Kapitel 14

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Lex konnte nicht schlafen. Egal, wie er sich drehte und wendete. Egal, wie lange er versuchte, flauschige Schäfchen zu zählen, weder sein Verstand noch er kamen zur Ruhe. Alles, was er in den vergangen Tagen erlebt hatte, wiederholte sich, indem es sich jetzt wieder und wieder vor seinen Augen abspielte. Die trampelnde Meute, die ihn fast totgetreten hatte, der Würgegriff, der jetzt noch seinen Hals wie einen Regenbogen in unwirklichen Farben glänzen ließ, der Stich in seiner Schulter, den er sich am liebsten weg wünschte, die fürchterliche Hinrichtung des Fischers, wissend, dass die mächtigsten Männer jetzt ihn suchten, die Schläge gegen die Dämonenbesessenen im Freiheitshaus und schließlich die Leiche, deren groteske Verstümmelung kaum noch einem menschlichen Wesen glich. Es machte ihn fertig. Alles, was die Gläubigen taten war, die Angst in den Menschen zu sähen und diese dann immer und immer wieder zu füttern. Ein Volk, welches vor Angst unbeweglich war, würde niemals auf den Gedanken kommen, sich zu wehren. Nicht, wenn es wieder und wieder und wieder an die Konsequenzen erinnert wurde.

Erneut wandte er sich auf seiner wurmzerfressenen Pritsche. Ließ das alte Ding unter seinem Gewicht knarzen, richtete die löchrige Decke, mit der er sich versuchte warm zu halten. Draußen wütete ein gewaltiger Sturm. Heftige Regengüsse schlugen wie gestern gegen das Fenster. Einige Ziegel des gegenüberliegenden Hauses wurden wie Blätter im Herbst durch die Luft gewedelt. Blitz und Donner wechselten sich in einem rasanten Fangspiel ab.

„Du solltest versuchen zu schlafen, Lex", sagte seine Mutter liebevoll, als Donner und Wind ihr die Möglichkeit baten. Offenbar erging es ihr ähnlich wie ihm. Sie wirkte zerzaust. Ihre Haare ungewöhnlich wirr und ihr Atmen ungleichmäßig.

„Ich würde gerne, aber ich sorge mich."

„Du brauchst keine Angst zu haben. Liam geht es gut. Er ist nicht alleine, dort draußen", versuchte sie ihn zu beruhigen. Doch Lex wusste nicht, wie er den Worten seiner Mutter Glauben schenken sollte. Wie gerne hätte er Liam in Sicherheit gewusst – hier neben ihm liegend; und nicht dort draußen in der kalten stürmischen Nacht, in der irgendein Monstrum zufällige Menschen in einen Haufen Schnodder und Knochensplitter verwandelte. Hätte er ihn doch nur davon abgehalten, verhindert, dass Liam diese Dinge zum Hausherren sagte. Er schämte sich dafür und noch mehr schämte er sich, nichts gegen den Hausherren unternommen zu haben, der mit seinem ganzen Geld in die nächstbeste Brauerei verschwunden war.

„Weißt du, was es ist? Was dort draußen die Menschen zerfleischt?", fragte Lex seine Mutter.

Nach einer Weile des Denkens sagte sie schließlich, sie könne sich keinen Reim auf die Ereignisse machen. Noch nie hat sie solche Dinge gesehen, allerdings in Berichten aus vergangener Zeit habe sie ähnliche Dinge gehört.

Eine neue Welle aus Angst und Kummer schwappte über Lex, erfüllte ihn mit Traurigkeit. Er biss seine Unterlippe leicht, versuchte nicht in Tränen auszubrechen. Doch er konnte sie nicht zurückhalten. Sie liefen einfach. So lange, bis ihn der Schlaf zu sich holte.

Er schreckte auf, sein Arm hämmerte. Schmerzen durchzogen ihn wie ein Fluss von seinen Fingerspitzen bis hin zu seinem Kiefer.

„Der Verband muss gewechselt werden!", keuchte er. Die Heilkraft der geriebenen Schmierkwurzeln beschränkte sich lediglich auf das Betäuben der Wunde. So konnte er zwar tagsüber problemlos seinen Arm bewegen, allerdings spürte er das Nachlassen der Medizin umso mehr. Er hob den Deckel des braunen Tonschälchen und verteilte die hellgrünen Paste großzügig auf den Leinen, die er sich um die Brust und Schulter band. Da ihm nur eine Hand frei war, zog er die Schlaufe mit seinem Mund fest. Gleichzeitig unterdrückte er das schmerzliche Gefühl, dass durch den neuen Druck entstand. Doch bald schon wirkte der betäubende Verband und Lex konnte wieder gewohnt atmen.

