der so schrecklich stank.

Vad har vi där?", spottete der Kerl hinter ihr.

Aveline kannte diese Sprache nicht. Es klang wie das Nordisch, das sie beherrschte, nur anders.

Läcker blomma", antwortete der Riese in der Tür.

Der Mann hinter ihr drückte sie auf den Boden, um ihre Hände zusammenzubinden. Aveline atmete Staub ein.

„Richard!", hustete sie. „Wer sind di-"

Håll käften!", brüllte der Kerl über ihr und drückte sein Knie in ihren Rücken, sodass ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde und sie nicht weitersprechen konnte.

„Aveline, bitte sei still", flehte Richard.

Sie drehte ihren Kopf zur Seite und blinzelte. Richard kauerte irgendwo neben ihr.

„Wer sind diese Män-?", krächzte sie, doch da wurde sie am Hals gepackt und wieder auf die Knie gezwungen. Der Kerl schlang seine Finger um ihren Mund und zog ihren Kopf in den Nacken. An ihrer Gurgel spürte sie etwas Kaltes. Spitzes.

Ein Messer.

Jag sa: Håll käften!", zischte er ihr ins Ohr.

Sein Atem streifte ihre Ohrmuschel. Ein fürchterlicher Gestank drang von seinem Mund in ihre Nase. Das Messer stach ihr in die Kehle.

Sie blinzelte, doch blieb sie still.

Der Riese, der ins Wohnzimmer getreten war, musterte sie von oben herab. Er trug eine schwarze Tunika mit gleichfarbiger Hose. Ein feuerroter Fuchspelz schlang sich um seine Schultern. Sein Helm schien silbern im Licht, goldblonde Haare lugten darunter hervor.

Ein Normanne, doch nicht aus dieser Gegend.

Der Kerl, welcher hinter Aveline stand, liess sie los und hüpfte wie ein flinkes Wiesel in Salkas Schlafzimmer. Sein Kopf war fast vollständig rasiert, nur am Hinterkopf baumelte ein Zopf. Als er einen Blick zurückwarf, erkannte Aveline eine schwarze Tätowierung auf seiner rechten Gesichtshälfte. Dann war er hinter dem roten Tuch verschwunden.

Im Zimmer schien er mit einem dritten Mann zu sprechen. Nebst den Männerstimmen vernahm Aveline auch ein leises Wimmern.

„Salka!", stiess sie aus.

Sie sah nicht, wie der Riese mit dem Fuchspelz ausholte und ihr einen heftigen Fausthieb ins Gesicht verpasste. Der Schlag warf sie sogleich rücklings in den Staub.

Sterne flackerten vor ihren Augen. Sie schmeckte Blut und hustete.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie das tätowierte Wiesel aus dem Zimmer kam, dicht gefolgt von einem dicken Mann mit Vollbart, welcher Salka an den Haaren hinter sich her zog. Sie wurde auf den Boden bugsiert und gefesselt.

Avelines Welt drehte sich noch immer. Sie schaffte es nicht, sich wieder aufzuraffen, so blieb sie liegen und schloss die Augen. Das Blut floss ihr in den Rachen. Sie spuckte es aus, im Versuch, ihre Atemwege zu befreien.

Über ihren Kopf hinweg diskutierten die Einbrecher miteinander. Das Wiesel lachte entzückt auf und klatschte in die Hände. Der Koloss mit dem Fuchspelz nahm seinen Helm vom Kopf und warf ihn vor Richards Füsse. Salka wimmerte leise und wippte vor und zurück.

Der Riese zischte einen unverständlichen Befehl, worauf das tätowierte Wiesel und der Bärtige anfingen, das Haus und die Einrichtung auseinanderzunehmen. Sie warfen den Tisch um, liessen die Töpfe am Boden zerspringen und durchforsteten Nischen und Körbe. Offenbar suchten sie etwas.

Während seine zwei Kameraden das ganze Wohnhaus auf den Kopf stellten, kniete sich der Riese nieder und machte ein Feuer an.

Aveline schaffte es endlich, sich aufzusetzen. Richard kauerte am Boden. Er sass ihr direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Feuerstelle. Salka kniete zitternd neben Richard. Er rutschte zu ihr hinüber und flüsterte ihr ins Ohr, um sie zu beruhigen. Den Koloss in der Mitte schien das nicht zu stören.

