14. Die Ruhe vor dem Sturm

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Ein riesiger Steinhaufen zierte das Grab vor dem Wald.

Ein breiter, überwucherter Weg, bemooste Steinmauern und zu den Seiten jeweils ein Feld führten von Sera und Tjelvar an der Kreuzung zum eingefallenen Bauernhof. Zu ihrer Linken kaute ein halbes Dutzend Rinder auf Blättern, die vom Weizen hätten stammen können – nur größer. Rechts von ihnen wuchsen Wildpflanzen in unterschiedlichen Höhen, Farben und Blüten, als hätte ein Maler mit süßer Hoigfarbe und auf einer frischen Grasleinwand ein expressionistisches Stimmungsbild seines Lebens geschaffen. Es musste ein turbulentes gewesen sein.

Der Chor der Grillen unter dem Gesang summender Hummeln kontrastierte das visuelle Kunstwerk und gab einen entspannten Takt zum Tanz der Schmetterlinge in ihren buntesten Gewändern vor. Pollen schwebten mit der leichten Brise, kitzelten Seras Wangen und trugen einen süßen Duft mit sich.

Die späte Nachmittagssonne schien ihr in den Nacken und ließ ihren Schatten vorausziehen. Ihr zusammengeflochtenes Haar streifte bei den letzten Schritten ihres Pferdes über die Schulterblätter.

Neben ihr trug Tjelvar seine Haare offen wie eine blutende Wunde im Rücken. Ein paar Strähnen hatte er sich aus dem Gesicht gestrichen, um die Karte in seinen Händen lesen zu können, die Alistair ihnen zugeschoben hatte. »Wir sind da. Füchsin?«

Sera knetete ihre Zügel. Was hatte sie falsch gemacht, als er sie ermutigen wollte? Sie hob den Blick zu den Trümmern des einstigen Hofes und sah.

Zwei miteinander verschmolzene Rundungen mit zwei Stockwerken bildeten die Front des Gebäudekomplexes. Einige der Schieferplatten auf dem Dach und auch Steine aus dem Mauerwerk fehlten – lagen zersplittert vor dem Haus. An einer Stelle war das Loch in der Wand so groß, dass der Dachstuhl dort nachgegeben hatte.

Die Haustür lag auf der Schwelle und war mit Dreck und Ruß bedeckt. Sera schärfte ihre Augen weiter – hoffte darauf, dass Tjelvar ihr direktes Umfeld für sie beobachtete.

Im Innern des Bauernhauses hingen die Trägerbalken schief und ein Teil des Obergeschosses war ins Erdgeschoss gestürzt. Gebrochene Bretter, zersprungene Steine, Staub und Tonscherben lagen auf dem Steinboden. Eine Tür klammerte sich mit letzter Kraft an die untere Angel, die obere bereits herausgerissen.

Der Raum, in den sie führte, musste Küche und Stube zugleich gewesen sein. Die Feuerstelle in der Mitte war niedriger als bei Marika, hatte dafür einen Durchmesser von mindestens zwei Metern – wenn man von den entferntesten der Einzelteile aus maß. Die gusseiserne Kette für den Kessel baumelte in einer ähnlichen Höhe wie bei einer intakten Kochstelle – jetzt weit von den Überresten des aufgewühlten Kohlebeckens entfernt. Der zugehörige Kessel lag vor Leere gähnend am Rand des Raums zwischen einem zerschlagenen Tisch.

Was einst der Lagerraum für Saatgut und Ernte gewesen war, glich nun einer verlassenen Höhle. Nur ein paar zurückgelassene Körner hatten sich in den Fugen verirrt und warteten auf die Erlösung ihrer Einsamkeit. Der Geräteschuppen nebenan war ein geplündertes Schlachtfeld, das lediglich krumme Haken und rostige Nägel überlebt hatten. Auf dem Hinterhof beendete ein verkohlter Fleck die Geschichte der Menschen, die hier gelebt hatten.

