Schwarze Flügel

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Still plätscherte das kristallklare Wasser unter ihr und sammelte sich zu einem kleinen Teich, nahe einem Geflecht aus Zweigen. Äste hingen den Weg hinab und dimmten das helle Licht.

Wäre Nyx nicht schon oft hier gewesen, so hätte sie nicht gewusst, dass dort, hinter dem Astgeflecht, ein kleiner Tempel war. Er war schon lange unbesucht, Steine bröckelten und die Fassade sah wacklig aus, und trotzdem, durch das längst zerbrochene Glas schimmerte das bläuliche Licht auf dem Wasser.

Ein schneeweißer Baum streckte seine Äste dem offenen Dach entgegen und bot eine Sitzgelegenheit für die weißen Tauben, die jedoch, durch Nyx‘ dunkle Präsens, davonflogen.

Vorsichtig setzte Nyx einen Fuß vor den anderen, darauf bedacht, nicht in das Wasser zufallen, auch wenn sie jedes Detail des verborgenen Tempels in Romanlänge hätte beschreiben können. Auf sicherem Boden ging sie auf den Baum zu und strich sanft über ein Blatt dessen.

»Hallo, Sphnyx. Hast du mich schon vermisst?«, flüsterte die sanfte Stimme des Mädchens dem Baum zu.
Nyx suchte erneut nach Antworten, obwohl sie diese schon längst kannte. Die blasse Hoffnung in ihr, darauf bedacht, dass sich alles doch nur als Lüge entpuppen würde, aber Nyx wusste schon lange, dass es die kalte Realität war.

»Ich habe mich heute wieder mit Mutter gestritten, sie hat erneut verlangt, dass ich mich wie ein Mensch benehme. Ich bin aber keiner. War es nie und werde es nie sein oder werden. Weshalb erwartet sie also noch immer von mir, dass ich mich wie einer benehme?«, seufzte Nyx und schluckte schwer.

»Ich versuche gar nicht mehr, normal zu sein. Es fühlt sich anders an. Jetzt, da ich keine Angst mehr habe, als Monster bezeichnet zu werden. Jetzt, da ich weiß, dass ich eines bin, verstehst du? Sie alle im Rat fürchten sich vor mir. Ich verurteile sie nicht. Ich fürchte mich vor mir und meiner Gabe selbst auch.«

Entmutigt setzte sich die junge Frau auf einen Stein und betrachtete ihr klares Spiegelbild im seichten Wasser vor sich.

Pechschwarze Haare, die glatt ihre Schultern umgaben und erst an ihrem Oberschenkel endeten. Flügel, noch dunkler als die Schwingen einer Krähe und gleichzeitig so majestätisch wie die eines Adlers. Das dunkle Symbol eines Fehlers, einer Sündigen. Ihre roten Augen, so erkennbar wie die eines Dämons und der schwarze Mantel, verziert mit silbernen Details, der ihren Körper umgab und vor dem Wind schützte.

Vorsichtig sah die junge Göttin den Stamm hinauf und betrachtete die weißen Blätter, die Nyx versuchten mit ihrem angenehmen Licht zu trösten. Leicht musste sie lächeln, gab etwas von ihrem guten Herzen preis, welches niemand anders je kennengelernt hatte, weil alle die junge Frau verurteilt hatten, nur wegen ihrer Mutter.

Die Frau, die sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war. Ohne diese hätte sie wahrscheinlich wie jede andere in ihrem Alter sein können.

Ihre Mutter war die einstige Cupid und brachte den Menschen die Liebe näher, doch eine Tat, welche sie nie hätte begehen dürfen, bestraft sie mit einem Kind welches Menschen umbringen konnte. Sie schenkten ihr das Böse. Während ihre Mutter der Liebe ihre Flügel verlieh, so verlieh Nyx ihren Opfern nur tödliche Wunden, die sie in den Tod rissen, denn sie war der Tod, seit das merkwürdige Halbmond-Symbol auf ihrer Hand erschienen war.