Aveline musterte den Mann. Er bereitete in aller Ruhe die Zweige fürs Feuer vor. Mit seiner Axt und dem Feuerstein entfachte er ein kleines Flämmchen, das nach und nach zu einem Feuer anwuchs. Ausser dem Radau, welche die anderen beiden veranstalteten, war es still im Raum.

Als sich die Wärme des Feuers ausbreitete, setzte sich der Riese auf einen Stuhl und wandte sich seinen Gefangenen zu. Mit den Ellbogen auf der Lehne betrachtete er die zitternden Gestalten vor sich. Sein Blick wanderte von Richard zu Salka und blieb eine unendlich lange Zeit auf ihrem runden Bauch liegen. Dann streiften seine Augen weiter und blieben bei Aveline hängen.

Sie erwiderte seinen Blick, starrte zurück, mit funkelnden Augen. Ihr Gesicht war blutverschmiert, das spürte und schmeckte sie an ihren Lippen. Sie legte so viel Hass in ihre Augen, wie sie nur konnte.

Ein Lächeln formte sich auf seinem Gesicht. Er stand auf und näherte sich mit einem Becher in der Hand. Keinen Moment lang wich sie seinem Blick aus. Sie starrte ihm direkt in die eisgrauen, gefühllosen Augen und verfluchte ihn innerlich.

Von einem Wikinger wollte sie sich nicht brechen lassen.

Er kniete zu ihr hinunter. Stumm starrte er sie an. Ohne ein Wort zu sprechen, gab er ihr zu verstehen, dass sie heute sterben würde, dessen war sich Aveline sicher.

Die Angst schlich in ihr hoch, denn sie spürte die Boshaftigkeit dieses Kerles. Der Hüne musste es in ihren goldenen Augen gesehen haben, denn sein Lächeln verwandelte sich zu einem grausamen Grinsen. Seine gelben Zähne blitzten.

Mit einer schnellen Bewegung schüttete er ihr den Becher Wasser ins Gesicht. Sie verschluckte sich und hustete. Mit einer Hand wischte er ihr über die Wangen.

Läcker blomma", raunte er. Seine Stimme war so tief, wie das Brummen eines Bären.

Er lehnte sich vor und kam ihrem Gesicht mit seinem näher, so nah, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührten. Aveline zögerte nicht und spuckte ihm mitten in die grinsende Fratze.

„Scheisskerl!", fluchte sie auf Fränkisch.

Für einen Wimpernschlag hockte der Riese wie erstarrt vor ihr - wahrscheinlich selbst von ihrer Kühnheit überrascht, doch dann wischte er sich die Spucke von der Backe und erhob sich.

Ond blomma", zischte er und zog seine Axt aus dem Gürtel.

Avelines Augen weiteten sich. Sie sah schon, wie er ihr diese Axt in den Nacken befördern wollte. Der Hüne holte aus. Sie kniff die Augen zusammen und zog den Kopf ein.

„Nein!", hörte sie Salka kreischen.

Die Axt flog durch den Raum.

Aveline blinzelte, denn sie war nicht getroffen worden. Richard lag auf dem Rücken und röchelte. Salka starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Entsetzen, pures Entsetzen war aus ihrem Gesicht zu lesen. Die Axt steckte ihm in der Brust.

„Richard!" Der Schluchzer, der Aveline aus dem Hals wich, war nicht mehr zu stoppen. Heisse Tränen schossen ihr in die Augen und liefen ihr die Wangen hinunter. Was hatte sie getan?

Richard zuckte und hechelte im Todeskampf. Neben ihm schrie Salka wie am Spiess.

Mit einem lauten Poltern kamen die anderen beiden Kerle aus den Zimmern gerannt.

Vad som hände?", fragte der Bärtige.

Der Hüne zuckte mit den Schultern. Das Wiesel zeigte auf die schreiende Salka und sagte etwas, was Aveline nicht verstand. Der Riese nickte und sogleich wurde Salka am Schopf gepackt.

„Halt! Bitte nicht", schrie Aveline auf Nordisch. „Lasst sie! Nehmt mich, aber lasst sie bitte in Ruhe!"

Es war, als hätte sie instinktiv gehandelt. Ein Instinkt, das unschuldige Leben, das Salka in sich trug mit ihrem eigenen zu beschützen. Aveline wollte nicht, dass Salka etwas zustiess. Das hatte sie nicht verdient.