»Im Hof ist niemand, aber es gibt ein paar Orte, die wir untersuchen sollten«, sagte Sera und schloss ihre Augen. Noch vor einem Monat hätte sie auf diese Distanz mit zeitgleicher Tarnung lediglich unscharfe Bilder gesehen.

»Gut.« Tjelvar trieb sein Pferd den Weg zum Bauernhof hinauf und band es dort fest.

Ihr blieb nichts anderes, als seufzend zu folgen. Und auf ihrer Hinreise nach Morag war Tjelvar ihr noch zu schweigsam? Diese Atmosphäre war weit bedrückender.

Neben dem eingetretenen Eingang blieb Tjelvar stehen und bedeutete ihr, voranzugehen.

Holz- und Steinstückchen knirschten unter ihren Stiefeln und sie bückte sich unter einem eingestürzten Trägerbalken hinweg. Die Staubschicht auf dem Boden bestand aus Holzspänen und Steinchen, vermischt mit trockener Erde. Letzteres in regelmäßigen Abständen im Staub.

Sera trat auf eine dieser Stellen, dann in die nächste. Jemand mit größeren Füßen als sie war nach der Zerstörung des Gebäudes ein und ausgegangen.

Sie bog in die Küche rechts von ihr und schlüpfte schnell unter einem weiteren Balken hindurch. Wer wusste, wann dieser ganze Komplex noch zusammenbrach?

Münzgroße Kohlestücke verteilten sich um die Kochstelle und die Note verbrannten Fleischs hing wie Nebel in der Luft. Mit einem Stuhlbein und gerümpfter Nase kratzte Sera die restliche Kohle aus dem Becken und barg einen Zipfel grauen Stoffs. Sie nahm eine verbeulte Kelle und schaufelte mehrere in Stoff gewickelte Pakete frei.

Wie selbstverständlich nahm der Professor sie, nachdem er Sera schweigend hatte arbeiten lassen. Insgesamt sechs Holzkisten wickelte er frei und stellte sie auf den Boden.

»Werkzeuge mervaillscher Machart«, sagte Tjelvar, als die Behälter offen vor ihnen lagen, und inspizierte eine gezackte Zange. »Ich bezweifle, dass Druiden dazu greifen würden.«

Sie konnte ihr Brummen gerade noch unterdrücken. Jetzt redete er schon mehr mit Werkzeugkisten als mit ihr?

»Ein schöner Fund. Nolann und Bastien werden sich freuen, neue Werkzeuge zu bekommen. War das alles?« Er legte die reißerische Zange zurück in ihre Kiste und verschloss sie.

Warum stand sie nicht einfach wortlos auf und zeigte ihm so, wie unangenehm diese Stille war? »Eine Sache gibt es noch.«

Über den stinkenden und verkohlten Innenhof führte Sera sie an ein paar schwarzen Knochensplittern vorbei in die leere Kornkammer. Im hinteren Teil befand sich ein wagenradgroßer Bereich, wo die Bodenplatten um wenige Millimeter aufragten.

»Vermutlich unter den Platten hier«, sagte sie und deutete mit dem Kinn auf die Stelle. Dieses Mal blieb sie ungerührt stehen. Er konnte genauso gut zur Bergung beitragen.

Tjelvar hob die Platten trotz ihrer niedrigen Erhebung und der schmalen Fugen mühelos an und legte sie beiseite.

Dem Gemäuer waren die Steine entnommen worden, dass noch größere Kisten den Hohlraum im Holzgerüst füllten. Sera lehnte mit den Händen hinterm Rücken an die scharfkantige Steinwand und beobachtete, wie Tjelvar sie einer nach der anderen aus dem Loch zog. Während er die zweite heraushievte, inspizierte sie die erste.

Zugenagelt. Sorgsam zugenagelt.

Sie grinste. Was einen Seher trotzdem nicht davon abhielt, den Inhalt zu erfahren.

