23 - Herbst

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Aveline sammelte die Pilze auf der Bettdecke zusammen und versteckte sie unter dem Fell. Niemand sollte ihr kleines Geheimnis entdecken. Sie würde Salka heute bitten, die Suppe besonders heiss zu kochen, sobald sie von der Stadt heimkehrte. Dann konnte sie die Pilze darin einweichen und besser herunterschlingen. Erschöpft legte sie sich hin und wartete.

Die Zeit verstrich, aber Salka kehrte nicht zurück. Aveline vernahm, wie das Holzhacken draussen aufhörte und wie Hjalmars schwere Schritte durchs Wohnzimmer gingen. Das rote Tuch wurde zur Seite geschoben. Hjalmar lugte vorsichtig hinein, als ob er befürchtete, dass er die leidende Gehilfin stören könnte. Er sah, dass Aveline wach war und öffnete das Tuch ganz, blieb jedoch im Türrahmen stehen.

„Hat dir Salka heute Morgen gesagt, wohin sie gegangen ist?", fragte er etwas zögerlich.

Aveline schüttelte den Kopf. Sie wusste von nichts. In seinem Gesicht sah sie allerdings die Sorge. Seine Frau war normalerweise zuverlässig und kam nie spät nach Hause. Es beunruhigte ihn, dass sie noch nicht zurückgekehrt war.

„Ich geh' in die Stadt, um nachzuschauen, ob sie dort ist. Kannst du ... Könntest du vielleicht das Feuer anmachen? Nur falls ... Naja, falls ..." Er sprach nicht weiter und seufzte tief. „Ach, vergiss es!"

Aveline liess ihre Füsse auf den Boden gleiten und stand zum ersten Mal seit Tagen auf wackeligen Beinen. Die Berührung der kalten Erde auf ihre geschundenen Fusssohlen fühlte sich überraschend gut an. Ein leichtes Brennen spürte sie dennoch in den Sohlen. Sie stütze sich an der Wand ab, um die Wunden zu schonen.

„Mache ich", antwortete sie mit rauer Stimme.

Er bedankte sich mit einem Kopfnicken und machte sich auf den Weg, seine verlorene Frau in Vestervigs Gassen zu suchen.

Derweilen bereitete Aveline mit grösster Mühe das Feuer an der Kochstelle zu. Ihre Beine waren vom tagelangen Liegen schwach und ihre Sohlen schmerzten schon nach kurzer Zeit. Sie kniete sich hin und rutschte auf den Schienbeinen vor und zurück. So konnte sie sich etwas mühsam, aber schmerzfrei durch den Raum bewegen.

Während die Flammen an der Feuerstelle wuchsen, drehten sich ihre Gedanken um die Pilze, welche sie auf dem Bett zurückgelassen hatte. Sie hoffte, dass sie einen guten Zeitpunkt erwischen würde, um sie in ihre Suppe zu geben. Ächzend robbte sie ihren geschwächten Körper auf ein Wolfsfell und wartete.

Aveline staunte nicht schlecht, als sie ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen liess. Der Raum war von Hjalmar wieder hergerichtet worden. In der Zeit, in der sie wie ein Häufchen Elend rumgelegen war, hatte er ganze Arbeit geleistet. Zwei lange Eichenbänke und einen brandneuen Esstisch hatte er gezimmert. Die demolierte Küchenecke war von Hjalmar durch eine neue Bretterwand mit Regalen und Aufhängevorrichtungen ersetzt worden.

Es schien, als ob alle Spuren von diesem Tag verwischt worden waren. Dieser schreckliche Tag, der Aveline die letzte Würde und ihre Hoffnung auf Freiheit genommen hatte. Bei den Erinnerungen rollte sie sich auf dem Wolfsfell zusammen und zog die Knie an.

Da sprang die Eingangstür auf und liess sie aufzucken. Aveline musste so tief in Gedanken versunken gewesen sein, dass sie die herannahenden Pferde nicht gehört hatte. Eine fremde Frau im grünen Kleid und hellbraunen Haaren kam herein, dicht gefolgt von Hjalmar, der seine Frau stützte.

