Avery

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Ich brauchte ein, zwei Tage, bis ich wieder den Alltag komplett zulassen konnte. Das es nicht angenehm in dem Camp sein würde, hatten sowohl Linda, als auch Roxy zu mir gesagt, aber damit hatte ich nun nicht gerechnet.

Munch hatte uns ungesichert einen Baum hochgeschickt und dabei in Kauf genommen, dass wir uns ernsthaft verletzten konnte. Und bei mir war er sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Er hatte mein Leben aufs Spiel gesetzt, nur um seine Macht zu demonstrieren.

Ich hatte ja schon einiges an Filmen gesehen und Bücher gelesen, wo Kinder in irgendwelchen Einrichtungen misshandelt und gebrochen wurden, aber es jetzt live am eigenen Körper zu erleben, das fühlte sich komplett surreal an. Als würde ich mich in einer anderen Realität befinden.

Nun verstand ich auch, warum die Anderen sämtliche Kommentare und Schikanen der Betreuer über sich ergehen ließen.

Was mich allerdings immer noch wunderte, war die Tatsache, dass dieses Camp überhaupt noch existierte. Hatte denn niemand, der seine Zeit abgesessen hatte, mal die Polizei gerufen oder ähnliches?

Ich überlegte, ob ich die Anderen aus meiner Gruppe fragen sollte, traute mich dann aber doch nicht.

Nun allerdings in dieses schreckliche Wissen eingeweiht zu sein, was die Anderen teilten, ließ mich ein wenig Abstand von den Anderen nehmen. So verkroch ich mich die ersten zwei Tage nach dem Abendessen im Zelt oder an den Strand. Mir war einfach nicht nach Gesellschaft, auch wenn ich zugeben musste, dass Roxanne's Versuch mich zu trösten, mir gutgetan hatte.

Sie war nicht der sozialste Mensch, aber die Tatsache, dass sie es versuchte, rechnete ich ihr hoch an. Ich hatte die Vermutung, dass sie eigentlich ein eher unsicherer Mensch war, dies aber hinter einem großen Mundwerk verbarg. Vielleicht hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht und ließ deshalb niemanden an sich heran. Aber wer war ich, das zu beurteilen?

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Zwei Tage nach dem Vorfall mit dem Baum, nähte ich am Nachmittag mit den anderen Mädchen zusammen, was ich so gut wie gar nicht konnte. Zu meiner großen Überraschung, konnte Roxanne es allerdings erstaunlich gut. Sie schien mir eigentlich nicht der Typ, der so etwas handwerkliches tat. Aber man konnte bei jedem Menschen immer wieder auf Überraschungen stoßen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um sowohl Daisy als auch Roxanne zu fragen, was mir auf dem Herzen lag.

„Warum hat eigentlich niemand hier mal die Polizei gerufen? Warum sind die nicht längst aufgeflogen?", fragte ich.

Roxy sah sich um, ob auch niemand zuhörte, ehe sie sich zu mir beugte um mir beim Nähen zu helfen.

„Weil sie jeden, von dem sie auch nur denken, dass er etwas sagen könnte, einschüchtern oder bedrohen. Ein Typ, der nur ein paar Monate vor mir hergekommen ist, wollte nach seiner Entlassung den Cops melden, was hier passierte. Hempton hat dann gedroht, ihn als psychisch krank darzustellen oder seinen Aufenthalt zu verlängern. Er wollte wohl behaupten, der Junge habe das Personal und andere Jugendliche angegriffen. Das machen die hier mit jedem. Und wenn doch mal irgendjemand gekommen ist, um das zu überprüfen, dann haben sie hier als „heile Welt" gespielt. Keiner sagt gegen das Camp aus. Und wenn sie glauben, dass du es versuchst, dann werden sie dir das Leben wirklich zur Hölle machen", flüsterte sie mir zu.

Bei ihren Worten lief es mir kalt den Rücken runter. Hätte sie mir das vor zwei Tagen noch gesagt, hätte ich sie vermutlich ausgelacht. Aber seit dem Vorfall mit dem Baum, wusste ich, dass sie durchaus recht haben konnte.

„Avery, du musst deine Stiche enger machen, sonst geht die Naht wieder auf", sagte sie dann.

„Okay", murmelte ich und folgte ihren Anweisungen.

„Ich wusste gar nicht, dass du so gut nähen kannst. Woher kannst du das denn?", sagte ich dann zu ihr.

„Hat mir meine Oma beigebracht. Ich wusste auch nicht, dass du so gut klettern kannst."

„Ja, ich bin Freeclimber. Amsterdam ist perfekt dafür. Überall alte Gebäude, Häuser, Säulen. Da kann man sich wirklich austoben", erzählte ich lächelnd.

Zuhause. Was würde ich jetzt nicht dafür geben, mit Eva und Carlotta irgendwo ein Eis zu essen. Oder mit Mom über den Markt zu schlendern und die Tulpen dort zu bewundern. Oder mit Dad eine Bootstour zu machen.