Säcke - eng an eng, mit doppelten Knoten zugebunden. Darin lagen Weizenkörner, Roggen, Einkorn? Grünkern? Sie hätte Anthelia besser zuhören sollen, als sie ihren Beutel im Zimmer entleert hatte.

»Und?« Tjelvar hielt beim Bergen nicht einmal inne.

Ihre Mundwinkel fielen wieder. »Getreide.«

»Gut. Führ die Pferde in den Hof. Wir nehmen alles mit.«

Ihre Zähne hätten Steine mahlen können! Der Letzte, der sie so behandelt hatte, war ihr Vater - genau dieselbe Selbstverständlichkeit, Befehle erteilen zu dürfen. Sie stapfte aus der Scheune. Wenigstens sah sie ihn dann für eine Weile nicht mehr.

Stirn an Stirn mit ihrer Stufe strich Sera ihr über den Hals. Was hatte sie Tjelvar getan, dass er sie seit drei Jahren wie einen Knecht behandelte? Sie hatte damals noch nicht einmal ein Wort mit ihm gewechselt, da mied er sie bereits.

Sie rieb sich die Augen. Über ihr stand die dunkle Silhouette ihrer Mutter am Himmel. Zwitschernde Vögel zogen unter ihrem Antlitz umher. Lucien hatte es gut. Er hatte Freunde, zumindest eine kleine Familie und konnte die Melodie der Freiheit singen. Er war nicht allein wie sie: Gehasst ihres Blutes wegen; gedrillt ihrer Gabe wegen.

»Na los, der blutige Professor wartet«, wisperte sie den Pferden zu.

Die vier langen Kisten aus der Kornkammer standen vor der verkohlten Fläche - geöffnet. Die Deckel lagen neben ihnen. Alle Nägel aus dem Holz gezogen.

Durch die Hintertür des Hauptgebäudes klapperte weiteres Holz und Tjelvar stieg die drei Stufen mit jeweils einer Werkzeugkiste unter dem Arm hinunter. »Die hier zuerst. Die Säcke quetschen wir danach in die Taschen.«

Die Nägel waren kerzengerade – wie unbenutzt. So tief, wie sie im Holz saßen, hätte Tjelvar sie nie alle in der kurzen Zeit ziehen können.

Sera blickte mit zusammengezogenen Brauen von der Nägelsammlung zu ihrem Professor, dem Strähnen seines blutroten Haares im Gesicht hingen.

Ein Magier, wie? Legenden und Märchen berichteten von allmächtigen Herrschern über das Meer, Zähmern von Blitzen und Beschwörern von Stürmen – und hier war einer von ihnen und beschäftigte sich mit festsitzenden Nägeln?

Waren es die Märchen, die übertrieben oder war es Tjelvar, der untertrieb?

~✧~

»Das macht jetzt fast eine Wagenladung Lebensmittelvorräte und das zweite Set Armeewerkzeug.« Bastien notierte ihre Funde in einem Buch, während Nolann und Alistair die Werkzeugkisten untersuchten.

Mit Beuteln behangen wie die höchsten Offiziere ihres Vaters hatten Tjelvar und sie vor dem Haupttor gestanden. Sehr zur Freude des Kommandanten und Alistair, der den Wiederaufbau des Hospitals im Eiltempo vorantrieb. Vermutlich zum Misstrauen Stojans, der die Nase gerümpft und die Zähne gebleckt hatte.

Sie hatten den Moragi wortlos hinter sich gelassen. Worauf auch immer er wartete - zumindest half er beim Wiederaufbau und arbeitete dafür auch mit den Mervaillern zusammen.

Nun – auf Bastiens Burg in der inzwischen gefüllteren Lagerhalle – hatten sie ihr Ziel endlich erreicht.