Aveline erhob sich sofort. Salka stand gekrümmt da und sah überhaupt nicht gut aus. Ihre Haare klebten an ihrer Stirn. Sie schwitzte stark.

„Das Kind. Es kommt!", verkündete die Fremde.

Avelines Gedanken schwirrten in ihrem Kopf. Das Kind? Das Kind!

Hjalmar brachte Salka ins Schlafgemach und legte sie aufs Bett. Aveline folgte den beiden hinkend und half ihrer Herrin aus dem Umhang, den sie noch trug. Sie fühlte ihre Stirn.

„Du hast Fieber", sagte sie und strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht.

Salka hob den Kopf, um Aveline anzublicken. Ihre Augen waren weit aufgerissen, voller Schmerz und Angst. „Etwas stimmt nicht", brachte sie keuchend hervor. „Er soll doch noch nicht kommen!" Kaum hatte sie das gesagt, sank sie in die Kissen. 

„Lass mich das in Ruhe anschauen", antwortete Aveline und sammelte sich gedanklich. Das hier würde ihre volle Konzentration erfordern. Was hatte ihr ihre Mutter damals beigebracht?

Die Geburt war eine blutige und unangenehme Angelegenheit — so viel wusste sie.

Als Erstes musst du dafür sorgen, dass du die Männer aus dem Raum schickst, erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter. Sie sind keine grosse Hilfe und zweifeln nur an deinen Fähigkeiten.

Sie drehte sich um und schubste Hjalmar aus dem Raum. „Ich brauche warmes Wasser", gab sie ihm eine möglichst einfache Aufgabe. „Füll den Kessel, heiz ihn auf dem Feuer auf und giesse es in mehrere Eimer. Ich werde viel heisses und frisches Wasser brauchen. Bring mir das."

Mit Schwung zog sie das rote Tuch über den Türrahmen. Sie wollten schliesslich ungestört sein. Aveline schloss für einen Moment die Augen und beschwor die Stimme ihrer Mutter herbei.

Wenn die gebärende Frau nicht mehr stehen kann, soll sie auf den Rücken gelegt werden. Der Kopf auf einem Strohballen oder Kissen, die Beine angezogen und den Hintern an der Bettkante, sodass du freie Sicht hast.

Aveline legte ihre Herrin, die sich unter den Schmerzen krümmte und wand, der Länge nach hin. „Salka, ich muss da unten nachschauen", sagte sie und hob das Kleid an, um einen Blick auf die Scheide zu werfen.

Genau in dem Moment kam Hjalmar wieder in den Raum. „Was hast du unter dem Kleid meiner Frau zu suchen?", rief er, in seinem Gesicht das blanke Entsetzen.

„Dein Kind, du Esel!", fauchte Aveline zurück. „Ich will dich nur hier drin sehen, falls du Wasser bringst. Sonst nicht. Mach, dass du wegkommst!" Mit geübten Griffen tastete sie den dicken Bauch ab.

Salka schrie auf, was Hjalmar gar nicht recht war. Er wollte intervenieren, doch Aveline knurrte ihn an. „RAUS HIER!", donnerte sie. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Da trat die fremde Frau ins Zimmer, in der Hand einen Schale. „Kaltes Wasser fürs Fieber", murmelte sie und kniete sich am oberen Ende des Bettes hin. Sie begann, die Stirn der Gebärenden mit einem Tuch abzutupfen.

Aveline war noch immer damit beschäftigt, den Bauch ihrer Herrin abzutasten. Die Bauchdecke war hart und Salka stöhnte unter Qualen. Sie erkannte schnell, dass der Säugling falsch herum lag. 

Sag der Mutter nicht, wenn du merken solltest, dass etwas nicht stimmt. Du willst nicht, dass sie aufgibt, hallten die Worte ihrer Mutter in ihrem Schädel.

Hjalmar hatte sich aus dem Staub gemacht. Aveline hörte, wie er den Kessel an der Feuerstelle mit Wasser füllte.

