38 - Frühling

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„Wenn er das Eisen zehn Schritte weit tragen kann, dann ist er unschuldig!", rief Ragnar in die aufgebrachte Menge.

Eine Menschentraube hatte sich auf dem Marktplatz gebildet, weil zwei Männer sich in die Haare geraten waren. Der eine behauptete, der andere hätte ihm einen Ziegenbock gestohlen. Der andere bestritt diese Anschuldigung vehement und so hatte Ragnar, der sich zufälligerweise auf dem Markt befunden und die Aufregung mitbekommen hatte, entschieden, dass er die Unschuld mit der Feuerprobe beweisen solle. Dabei musste der Angeklagte ein schwelend heisses Eisen in den Händen halten und zehn Fuss weit tragen, ohne es vorher von sich zu werfen. Schmiss er es vorher weg, war er schuldig. Schaffte er es über die Linie, welche die zehn Schritte markierte, hatte er seine Unschuld bewiesen.

Loki stand mit verschränkten Armen in der Menge und beobachtete das Spektakel. 

Der Angeklagte streckte seine Hände aus, bereit dazu, das Eisen zu halten. Zischend brannte sich die glühende Eisenstange in sein Fleisch. Er brüllte vor Schmerzen auf und taumelte der Linie entgegen. Seine Arme zitterten, man sah, dass er gegen den Instinkt ankämpfte, den schrecklich heissen Gegenstand loszulassen.

Loki kicherte vergnügt, als der Mann vier Schritte vor der Linie versagte und die Eisenstange auf den Boden fallen liess. Die Menge grölte, der Kläger hob triumphierend seine Hände in die Luft. 

Ragnar packte das Beil eines Zuschauers und ging auf den vor Schmerzen schreienden Angeklagten zu. Wortlos gab er ihm zu verstehen, dass er sich für eine Hand entscheiden solle — welche er behalten und welche er opfern wolle. Der Angeklagte legte zittrig die linke Hand vor Ragnar auf den Boden. Der Jarl trennte mit einem schwungvollen Schlag die Hand vom Arm. Der Mann brüllte ein weiteres Mal vor Schmerzen auf und hielt sich den blutenden Stumpf.

„Gerechtigkeit ist wieder hergestellt", verkündete Ragnar und liess die blutige Axt zu Boden fallen.

Loki klatsche begeistert in die Hände und drehte der jammernden Gestalt den Rücken zu. Er war eigentlich wegen etwas anderem auf den Markt gekommen. Walrosszähne und Kupferplatten wollte er tauschen, um seinen Rundschild für die nächsten gloriosen Abenteuer im Frankenreich zu schmücken. Und er wollte seinen besten Freund Rurik mit einem eigens geschmückten Schild überraschen.

Der Lockenkopf klammerte seine Hände um das Leder, welches er seinem Vater aus der Gerberei entwendet hatte. Er hoffte, dass Mar nichts merken würde. Loki selbst hatte kein Silber oder Waren, die er für die Gegenstände, die er brauchte, hätte eintauschen können. Das gegerbte Leder seines Vaters war kostbar, das wusste er. Dafür würde er sicherlich zwei grosse Stosszähne und genügend Kupferplatten tauschen können.

Der Rundschild war für einen Krieger in der Schlacht das, was ihm nebst der Gnade der Götter Schutz vor tödlichen Hieben schenkte. Die Schilde einer Sippe wurden alle in der gleichen Farbe mit demselben Muster bemalt. Drei schwarze Kreise auf blutrotem Hintergrund gehörten zu Ragnars Wappen und kennzeichneten jeden Krieger, der einen solchen Schild trug, als einen der furchterregenden Krieger der mächtigen Armee Sigurdsons.

Loki wollte die eintönigen Schilde für sich und seinen besten Freund personalisieren, denn zusammen waren sie im Kampf ein eingespieltes Paar. So oft hatten sie sich gegenseitig schon das Leben gerettet und Loki freute sich auf den Tag, an dem er mit seinem besten Freund in Odins Hallen feiern würde. Bis dahin sollten sie aber viele siegreiche Kriege erleben und ehrenvoll kämpfen können — bis ihr Schicksal besiegelt war und sie zusammen nach Asgard reisen würden. Wer auch immer die zwei prunkvollen Schilde von Rurik und Loki erblickte, sollte vor Ehrfurcht in den Boden versinken.