Seither waren ihre einst weißen Flügel dunkel wie die einer Krähe, ihre blonden Haare schwarz wie die Nacht und ihre Augen spiegelten die eines Teufels wider, rot. Sie war die Nacht, die andere in ihren ewigen Schlaf ziehen konnte, nur durch einen Kuss, das Zeichen der Liebe.

Nyx Augen ließen von dem Schauspiel der Blätter ab und schlossen sich. Sie wollte nicht auf ewig nur der Fehler sein, wie man die junge Frau nannte, denn sie war ja auch nichts anderes. Ein Monster, das nie hätte geboren werden dürfen. Anstatt dass man ihrer Mutter ihre Kräfte nahm und an ihr Baby weitergab, so ließ man sie lieber eine Göttin gebären, die später über Tod und Leben richtete. War das nicht eigentlich eine wichtige Gabe?

Den Bösen jenes falsch geschenkte Leben nehmen und den Guten ihres im Himmel weiterleben lassen? Doch so wie die Engel im Rat über sie redeten und richten, so schien es ihr nur wie eine Strafe, für die Tat ihrer Mutter.

»Warum wird mir ihre Strafe verhängt?«, fragte Nyx und sah hoch in den klaren, blauen Himmel, der sich über dem kaputten Dach des Tempels erstreckte.

»Es gibt siebentausend Engel, die falsches getan haben und mit niederen Strafen davongekommen sind. Es gibt achtundzwanzig andere Universen, die ich noch nicht bereist habe. Dennoch stecke in diesem unbedeutenden Universum fest, werde unter Druck gesetzt, um Entscheidungen über meine Zukunft zu treffen, während ich nicht einmal weiß, wer ich bin, oder was mein Leben für einen Nutzen hat!«

Zu gerne würde sie einmal zu dem Baum gehen und eine andere Frage stellen, doch Nyx bekam seit ihrem ersten Tag an diesem Ort nur die gleiche Antwort: Weil du deiner Mutter mehr bedeutest als ihre Gabe. Doch diese hatte ihren Platz im Engelsrat schon lange verloren, war jetzt nichts anderes mehr als die Botschafterin der Liebe, ohne besondere Stellung mehr in den Universen.

Nyx hatte jedoch eine, immerhin musste sie über Leben und Tod bestimmen. Das sie im Rat nicht willkommen war, wusste die junge Frau, doch die Götter konnten nichts gegen die Gesetze sagen, die alle einst von Todje geschaffen wurden, der ersten Göttin, die existierte, so hatte also auch Nyx ihren Platz im Kreis der Götter bekommen, der Herrscher der Universen.

Sie durfte mitregieren, auch wenn die Göttin schon immer das Gefühl hatte, dass ihre Worte nicht ernst genommen wurden. Dabei war Nyx doch die, die über den späteren Verlauf der Götter entschied, sobald diese starben.

Denn auch wenn man auf der Erde dachte, dass Götter unsterblich waren, so konnten diese bei schweren Fehlern sterben. Dass ihre Mutter noch lebte, wunderte Nyx noch immer.

»Es wird ein Happy End geben, auch, wenn das bedeutet, dass du selbst nicht diejenige bist, die glücklich sein wird. Aber du entscheidest über die Wege der verstorbenen Seelen, Nyx. Du bist so viel bedeutender, als die Götter glauben. Sie denken, nur weil sie älter und somit ja so viel schlauer sind, dass sie so eine junge Göttin wie dich einfach verdrängen, wo du viel mehr Macht als die meisten im Rat hast«, flüsterte der Baum ihr plötzlich eine Antwort zu und ließ einen kleinen Regen von Sternen auf sie niederfallen.

Überrascht blinzelte Nyx die Blätter an, welche ihr erneut wärmendes Licht spendeten. Solch eine Antwort hatte die junge Göttin noch nie bekommen und auch nicht erwartet. Meist schwieg der Baum und gab ihr die gleichen Antworten, als hätte auch er Angst davor, dass Nyx zu schwach für die Wahrheit war.

»Danke, Sphnyx. Möge deine Weisheit bald auch andere bereichern«, sagte Nyx und stand auf.

Ihre Flügel öffneten sich und ragten in den Himmel empor, ehe sie sich mit einem kräftigen Schlag in diesen beförderten.