Die Einbrecher hielten inne und blickten sie verwundert an. Das tätowierte Wiesel liess von Salka ab und sprang zu Aveline.

„Du sprichst Sprache der Normannen?", fragte er in gebrochenem Nordisch.

Aveline bleckte die Zähne. „Ja, besser als du!", fauchte sie.

Er packte sie am Kiefer, sodass seine Finger sich in ihr Fleisch gruben. „Dumme Gans!", spie er ihr ins Gesicht.

Der Koloss mit dem Fuchspelz hob seinen Helm vom Boden auf, während der Dicke Salka die Füsse zusammenband. Die Normannin wehrte sich und kickte nach ihm.

„Rührt sie nicht an!", schrie Salka hysterisch, als sie weggetragen wurde - zurück in ihr Zimmer.

Der Riese mit den grauen Augen drehte sich zu Aveline um „Böse Blume", sagte er und lächelte dabei spitzbübisch. Er riss dem leblosen Körper Richards die Axt aus der Brust. Das reissende Geräusch schoss Aveline durch Mark und Bein.

„Du kommst mit", verkündete er und verliess das Wohnhaus.

・・・

Aveline wurde über den Hofplatz gezerrt.

Der Hüne und das Wiesel inspizierten das Arbeiterhaus von aussen und als sie es für sicher befanden, traten sie hinein. Aveline wurde auf ihre Liege geschubst und fiel mit dem Gesicht voran in ihre Schlafdecke. Der tätowierte Typ stürzte sich auf sie, sodass die Liege unter dem Gewicht der beiden zusammenkrachte. Sie kreischte und wand sich unter ihm.

Er fummelte an ihrem Kleid herum und lachte dabei höhnisch. „Hmmm, leckere Blume!", grölte er und fasste ihr in den Schoss.

Aveline schrie entsetzt auf und schlug mit ihren Füssen auf ihn ein. Dabei erwischte sie ihn zwischen die Beine. Er krümmte sich und fiel auf die Seite. Die Gelegenheit nutzte sie sofort und robbte am Boden entlang zum anderen Ende des Raumes.

Sie wusste, dass sie eingesperrt war. Es gab kein Entwischen. Der einzige Ausgang befand sich hinter ihr und davor lag das Wiesel winselnd am Boden. Als seine Schmerzen abgeklungen waren, raffte er sich fluchend auf, packte sie an den Füssen und schleifte sie zur kaputten Liege zurück. Lachend drehte er sie auf den Rücken setzte sich auf ihre Hüfte.

„Jetzt kommst du nicht mehr weg!"

Sie schrie und zappelte verzweifelt, jedoch konnte sie seinen schweren Körper nicht abwimmeln. Sein Gewicht drückte ihr auf den Bauch und drohte, ihr die Gedärme zu zerquetschen. Er amüsierte sich köstlich über ihre schwachen Schläge. Dann bückte er sich zu ihrem Gesicht hinunter und leckte ihr die Wange ab. Aveline drehte es fast den Magen um.

„Schöne Blume!", wiederholte er und lehnte sich etwas zurück, um ihr Gesicht zu betrachten.

Aveline fauchte ihn an, was er bloss mit einem Kichern zur Kenntnis nahm. Die Schlange, die sich auf seiner rechten Gesichtshälfte in dunkler Tinte über seine Haut schlängelte, schien sie anzuzischen. Als er sich ein zweites Mal zu ihr beugte und seine Zunge über ihre andere Wange gleiten lassen wollte, da schreckte sie hoch und biss ihm in die Nase.

Jaulend sprang er auf und hielt sich die Hände ans Gesicht.

Der Koloss mit dem Fuchspelz, welcher sich auf Richards Pritsche gesetzt und die ganze Szene mit einem leicht gelangweilten Ausdruck mitverfolgt hatte, grunzte vor Vergnügen.

Tillräckligt nu!", schrie das tätowierte Wiesel, packte ein Holzbein, das am Boden lag und drosch es Aveline über den Kopf.

・・・

Der Raum drehte sich. Um sie herum.

Immer und immer wieder.

Aveline blinzelte angestrengt, während ihr Bewusstsein zu ihr zurückkehrte. Ihr Schädel dröhnte schrecklich von dem Schlag, den sie auf den Hinterkopf abbekommen hatte.