Er grinste bei dem Gedanken und schlenderte gemütlich zum Händler, welcher Schmucksachen und Perlen verkaufte. Für das Leder bekam Loki zwei grosse Fangzähne, die einem mächtigen Walrossbullen gehört haben mussten. Die Stosszähne waren so lang wie sein Unterarm. Er drehte die zwei schweren Stücke fasziniert in seinen Händen und begab sich zum Schmied, der ihm für das letzte Stück Leder eine Handvoll dünner Kupferplatten tauschte.

Für sein Vorhaben gerüstet und mit vollen Händen lief er zur grossen Halle im Zentrum der Stadt, vor welcher immer ein paar Rundschilde Ragnars an der Wand lehnten. Er nahm zwei Stück und warf sich die Schilde auf den Rücken. Schnellen Schrittes verliess er das Zentrum und steuerte auf den Stadtrand zu. Er hatte sich in einem Schuppen eine eigene Werkstatt errichtet, gut versteckt vor den vorwurfsvollen Blicken seines Vaters, der sowieso nichts für gut befand, was sein Sohn tat. 

Loki bastelte gerne in seiner kleiner Werkstatt, denn da war er alleine und nicht unter Menschen, die ihn nur wieder schief anschauen könnten. Er konnte sich in der Bastelei verlieren und die Gedanken fliessen lassen. 

Hier hatte er seinen Frieden.

Er begann die Zähne zu schleifen und zerbrach sie in Einzelstücke, welche er dann um die schwarzen Ragnar-Kreise hämmerte. Das Elfenbein der Walrosszähne sollten für Ruriks Schild sonnenförmig um die Kreise gelegt werden. In der Mitte bohrte er drei daumenlange, spitze Stücke, die aus dem Holz steil herausragten. Nun sah der Schild so aus, als würden drei weisse Sonnen den Gegner anstrahlen. Wenn Rurik jemanden mit dem Schild stossen wollte, dann würden die spitzen Enden, die herausragten, den Feind niederstechen. 

Loki nickte zufrieden und wandte sich seinem eigenen Schild zu.

Mit seinem Schild hatte er etwas anderes vor. Das sollte nicht so elegant daherkommen, es sollte einen anderen Nutzen erfüllen. Er hämmerte alle Kupferplatten über den Schild, sodass Ragnars Wappen nicht mehr zu erkennen war. Mit einer Hand strich er zufrieden über die einheitliche Kupferfläche. Der Rundschild glänzte feuerrot. Die letzten Walrosszähne hämmerte er kreisförmig um den eisernen Schildbuckel, sodass auch er deren Spitze dafür verwenden konnte, um dem Feind hier und dort ein Auge auszustechen.

Er prüfte das Gewicht. Es war nicht zu schwer geworden, trotz all der Kupferplatten. Damit würde er gut in der Schlacht hantieren können. Wenn die Sonne auf diesen Schild schien, dann konnte er mit dem richtigen Einfallswinkel seine Gegner blenden oder — noch besser — gar Stroh zu Feuer entfachen. Mit diesem Schild würde er wortwörtlich zur Flamme des Todes werden.

Loki kicherte vor sich hin. Er freute sich riesig auf die Abenteuer, die er mit seinem Freund dieses Jahr wieder erleben würde. Wie sehr er es doch genoss, mit Rurik auf See zu sein und neue Ländereien zu plündern. Sie hatten immer so viel Spass. 

Er war sich sicher, dass sein Freund sich über sein Geschenk freuen würde. Mit diesem Schild würde Rurik eine wirklich gute Figur in der Schlacht machen.

・・・

Loki liess die Schilde in seinem Schuppen stehen und machte sich auf den Heimweg. In sich gekehrt summte er vor sich hin, während er in Gedanken imaginäre Feinde niederschlug. Er imitierte die Hiebbewegungen seiner Axt in der Luft und tänzelte dahin. 

Leise sang er sein Lieblingslied: „Die fünfhundert Tür'n in Walhall' sind viermal zehn Männer hoch. Das Dach ist ein Schutzwall aus Rundschilden mutiger Krieger. Odin auf dem Thron, schaut mit gutem und schwarzem Augenloch"

„Loki! Wo bist du, du BASTARD?"

Das war sein Vater, der da zeterte. Loki blieb bei der Mauer vor der Werkstatt stehen.

„Hier, Vater!", rief er und näherte sich dem Eingang.

Mar torkelte aus der Tür, deutlich betrunken. Sein Gesicht war violett verfärbt und aufgedunsen. Seine blonden Haare klebten ihm im Gesicht. Er hatte sich wieder einmal den Schmerz von der Seele gesoffen.

„Wo ist das Leder?", blaffte er und blieb vor seinem Sohn stehen.

