47. Die Stimme, die weder von Matty noch von mir kommt

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Es ist bereits später Nachmittag und wir hocken immer noch in der Aula. Ich sollte eigentlich für die Englischklausur in den nächsten Tagen lernen. Aber hey, ich werde das eh verkacken. Von daher kann ich es auch lassen. Birch hat für alle Texte besorgt und wir diskutieren jetzt über die Rollen. Also die anderen diskutieren. Mir ist das so ziemlich Wurst.

„Zoe?“ Nein.

„Wie wäre es mit dir?“

„Was? Die Taube spiele ich gerne.“ Er kratzt sich am Kinn, sieht dann über alle hinweg und wieder zu mir.

„Die Rolle der Cinderella wäre so passend für dich. Von dem Staub und Dreck“, er macht eine Bewegung zum Bühnenboden, „zu den Türmen und Sternen des Schlosses.“ Was hat das jetzt mit mir zu tun?

„Von einer langen Krankheits- und Leidesgeschichte zur Hauptrolle in der Theateraufführung deiner neuen Schule.“ Achso, das meint er. So ein Spast. Toby sitzt links neben mir und sein Oberkörper bebt. Er muss lachen. Noch ein Spast. Matty, rechts neben mir, grinst nur und sieht mich an.

„Zumal du natürlich ein wunderschönes Mädchen bist“, setzt Jesus noch einen drauf und jetzt bricht es aus Toby raus. Er lacht und lacht und die anderen kichern auch heiter mit. Matty legt einen Arm um meine Schulter.

„Sehe ich genauso“, raunt er und scheint das auch noch ernst zu meinen.

„Ohja, gerade mit meinen Haaren kann man ja die beste Hochsteckfrisur machen“, murre ich. Toby scheint sich gerade beruhigt zu haben, aber das bringt ihn wieder zum Lachen. Das ist echt nicht lustig.

„Gut, dann hätten wir das ja geklärt“, stellt Birch fest.

„Gar nichts haben wir geklärt“, schnaube ich, aber Jesus wird sich eh nicht mehr abhalten lassen.

„Wenn Toby den Prinzen spielt...“, stelle ich eine Voraussetzung, doch Birch schüttelt nur den Kopf und seine Haare wackeln mit. Traurig, dass der längere Strähnen hat als ich.

„Nimm es mir nicht übel, Toby, aber du bist nicht bei weitem so...“, er sucht das richtige Wort, „gesegnet wie deine Schwester“, findet er es und sieht meinen Bruder entschuldigend an. Toby miemt wieder den verständnisvollen und nickt wie ein Bekloppter.

„Ich hätte da eher an“, setzt er wieder an und macht eine dramatische Pause. Bitte sag Matty, bitte sag Matty.

„Matty gedacht.“ Es gibt doch einen Gott.

Toby spielt eine Taube und weil wir so viele sind gibt es davon locker ein Dutzend. Der Text ist simpel und wir schaffen bis fünf noch die erste Szene, in der allerdings nur ein Gespräch zwischen Aschenputtels Vater und ihrer Mutter vor deren Tod stattfindet. Toby, Matty und ich sitzen in den Zuschauerrängen und tun so, als würden wir unseren Text lernen. Birch kommt immer mal wieder bei jedem Darsteller vorbei und fragt, wie weit derjenige ist. Ich blättere dann immer ein paar Seiten weiter und er nickt anerkennend. Dann lässt er uns immerhin in Ruhe. Halb sechs stellt er sich auf die Bühne und klatscht in die Hände.

„Ich möchte, dass ihr jetzt alle eine kleine Pause vom Lernen macht. Lauft durch die Aula, durch die Ränge, über die Bühne, macht euch locker und tanzt meinetwegen. Ich mache Musik an und das Licht etwas weniger grell. Das ist dann unsere Abschlussübung für heute.“ Der Typ hat ja 'n Schaden, aber schülerfreundlich ist er auf jeden Fall. Die Reaktionen der anderen gehen von erleichtert, dass wir bald fertig sind, bis zu lustlos und gleichgültig. Toby und Matty passen irgendwie in keine der beiden Richtungen. Sie machen ein Wettrennen über die Stühle und da die Aula wie so ein Saal in der Uni aufgebaut ist, mit ansteigenden Rängen, sehen sie aus wie Möchtegernbergsteiger. Erst sehe ich ihnen zu, dann laufe ich los. Als Birch die Musik, so eine komische Flower-Power-Mischung, scheinen sich alle nur noch „Scheiß drauf“ zu denken und machen die seltsamsten Bewegungen. Das Zeug hat Jesus sicher schon bei Orgien und Gras gehört. Absolut abgedreht. Naja, Birch scheint glücklich zu sein. Freut ihn offensichtlich, dass die meisten unerwartet abgehen. Ein Mädchen macht einen Sprung von der Bühne und reißt dabei die Arme in die Luft. Na ob die nicht auch was geraucht hat, ist auch fraglich. Apropros, ich könnte auch mal wieder einen vertragen. Langsam, das Ende des Liedes abwartend, latsche ich vom linken Bühnenaufgang zum rechten. Wenn Jesus hinsieht, drehe ich mich ein paar Mal um mich selbst und er winkt mir zu, als ob ich ihn sonst nicht sehen würde. Am anderen Ende der Bühne angekommen, verschwinde ich hinter dem vielleicht zwei, drei Meter aufgezogenen Vorhang stelle fest, dass es hier ganz schön dunkel ist. Logischerweise ist da hinten auch keine Lampe. Dieser kack Song hört nicht auf. Der hat nicht mal 'n richtigen Text. Vielleicht ist das so ein vierundzwanzig Stunden langer Remix. Kurze Entspannungsübung. Das kann ja keiner wissen. Ich höre den Mist ja Zuhause nicht. Fast hätte ich geschrien, als plötzlich zwei Hände an meiner Hüfte liegen. Doch ich kann mich zusammenreißen und es bleibt bei einem Zucken, als hätte mir jemand ein Messer in den Rücken gerammt. Ruckartig drehe ich mich um und spüre seinen Atem auf der Stirn. Seine Zähne reflektieren das Licht, das jetzt seitlich von uns schwach hinein fällt. Meine Güte Zoe, jetzt reiß dich mal zusammen. Nur weil er verdammt niedlich ist und er so ziemlich Model bei Men' s Health sein könnte, muss ich echt nicht so ausrasten.