Ein leichtes, hölzernes Knarzen drang an ihr Ohr. Sie hob den Kopf.

Es war nicht der Raum der sich bewegte, es war sie selbst.

Sie baumelte in der Luft, die Arme durchgestreckt. Das Seil um ihre Handgelenke schnitt ihr in die Haut, drückte das Blut ab, sodass sie ihre Finger nicht mehr spürte. Ihre Füsse berührten den Boden nicht mehr. Sie stöhnte auf, als mit ihren Sinnen auch die Schmerzen zurückkehrten.

Immer und immer wieder drehte sie sich um ihre eigene Achse.

Sie hing am Querbalken, stellte sie fest. Wie ein Reh, das ausgeweidet werden sollte.

Das Feuer knackte. Aveline spürte die Präsenz der beiden Kerle im Raum. Sie wusste, dass sie da waren und ihr wahrscheinlich beim Baumeln zuguckten.

Sie senkte ihre Augen und liess den Kopf wieder fallen. Ihr wurde von der Drehung allmählich übel.

Der Hüne stand auf und brachte sie zum Stoppen, indem er sie an der Taille packte und sie so umdrehte, dass sie ihm direkt in die Augen blicken musste. Dieser Mann war so unglaublich gross, dass er ihr auf Augenhöhe begegnete, obwohl sie am hohen Balken hing. Seine eisig grauen Augen glänzten vergnügt.

Aveline zuckte zusammen und versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. Sie wollte nicht von ihm angefasst werden - nicht von diesem scheusslichen Kerl - aber er hielt sie fest in seinen Fängen.

Mit langsamen Bewegungen streichelte er erst ihre Hüfte, dann wanderten seine Finger zu ihrem Hintern. Kräftig kniff er zu. Sie heulte auf und strampelte.

Doch es war aussichtslos. Sie konnte sich nicht aus seinem Griff befreien. Tränen kullerten über ihre Wangen.

Er grinste. „Na, du hübsche Blume", sagte er. Sein Nordisch war im Gegensatz zu jenem seines Freundes einwandfrei. „Hast uns mit deinen schönen Dornen stechen wollen." Er schnalzte mit der Zunge.

Aveline konnte nichts erwidern, ihre fehlte die Kraft dazu. Alles, was sie spürte, war dieser Druck in ihren Armen, ihren Schultern. Wie jede Bewegung mit den Beinen ihr spitze Schmerzen durch den ganzen Körper jagten. Sie blieb so reglos, wie nur möglich.

„Da, wo wir herkommen", fuhr er fort und Aveline meinte fast zu sehen, wie ein Schatten über seine Gesichtszüge huschte, „reisst man solche Blumen aus. Unkraut ist das!"

Er liess sie los und zückte einen langen Dolch aus seinem Lederhalter. Er hielt ihr die Waffe sachte ans Kinn. Ihre Lippen zitterten. Das Eisen war kalt.

Bedächtig strich er die Spitze des Dolches über ihren Hals hinunter bis zum Ansatz ihres Kleides. Sie wimmerte leise.

„Mit dir machen wir es aber anders."

Der Dolch blieb an ihrem Kleid stecken. Er zog daran und zerriss es an der Brust.

„Bitte ...", flehte sie, doch ihre Stimme war nur noch ein Krächzen.

Der Kerl liess sich nicht von ihrem Betteln beirren.

„Wir reissen dir deine Blütenblätter aus", schnurrte er und rupfte mit dem Dolch weiter am Kleid, sodass der Stoff nachgab und Avelines nackter Busen sichtbar wurde. „Blüte für Blüte."

Sie weinte, denn es gab nichts, was sie tun konnte. Sie war dem Kerl machtlos ausgeliefert. Der Hüne warf den Dolch weg und zerriss den Stoff mit seinen Händen bis zu ihrem Bauchnabel, bis sie mit komplett entblösstem Oberkörper vor ihm hing. Er nickte zufrieden, als sein Blick über ihre Brust schweifte.

„Und wenn nichts mehr als deine zarte Knospe übrig bleibt, dann zerdrücken wir sie mit unseren Fäusten", sagte er und legte seine Finger an ihre Brüste.