Lokis Vater trank oft weit über den Durst. Dass dieser nun lallend vor ihm stand und ihn anschrie war für Loki fast eine alltägliche Last. Wenn er könnte, dann würde er alleine wohnen. Aber er besass weder ein Stück Land noch ein Haus, in welchem er leben konnte. Gezwungenermassen musste er bei seinem Vater wohnen bleiben und die Hasstiraden über sich ergehen lassen.

Das Alkoholproblem seines Vaters war unter anderem ein Grund, weshalb sich Loki wieder besonders auf die Raubzüge freute. Dann konnte er endlich so sein, wie er wollte. Er war es müde, den ganzen Tag immer draussen verbringen zu müssen, nur um seinem eigenen Vater aus dem Weg zu gehen.

Loki zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, was du meinst."

Mar hob drohend die Faust. „Du Mistkerl hast mir drei Lederfetzen gestohlen! Ich bin doch nicht blöd. Ich weiss, wie viele Tiere ich häute und wie viel Leder ich gerade gerbe! Was hast du damit gemacht? Hast du dir wieder irgendwelchen Unsinn gekauft?"

„Keinen Unsinn. Ich habe Kriegsschmuck dafür getauscht."

Kaum hatte er das gesagt, schlug Mar seinem Sohn die Faust ins Gesicht. „Du dreckiger Nichtsnutz!"

Loki taumelte rückwärts und hielt die Hände an die Nase. „Womit habe ich das jetzt verdient?", rief er und spuckte das Blut, das aus den Nasenlöchern in seinen Mund rann, auf den Boden.

„Dafür, dass du ein Versager bist! Ich rackere mich tagein tagaus ab, damit wir ein paar Brocken Essen auf dem Tisch haben und was machst du? Du tauschst meine wertvolle Ware gegen Schrott ein!"

Loki ballte die Fäuste. „Ich bin kein Versager!", gab er zurück. „Im Gegensatz zu dir kämpfe ich an der Front für unsere Sippe, für das Wohl unserer Gemeinschaft. Ich bin nicht so ein scheiss Feigling wie du, der sich aus Selbstmitleid ins Elend säuft!"

Da stürzte sich Mar auf seinen Sohn. Er war blind vor Wut. Loki konnte die Wucht nicht abfangen und fiel zu Boden. Sein Vater schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein.

„Nenn mich nicht so, du Dreckskerl!", brüllte Mar. „Dir steht es nicht zu, so mit mir zu sprechen. Ich bin dein Vater, du hast mir gefälligst zu gehorchen!" Die Schläge hämmerten auf Loki nieder. „Muss ich dir den Respekt einbläuen? Willst du etwa, dass ich dich hier und jetzt töte?"

Loki versuchte, mit seinen Unterarmen die Hiebe seines Vaters abzuwehren. Er wartete, bis Mar die Kraft verlor und die Schläge nicht mehr so heftig auf ihn prasselten. Im richtigen Moment stiess er seinen betrunkenen Vater um. Der blieb von dem Wutanfall erschöpft auf dem Boden liegen, hechelte und röchelte wie ein erbärmlicher Hund.

Loki sprang auf und kickte ihm einmal in die Rippen. „Du bist nicht mein scheiss Vater", knurrte er und spuckte ihn an. Dann marschierte er davon.

„Meinetwegen. Geh nur!", schrie Mar ihm hinterher. „Komm ja nicht wieder zurück! Du bist hier nicht mehr willkommen!"

Loki beschleunigte seinen Schritt und wischte sich das Blut mit dem Ärmel vom Gesicht. Er spürte, wie sein rechtes Auge anschwoll. Er lief zurück an den einzigen Ort, an welchem er für sich sein konnte: Sein Werkschuppen am Rande der Stadt. Ihm blieb schliesslich nichts anderes übrig, als ab sofort dort zu nächtigen. Seine blonden Locken wippten im Takt seiner tänzelnden Schritte. 

Er begann wieder sein Lieblingslied leise vor sich her zu singen: „Die fünfhundert Tür'n in Walhall' sind viermal zehn Männer hoch. Das Dach ist ein Schutzwall aus Rundschilden mutiger Krieger. Odin auf dem Thron, schaut mit gutem und schwarzem Augenloch, wie die achthundert Männer marschieren. Alles Einherjer, die morgens ihre Kräfte messen und sich draussen schlachten. Abends sich im goldenen Saal vergnügen. Mit Met und Bier, der stärkende Saft, welch' die Walküren in Krügen brachten. Die Schwerter in der Halle glänzen hell, oh wie schön ist's hier!"

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