Bald würde eine neue Sitzung abgehalten werden, indem entschieden werden würde, was mit einem Toten geschah, denn ein grauenhafter Virus hatte sich über die Erde gelegt und nahm viele Leben.

Nyx musste daher fast durchgehend über die weiterführenden Leben entscheiden, welche sich meist als gut befürworten. Was an diesem Toten so besonders war, wusste sie noch nicht.

In einem schnellen Tempo flog Nyx zu dem Portal, welches sie zu dem Rat brachte. Sie hätte auch fliegen können, doch dies hätte mehr Zeit beansprucht, als sie übrig hatte.

Langsam streckte Nyx den ersten Arm durch den flüssigen Spiegel, welches das Bild einer Tür zeigte. Danach folgten ihr nächster Arm und dann ihr ganzer Körper. Vorsichtig trat sie aus dem Portal hervor und nahm ihren Mantel ab.

Ein rotes, bodenlanges Kleid zeigte sich, welches sie mit dem Mantel hatte versucht zu schützen, zum Glück erfolgreich.

Nyx atmete erneut tief durch und straffte ihre Schultern, ehe sie ihre Hand erhob und das Halbmond-Symbol freigab, welches die Tür aufschwingen ließ. Alle Blicke der Götter legten sich auf sie, auch der der verstorbenen Seele.

Er schien jung verstorben zu sein, denn seine Gesichtszüge glichen denen eines jungen Mannes, höchstens fünfundzwanzig. Auch seine Haltung verriet die jugendliche, gesunde Haltung des Toten, aber solche Männer waren ihr kein unbekanntes Gebiet. Was machte ihn dann so besonders, dass Nyx seinen Weg nicht alleine entscheiden durfte?

Mit selbstsicheren schritt ging Nyx auf den Platz zu, der für sie errichtet wurde. Diesmal stand der Stuhl direkt neben den Befehlshaber des Rates, Nolipea, der Gott des Allwissens. So viel sein Name schon verriet, so viel wusste er auch. Man konnte ihm eine Frage stellen und er wusste die Antwort, ohne nachdenken zu müssen, eine Gabe, die Nyx viel lieber als ihre eigene gehabt hätte.

Nyx spürte, wie ihr leicht unwohl wurde bei dem Gedanken, heute an der Front zu sitzen. Solch ein Ereignis geschah wahrscheinlich so selten wie die Ernennung eines neuen Gottes.

»Nun, weil wir alle versammelt sind, wird Nyx über diese Seele richten und uns entweder eine Befürwortung unserer baldigen Worte geben oder uns weitersuchen lassen«, hallte die laute, herrische Stimme Nolipeas durch den Saal.

Erneut legten sich alle Augenpaare auf die junge Frau und sahen sie erwartungsvoll an. Ihr Hass schien sich für diese Sekunde gelegt zu haben.

Eleganten Schrittes ging Nyx auf den Mann vor ihr zu und fixierte seine Augen. Aus den Augen der Verstorbenen konnte die junge Göttin schon immer am meisten lesen, denn ihre Körperhaltung war meist zurückhaltend oder unterwürfig. Sie fürchten sich vor Nyx. Doch diese verurteilte sie nicht. Immerhin fürchtete sie sich manchmal selbst vor ihrer Macht.

»Verstorbene Seele, nenne mir deine Namen«, forderte Nyx und sah ihn kalt an, um sich den Respekt zu verschaffen, den sie benötigte.
Mit einem kleinen Seitenblick erkannte sie die neugierigen und gleichzeitig faszinierten Blicke, der sonst so abweisenden Götter.

»Ich heiße Medon Legonadas«, antwortete der Mann mit fester Stimme, doch Nyx erkannte die Unsicherheit, die in seinen Worten mitschwang.

»Medon, wie bist du gestorben?«, fragte die Göttin und sah den Verstorbenen genauestens an.
»Als ich im Krankenhaus half, infizierte ich mich mit dem Virus«, erklärte Medon und senkte den Blick leicht.

»Reiche mir deine Hand«, sagte Nyx und hielt ihm ihre eigene entgegen.
Vorsichtig legte der Verstorbene seine in ihre und zuckte entsetzt zusammen, als Nyx aus dem nichts ein Messer in der Hand hielt.