Sera saß auf dem Schemel neben Bastien und hielt sich die bleierne Hand von den Mund, um ihr Gähnen zu verstecken. Von allen Ausflügen ins Umland – Alistairs Markierungen nach Verstecken absuchend – war dies der längste. Der Erste Stern hielt bereits seit Stunden seine einsame Wacht und dirigierte die Sternbilder um ihn herum.

»Diese Reihe ist sogar vollständig.« Nolann kramte in der Kiste mit den Hämmern. »Das Schmiedewerkzeug ist zwar nicht neu, aber besser instand als das, was wir grade benutzen.«

Tjelvar brummte bestätigend. Er vermochte vielleicht, beim Abladen mitzuhelfen, aber auch er war müde. Sechs Tage hintereinander so lange zu reisen, schlug jedem aufs Gemüt. »Nur Waffen haben wir immer noch keine gefunden.«

»Sicher?« Alistair runzelte die Stirn und hob die gezackte Zange. »Das Ding sieht mir aus wie eine wahre Mordsmaschine. Versuchen Eure Ärzte wirklich, Euch das Leben zu retten?« Er hielt Nolann die Zange hin und ließ sie demonstrativ zuschnappen.

Der verzog das Gesicht, dass seine Narben Falten schlugen. »Frag das die Feldärzte, nicht mich.«

»Nicht? Wer hat dann Eure Verletzungen versorgt? Die sehen mir nicht gerade damit behandelt aus.« Der Druide legte die Zange wieder zurück und nahm den Deckel.

»Was interessieren dich meine Narben, Druide? Die sind Jahrzehnte alt und fertig.« Nolann verschloss seine Kiste und stellte sie zum restlichen Werkzeug.

»Wenn Ihr hungrig seid, Füchse« – Bastien klappte das Buch zu und verstaute es in seiner Jacke; reichte Sera die Hand zum Aufstehen – »Die ersten Brote mit unserem angebauten Weizen sind fertig. Ich möchte diesen Erfolg gerne mit Euch feiern.«

»Mit Freuden.« Sie nahm seine erstaunlich kraftvolle Hand und wankte neben ihm her zum Hauptgebäude der Burg. Was konnte sie nach diesem langen Tag schon gegen frisches Brot einwenden?

~✧~

Die nächsten Tage im Sattel waren die besten seit langem! Endlich ritten sie mit vernünftigen Mahlzeiten im Magen. Bastien hatte großzügige Rationen für jeden in Sale zusammengestellt - auch mit Hinblick auf die vielversprechenden Felder der Moragi. Er gab ihnen sein Mehl und Brot, damit sie später das Ihre mit ihm teilten.

Alistairs Lehrbuch hatte recht behalten: Die Kooperation für das Fest der Krähe und der Saat hatte eine Vertrauensbasis geschaffen. Eine, die sie nun ausbauen konnten, um Sale den Frieden zu bringen.

Wäre Sera nur nicht so aufgewühlt.

Irgendetwas fühlte sich falsch an. Wie der lauernde Panthera. Wie der wartende Widerstandskämpfer.

Seit diesem Morgen spürte sie es, als sich ihr Inneres das erste Mal gewunden hatte. So kurz vor dem Ziel konnte sich Tjelvars Befürchtung doch nicht bewahrheiten! Die Druiden waren frei und die Moragi hatten Verpflegung.

Der Widerstand sollte keine Existenzgrundlage mehr besitzen, also warum fühlten sich ihre Finger an wie schweißnasse Eiszapfen?

Warum raste ihr Herz so?

Vor ihnen jagte die Savage den Wind. Alistair hatte ihnen am Abend vor zwei Tagen von einer Höhle flussaufwärts erzählt. Die Moragi hatten sie schon benutzt, als der letzte König in Elk die Region gewaltsam zähmen wollte.

Schmale, glatte Trittsteine führten am Ufer herab. Die Savage toste direkt neben ihnen und umflutete die Steine.

Gerade jetzt, wo ihre Beine sowieso wegzuknicken drohten.