„Salka", wandte sich Aveline an ihre Herrin. „Heute ist ein guter Tag, um den kleinen Sveín auf die Welt zu bringen." Sie schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Es ist jetzt ganz wichtig, dass du mir sagst, wann die Schmerzen wieder kommen. Dann kann ich dir helfen."

Die hellen, fiebrigen Augen trafen ihre und sie sah darin die Entschlossenheit, welche mit dem schwachen Nicken bestätigt wurde. Salka gab zu verstehen, dass die Wehen für einen kurzen Moment aufgehört hatten.

„Sie war bei uns zu Besuch und hat Krämpfe bekommen", murmelte plötzlich die andere Frau. Aveline wandte sich ihr zu. „Ich habe drei Kinder zur Welt gebracht ... aber sowas habe ich noch nie gesehen." Sie wirkte betroffen und bleich.

„Was genau meinst du?", wollte Aveline wissen.

„Na zuerst diese Krämpfe. Dann hat sie plötzlich stark geblutet und ist umgekippt."

Salka griff nach Avelines Hand und drückte sie fest. „Es kommt wieder", ächzte sie.

Die nächste Wehe rollte heran und Aveline löste ihre Hand vom festen Griff ihrer Herrin. Sie platzierte ihre Finger auf den Unterleib und begann, fest zu drücken. Salka schrie wie am Spiess.

Die Fremde im Raum blickte sie entsetzt an. „Was in aller Welt machst du da?"

„Ich drehe den Säugling."

„Hör auf damit, du wirst sie noch töten!" Die Frau wollte Aveline schon zur Seite schieben.

„Lass mich!", knurrte sie. Unfassbar, wie diese Normannen ihr ständig in die Quere kamen.

Sie stöhnte auf. Es war nicht genug. Das Baby lag noch immer nicht richtig. Sie wusste, welch teuflische Schmerzen dieser Eingriff bei Salka ausgelöst hatte, aber sie musste es nochmals versuchen. Sie schubste die andere Frau, die ihr im Weg stand, zur Seite, während sich Salka zwischen den Wehen erholte.

„Alva", hauchte sie so leise, dass man es kaum hörte. „Lass sie machen. Aveline weiss, was sie tut. Bitte halte du mir die Hand."

Die Frau namens Alva seufzte und setzte sich wieder ans obere Ende des Bettes.

Aveline blickte erwartungsvoll zu Salka hoch und wartete auf ihr Signal. Eine weitere Wehe kam und Aveline wiederholte den schmerzhaften Eingriff. Dieses Mal drückte sie fester. Das Kind im Bauch kam in Bewegung und die Mutter schrie sich heiser. Die Wehe flachte ab und Salka kam wieder zu Atem. 

Es war getan! 

Aveline hatte es geschafft. Der kleine Sveín lag nun mit dem Kopf nach unten im Leib seiner Mutter. Jetzt konnte der Geburt nicht mehr viel im Wege stehen.

Wenn du die Mutter da unten berührst, dann tue dies nur mit gewaschenen Händen. Benutze heisses Wasser und frische Tücher, um das Blut zu stillen und die Gebärende sauber zu halten.

Wo blieb nur Hjalmar mit dem Wasser?

Aveline stand auf und verliess den Raum, um nach Hjalmar zu sehen. Dieser lief in der Wohnstube nervös vor und zurück. Er war bleich wie eine Schleiereule, die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Ich werde Vater. Ich werde Vater! Ich werde Vater?", murmelte er zu sich selbst.

Es schien, als ob er in diesem Moment gerade realisierte, was ihm da blühte. Ein gestandener Mann in Panik wegen eines ungeborenen Kindes. Er bemerkte gar nicht, dass Aveline aus dem Raum gekommen war. Er tigerte gedankenverloren auf und ab, zu sich selbst redend. 