Medon wollte seine Hand von dem plötzlich festen Griff der Göttin befreien, doch dieser war überraschenderweise zu stark.

Im Hintergrund vernahm Nyx das entsetzte Raunen der anderen Götter, welche wohl gespannt auf den weiteren Ablauf waren.

»Erschrecke dich nicht, verstorbene Seele. Ich werde nur sehen, welchen Weg dein Schicksal dir vorsieht«, erklärte Nyx und drückte die Messerspitze in den Finger von Medon.

Helles, rotes Blut lief aus der kleinen Wunde und Nyx fing den ersten Tropfen auf, bevor er zu Boden fiel. Prüfend hielt die Göttin die Flüssigkeit gegen das Licht und betrachtete diese. Dann legte sie ihre Lippen an das Blut und verteilte dieses auf ihren Lippen.

»Was tut sie da?«

»Ich habe doch gesagt, dass in ihrem früheren Leben bestimmt ein Vampir war! Sieh sie dir doch an!«, drangen die Stimmen an ihr Ohr, doch sie war solche Reaktionen bereits gewohnt.

Auf einmal schoss ein Blitz direkt durch Nyx Körper und ließ ihre Flügel entflammen. Bilder flogen an ihrem inneren Auge vorbei, so schnell, dass sie keines betrachten konnte, doch so dass sie wusste, welchen Weg die Seele gehen würde. Die Flammen verrauchten und nur die erschrockene Stille im Raum ließ erahnen, was noch eben geschah.

»Medon. Dein Leben war durch gute Erziehung und gutem Hause geprägt. An Lebensmitteln, Materialien oder Geld schien es euch keineswegs zu mangeln. Trotzdem warst immer du der, der den anderen geholfen hatte und meist nichts außer Verrat im Gegenzug bekommen. Doch auch durch die schlechten Erfahrungen warst du immer noch der festen Überzeugung, dein medizinisches Talent für andere zu nutzen. Auch schienst du anderen Personen die Menschen in ihrem Leben lassen zu wollen, die ihnen wichtig waren, nachdem du deine eigene verloren hast. Du bist für einen anderen Menschen gestorben, als du ihm von dem Virus befreit hast. Ich erkenne deine Seele als rein und lasse dir die Pfade des Himmels erleuchten«, verkündete Nyx und trat von Medon zurück.

Seine Augen hatten sich in ihren verloren, schienen nach etwas zu suchen, sich an etwas zu erinnern. Auf einmal erschien ein Bild vor ihren Augen:

»Wie hast du das gemacht?«, fragte eine junge Frau erstaunt und blickte überrascht auf das kleine Bäumchen, welches unglaublich schnell wuchs.
Er grinste und erwiderte: »Du bist nicht die Einzige hier, die besonders ist.«

Doch Medon zuckte plötzlich erschrocken zusammen, als die laute Stimme von Nolipea ertönte.

»Die Göttin des Todes hat gesprochen und uns somit die Befürwortung unserer folgenden Tat gegeben!«

Nyx drehte sich um und sah zu dem Befehlshaber auf. Seine Augen strahlten glücklich und seine Haltung verriet seinen Stolz. Verwirrt blickte die Göttin die anderen an, doch diese schienen bereits Bescheid zu wissen.

»Medon zeige uns deine linke Handfläche!«, forderte Nolipea und Nyx erkannte zum ersten Mal ein leichtes Lächeln auf den Lippen des Allwissenden.

Medon hob seine Hand und man erkannte ein Sonnen-Symbol. In der göttlichen Umgebung erstrahlte es noch deutlicher.

»Mit diesem Symbol wurde Medon als Gott des Lebens auserwählt und durch die Worte der Göttin des Todes wissen wir nun, dass deine Seele rein ist und du deinen Platz als Gott des Lebens in unserem Rat einnehmen kannst«, verkündete Nolipea und fröhlicher Beifall erklang.

Der neue Gott schien jedoch etwas überfordert mit seiner neuen Aufgabe.

»Und wie soll ich das machen?«, fragte Medon verwirrt und blickte Nyx aus dem Augenwinkel an.