Sie folgte Tjelvar. Ihre klammen Finger krampften um jeden Halt an der Wand. Ihre zittrigen Füße rutschten mehrmals auf den Steinen weg. Übermorgen sollte sie sich einen Tag Ruhe gönnen. Zumindest, um wieder sicher zu stehen.

Als sie hinter den aufragenden Felsen verschwunden waren - sich die Höhle vor ihnen erstreckte - verschwamm die Umgebung. Das Rauschen hinter ihr nervte. Dröhnte selbst, nachdem sie die Geräusche gedämpft hatte.

Mit jedem hetzenden Herzschlag donnerten ihre Schläfen.

»Wie geht es dir?«, fragte Tjelvar. Das kupferfarbene Schimmern seiner Haare das Einzige, was die Dunkelheit noch nicht von ihm verschluckt hatte.

Sie raffte sich auf und ging weiter. Was interessierte ihn plötzlich ihr Gemütszustand? »Gut. Lass uns die Höhle absuchen und dann verschwinden.«

»Seit heute Morgen ist etwas seltsam. Als ob uns das Blut in den Armen und Beinen abklemmt wird.«

Tjelvar spürte es auch? Dann war es keine Schande mehr, ihr Gewicht an der glitschig kalten Wand abzustützen.

Ihr war schlecht.

Vielleicht sollte sie sich doch besser gleich hinknien.

»Geh ohne mich weiter. Ich warte hier.« Warum hätten sie nicht heute zum verlassenen Hof reiten können? Stattdessen hockten sie in dieser nachtverdammten Höhle, froren bis auf die Knochen und mit zusammengezogenem Magen.

»Das halte ich für keine gute Idee.« Tjelvar kam näher und legte seine Jacke um ihre Schultern.

Sie auch nicht mehr. Die Wärme, die sie umfing, half nichts gegen die Feuchtigkeit in ihrem Mund - die Gewissheit, dass sie sich vor ihm blamieren würde.

Er strich ihr über den Rücken, als sie sich erbrach.

Ihr war kalt.

So kalt, dass sie den Stein unter ihren Fingern schon nicht mehr spürte.

So kalt.

Vögel zwitscherten. Ihre Rufe hallten über sie hinweg. Blätter knisterten. Wasser brandete an Stein. Grashalme strichen über ihren Hals.

Die Sonne blendete sie durch ihre Lider.

Ihr war warm.

Lag sie auf einer Matratze oder nur auf zu vielen Decken? Eine jedenfalls lag auf ihr.

Sie atmete tief durch und füllte ihren Brustkorb mit der warmen, moosigen Luft. Wenn sie ihre Augen geschlossen hielt, blieb es dann für immer so friedlich?

Ihr Puls schlug ruhig durch ihren Hals.

Vermutlich nicht. Wie oft hatte sie schon versucht, die Augen zu verschließen? Stets vergebens.

Also stellte sie sich der Sonne am blauen Himmel - und rieb sich übers Gesicht.

Sollte sie nicht in einer Höhle sein?

Müsste es ihr nicht merklich schlechter ergehen? Nicht verschlafen wie jetzt.

Frisches Brot wurde gebrochen. Die Kruste knisterte verlockend. Aber nicht von ihr stammten die Kaugeräusche.

Sera drehte sich ihnen zu. »Tjelvar?«

Ihr Professor saß neben ihr an einem Felsen, dass die blutroten Strähnen im Windhauch wogten. Aß er gerade all ihr Brot, das als Proviant gedacht war?

»Was tust du? Das muss noch für zwei Tage reichen.« Ihre Arme wogen mehr als Marmor, aber sie zitterten nicht mehr.

»Es ist das Brot.« Tjelvar starrte auf den Rest des Laibs. »Ich weiß nicht, warum, aber es ist das Brot, das uns auslaugt.« Er rümpfte die Nase, stand auf und holte aus. Warf den Rest in die Savage.