„Zoe Morell“, murmelt er, seine Stimme ist viel tiefer als die Melodie im Hintergrund.

„Kann sein, dass es diese bescheuerte Musik von Ökojesus ist, aber du bist echt bezaubernd.“ Gut. Er hat mich. Und das fuckt mich ab. Immerhin, hallo? Ich hasse Menschen. Ich verstehe nicht, wieso alle sich so lieb haben müssen und ich bin bis vor ein paar Wochen im Ich-hau-rein-Modus gewesen. Kann ich Matty mitnehmen? Und Toby vielleicht? Ich brauche ja jemanden der mir was zu Essen macht.

„Also entweder du bist sprachlos oder du denkst zu viel nach“, reißt Matty mich plötzlich aus meinen Gedanken.

„'Tschuldige“, murmele ich und wieder blitzt es. Er sollte echt damit aufhören. Immerhin verfalle ich ihm wortwörtlich. Vielleicht sollte ich seine Fehler suchen. Aber das wäre wie Amy von The Big Bang Theory über Penny. Seine Zähne sind zu weiß, seine Haare zu golden, sein Lachen zu schön. Nee, da würde ich mich selbst belügen müssen, um so zu denken.

„Zoe?“ Mir fällt auf, dass ich an ihm vorbei starre.

„Tut mir leid“, entschuldige ich mich wieder.

„Tut mir wirklich...“, beginne ich, doch das will er anscheinend nicht hören und zieht mich näher zu sich ran. Ich sehe ihn nicht, ich sehe gar nichts mehr, schließe nur noch die Augen und diesmal küsst er mich nicht, weil Anthony daneben sitzt und vor Eifersucht platzt. Oder zumindest sauer ist. Er küsst mich einfach so und ich fühle mich wie ein dämlicher kleiner Teenager. Es ist so schön ihn zu spüren und seinen Nacken umgreifen zu können, dass ich den Song nicht mehr höre, nur noch seinen Atem wahrnehme.

Okay, ich bin absolut verloren. Eine blinde Bekloppte. Wieso muss er auch so gut küssen können? Wieso muss er so gut aussehen? Und wieso muss er mich so viel besser behandeln als Anthony? Weil er besser ist. Er ist besser. Er streift meinen nackten Oberschenkel, die Shorts sind kurz.

„Wie kannst du dich nicht schön finden?“, nuschelt er in den Kuss hinein. Ich muss lachen, stelle ich mich auf die Zehenspitzen und schmecke die Limo und den Pfefferminzkaugummi, die er vorhin im Mund hatte. Faszinierend. Das stand nicht in den Magazinen. Ich hatte Krebs, dafür sollte man mich nicht verurteilen. Vor Anthony hatte ich keinerlei Erfahrungen mit Jungs, die nicht mein Bruder waren. Da war zwar mal so ein Junge mit Lungenkrebs auf meiner Station, aber seine Mutter mochte mich irgendwie nicht. Habe ihm damals von der Schwester meine Nummer zustecken lassen. Er hat sich nie gemeldet. Deswegen ist meine Theorie ja, dass seine Mutter den Zettel in ihrem Hexenfeuer verbrannt hat. Wie Rumpelstilzchen.

„Zoe.“ Stimmt, da war ja was. Matty hat Recht, ich denke zu viel nach. Er sagt meinen Namen nochmal und streift mit seiner Nase meine Wange.

„Na hoppala“, kommt es plötzlich ziemlich laut und jetzt zucken wir beide zusammen. Das kam weder von Matty noch von mir. Ich blicke über seine Schulter und sehe geradewegs in Anthonys hocherfreuten Gesichtsausdruck.

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