Noch immer fragte ich mich, wie sie mich einfach während des Schuljahres hierherbringen konnten? Und da Roxy mir gerade gesagt hatte, wie meine Aussichten waren, irgendwas gegen dieses Camp zu unternehmen, musste ich wohl wieder meine ursprüngliche Idee ausgraben.

„Ist es denn schön in Amsterdam?", fragte Daisy da und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja", antwortete ich und für die restliche Zeit unterhielten wir uns über meine Heimatstadt und sprachen das Thema „Camp" nicht mehr weiter an.

Nach dem Abendessen, schlenderte ich durch das Camp. Um meine Idee in einen Plan zu verwandeln, musste ich mir erstmal einen Überblick verschaffen.

Ich ging bis zu der Stelle, wo vor zwei Tagen der Schwimmunterricht abgehalten wurde. Der Sportplatz lag in einer Bucht. Am Strand gab es einen kleinen Hügel, auf dem ein paar Bäume wuchsen. Ich sah mich um. Das Wasser kam vom Meer hierher, das Heißt, das hieß das die Strömung...

„Avery?"

Ich drehte mich um. Harry stand hinter mir. Er wirkte besorgt.

„Was machst du hier?", fragte er dann.

Ich brauchte einen Moment, bevor mir eine Antwort einfiel.

„Ich wollte mich ein wenig umsehen. Mein Sinn für Orientierung ist echt unterentwickelt."

Man musste kein Genie sein um zu sehen, dass Harry mir das nicht wirklich abkaufte.

„Avery...was hast du hier wirklich gemacht?", fragte er dann ruhig, aber ich hörte den Unterton in seiner Stimme.

Er ließ sich nichts vormachen.

„Ich hab mich nur umgesehen", antwortete ich.

Das war keine Lüge. Harry sah mich prüfend an. Offenbar versuchte er gerade die Hintergründe für meine Aussage zu sehen.

„Wonach hast du dich umgesehen?"

„Das... das ist meine Sache", sagte ich, da sein Blick mir nun doch unangenehm wurde.

Diese grünen Augen, die mich so ernst und scharf ansahen. Es kam mir vor, als könnte er mich komplett durchschauen. Und ehrlich gesagt, machte mir das auch Angst. Ich fühlte mich beinahe nackt vor ihm. Als würde er all meine Geheimnisse mit nur einem Blick aufdecken können.

Ich konnte Harry gut leiden, aber ich kannte ihn zu wenig, als dass ich einschätzen konnte, ob er den Mund hielt oder reden würde, sollte ich ihm etwas anvertrauen.

„Denkst du, ich weiß nicht, was in deinem Kopf vorgeht?", fragte er dann.

Ich versteifte mich.

„Ich bin seit über einem Jahr hier, diesen Blick und dein Verhalten hab ich schon mehr als einmal gesehen. Vergiss es am besten ganz schnell."

„Was meinst du?", fragte ich nun verwirrt.

„Du willst hier weg, oder? Du suchst nach einem Fluchtweg, hab ich nicht recht?"

Ich wollte etwas erwidern, aber mein Mund war wie ausgetrocknet. Harry sah mich an. Fesselte mich beinahe mit seinem Blick.

„Denkst du etwa, du bist die Erste, die darüber nachdenkt? Oder die es versucht hat? Vergiss es einfach, Avery!"

Ich hatte recht gehabt. Er hatte mich durchschaut. Harry wusste Bescheid. Ich hatte wirklich nach einem Weg nach draußen gesucht. Und die Tatsache, dass er mich nicht nur durchschaut hatte, sondern mir auch noch sagte, was ich zu tun hatte, machte mich unglaublich wütend.

„Was geht es dich an, Harry? Du hast dich vielleicht mit deiner Strafe hier abgefunden, aber ich hab nichts verbrochen. Ich muss hier nicht bleiben! Und ich werde es auch nicht!", fauchte ich ihn an.

„Oh, das ist es also? Weil wir versehentlich ein Haus angezündet haben und nicht wussten, dass da noch jemand drin ist, sind wir jetzt also Verbrecher, die es verdienen hier zu sein?", Harry schien und ebenfalls wütend.

Er hatte die Fäuste geballt und sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Er wirkte bedrohlich. Aber vor ihm verspürte ich keine Angst. Nicht wie bei Munch oder vielleicht Hempton. Nur Respekt.

Und ich begrifft, dass ich meine Worte etwas ungeschickt formuliert hatte.

„Und ich hab gedacht, dass du anders bist. Zumindest hab ich es vor zwei Tagen gedacht, als du auf diesen dämlichen Baum geklettert bist und mit uns am Lagerfeuer gesungen hast. Oder als du wütend warst, dass Josh unschuldig davongekommen ist! Scheinbar hab ich mich ja geirrt!"

„Harry, ich glaube nicht, dass du kriminell bist. Keiner von euch fünf. Und ich glaube auch nicht, dass ihr es verdient habt hierzubleiben. Niemand verdient es hierzubleiben. Aber ich bin hier, weil meine Tante ausgerastet ist, weil ich das falsche Essen gekocht habe und ich einmal Nachsitzen hatte. Wenn ich hier weglaufe, wer will mich dann hierher zurückbringen? Die Polizei?! Die würden Hempton doch auslachen!", versuchte ich Harry zu erklären.