Sie saß mit heruntergeklappten Kiefer da. Ihr Vorrat für den Rückweg.

»Tut mir leid. Du kannst den Käse und die Wurst essen. Ich verzichte bis auf Weiteres«, sagte Tjelvar und sah dem Brot in der Strömung nach.

Da riss sie die Augen auf. »Einen Moment. Wenn du sagst, es ist das Brot -«

»- dann müssen wir schleunigst in die Stadt zurück. Es sollte eine Großoffensive sein, kein Giftanschlag. Darauf sind sie nicht vorbereitet.« Jetzt drehte er sich zu ihr, sorgevoll und angespannt. »Denkst du, du kannst wieder reiten? Die Nacht durch?«

An wen hatte Bastien die mervaillschen Vorräte verteilt? An jeden in der Stadt oder nur an seine Landsleute? Wenn das Gift war, welches? Wie tödlich? Oder wollte der Widerstand die Mervailler nur schwächen, um ihnen einen umso qualvolleren Tod zu schenken? Griffen sie Sale gerade an? Verwandelten sie die Stadt in ein Blutbad?

Sie sprang auf. »Ja, ich denke schon.« Lucien. Janek. Saoirse. Bastien und Nolann. Sie zog die Decken vom Moosbett und schnallte sie unordentlich hinter den Sattel.

Welches Bild erwartete sie in Sale? Bewaffnete Moragi? Wer hatte diesen Anschlag organisiert?

Tjelvar hüstelte. »Bevor wir zurückeilen, Füchsin, muss ich dich noch um eine Sache bitten.«

Jetzt? Sie funkelte ihn an. »Fass dich kurz.«

»Gern. Deine Haare und Augen.«

Eine goldene Strähne fiel ihr ins Gesicht.

Stimmt.

~✧~

Sie galoppierten die Savage entlang - nicht den Weg, den sie gekommen waren. Der Pfad zwischen den Bäumen und Büschen war schmal, aber passabel zu Pferd. Als wäre dies eine der Routen, die die Rebellen benutzten.

Als der Abend nahte, ritten Tjelvar und sie immer noch. Auch, als die Dunkelheit die Welt umhüllte und nichts als ein einziger, kräftiger Stern die Wolkendecke durchstach. Der Herr der Welt brachte den nächsten Morgen und sie saßen noch immer auf ihren keuchenden Pferden.

Gemeinsam mit den ersten Sonnenstrahlen erreichten sie die Stadt endlich, wie sie friedlich am Flussbett lag. Keine Schreie. Keine Hörner. Kein Gemetzel. Aber Soldaten auf den Wehrgängen.

Aus der Kaserne vor dem Haupttor transportierten Nolanns Männer unter seinen Befehlen wagenweise Waffen, Kisten und Säcke in die Stadt. Auf den Serpentinen vor Bastiens Burg stiegen die Pferde unablässig beladen hinauf, unbeladen hinunter.

»Dem Silbermond zum Gruße, Kommandant«, sagte Tjelvar und stieg von seinem keuchenden Pferd ab, während Sera wie ein Tölpel auf dem Sattel fiel und schließlich auf schwachen Knien stand.

»Wohl eher ein Dunkelmond, Füchse.« Mit Kettenhemd, Brustpanzer, Arm- wie Beinschienen und Helm geschützt, kam Nolann klappernd und rasselnd auf sie zu und faltete seine Hände. Unter seiner Blässe verblichen seine Narben und sein rehbraunes Haar klebte vor Schweiß. Er wandte sich an den nächsten, ebenfalls voll gerüsteten Soldaten. »Sag dem Druiden, die Füchse sind wieder da.«

»Wen hat es alles getroffen?«, fragte der Professor und sah dem Tross nach. Zwei Soldaten trugen einen kalkweißen Kameraden auf einer Trage in die Stadt.

