7 - Sommer

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Ruriks Kopf dröhnte. Das Klappern der Kessel und Schüsseln drang bis in sein Zimmer und hallte in seinem Schädel wie ein Echo, das ihn für die Eskapaden der letzten Nacht bestrafen wollte. Er drehte sich um und deckte seinen Kopf mit dem Kissen zu.

„Rurik, du stinkender Hund!", rief seine Schwester aus der Stube. „Den halben Tag hast du schon verschwendet. Steh auf und mach dich nützlich!"

Er grummelte und setzte sich in seinem Bett auf. Sein Kopf wummerte und die Welt schaukelte vor seinen Augen. Der Schlaf hatte ihm den Rausch noch nicht ausgetrieben.

„Ich glaub', ich hab zu viel getrunk'n."

Salka schnaubte laut. „Oh ja, das hast du! Hast dich taub gezecht und nicht gemerkt, was für einen grossen Radau du veranstaltet hast, als du zurück nach Hause gekommen bist! Ich war ja besorgt, als du nach der Ankunft nicht vorbeikamst, um uns zu begrüssen, aber als du dann mitten in der Nacht das halbe Haus auf den Kopf gestellt hast, nur um aus deiner blöden Hose zu springen, da hab ich dich nach Hel gewünscht!", zeterte sie.

Rurik rieb sich die Schläfen und blinzelte in die Richtung, aus der die Stimme kam. Das rote Tuch, das seine Kammer von der Wohnstube trennte, war zugezogen.

„Ich war laut?" 

Er hievte sich aus dem Bett und wankelte in die Wohnstube. Das Tuch schob er zur Seite. Seine Schwester stand am Feuer und rührte mit der Kelle in einem Kessel herum. 

„Lauter als Thors Hammer, der vom Himmel fällt", mischte sich Hjalmar ein. Der stämmige Bauer stand in der Tür und war soeben hereingekommen.

Rurik kratzte sich am Hinterkopf. „Das hab ich nich' gemerkt. 'Schuldigung", murmelte er. 

Ein Lächeln huschte seiner Schwester über die Lippen. Ein breites Lächeln, das Rurik erwidern musste. Seit seiner Reise ins Frankenreich vor mehr als einem Vollmond hatte er sie und ihren Ehemann nicht mehr gesehen. Eine lange Zeit. 

Er breitete seine Arme aus. „Kommt her und umarmt mich endlich!", sagte er.

Hjalmar lachte auf, kam näher und gab Rurik eine kräftige Umarmung, sodass dieser fast wieder sein Gleichgewicht verlor.

„Willkommen zuhause, Schwager", hörte er ihn sagen. „Schön, dich wieder hier zu haben!"

Salka trat nicht näher. Misstrauisch beäugte sie ihren Bruder. „Du stinkst fürchterlich!" Sie rümpfte ihre Nase. „Wenn du mir zu nahe kommst, dann erbreche ich mich gleich über das Mittagessen. Das wollt ihr sicher nicht."

„Jetzt komm her!", insistierte Rurik und ging grinsend und mit offenen Armen auf seine Schwester zu.

„Was machst du da! Nein! Geh weg!", kreischte Salka, doch sie fand keinen Ausweg.

Rurik trieb sie in die Ecke und zwang sie, ihn zu umarmen. Sie wehrte sich, indem sie ihn mit dem Tuch schlug, aber er ignorierte die Schläge und legte seine langen Arme um ihre Schultern. Sein Kopf lag in ihrem Nacken. 

Sie verzerrte ihr Gesicht vor Ekel.

„Hab' euch zwei vermisst", murmelte er ihr in die Haare. „Dich und den Kleinen", fügte er hinzu und strich mit der Hand über ihren dicken Bauch.

„In Odins Namen, bitte wasch dich, Rurik", klagte sie, doch lachte sie dabei. „Dein Gestank ist unerträglich!" Sie stiess ihn von sich und wandte sich ihrem Mann zu. „Hjalmar, bitte bring ihn zum See. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um das Mittagessen. Das Feld muss warten, Richard soll sich darum kümmern. Ja?"

Hjalmar nickte zustimmend und packte Rurik am Oberarm, um ihn aus dem Haus zu schleppen. „Bist du sicher, dass du das alleine schaffst? Denk daran, dass du den schweren Kessel nicht alleine heben solltest!"

Salka winkte ab. „Ja, ja!"

Hjalmar riss die Tür auf und schleppte Rurik nach draussen. Das helle Licht stach dem Trunkenbold in den Augen. „Komm, du Schweinchen!", ärgerte ihn Hjalmar und marschierte über den Hof. „Mal schauen, wer sich unter all dem Gestank, Dreck und Bier versteckt."

Sie überquerten den Hofplatz. Richard — der Gehilfe der Familie — wischte gerade den Boden.

„Richard!", rief Hjalmar beim Vorbeigehen dem Sklaven zu. „Wir sind kurz am See. Kümmerst du dich bitte um das Feld? Die Hühner müssen auch noch gefüttert werden, ich habe den Eimer voll Korn hinter der Scheune abgelegt." Richard nickte stumm. „Und schaust du nach meiner Frau? Ich traue ihr in dem Zustand wirklich nichts mehr zu."

„Selbstverständlich", kam die Antwort.

・・・

Die Männer verliessen den Hof und liefen in Richtung Ørumsee, welcher nördlich von ihrem Anwesen lag. Ein dichter Wald schmiegte sich an die Rückseite des Hofes.

Sie durchquerten das Waldstück. Insekten schwirrten in der Luft, Schwalben flogen tief. Ein Gewitter würde bald aufkommen, das liess die Spannung in der Luft vermuten. 

Als sie am Seeufer ankamen, wurde Rurik von seinem Schwager ins Wasser geschubst. Die Kälte schoss ihm durch Mark und Bein und mit einem Schlag war er hellwach. Er stand ruckartig auf, seine Kleidung triefte und seine Haare klebten auf der Stirn.

„Danke dafür", grummelte er.

„Sehr gern geschehen." Hjalmar grunzte belustigt und wusch sich die Hände und seinen braunen Bart im See. 

Rurik liess sich rücklings ins Wasser fallen und tauchte noch einmal ab. Dann watete er aus dem Wasser, um sich auf einen Stein am Uferrand zu setzen. Sein Kater war verflogen, nur die Kopfschmerzen pochten noch an seine Schläfen. Die Sonne schien zwischen ein paar mächtigen Wolken hindurch und wärmte ihn.

„Wie fühlst du dich?", erkundigte sich Hjalmar und ging auf die Knie. Mit der Hand wühlte er im Sand.

Rurik atmete die frische Luft durch die Nase ein. Ein tiefes, erleichtertes Seufzen entkam ihm von der Brust. „Es ist schön, wieder zuhause zu sein", sagte er. „Ich habe Jütland vermisst." Er rieb sich die Haare trocken, die in dicken Strähnen von seinem Kopf hingen.

„Ich dachte, du liebst es so, durch die Welt zu segeln und andere Länder zu entdecken?", fragte Hjalmar mit einem argwöhnischen Ton in der Stimme. „Hat dir Ragnars Ausflug nicht gefallen?"

„Doch, ich habe die Reise genossen. Aber du kennst es ja, wirklich viel gesehen, ausser das weite Meer und blutige Erde, haben wir nicht."

„Du solltest nächstes Mal nicht mehr mitmachen, Rurik", meinte Hjalmar und drehte einen Stein, den er vom Boden aufgelesen hatte, in seinen Händen. „Dieses Schlachten tut dir auf lange Zeit nicht gut. Ich kenne dich. So bist du nicht. Du bist kein blutrünstiger Wolf, der alles tötet, was ihm im Wege steht. Du bist ein Jäger — du tötest nur, wenn dein eigenes Überleben davon abhängt. Solch sinnloses Gemetzel bereitet dir keinen Spass. Es macht dich bitter. Das sieht man dir an."

Rurik senkte den Kopf. Hjalmar hatte die Beutezüge von Ragnar nie besonders unterstützt. Ein Geheimnis machte er aus seiner Meinung nie. Für Hjalmar waren die Raubzüge unmenschlich und er glaubte, dass Ragnar damit eines Tages den Groll der Götter auf sich ziehen würde. Das wusste Rurik, denn Hjalmar hatte ihm das zur Genüge unter die Nase gerieben.

„Ich hatte keine Wahl", suchte er nach einer Rechtfertigung. „Du weisst, wie Ragnar ist. Der toleriert kein Nein."