Seine Blicke verwirrten Nyx. Es kam ihr fast so vor, als würde sie den Mann kennen, aber sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Oder?

»Todje wird dir deinen Weg leiten«, sagte der Allwissende, ehe er sich umdrehte und somit wortlos den Rat beendete.

Stühle wurden zurechtgerückt und Gemurmel hallte von den Wänden wider. Niemand warf Nyx diesmal einen angewiderten Blick zu, oder wies sie darauf hin, dass sie ein Fehler war. Lag es daran, dass sie soeben einen Gott erschaffen hatte?

Überraschenderweise verabschiedeten sich sogar alle Götter von ihr und schenkten ihr ein lobendes Lächeln.

Nyx fühlte sich zum ersten Mal glücklich und schaffte es zu lächeln. Ein seltenes Bild von ihr, denn sonst sah sie niemand aus der Baum Sphnyx lächeln, falls er dies überhaupt sah, immerhin hatte der Baum keine Augen.

Langsam ging Nyx aus dem Saal und trat vor die Spiegelwand. Auf der Erde waren Spiegel bloß eine Fläche, auf der man die Reflektion seiner selbst sah, doch in den Universen waren Spiegel Portale, die einen in andere Orte teleportieren konnten.

Sie nahm sich ihren Mantel, den sie an einen Haken gehangen hatte und zog ihn sich über. Ihr rotes Kleid verschwand sofort unter dem dunklen Stoff.

Schnellen Schrittes ging sie wieder zu den Spiegeln und trat durch das Portal, was ihr Universum zeigte.
Auf der anderen Seite angekommen, breitete sie ihre Flügel aus und flog durch die dunkle Nacht. Morgen würde sie Sphnyx wieder besuchen müssen, das wusste sie. Die ganzen Ereignisse des heutigen Tages verwirrten die junge Göttin und gerade dieser Medon, der Nyx Aufmerksamkeit geweckt hatte, kam ihr komisch vor. Es schien ihr fast so, als würde sie ihn bereits kennen, nur woher?

»Schlag dir den Gedanken aus dem Kopf, Nyx. Du kannst niemanden kennen, den du zuvor nie gesehen hast!«

Doch Medon erging es nicht anders als ihr. Okay, vielleicht ein bisschen.

Anstatt sich auf den Weg zu seinem neuen Haus zu machen, saß er mit dem Befehlshaber in einem kleinen Raum und musste mit ihm reden, über seine Vergangenheit und welche Person er damals verloren hatte. Ihn interessierte die Geschichte sehr, welche Frau dem jungen Gott damals den Kopf verdreht hatte.

»Sie war so etwas wie eine typische Außenseiterin. Ihre Liebe galt der Kunst des Schreibens und der Musik. Oft sah man sie meist nur mit Kopfhörern in den Ohren und ein Notebook unter den Fingern. Sie hat es geliebt, ihr Leben zu leben, wie sie es mochte, da war es ihr auch egal, ob da jemand war der sagte, dass sie keine Freunde hatte. Irgendwann mussten wir beide zusammen einen Deutschaufsatz gemeinsam schreiben. Wir hatten uns sofort verstanden und gemeinsam eine Menge Zeit verbracht. Wir kamen uns immer näher und kamen zusammen, es war eines der schönsten Momente in meinem Leben. Als ich sie jedoch küssen wollte, hat sie sofort abgelehnt und mich weggedrückt. Sie erzählte mir von Unglück, wann immer sie jemand küsste, und achtete danach immer strikt darauf, dass wir niemals Zärtlichkeiten austauschten. Einmal sagte sie zu mir: Wie zerstört man ein Monster, ohne selbst eines zu werden? Ihre Frage habe ich bis heute nicht verstanden«, erzählte Medon und seufzte traurig. »Eines Nachts rief mich ihre Mutter weinend an und erklärte mir, dass man sie überfahren hätte. Sie war tot. Das war vor zwei Jahren.«

Schweigen auf der anderen Seite des Tisches. Der Allwissende schien sprachlos, entsetzt und traurig zugleich zu sein. Verständlich. Kein anderer hatte positiv auf die Geschichte reagiert.