Er schlich in dem dunklen Raum rüber zum Bett seiner Mutter, im Versuch sie nicht zu wecken. Sie schlief seelenruhig. Die ausgelegene, vergilbte Matratze zeugte von vieler Benutzung. Langsam trennte er die dünne Stoffdecke von den Waden seiner Mutter. Tiefe Löcher, die sich in beide Beine bohrten und das wunde rosa Fleisch zeigten, entdeckte er jeden Morgen aufs Neue. Schaudernd zählte er sie in der Hoffnung, dass sich nicht über Nacht ein neues Loch gebildet hatte. Einige Flecken spuckten gelben Eiter, aus anderen schwappte dunkelrotes Blut. Mindestens einmal am Tag erneute Lex die Bandagen an den Beinen. Schmierte sie gegen den Schmerz mit Schmierkwurzeln ein und wechselte das Tuch, das um ihre Taille gebunden und mit stinkendem Inhalt gefüllt war.

Seine Mutter hatte großes Glück und großes Pech zugleich. Zum einen würde es ewig dauern, bis die Löcher in ihren Beinen sich zu einen so großen Fleck entwickelt haben würden, dass sie wirklich daran sterben würde. Zum anderen bedeutete es aber auch, dass sie lange Qualen erleiden würde. Lex kannte Fälle, da hatten die Löcher auf dem Bauch oder auf dem Kopf angefangen und nach wenigen Tagen verstarb die Person. Schreckliche Bilder von Menschen, die in dem Krankenstadtteil tot mit aufgequollen Bäuchen oder herauslaufender Hirnmasse auf den Straßen gefunden worden waren.

Er schüttelte seinen Kopf, wollte die Bilder loswerden. Der Sturm, der in der Nacht wütete, klang allmählich ab. Dennoch blieb die Schwärze der Wolken über der Stadt erhalten und irgendwas schien im zu sagen, dass es eine Weile so bleiben würde.

Seine Mutter war so erschöpft, dass sie während des Prozesses nicht aufwachte. Mit einem Blick in die leere Schale stellte Lex fest, dass er neue Schmierkwurzeln besorgen musste. Leise packte er seine Sachen und verließ das Haus. Frischer Regen wusch die stinkende Luft nach unten. Überall verstreuten sich Ziegel, die einst die Dächer zierten, auf dem Boden. Abgerissene Äste und herausgerissene Steine marmorierten den durchtränkten Untergrund. Seine Schuhe schmatzen und spritzten Dreck, als er durch die Straßen rannte. Sein Ziel war klar. Er wollte Liam finden. Jede Sekunde, die er länger suchte, ließ sein Herz vor Sorge schneller schlagen.

„Du schon wieder. Du warst doch gestern schon hier?", reif eine männliche Stimme hinter ihm - der Hüne von gestern. Er trug einen Verband um seine Schultern.

„Ja, ich suche Liam. Hast du dich verletzt?", fragte Lex.

Doch der Hühne runzelte nur fragend seine Stirn.

„Liam? Ich habe ihn vorhin zum Fluss laufen sehen. Er meinte, er konnte nicht schlafen und wollte sich wenigstens ein Frühstück fangen", sagte er sein Kinn greifend ohne weiter auf den Verband einzugehen. Lex wollte sich gerade bedanken und gehen, da wurde er unterbrochen.

„Junge, sei vorsichtig! Was auch immer in der Nacht sein Unwesen treibt, hat erneut zugeschlagen. Pass auf, dass du diesem Ding nicht in die Arme rennst, falls es überhaupt Arme haben sollte."

Da kam sie wieder, die Angst, die mit der Furcht zum Unbekannten die Hand hielt. Er wollte nicht wissen, was ihn in den dunklen Ecken des Elendsviertels auflauern würde. Im Endeffekt war er nur ein unbedeutender armer Junge, der keinen Einfluss auf die Machtspiele der Reichen hatte. Der keinen Tropfen Wein jemals in seinem Leben zu Gesicht bekommen würde. Niemand scherte sich, darum, was mit ihm geschehen würde. Ob er nun von einem obskuren Monster oder von gehässigen Menschen verfolgt wurde, machte kein Unterschied für Lex.

Bei jedem Schritt wandte er sich um, schaute in die teilweise zersprungen Scheiben. Auf den Straßen tuschelten die Menschen. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, neugierigere Augen in seinem Rücken zu haben. Er beschleunigte. Sein Gehen wurde zum Laufen, sein Laufen zum Rennen. Bis er bald atemlos den Fluss erreichte.