Hjalmar warf den Stein mit Schwung ins Wasser, sodass sich auf der Oberfläche dutzende Ringe bildeten. „Der Kerl ist einfach nur besessen", knurrte er und kniff dabei die Augenbrauen fest zusammen. „Besessen von Gier."

„Ich weiss nicht", entgegnete Rurik. „Er hat grosse Ziele und er weiss, wie er die Männer zu Taten bringen kann, von denen sie selbst nie dachten, dass sie im Stande wären, die zu vollbringen." Ragnar hatte ein Talent dafür, seine Männer zu Dingen zu bewegen, die keiner für möglich gehalten hätte. Vor kurzem hätte keiner geglaubt, dass sie die Überfahrt ins Frankenreich überstehen würden, aber Ragnar hatte sie alle mit seiner brennenden Leidenschaft fürs Abenteuer mitreissen können.

„Er ist ein Schwätzer", zischte Hjalmar. „Alles nur leere Worte."

„Das mag sein. Aber eins muss man ihm lassen: Seine Grosszügigkeit kennt keine Grenzen. Das Fest gestern war von einer anderen Welt! Das hättest du sehen sollen!"

Hjalmar lachte auf. „Ich hab's an dir gerochen! Da musste ich nicht mal dabei gewesen sein, um zu wissen, dass es ein besonderes Fest gewesen sein muss. Dieser Ragnar weiss, wie er seine müden Kämpfer bei Laune hält. Aber ihr habt es euch natürlich verdient!" Hjalmar schenkte Rurik einen Blick, der seinen Respekt auszudrücken schien. 

Rurik stand auf. „Ich habe euch etwas von der Reise mitgebracht", lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung. Er hoffte, damit seinen Schwager wieder glücklicher stimmen zu können. „Heute Nachmittag werde ich es beim Jarl abholen."

Hjalmars Augenbraue jagte in die Höhe. „Du weisst, dass ich mit Raubschätzen nichts anfangen kann. Ich will nichts damit zu tun haben."

Hjalmar hielt nichts von gestohlenen Trophäen, das wusste Rurik. Doch darum ging es ihm gar nicht.

„Nein, das ist es nicht. Du wirst schon sehen. Ich habe etwas für Salka mitgebracht. Glaub mir, sie wird sich freuen", sagte er. 

„Wenn du meinst." Hjalmar hob den Kopf und beobachtete den Himmel, welcher sich allmählich dunkler färbte. „Los, komm. Lass uns zurückgehen", beschloss er. „Ein Gewitter zieht auf und deine Schwester wartet sicher schon sehnlichst auf uns. In letzter Zeit hat sie einen Bärenhunger, ich sag's dir. Man sollte sie nicht warten lassen!"

・・・

Sie kehrten zurück und assen gemeinsam an der Feuerstelle das Mittagessen, welches Salka für sie alle vorbereitet hatte. Rurik erzählte den beiden von seiner Reise.

Seine Schwester hörte gespannt zu, lachte und fragte interessiert nach. Sie wollte von dem fremden Land alles wissen, was er rekonstruieren konnte. Wie die Landschaft ausgesehen hatte, wie die Luft gerochen hatte und wie die Menschen dort gekleidet waren. Hjalmar hörte schweigend zu, nickte ab und an und lächelte, wenn seine Frau vor Freude strahlte. 

Rurik erzählte ihr all die schönen Dinge, die sie hören wollte, aber er liess die brutalen Details aus. Er wusste, dass sowohl Hjalmar als auch Salka nichts von dem Abschlachten und Blutbad wissen wollten, welches im Frankenreich veranstaltet worden war. 

Rurik erzählte ihr eine abenteuerliche Geschichte von hohen Wellen, einer idyllischen Stadt am Meer und kleinen dunkelhaarigen Menschen, die dort in Steinhäusern lebten. 

Er verriet nichts von der Überraschung. Er wusste, dass sich Salka sehr über eine neue Hilfskraft freuen würde. Die ehemalige Sklavin, die sie aufgrund des harten Winters verloren hatten, war Salka sehr nah gestanden. Seither musste seine Schwester sämtliche Hausarbeit selber erledigen, was für ihren immer dicker werdenden Körper einfach eine Qual war. Eine neue Sklavin würde ihr die tägliche Arbeit sehr erleichtern.

Am späteren Nachmittag machte sich Rurik auf den Weg in die Stadt, um seinen Anteil an der Beute und die Sklavin abzuholen.