»Blöde Frage: Jeden! Wer immer aus dem Widerstand auf diese Idee gekommen ist, nimmt Opfer in den eigenen Reihen in Kauf. Die, die kämpfen können, halten Wache, sobald die Kaserne leer ist. Die, die's nicht können, sterben hoffentlich nicht.« Nolann starrte zur Burg. Zu seinen Leuten. »Diese Bastarde! Reißen lieber alle in den Tod, anstatt sich auf friedliche Kompromisse einzulassen!«

»Wenn die ersten Symptome gestern begonnen haben, können wir allerspätestens heute Abend mit einem Angriff rechnen. Halten die Tore das wieder aus?«

»Die Tore sind nicht das Problem. Unsere Kampfkraft ist für'n Arsch und die Druiden haben nur für Verletzungen vorgesorgt.«

»Alles andere hättet Ihr uns auch nicht erlaubt, Kommandant«, schallte Alistairs jungenhafte Stimme von der Kaserne. »Ich brauch' die beiden mal. Kümmert Euch darum, dass Ihr reinkommt.«

Der Druide führte sie und Tjelvar von der Kaserne weg und auf die leeren Weizenfelder der Mervailler.

Jetzt musste sie wieder Zeugin einer Schlacht werden - würde wieder Menschen sterben sehen! Um sie herum klapperten die Hufe bereits. Hörte sie die Schreie. Zischten die Armbrustsehnen.

Atmen! Sie musste atmen! Vor ihr lagen keine Leichen oder abgebrochenen Bolzen.

Sie umklammerte ihre Bernsteinkette und fand die Farbe von Karamell in einem für Druiden zu hellen Gesicht - ein Anker im Chaos. »Ich weiß, mein Vater hat Truppen aus dem Nichts erzeugt und seine Feinde getäuscht, wo man nur kann, aber dafür bin ich noch zu schwach. Ich kann euch als Späher dienen, aber für mehr reicht meine Kraft noch nicht.«

»Darum geht's mir gar nicht«, sagte Alistair und kramte in einem Beutel. »Saoirse hat mich auf die Symptomatik aufmerksam gemacht und mit mir nach der Ursache geforscht.« In seiner Hand lagen etwa daumenlange, schwarz-violette Körner.

Schwarz-violette Körner, wie zuvor am kranken, verbrannten Getreide.

»Das Getreide wurde mit Mutterkorn vergiftet. Einmal mitgemahlen, erkennt es keiner mehr. Ich habe Ctirad vor ein paar Stunden losgeschickt, um das Gegenmittel zu holen, aber er ist noch nicht wieder zurück. Ich fürchte, ihm ist etwas zugestoßen.«

»Wo finden wir ihn?« Tjelvar band seine Haare bereits zusammen.

Alistairs Nasenflügel bebten und er funkelte Sera an. »Im Westwald, von dem ihr ja mittlerweile beide gehört habt. In meinem Versteck lagern jede Menge Heilmittel und andere Dinge. Mit einer Seherin findet ihr den Bach zum Hartholzgebück schneller und mit Tjelvar könnt ihr es gewaltsam aufbrechen. Ctirad weiß, wonach er sucht. Sagt ihm, ich schicke euch und er hilft euch.«

Sera fiel fast auf die Knie. Jede Menge Heilmittel und andere Dinge? Was lagerte der Druide noch für Kriegswaffen? »Was ist mit den Panthera?«

Wie glühende Kohlen brannten sich Alistairs Augen in ihre. »Im Gegensatz zu so manchen Menschen sind Panthera intelligente Wesen, Knospe. Greift sie nicht an und sie greifen euch nicht an.«

»Noch etwas, das wir wissen müssen?« Tjelvar war die ersten Meter schon vorgehastet.

Mit schmalen Lippen schüttelte der Druide den Kopf. »Bringt meinen Schüler bitte gesund zurück.«

Schwarz-violette Körner, wie Marika sie von den Ähren gezupft hatte.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro