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Wir denken viel zu wenig an die Menschen, die unser Leben nur am Rande berühren, es aber wesentlich beeinflussen. "Da bin ich dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen", sagen viele und vergessen dabei, dass nicht sie gesprungen sind, sondern man sie von der Schippe heruntergeholt hat. Natürlich haben die Menschen, die tags und nachts in Nothilfen und Ambulanzen ausharren, die dann in höchster Geschwindigkeit zu Hilfe eilen und manchmal stundenland ohne Pause daran arbeiten, dem Tod sein Opfer zu entreißen, nur ihren Job getan. Aber sie haben sich das freiwillig ausgesucht. Und sie tun es nicht wegen des Geldes (so gut werden sie gar nicht bezahlt), sondern um zu helfen. Im Bewusstsein, dass für sie selbst dann Dinge wie regelmäßiger Feierabend, feste Pausen, geregeltes Familienleben und ununterbrocher Schlaf nicht mehr existieren. Nur um die Chance zu haben, in ein Leben einzugreifen, welches vom Schicksal beendet, stark eingeschränkt oder voller Schmerzen sein sollte. Und damit vieles zu verändern.
Hier ist mein Dank für diese Menschen.

„All this running around, well, it's getting me down..." Der tiefe, raue Bass übertönt sowohl den Staubsauger als auch den Sänger auf dem Monitor mit falschen Tönen und deplacierten Kieksern. Es stört ihn nicht. Er ist allein und dann darf er singen, wie er will. Laut, schief und mit einer Stimme, die Tote wecken würde und sie bewegen würde, sich die Ohren zuzuhalten.

„Just give me a pain that I'm used to ..."

„Ich glaube nicht, dass ich mich jemals an diese Pein gewöhnen werde!" Das Lachen seines Schwiegersohnes beendet seinen Gesang abrupt. Überrascht dreht er sich um.

„Ich habe euch gar nicht kommen gehört!" Er stellt den Staubsauger ab, die Videoaufnahme auf Standbild und breitet die Arme aus.

In die fliegt seine Enkelin sofort hinein. „Opa, du singst einfach schauderhaft", kichert sie und bedeckt sein faltiges Gesicht mit Küssen. „Du bist der liebste Mensch auf der Welt, aber singen kannst du nicht!"

„Ich weiß", gibt er zu und nimmt die Kleine fest in die Arme. „Aber das ist doch kein Grund, es nicht zu tun? Zumindest, wenn es keiner hört?"

Seine Tochter lächelt. „Du hast immer gerne gesungen. Und uns damit zum Lachen gebracht. Mama hat uns ermahnt, dir nie zu sagen, wie grausam du klingst. Aber das wusstest du ja selbst."

Er grinst. „Ich wäre gerne Sänger geworden", gibt er zu. „Aber manchen ist es eben nicht gegeben."

„Dafür wurdest du Arzt", tröstet sein Schwiegersohn. „Du hast zwar der Welt keine Musik geschenkt. Aber vielen Menschen hast du ein neues Leben gegeben. Das ist doch viel mehr wert."

„Natürlich", seine Enkelin reibt ihre zarte Wange an seiner stoppeligen und kichert ob des kitzelnden Gefühls. „Als Sänger hätten dich viel mehr Menschen gehört. Aber als Arzt hast du sie gesund gemacht oder ihnen das Leben gerettet. Das kann so ein Sänger nicht."

„Ich weiß nicht", sinniert sein Schwiegersohn. „Ich habe in meiner Praxis oft erlebt, dass Menschen sich an bestimmte Lieder klammern, um nicht aus dem Leben zu fallen. Oder sie erzählen mir, wie ein bestimmter Song sie beeinflusst hat. Sie davon abgehalten hat, ihrem Leben ein Ende zu setzen; ihnen klargemacht, dass sie mit ihren Sorgen nicht alleine sind; sie getröstet hat."

Seine Tochter bestätigt das. „Das sagen mir meine Patienten auch. Und gerade diese Band", sie weist auf das Standbild auf dem Bildschirm, "die scheint für jede Lebenslage einen Song geschrieben zu haben. Und damit haben sie viele Menschen erreicht, wenn sie am dunkelsten Punkt ihres Daseins angelangt waren. Es ist viel mehr als nur Musik, die sie der Welt gegeben haben."

„Ja", sagt er nachdenklich. „Das ist einer der Gründe, warum ich sie so gerne höre. Und singe."

„Und die anderen?", fragt seine Enkelin.

Er tauscht einen Blick mit seiner Tochter. „Darüber spreche ich eigentlich nicht gerne."

„Das solltest du aber", widerspricht sie. „Wenigstens hier und jetzt." Sie zieht die Tochter an sich. „Weisst du, dein Opa hat der Welt tatsächlich wunderbare Musik geschenkt. Das weiß aber kaum jemand."

„Opa?" Die Kulleraugen werden groß. „Aber Opa kann doch gar nicht singen. Oder ein Instrument spielen. Und Noten kennt er auch nicht."

„Nein, aber er hat aber etwas viel Wichtigeres getan", erklärt seine Tochter.

„Erzählst du's mir, Opa?", bettelt die Kleine.

„Na gut", er setzt sich aufs Sofa und seine Enkelin schmiegt sich an ihn. „Weisst du denn schon, was Drogensucht bedeutet?" fragt er sie.