Das Wetter hatte umgeschlagen, ein Wind war aufgekommen und die Wolken hatten sich schwarz gefärbt. Es würde bald regnen.

Rurik wartete in der Schlange vor dem Sippenhaus. Vor ihm standen bereits einige Krieger und verharrten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Es war Ragnar Sigurdson sehr wichtig, dass er jedem einzelnen Krieger persönlich danken und ihm in die Augen schauen konnte, wenn er ihnen ihren Anteil reichte.

„Der Nächste!", rief der Diener, der die Tür zum Sippenhaus öffnete.

Als Rurik an der Reihe war, trat er ein. Die Wärme der Feuerstelle strömte ihm ins Gesicht. Seine Augen benötigen einen kurzen Moment, bis sie sich an die Lichtverhältnisse im Dunklen gewöhnt hatten. 

Ragnar Sigurdson sass etwas gelangweilt auf seinem Thron. „Rurik Jarson!", rief er, als er Rurik erblickte. „Schön, dich wieder unter den Lebenden zählen zu dürfen! Du warst wohl gestern genau so sturzbetrunken wie alle anderen! Bitte, bitte, komm näher!"

Rurik näherte sich dem Thron, er spürte die Hitze der Glut an seinen Kleidern. Es war stickig und warm und in der Luft hing noch immer der Duft von verschüttetem Met.

„Es war eine ausgezeichnete Feier, mein Jarl", sagte Rurik. „Entschuldige mein Erscheinungsbild, aber dir gebührt der Dank für meinen miserablen Zustand." Er deutete bei den Worten auf sein müdes Gesicht, was den Jarl auflachen liess.

„Es freut mich besonders, das von dir zu hören!", erwiderte Ragnar. „Ich habe keine Mühen gespart, um euch tapferen Männern die Freuden zu schenken, die ihr verdient habt."

„Es war ein grosszügiges und ausgelassenes Fest, mein Jarl. Wir stehen in deiner Schuld."

„Nein, ich habe zu danken! Selbstverständlich versorge ich meine Männer nur mit dem Besten, was Nordjütland zu bieten hat. Damit ihr wieder zu Kräften kommt! Das ist meine Aufgabe als Jarl. Ich stehe in deiner Schuld. Du bist hier, um dir deinen verdienten Anteil an der Beute zu holen. Aber bitte höre meine Worte, mein guter Mann, denn sie kommen von meinem Herzen." Ragnar griff sich mit der rechten Hand an die Brust. „Ich möchte dir für den Mut, den du in der Schlacht bewiesen hast und für deinen Beitrag, den du gemeinsam mit den anderen Männern geleistet hast, danken. Ich kann mich glücklich schätzen, solche Männer wie dich zu meiner Sippe zählen zu dürfen", führte er fort.

Rurik senkte anerkennend seinen Kopf.

„Ich erfülle nur meine Pflicht, mein Jarl. Meine Pflicht, die ich dir geschworen habe, als du zum Jarl von Nordjütland erkoren wurdest. Ich halte meinen Schwur. Du weisst, dass du auf das Haus Jarson immer zählen kannst."

Ragnar lachte auf. „Was für ein ehrenhafter junger Mann!", stiess er aus und hob einen Zeigefinger mahnend in die Luft. „Aber ich muss dir widersprechen. Du tust nicht nur deine Pflicht, nein, du tust mehr als das. Du gehst darüber hinaus. Dein ausserordentlicher Einsatz im letzten Winter hat vielen Menschen hier das Leben gerettet. Es war nicht deine Pflicht, aber du hast es dennoch getan, weil du wusstest, dass es das Richtige ist. Davor habe ich grosse Hochachtung. Du bist ein guter Mann, Rurik. Solche Männer braucht unser Land!"

Rurik blickte seinem Jarl erstaunt in die Augen, welche wie ein Turmalin blaugrün glitzerten.

„Danke, mein Jarl. So viel Lob habe ich wirklich nicht erwartet."

Ragnar schmunzelte, was seinen Mund aufgrund der wulstigen Narbe in eine Schieflage verzog. „Du hast dir diese Anerkennung wahrhaftig verdient. Aber kommen wir zur Sache, mein Freund. Es warten ja noch viele andere da draussen auf ihren Anteil und auch mir dröhnt der Schädel von letzter Nacht. Durup, bring uns die Sachen!"