Er sah Liams Fischerrute, der wie ein Ast hinter dem Baum hervorlugte und dessen Ende im seichten Wasser des Flusses trieb.

„Hey!", rief Lex.

Liam schreckte auf, schwang herum und hielt die Fischerrute wie eine Waffe bedrohlich vor sich, als würde er damit zuhauen wollen. Bis er erkannte, wer vor ihm stand.

„Oh, du bist es", sagte er erschöpft und ließ sich zusammen mit der angestauten Angespanntheit ins nasse Gras fallen.

„Ich bin froh, dass es dir gut geht!", sagte Lex und setzte sich zu ihm. Liams Augen strahlten Müdigkeit ab. Die dicken Augenringen zeugten davon, dass er keine einzige Sekunde schlafen konnte. Umso erschöpfter lehnte er nun an der großen Eiche, gegen den Schlaf ankämpfend.

„Dein Verband ist wie von einem Laien gewechselt", neckte Liam Lex. „So stümperhaft, dass ich mich frage, wie das Ding noch nicht von selbst abgefallen ist."

„Was meinst du, dass ich das mit einer Hand selbst hinbekomme? Ich bin froh, dass der hält."

„Schau nicht so stolz. Das hättest du auch besser hinbekommen. Komm her, ich habe dir gestern den Verband umgebunden, dann kann ich dir den heute auch erneuern."

„Seit wann kannst du Verbände binden?"

Liam schaute sich um, bis er schließlich mit seinen Augen einen Punkt fixierte.

„Da!", rief er voller Enthusiasmus und lief zu einem grünen Kraut. „Deine Mutter ist eine wunderbare Frau, Lex. Bis ich sie kennengelernt hatte, hielt ich dieses Zeug für Unkraut. Aber, dass es solch eine wundervolle Wirkung auf Wunden hat, ist unglaublich. Das sollte jeder wissen."

„Besser nicht", unterbrach Lex die Lobpreisung von Liam.

„Warum denn nicht?"

„Weil das von Menschen als Hexenwerk gesehen werden kann!"

„Aber sie hat es mir gezeigt", versuchte Laim zu protestieren.

„Weil sie weiß, dass du ein guter Mensch bist und du sie niemals als Hexe betiteln würdest und weil ich dich mag."

Über den letzten Teil hatte Lex nicht nachgedacht. Es war ihm einfach so herausgerutscht. Sofort stieg ihm die Röte ins Gesicht und er hoffte inständig, dass Liam dies nicht falsch verstehen würde. Doch Liam starrte ihn nur an, bis er irgendwann seinen Kopf schüttelte, als wäre er gerade aus einen Tagtraum erwacht.

„Du hast kaum geschlafen oder?", fragte Lex, auch wenn er die Antwort schon kannte, um von seiner Aussage abzulenken.

„Ich habe gar nicht geschlafen", sagte Liam und nutzte die Gelegenheit das grüne Kraut zu pflücken. Zerrieb es in seinen Händen, bis schließlich die Blätter und Stängel zu der grünen Masse wurden.

Lex ließ sich an der alten Eiche nieder. Die frische Luft durchströmte seine Nase. Er sog sie gierig und atmete tief durch. Das Gras war feucht. Er spürte es durch seine Hose weichen, allerdings störte es ihn nicht. Sie würde trocknen und er würde sowieso noch eine Weile hier bleiben und warten, bis Liam seinen ersten Fisch fing. Doch dieser hatte andere Ideen. Er kniete sich neben Lex und löste die stümperhafte Schlaufe des Verbandes. Er brachte vorsichtig das zerriebene Kraut auf der Wunde auf.

„Und, wie schlimm sieht es aus?", fragte Lex.

„Willst du es wirklich wissen?"

„Ich bin mir nicht sicher!"

„Ich habe abgebrannte Häuser gesehen, die besser aussahen. Aber es blutet nicht und vor allem eitert es nicht. Das heißt, es ist nicht entzündet. Und du wirst erst einmal nicht daran sterben", sagte Liam und legte ihm den Verband um – besser, fester als zuvor. Er rollte sich zu Lex' Seite an den Baum und starrte zum Fluss. Seine Angel bewegte sich unberührt auf den seichten Wellen des Wassers.

„Danke, Liam", sagte Lex. Wie friedlich diese Welt sein konnte, wenn sie wollte, wären da nicht die Menschen, die ihre Ansehnlichkeit hässlich machten.

Doch diese Worte hörte Liam nicht mehr. Er war eingeschlafen, tief und fest. Sein Kopf rutschte zur Seite, bis er auf der Schulter von Lex zum liegen kam. Plötzlich stieg in Lex das Verlangen auf, mehr solcher Momente haben zu wollen.

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