»Du hast das Mädchen immer nur sie genannt, aber wer ist sie?«

»Sie hieß Nyx. Ein komischer Zufall, nicht?«, fragte Medon und lachte leicht.

»Allerdings«, lachte auch Nolipea und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

»Du kannst nun gehen, Gott des Lebens. Darauf, dass Todje dir deinen Weg zeigt.«

Medon nickte nur wortlos, schenkte dem Allwissenden ein letztes Lächeln, ehe er den gemütlichen Raum verließ.

Es war in warmen Brauntönen gehalten, die sich allesamt dem anderen Möbelstück anpassen zu schienen. Zwei bequeme Sessel, die sich gegenüber an einem Tisch aus Akazie befanden und mit ihrem hellen weißen den einzigen Farbkontrast bildeten. Warmes Licht fiel durch ein großes Fenster hinter dem Befehlshaber und ließ auf eine komische Weise aufleuchten.

Doch das Gespräch mit dem Allwissenden hatte etwas in dem jungen Mann ausgelöst, ein Gefühl der Erinnerung. Die Nyx, die er eigentlich kannte, hatte blonde Haare und blaue Augen, war immer aufgeweckt und schien nie mal keine Energie zu haben. Doch diese Nyx schien kalt zu sein, fast schon tot. Wobei, sie war der Tod, die Göttin des Todes.

Er war von heute an der Gott des Lebens, das Gegenteil ihrer selbst.
Seufzend schüttelte Medon den Kopf und drückte die Klinge hoch.

Nun war er alleine in dem großen Flur, der zur Spiegelwand führen sollte, so hatte es auf jeden Fall die Göttin des Krieges erklärt. Er konnte jedoch nicht weiter nachfragen, weil sie bereits davon gerannt war mit den Worten: Ich muss einen Krieg
überwachen. Dann war sie weg.

»Dann wollen wir mal sehen«, murmelte der junge Mann und ging den gleichen Weg, den auch die Göttin des Krieges gerannt war.

Er betrachtete die vielen Portraits der Götter, obwohl er sagen musste, dass Gemälde ihm noch nie ganz geheuer gewesen waren. Medon schien es fast, als würden die Augen ihn überallhin hinterhersehen. Umso erleichterter war er, als er die große Spiegelwand erkannte.

Schnellen Schrittes schritt er auf die Spiegel zu und schloss die Augen. Ohne, dass er sah, welchen Spiegel er wählte, ging er auf die Wand zu und ließ sich in eines der Portale fallen. Dabei bedachte er nicht, dass er weder fliegen noch auf Land landen würde.

Ein Portal öffnete sich immer in einer Wolke, so dass man in freiem Fall nach unten fiel. Nyx hatte damit auch erst zu spät Erfahrungen gemacht und war bei ihrem ersten Flug unsanft auf den Bauch gefallen. Doch Medon wurde von seinen eigenen Flügeln aufgegangen, welche sich noch leicht unsicher durch die Lüfte bewegten.

»Jedenfalls bin ich nicht auf diesen Tempel gefallen«, lachte Medon leicht über sich selbst und flog auf diesen zu.

Ein helles Licht drang aus dem Inneren des zerstörten Tempels und lockte den jungen Gott an. Neugierig flog er noch etwas ungelenk auf die Öffnung zu und ließ sich unsicher auf den Boden zu segeln.

Er landete vor einem kleinen Fluss, der durch ein Astgeflecht floss. Gedämmtes Licht drang zu ihm und mache ihn noch neugieriger. Vorsichtig drückte er die Äste auseinander, die jedoch auf eine komische Art und Weise selbst Platz machten. Somit konnte Medon problemlos durch das Geflecht und sah einen schneeweißen Baum, der seine Äste hoch in den Himmel ragen ließ. Er stand am Rande des kleinen Teiches, der so klar war, dass man bis auf seinen Grund sehen konnte. Die Blätter flüsterten ihm zu, näher zu kommen, was seine Neugierde nur befürwortete.

»Ein sprechender Baum. Und ich dachte schon, dass die Märchen wirklich hirnlos wären«, lachte der junge Gott und strich vorsichtig über die kühle Rinde des Stamms.