Er winkte seinem Diener zu, der sich mit der Sklavin und einem Lederbeutel den beiden Männern näherte. Ragnar erhob sich von seinem Thron.

„Hiermit überreiche ich, Ragnar Sigurdson — Jarl von Nordjütland und Eroberer des angelsächsischen Reiches und des Frankenreiches, dir, Rurik Jarson — Jäger von Vestervig und wohl der schnellste Mann von Nordjütland — offiziell deinen Anteil: Du erhältst für deine Heldentaten einen Zweihundertstel vom unserem ersten Raubzug im Frankenreich!", verkündete Ragnar feierlich.

Rurik nahm den Beutel in eine Hand und das Seil mit der Fränkin in die andere und ging vor seinem Jarl auf die Knie — als Zeichen seines tiefen Respektes.

„Mein Jarl, ich danke dir für deine Grosszügigkeit und all die Anerkennung. Bei Odin schwöre ich dir, dass meine Axt deine ist und dass meine Hand ausführen soll, was du befehligst!"

Ragnar grinste breit und näherte sich Rurik. Er bat ihn, sich wieder aufzurichten und als Rurik vor ihm stand, griff er ihm beim Nacken und starrte ihm in die Augen. Sie standen Stirn an Stirn. Ragnar fletschte die Zähne.

„Ja, wenn das so ist, Rurik", flüsterte er ihm ins Gesicht und schielte zur jungen Sklavin hinüber. „Das nächste Mal, wenn du eine solche Perle am Strand findest, dann bring sie mir, anstatt sie für dich zu behalten. So wie es sich gehört. Hast du verstanden?"

Rurik ballte seine Hände zu Fäusten, sodass die Münzen im Beutel klirrten.

„Verstanden, mein Jarl", murmelte er durch zusammengepresste Zähne. Er hatte es geahnt. Er hatte es geahnt, dass etwas an Ragnars übertriebener Freundlichkeit faul sein musste.

Ragnar liess in los und stieg wieder auf seinen Sessel.

„Wir sehen uns. Jetzt mach, dass du wegkommst, bevor ich es mir anders überlege und mir diese Walküre zum Nachtisch nehme!"

Dann lachte er und winkte Rurik davon.

・・・

Das Seil um ihr Handgelenk spannte sich an. Der blonde Wikinger lief los und zog sie hinter sich her. Aveline strauchelte und folgte ihm. 

Noch immer spürte sie den Blick des bärtigen Anführers auf ihrem Körper. Schon während der Feier hatte er so gestarrt, als wolle er sie fressen. Sein Blick war so unangenehm, dass ihr die Angst in die Knochen kroch. Sie starrte auf den Boden.

Von dem Gespräch zwischen den zwei Männern hatte sie rein gar nichts verstanden. Doch eines hatte sie deutlich gespürt. Die Anspannung in der Luft. Der Ton war gegen Ende nicht mehr freundlich gewesen und Aveline fragte sich, weshalb. 

Sie traten hinaus ins Tageslicht. Graue Wolken verdeckten den Himmel. Starke Böen wehten vom Meer zu ihnen herauf. Ein Sturm war im Anmarsch.

Der Mann bog in eine Seitenstrasse ab. Aveline bemühte sich, hinter ihm Schritt zu halten. Er schien es eilig zu haben.

Als sie den Stadtrand erreichten, atmete Aveline schwer. Sie war so rasches Gehen nicht mehr gewohnt und ihre gebrochenen Rippen erschwerten ihr das Atmen. Sie keuchte und versuchte, das Gleichgewicht mit ihren zusammengebundenen Händen nicht zu verlieren. 

Erste Tropfen platschten auf den Boden und vermehrten sich schnell zu einem strömenden Regen. Der Wikinger legte noch einen Zahn zu. Mit seinen langen, kräftigen Beinen auch kein Kunstwerk. Aveline stolperte mit dem Fuss über eine Wurzel und stürzte in den Matsch.

„Ah!", schrie sie.

Der Wikinger blieb stehen und drehte sich um. Er hatte nicht gemerkt, dass sein Schritt für sie wohl zu schnell gewesen sein musste.

Donner war in der Ferne zu hören. Der Regen fiel stärker auf sie herab und sickerte durch die Kleidung. Aveline blinzelte den Kerl unsicher an, als er sich über sie beugte.

Er streckte ihr seine Hand entgegen.