Aveline schrie verzweifelt auf. Sie wollte das nicht. Er sollte aufhören! Sie zappelte und strampelte, obwohl jede Regung ihr teuflische Schmerzen durch den Oberkörper jagte.

Der Hüne amüsierte sich köstlich, das zeigte sein breites Grinsen. Er drückte ihren Busen etwas fester, bis sie jaulte. Mit aller Kraft trat sie ihn in den Bauch.

Das gefiel ihm nicht. Sein Blick verfinsterte sich. „Böse Blume!", bellte er.

Aveline erschrak dermassen ab der Schärfe in seiner Stimme, dass sie mit den Tritten augenblicklich aufhörte.

Er löste seine Hände von ihr und betrachtete sein Werk. Dann wandte er sich von ihr ab und liess den Blick über die verstaubten Utensilien, die zerbrochene Liege und die Feuerstelle schweifen.

„Gib mir deine Axt", zischte er dem Wiesel zu.

Dieser gehorchte und reichte ihm seine Waffe. Eine grosse Axt aus edelstem Stahl. Der Hüne warf sie in die Flammen. Das Wiesel protestierte, doch der Riese hielt ihn mit der Hand zurück.

„Warte", antwortete er bloss und starrte in die Flammen.

Es war still im Raum, nur das leise Knirschen des Balkens, an dem Aveline hing, war zu vernehmen. Das Wiesel kniete am Feuer und beobachtete, wie sich das Eisen seiner Axt allmählich rot färbte.

„Nimm sie raus", kam der nächste Befehl.

Das Wiesel liess sich das nicht zweimal sagen und packte den hölzernen Griff seiner Waffe. Das Holz hatte zwar kein Feuer gefangen aber es war heiss. Er warf sich die glühende Axt von einer Hand zur anderen.

„Heiss, heiss, heiss", fluchte er.

Der Riese grinste breit und machte eine nickende Bewegung in Avelines Richtung. „Bring sie zum Singen!"

Sein Kumpel grinste. „Wie beim letzten Mal also?"

Der Hüne nickte. „Wie beim letzten Mal", bestätigte er. „Aber nur die Füsse. Wir wollen ihr nur die Wurzeln versengen."

Aveline kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an. Es fühlte sich so an, als zerrissen ihre Arme, als wiege sie zehn Mal so viel. Sie glaubte fast, dass ihre Handgelenkte jeden Augenblick unter ihrem Gewicht einfach brechen würden.

Als sie den tätowierten Kerl erblickte, der mit seiner glühenden Axt auf sie zukam, stieg die Panik in ihr hoch. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Angst verspürt. Ihr Herz pochte so brutal an ihre Rippen, dass sie befürchtete, ihre Brust würde zerspringen.

Das heisse Eisen kam immer näher. Sie zuckte und zappelte wie wild, aber es half nichts.

„Nein!", kreischte sie.

Der Riese packte ihre Füsse. Sie schlug vergeblich aus, um sich aus seinem Griff zu lösen, aber es half nichts.

Das Eisen zischte, als es ihre zarten Fusssohlen versengte.

Ein gellender Schrei entkam ihrer Kehle. Es war, als schrie sie sich ihre Seele aus dem Leib. Als probiere sie, den überirdischen Schmerz aus sich herauszupressen.

Ihre Füsse brannten. Ihr ganzer Körper brannte.

Sie flehte um Erbarmen.

Die Männer liessen von ihr ab. Das Wiesel tänzelte vor Freude und legte die Axt wieder in die Glut. „Nochmal, nochmal!", sang er.

Ihr Körper zitterte heftig. Sie verlor die Kontrolle über ihre Muskeln.

Das Wiesel hob die Axt wieder aus der Glut. Das pulsierende Rot brannte sich ein zweites Mal in Avelines geschundenes Fleisch. Die Luft stank nach verkohlter Haut.

Die Hitze brannte sich in ihr Fleisch, in ihre Knochen, in ihre Seele und löschte alles Leben aus.

Aveline schrie nach ihrer Mutter und flehte zu Gott, dass er sie erlösen möge. Sie konnte nicht mehr. Sie wollte nicht mehr. Ihr Lebenswille verliess sie und mit einem Mal war es geschehen - Aveline stiess die letzten Atemzüge aus ihrem Körper und liess los.

Die Welt entglitt vor ihren Augen.

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