»Das dachte ich anfangs auch«, sagte plötzlich eine kalte Stimme hinter ihm.

***

Nyx konnte nicht bis morgen Abend warten, sie wollte jetzt ihre Antworten. Als sie aber jedoch am Baum ankam, sah sie einen Gott dort stehen.

Es nervte sie, denn es war schade um ihren Lieblingsort, aber sie konnte niemanden verbieten, zum Tempel zu gehen, oder was davon noch übrig war. Doch auf einmal fing der Gott an, mit dem Baum zu sprechen, und Nyx antwortete für ihre alte Freundin.

»Das dachte ich anfangs auch.«
Die Gestalt drehte sich um und Nyx sah direkt in Medons Augen.

Seine Augen waren in einem satten Grün und seine Haare war dunkelbraun. Sie waren leicht verwuschelt, wahrscheinlich von seinem ersten Flug.

»Du kennst diesen Ort?«, fragte Medon die Göttin des Todes und sah sie verwundert an.

»Man könnte sagen, dass Sphnyx meine beste und einzige Freundin geworden ist«, erklärte Nyx und setzte sich auf eine der breiten Wurzeln des Baums.

»Sphnyx?«

»So heißt der Baum«, lachte Nyx trocken.

Medon nickte nur und betrachtete den großen Baum. Seine Blätter waren so strahlend weiß wie Papier und auch genauso dünn.

»Kann es sein, dass wir uns irgendwoher kennen?«, fragte Nyx plötzlich und setzte sich mit Abstand zu dem jungen Gott.

»Das habe ich mich auch bereits gefragt!«, sagte Medon und sah die junge Frau neben sich an verwundert an.

»Kann es sein, dass wir uns in unserem früheren Leben einmal gesehen haben?«, fragte sich Nyx und schaute in den schwarzen Nachthimmel.

Kleine Sterne ließen den Himmel glitzern und der Mond erleuchtete die dunkle Nacht. In dieser Zeit des Tages fühlte sich Nyx am wohlsten. In der kühlen Nacht, ihrem Ebenbild.

»Vielleicht«, murmelte Medon und sah auch in die helle Sternennacht.

Schweigen legte sich über die beiden jungen Götter, als sie das letzte Wort miteinander gewechselt hatten. Es war ein angenehmes Schweigen, von beiden Seiten, in dem sie die Nacht betrachteten. So hingen sie ihren Gedanken nach, oder auch Erinnerungen an ihr früheres Leben, als sie versuchten herausfinden, woher die beiden sich kannten.

»Ist es nicht schwer, Seelen in die Hölle zu schicken?«, brach Medon das Schweigen und richtete seinen Blick auf die Göttin des Todes.

»Keineswegs. Diese verstorbenen Seelen haben sich ihren Weg selbst ausgesucht. Ich tue nichts weiter, als ihnen ihre Strafe zu verhängen«, erklärte Nyx und drehte ihren Kopf in die Richtung des jungen Mannes.

»Wie schickst du diese Seelen eigentlich in die Hölle?«, fragte Medon erneut neugierig und dachte an den Weg, wie Nyx ihn zum Gott machte.

»Ich kann mit meinem Kuss die Verstorbenen töten. Sie wachen in der Hölle auf und erinnern sich an nichts mehr, außer ihre Fehler, für die sie im Feuer bezahlen müssen«, antwortete die Göttin geduldig und lehnte sich an den Stamm.

»In meinem früheren Leben hatte ich einen Freund, ich wusste, dass es eine schlechte Entscheidung war, aber ich liebte ihn. Als er mich küssen wollte, musste ich ihn abweisen. Ich hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen und doch, er war verständnisvoll«, erzählte Nyx und ließ ihren Finger leicht über die Lippen gleiten.

»Du hattest deine Gabe schon bei Lebzeiten?«, stellte Medon entsetzt fest und schluckte schwer.

»Ja. Das war die Strafe«, erklärte Nyx kühl, denn sie hasste das Thema, was er ansprach.

»Strafe?«

»Meine Mutter hat gegen mehrere Gesetze verstoßen.«

»Oh«, flüsterte Medon leise und sah weg.