Sie zögerte einen kurzen Moment, aber legte dann ihre Hände in seine und liess sich wieder aufrichten.

Seine Finger fühlten sich stark und warm an. Er liess ihre Hand los und ging wortlos weiter, dieses Mal allerdings in einer gemächlicheren Geschwindigkeit, sodass sie ihm folgen konnte.

Sie erklommen einen Hügel, auf dessen Kamm ein Bauernhof stand. Eine Kuh und Schafe grasten zufrieden im Regen auf der Weide daneben. Das Schnauben und Wiehern von Pferden war zu vernehmen. Ein Huhn sprang flatternd über den Hofplatz zu einem Unterstand.

Aveline warf einen Blick über ihre Schulter. Der Bauernhof bot einen weiten Ausblick über die Siedlung und das Meer. Die Stadt, aus der sie gekommen waren, lag am Fusse des Hügels, direkt am Strand. Sie war froh, dass sie so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und diesen unheimlichen Anführer gewann. 

Der Mann steuerte auf das grosse Wohnhaus zu. Kurz vor der Eingangstüre blieb er stehen und drehte sich zu Aveline um. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Körper bebte vor Kälte. Was er wohl von ihr wollte?

Er zog am Seil, sodass sie ihm schrittweise näherkommen musste, bis sie direkt vor ihm stand. Als wäre sie ein Fisch, den er aus dem Wasser zerrte. Aveline blickte in seine eisblauen Augen und erschauderte. Sie hatte Angst. Was würde er ihr antun?

Du skal ikke være bange", sagte der Wikinger. Seine Stimme war tief und ruhig. Er führte seine Finger an ihre Handgelenke und öffnete den Knoten. Das Seil fiel von ihren Händen.

Überrascht blickte sie auf ihre Arme und rieb sich die wunden Gelenke.

Det er min hus", fügte er hinzu und zeigte mit dem Daumen auf das Gebäude hinter ihm. 

Aveline verstand ihn beim besten Willen nicht, selbst wenn sie sich bemühte. Diese Sprache war mit Nichts zu vergleichen. Kein Wort klang vertraut. Sie nickte vorsichtig und überlegte, was er wohl gemeint haben könnte.

Der Wikinger schmunzelte. Das verwirrte sie bloss mehr. Dann nahm er sie am Oberarm und führte sie ins Haus.

・・・

Die Tür krachte hinter ihr laut ins Schloss, sodass Aveline zusammenzuckte.

Sie blieb am Eingang stehen, die Augen fest auf den Boden fixiert. Der Wikinger schritt in den Raum und als der Schatten seines breiten Rückens von ihr fiel, spürte Aveline augenblicklich die Hitze des Feuers an ihren Wangen.

Unsicher hob sie den Blick und betrachtete den Raum, in welchen sie soeben getreten war. Es war eine Wohnstube, die überhaupt nicht jener glich, die sie von ihrem eigenen Zuhause kannte.

Eine grosse Feuerstelle befand sich in der Mitte. Über den Flammen hing an einem Dreibeiner ein Messingkessel. Etwas blubberte darin. Der Boden war mit Tierfellen drapiert worden und lud dazu ein, sich hinzulegen.

Auf der rechten Seite des Raumes stand ein massiver Esstisch und gleich daneben erkannte Aveline eine Küchennische, in welcher Utensilien, Löffel, Schüsseln, Teller und Becher säuberlich aufbewahrt wurden. Auf der gegenüberliegenden Seite, hinter roten Tüchern, vermutete Aveline die Schlafgemächer.

Während sie ihren Blick durch den Raum schweifen liess und alles aufsog, was sie sah, erblickte sie eine blonde Frau, die mit einem langen, geflochtenen Zopf auf einem Hocker neben der Feuerstelle sass. Eine graue Decke bedeckte ihre Beine. Ihre Hände, mit welchen sie einen Knäuel Wolle filzte, lagen auf dem Schoss. Ihr Bauch war geschwollen.

Aveline blinzelte verwirrt, denn sie hatte etwas anderes erwartet. Noch mehr behaarte Männer, schmutzige und widerwärtige Kreaturen, wie sie sich die Normannen eben vorstellte, aber keine so anmutig wirkende, schwangere Frau.

Die hellblauen Augen der Wikingerin richteten sich auf sie. Aveline wich automatisch einen Schritt zurück.

Die Schwangere erhob sich und kam auf sie zu.

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