Aveline zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Kessel zu, welcher über dem Feuer brodelte. Das Wasser war heiss genug. Vorsichtig hob sie ihn vom Haken und füllte es in zwei Holzeimer ab. Sie schwankte stark auf ihren halb verheilten Fusssohlen und hatte Mühe, das Gewicht des Kessels mit ihren geschwächten Armen zu halten. Das heisse Wasser schwappte über und klatschte über ihre Beine. Vor Erschrecken fiel ihr der Kessel gänzlich aus der Hand und der Rest des Wassers, welches sie noch nicht abgefüllt hatte, entleerte sich auf dem Boden. Sie biss sich auf die Zähne. Die heisse Flüssigkeit brannte auf ihrer Haut.

„Verdammt", fluchte sie laut.

Aus dem Geburtszimmer war ein lautes Stöhnen zu hören. Um ihre Füsse würde sie sich später kümmern müssen — es galt ein Kind auf die Welt zu bringen. Sie hob die Kübel vorsichtig auf und hinkte damit zurück ins Zimmer.

・・・

Es wurde Abend und die Abstände zwischen den Wehen verkürzten sich. Salkas Schmerzenslaute begleitet durch Avelines aufbauende Worte jagten durch das stille Wohnhaus. Hjalmar hatte sich in der Zwischenzeit wieder gesetzt und starrte ins Feuer. Die pure Panik floss ihm durch Mark und Bein.

Noch nie in seinem Leben hatte er solche Furcht verspürt, wie in diesem Moment.

Die Eingangstür schoss auf und riss ihn aus seinen Gedanken. Rurik trat mit Audgisil in den Raum. Sein Freund blutete stark, sodass sich der Boden dunkel färbte. Er wurde von Rurik förmlich ins Wohnzimmer gezogen. 

Hjalmar schreckte auf. „Was ist passiert?", wollte er sogleich wissen.

„Die Schweden", antwortete Audgisil mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. „Wir haben sie gefunden."

Am Farbton seines Gesichtes war deutlich zu erkennen, dass er eine beträchtliche Menge Blut verloren haben musste. Seine Haut war aschfahl und seine Augen matt. Rurik liess ihn auf den Boden neben der Feuerstelle nieder und nahm ihm das Bärenfell ab.

„Wölfe", antwortete er auf Hjalmars fragenden Blick, „Wölfe haben uns gefunden."

Hjalmar zog scharf die Luft ein. Rurik schien ausser der Bisswunde, die an seinem Unterarm prangte und ein paar Schürfwunden in seinem Gesicht, unverletzt zu sein. Audgisil hatte es weitaus schlimmer erwischt. Die klaffende Wunde sah schrecklich aus.

Hjalmar musste bei dem Anblick schwer schlucken. Ihm wurde schwindelig.

Rurik kniete vor seinem Freund und musterte ihn ratlos. „Wo ist Aveline?", fragte er dann.

Ein lautes Stöhnen drang vom Schlafzimmer zu ihnen. Hjalmar deutete mit dem Kinn in dieselbe Richtung.

„Salka ... Geburt", war alles, was er noch hervorbringen konnte. Seine Frau versuchte gerade, ein Kind auf die Welt zu pressen und lag gefühlt im Sterben, während sein Schwager mit seinem Freund von Wölfen zerfleischt in der Wohnstube sass. Es roch überall nach Blut und Schweiss. Es war alles zu viel für ihn.

Der Raum drehte sich. Hjalmar wurde übel und er fiel in Ohnmacht.

 ・ ・ ・

Rurik starrte fassungslos auf Hjalmar, der Gesicht voran auf den Boden geknallt war. Hinter ihm kicherte Audgisil.

„Oh, wenn der wüsste, was ihm noch alles blüht. Das ist nur der Anfang!"

Rurik liess ein genervtes Knurren hören. „Verflucht nochmal!"

Der Ritt nach Hause war ein absoluter Albtraum gewesen. Dieses Chaos in seinen eigenen vier Wänden vorzufinden, war wirklich das Allerletzte, was er jetzt brauchen konnte. 

Er lief zum Brunnen, um den leeren Kessel mit Wasser zu füllen und um seinen Freund und seinen ohnmächtigen Schwager zu verarzten. Er warf Hjalmar einen kalten Lappen auf den Kopf und säuberte mit einem weiteren Tuch die Fleischwunde seines Freundes. Audgisils Atmung ging flach, er hatte sichtlich Mühe, nicht auch das Bewusstsein zu verlieren. Er kämpfte um sein Leben.