Stille. Unangenehme Stille. Medon wollte Nyx nicht auf weitere Themen ansprechen, die ihr nicht gefielen, aber er hatte immer mehr das Gefühl, dass sie diejenige war, die er früher einst liebte und es tief im Inneren noch immer tat.

»Woran bist du verstorben?«, fragte der junge Gott vorsichtig und sah die Frau neben ihn unsicher an.

»Ich wurde vor ein paar Jahren überfahren«, antwortete Nyx traurig und sah wieder das Bild vor sich.

Quietschend versuchten die Reifen den Aufprall abzuhalten, doch es war zu spät. Ein widerliches Knacken ertönte, als würde jemand auf einen Ast treten und ihn zerbrechen. Die Lichter um Nyx herum wurden schwarz und die Dunkelheit umgab sie.

»Ich habe mich so schlecht gefühlt, als ich mich bei Medon nicht entschuldigen konnte. Ich konnte ihm nicht erklären, wieso ich mit ihm keine Zärtlichkeiten austauschen konnte«, flüsterte Nyx und sah auf ihre Hände.

Medon griff plötzlich nach ihren Händen und drückte sie fest.

»Nyx, ich bin es!«, rief Medon und lächelte traurig.

Auf einmal durchbrach ein grauenhafter Schmerz ihren Körper und Tränen füllten ihre Augen.
Er streckte Nyx vorsichtig seine Hand entgegen.

»Komm mit mir.«

Sie sah weg, mit den Tränen in den Augen.

»Ich kann nicht«, flüsterte sie.

Nyx biss sich auf die Lippe und kniff die Augen zusammen. Sie wollte nicht weinen, wollte auf keinen Fall zeigen wie schwach sie war.

»Immerhin habe ich heute noch niemanden ermordet.«

»Du sagst das, als wäre das etwas schwieriges gewesen.«

Nyx lachte trocken und blinzelte sich die Tränen weg. Wäre sie nicht die Göttin des Todes, dann hätte sie schon mehr Gesetze gebrochen, als ihr lieb war. Jeden Tag musste sie Seelen in die Hölle schicken und dafür musste sie morden.

»Nyx, wir können das zusammen schaffen! Der Allwissende kann dir bestimmt Liebe gewähren!«

Auf einmal sprang Nyx wütend auf und musste sich ihre Tränen unterdrücken.

»Das ist doch die Strafe meiner Mutter, unter der ich leiden muss! Ich darf niemals jemanden so lieben wie die anderen!«

Entsetzt blinzelte Medon und stand vorsichtig auf. Er umfasste sanft ihre Hände und lächelte leicht.

»Was hat deine Mutter getan?«, flüsterte er unsicher.

»Meine Mutter hat ein ganz besonderes Gesetz gehabt: Niemals einen Menschen lieben oder gar mit einem zusammenkommen. Aber wie es mit den Regeln so ist, wurden sie gebrochen. Jeder hat das Vertrauen in sie verloren und somit auch in mich, immerhin bin ich ihre Tochter.«

Medon lächelte und umfasste ihre Hände ein wenig fester.

»Ich traue dir.«

»Du traust mir?«

»Ja.«

»Nicht einmal meine eigene Mutter traut mir.«

Medon lachte und schüttelte den Kopf.

»Es ist mir egal, ob wir sterben, oder hast du auch so ein Gesetz?«, fragte Medon, mit einem belustigten Unterton.

»Nur, dass ich mich niemals in eine böse Seele verlieben kann.«

Medon lächelte. Niemand hatte ihr anscheinend verboten, dass sie sich verlieben konnte. Ohne Vorwarnung zog er sie zu sich und legte seine Lippen auf ihre. Es war ihm egal, ob er sterben würde, Hauptsache, er konnte Nyx einmal küssen.

Entsetzt riss diess ihre Augen auf, wollte alles, nur nicht erwidern, doch sie erwiderte den Kuss und spürte nichts. Medon lebte noch und lächelte sie glücklich an.

»Die Götter lassen dich nicht länger unter den Fehlern deiner Mutter leben.«

»Lebe die Liebe.«

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