Tatsächlich entspannte sich seine Haltung ein wenig und seine Fäuste öffneten sich wieder. Die Wut in seinem Gesicht verschwand. Doch der ernste Blick blieb.

„Avery, ich rede nicht davon, dass man dich zurückbringt. Was ich meine ist, dass du gar nicht erst von hier wegkommen wirst. Niemand schafft das. Die Bucht hier leitet das Wasser direkt ins offene Meer und die Halbinsel kann man eigentlich nur über das Haupttor betreten und verlassen. An jedem Ufer sind Wachen, die dort Tag und Nacht aufpassen. Die wissen selber, was passieren würde, wenn jemand entkommt. Hier wird jeder deiner Schritte kontrolliert und wenn man dich auch nur einmal dabei erwischt, wie du versuchst zu fliehen, wird man dir das Leben zur Hölle machen!"

Ich sah in seinen Augen, dass er bereits aus Erfahrung sprach. Er wollte mir wohl einigen Schmerz ersparen. Und das schätzte ich auch. Aber ich hatte das Gefühl hier auf dieser scheiß Halbinsel zu ersticken.

Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen und ich blickte auf das Wasser hinaus.

Harry schien zu bemerken, wie ich hin und her gerissen war. Er kam langsam auf mich zu und berührte mich sanft an der Schulter.

„Avery, ich... ich weiß, es ist scheiße hier. Und glaub mir, einige Leute, die ich hier kennen gelernt habe, verdienen es nicht hier zu sein. Daisy oder Linda. Bei Roxy kann ich es nicht sagen, sie hat uns bisher noch nie wirklich gesagt, was sie getan hat. Aber sie ist kein schlechter Mensch. Das weiß ich auch. Ob die Jungs und ich es verdient haben... keine Ahnung. Aber... es ist, wie es ist. Die erste Woche hast du geschafft und es keine vier Monate mehr für dich. Schluck es einfach runter."

Das tröstete mich nicht wirklich, aber ich verstand, was Harry damit bewirken wollte. Deshalb nickte ich nur.

Diese eine Woche kam mir bereits wie ein ganzes Jahr vor. Wie sollte ich da noch weitere 16 Wochen überstehen? Allerdings war Harry bereits über ein Jahr hier. Ohne seine Mutter und seine Schwester. Und er hatte noch immer drei Monate vor sich.

Erneut schien er meine Gedanken lesen zu können.

„Weißt du, ich vermisse meine Familie auch. Aber ich möchte nicht, dass meine Mom von mir enttäuscht ist, wenn sie hören würde, dass ich versucht hätte, abzuhauen."

Ich nickte, das verstand ich.

„Hörst du ab und zu von ihr?"

„Nein, hier hört niemand was von irgendwem. Weil sie nicht die Post von uns öffnen können, ohne das es jemand bemerkt, sagen Sie einfach, dass es besser wäre, das wir keinen Kontakt zur Außenwelt haben."

Ich schluchzte auf. Gott, ich war ein emotionales Wrack in diesem Moment. Harry zog mich ohne ein Wort an seine Brust und ich ließ meinen Kopf gegen seine Schultern sinken. Meine Tränen durchnässten sein T-Shirt. Er schlang beide Arme um mich und strich mir über den Rücken.

„Ist okay. Du bist hier nicht alleine, okay? Du hast uns. Wir sind ja da."

Ich nickte nur und legte die Arme um ihn. Er roch gut, nach Wald und Lagefeuer und irgendwie auch nach...Harry. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen.

Irgendwann lösten wir beide die Umarmung. Harry strich mir die Tränen aus dem Gesicht und eine Strähne hinters Ohr. Es war irgendwie intim und beruhigend zugleich.

„Danke", murmelte ich dankbar.

Harry lächelte. Dieses wunderschöne, schiefe Lächeln, welches mein Herz seltsamerweise zum Stolpern brachte, ehe es dann doppelt so schnell weiterschlug. Ich lächelte zurück.

„Na komm, lass uns zu den Anderen gehen", meinte Harry dann und ich nickte.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zurück zu unseren Zelten.

„Hast du eigentlich gewusst, dass ich mal in einer Bäckerei gearbeitet habe?", fragte er mich dann.

Dankbar, das er nun das Thema wechselte, grinste ich und antwortete: „Nein, aber die Geschichte musst du mir unbedingt mal erzählen, Styles."

Und während Harry mir die unglaublich witzige Geschichte erzählte, wie er dazu kam einen Job bei einer Bäckerei hatte, fragte ich mich insgeheim, ob ich gerade dabei war mich zum ersten Mal in meinem Leben zu verlieben.


Hallo, ein kleiner Lückenfüller für zwischendurch. Ich bin ehrlich gesagt nicht ganz so zufrieden mit diesem Kapitel, aber ich hoffe euch gefällt es trotzdem.

lg liz;)

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