„Schlimm?", fragte der Hüne gepresst.

Rurik schwieg, denn er war ratlos. Er wusste nicht, wie er seinem Freund helfen sollte. Diese Wunde war tief. Es grenzte an ein Wunder, dass Audgisil den Ritt nach Hause überlebt hatte. Er schwieg und säuberte die Verletzung, so wie er es auch in der letzten Nacht getan hatte. Diese Nacht würde sein Freund nicht mehr überstehen, wenn ihm nicht geholfen werden würde. Das war klar.

Rurik knirschte mit den Zähnen. „Aveline!", grollte er. 

Er wollte seinen Freund nicht verlieren. Den Heiler aus der Stadt hierher zu beordern, würde zu viel Zeit kosten. Er hoffte auf die junge Fränkin. 

Es kam keine Antwort auf sein Rufen. 

Entnervt sprang er auf die Beine und stampfte in die Richtung des Geburtszimmers. Er schob das rote Tuch zur Seite, doch wurde ihm der Weg plötzlich versperrt. Aveline stand vor ihm, ihre Augen funkelten. 

„Du bleibst stehen!", befahl sie mit einer ungeheuren Bestimmtheit, die er so von ihr nicht kannte. Er wollte protestieren, aber sie liess ihn nicht ausreden. „Du bist schmutzig und stinkst nach Blut. Deine Schwester gebärt hier gerade. Bleib von ihr fern, wenn du möchtest, dass sie diese Nacht überlebt!"

Er hob die Hände, als ob er sich verteidigen wollte. Ihre Forschheit war durchaus nachvollziehbar, dennoch brauchte er ihre Hilfe.

„Es ist Audgisil", sagte er und deutete mit einer Hand in die Wohnstube. „Er ist schwer verletzt." Aveline lehnte sich etwas vor, damit sie einen Blick auf den Verletzten werfen konnte. Ihre Augen weiteten sich bei all dem Blut. „Wölfe haben ...", versuchte Rurik zu erklären. Er fühlte sich merkwürdig, sie um etwas zu bitten — eine Sklavin um Hilfe zu bitten. „Kannst du ... kannst du ihn dir anschauen?"

„Nein", kam ihre Antwort viel zu schnell. Sie wollte sich schon wieder umdrehen, da packte er ihren Arm und hielt sie zurück.

„Ich bitte dich!", flehte er. Auch wenn er es hasste, sie so anbetteln zu müssen, es war ihm für das Leben seines Freundes wert. „Er hält nicht mehr lange durch. Er hat drei Kinder ... bald vier und ein Weib zuhause." 

Rurik starrte sie an. Inständig. Sie musste doch Mitgefühl haben! Aveline erwiderte seinen Blick. Ihre Wangen waren von der Anstrengung gerötet, ihre Strähnen hingen ihr wirr vom Kopf. Sie überlegte, das war deutlich zu sehen, doch dann schüttelte sie den Kopf.

„Salka braucht mich."

Es war wie ein Schlag in den Magen. Wenn sie nicht auf sein Bitten hören würde, dann würde er sie zwingen. Rurik verstärkte seinen Griff um ihren Oberarm.

„Audgisil hat dich von diesem Balken geschnitten", knurrte er sie an. „Das Schwein, das dir das ..." Seine Augen wanderten für einen Wimpernschlag zu ihren Füssen. „... angetan hat, habe ich geköpft! Du musst uns helfen."

Ihr Ausdruck veränderte sich. Der Hass, den er in ihren Augen hatte aufflammen sehen, erlosch. Ihre Schultern sanken ein, als Rurik ihren Arm losliess. Sie warf einen Blick zurück ins Geburtszimmer. Dort stand Alva — die Frau Audgisils — wie angewurzelt neben dem Bett und starrte sie mit Tränen in den Augen an. Rurik hatte nicht gewusst, dass sie auch da war. Wenn sie ihren Mann in diesem Zustand sah, dann ...