Sie nickt ernsthaft. „Zu Mama kommen auch Menschen, die drogensüchtig sind. Die sind erst sehr traurig gewesen und die Drogen haben ihnen geholfen. Aber dann haben sie nicht aufhören können mit den Drogen und sie konnten ohne die nicht glücklich sein. Mama hilft ihnen, auch ohne Drogen nicht mehr traurig zu sein."

„Ja, so kann man es wohl auch sagen. Menschen, die Drogen nehmen, sind nicht glücklich. Und oft sind es Menschen, von denen man es nicht erwarten würde. Man denkt, die haben doch alles, sie sind reich, berühmt, haben Erfolg im Leben. Aber gerade sowas kann sehr anstrengend und belastend sein.

Ich habe eine Zeitlang im Notdienst gearbeitet. Das ist auch sehr anstrengend und sehr verstörend, denn immer wieder kommt man zu spät und kann nur noch Tote bergen. Oder man erlebt, wie sie einem im Rettungswagen unter den Händen versterben. Das halten die meisten nur einige Jahre lang durch. Ich habe mich freiwillig für den Notdienst gemeldet. Mir war klar, dass ich es auch nur einige Jahre lang schaffen würde. Aber in diesen Jahren hatte ich eine Chance, etwas zu ändern. Menschen zu retten, bei denen es auf jede Minute ankommt."

„Und du hast viele gerettet, nicht wahr, Opa?"

„Ja, schon. Es gab jedoch auch viele, denen ich nicht mehr helfen konnte. Aber ich habe es versucht. Selbst wenn die Chancen gering waren, ich habe es immer versucht.

Einmal wurden wir zu einem Hotel gerufen. Im Zimmer fanden wir zwei panische junge Männer vor und auf dem Boden lag ein Toter. Auf dem ersten Blick schien es, als sei alles zu spät.

Ich sah mir den Toten genauer an. Er war etwa dreißig, viel zu jung zum Sterben. Die Todesursache war klar. Einer der beiden anderen zeigte uns eine Spritze und erklärte, darin sei ein Speedball gewesen. Das ist eine sehr gefährliche Mischung aus zwei Drogen, die schon viele Opfer gefordert hat.

Der Mann auf dem Boden zeigte keinerlei Lebenszeichen mehr. „Exitus", sagte mein Kollege leise. Wieder ein Opfer mehr.

Aber plötzlich wurde ich wütend. Jedes Opfer ist eines zuviel. Ich wollte es versuchen. Und ich begann mit Wiederbelebungsmaßnahmen.

Mein Kollege schüttelte den Kopf darüber, half aber mit. Unser dritter Mann bereitete mittlerweile die Trage vor. Die beiden Freunde des Toten halfen uns, ihn auf die Trage zu betten und wir verbrachten ihn in den Wagen und schlossen ihn an die Maschinen an, die seinen Körper noch eine Weile funktionieren lassen würden. Und wir arbeiteten weiter an ihm, obwohl eigentlich keine Hoffnung mehr bestand.

Aber als ich einen Moment innehielt, bemerkte ich, dass das Herz wieder schlug. Und der Mann auch atmete. Viel zu schwach, um genügend Sauerstoff zu bekommen, aber dafür gab es ja die Beatmungsgeräte. Jedenfalls kehrte unser Patient ins Leben zurück. Und blieb dort, bis wir im Krankenhaus ankamen.

Im Notdienst zu sein, bedeutet auch, die Patienten abzugeben. Wir brachten ihn in die Notaufnahme, übergaben ihn den Ärzten dort und gingen wieder. Wir mussten den Wagen desinfizieren und für den nächsten Patienten vorbereiten.

Mir ging der junge Mann nicht aus dem Kopf. Wir haben viele Patienten wiederbelebt, um dann zu erfahren, dass sie im Krankenhaus dann doch gestorben waren. Auch diesmal wollte ich es wissen und fragte zwei Tage später nach.

Er hatte es überlebt. Und noch besser, er war mehr als bereit zu einem endgültigen Entzug. Es bestand also eine reelle Chance, dass er noch ein langes, erfülltes Leben haben würde – ohne Drogen."

„Hast du ihn mal wiedergetroffen?"

„Nein. Aber ich habe von ihm gehört. Sehr oft, auch heute noch. Und ich freue mich jedes Mal von neuem darüber, dass ich damals nicht aufgegeben habe."

„Ruft er an?"

„Nein, das ist es nicht. Er hat uns einmal geschrieben und sich bei uns allen bedankt, dass wir ihm damals das Leben gerettet haben. Und er hat die Chance auf ein zweites Leben genutzt. Drogen hat er meines Wissens nie wieder genommen. Dafür hat er sich selbst neu erfunden. Zuvor war er Sänger und Musiker, danach schrieb er auch eigene Songs."

„Viele?"

„Sehr viele, Kind. Er und seine Kollegen gehören zu den produktivsten Musikern auf dieser Welt."

Sein Schwiegersohn reißt die Augen auf. „Er?" Er weist auf den Bildschirm, auf dem der vom Standbild festgehaltene Sänger noch immer zu sehen ist.

„Ja. Er."

Seine Enkelin begutachtet den Sänger, den Gitarristen neben ihm, den Mann am Keyboard dahinter. „Ich mag die Musik sehr gerne."

„Ich auch. Und seit diesem Vorfall noch mehr." Er lächelt. „Ich bin zwar vollkommen unmusikalisch. Und dabei hätte ich der Welt gerne schöne Musik geschenkt. Aber dafür tun sie es.

Und immer, wenn ich sie höre, denke ich, einen kleinen Anteil daran habe ich auch."

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