„M-Mein Audgisil?", krächzte Alva und kam aus dem Zimmer. Rurik liess sie durch, seinen Blick noch immer fest auf die Sklavin gerichtet.

Als Alva ihren Gatten verletzt auf dem Boden erblickte, schrie sie laut auf und warf sich neben ihn hin. Sie hielt seinen Kopf in ihrem Schoss und schluchzte. Verzweifelt flehte sie die Walküren an, ihren Mann noch nicht zu holen.

Endlich gab Aveline nach und nickte. „Na gut, aber nur kurz", seufzte sie und humpelte zur Feuerstelle, wo Audgisil mit seiner Frau lag.

Hjalmar war mittlerweile von seiner Bewusstlosigkeit wieder aufgewacht und sass am Esstisch. Rurik folgte Aveline und kniete sich neben ihr auf den Boden hin.

„Um Himmels willen!", stiess sie aus, als sie das Ausmass des Wolfsbisses sah.

Sie griff zu einem Tuch und tunkte es ins Wasser. Während sie die Wunden säuberte, untersuchte sie die Verletzung. Audgisil hatte zwei tiefe Bisswunden eingesteckt, eine am Hals und eine zwischen Hals und Schulter. Die Löcher am Hals waren klein und fein. Daraus floss nur ein seichter Strom Blut. Die Haut an der Schulter jedoch war zerfetzt. Hier hatte der Wolf mit aller Kraft seinen Kopf geschüttelt, um sein Opfer zu töten und um Fleischstücke herauszureissen. Haut fehlte und die Wunde blutete stark. Rurik hatte seinen Freund nicht vor dieser schrecklichen Wunde bewahren können. Er war zu spät eingeschritten.

Audgisils Augen rollten nach hinten, worauf Alva verzweifelt zu weinen begann. Aveline schien sich davon allerdings nicht beirren zu lassen. Sie blickte um sich und erspähte Audgisils blutiges Schwert. Der Schauer, der ihr durch den Körper jagte, blieb Rurik nicht verborgen. Er verstand augenblicklich, was sie vorhatte und nahm die Klinge, um sie zu säubern. Dann streckte er sie ins Feuer. 

Avelines Augen trafen seine. Sie zitterte, das sah er deutlich. Heisses Eisen verursachte das in ihr. Die Erinnerungen an das, was man mit ihr getan hatte. Rurik warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, den sie aber nicht beachtete.

Mit bebenden Händen gab sie ihm zu verstehen, dass er die glühende Klinge auf die Wunde halten solle. Rurik gehorchte.

Audgisil gab keinen Ton von sich, als die Hitze auf sein Fleisch traf. Ganze drei Mal hielt Rurik die Klinge auf die Wunde. Das Fleisch zischte fürchterlich und jedes Mal zuckte Aveline dabei zusammen, obwohl es nicht ihre Wunde war, die davon berührt wurde.

Als Rurik das Schwert zur Seite legte, erhob sich Aveline, um zu Salka ins Geburtszimmer zurückzukehren. Ihre Arbeit war hier offensichtlich getan.

„Schlachtet ein Huhn", sagte sie mit gefühlskalter Stimme. „Ich koche nachher eine kräftespendende Brühe." Ihr Blick fiel auf Rurik und schweifte sodann zu Hjalmar. „Die werden hier wohl alle gebrauchen können", fügte sie mit einem leicht schnippischen Unterton hinzu.

Mit diesen Worten warf sie das Tuch hinter sich zu. Rurik starrte noch eine ganze Weile lang auf den roten Stoff, hinter welchem sie verschwunden war, bis Hjalmar ein erstauntes Lachen hören liess.

„Zähes Biest, die Kleine", sagte Hjalmar und griff zur Bierkanne. Er goss zwei Becher Bier ein. „Komm, setz dich", meinte er zu Rurik. „Wir können heute Nacht nichts mehr anrichten. Es liegt wieder einmal in der Hand einer Frau, die Welt zu retten."


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