- Kapitel 2: Hüllengleichnis -

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Die kleine Ortschaft besaß eine mickrige Ansammlung von achtundachtzig Häusern in unterschiedlichem Grad des Verfalls. Die meisten waren ausgeräumt worden, als wären deren Bewohner Hals über Kopf davongerannt. Umgetretene Gartenzwerge und zerschmetterte Rasendeko lagen in der hohen Wiese verstreut, als hätte in einigen der Grundstücke eine Bombe eingeschlagen. Ein Umstand, der durch die Trümmerhaufen einiger Gebäude durchaus plausibel war. Dachschindeln und aus dem Rahmen gebrochene Fenster machten klar, dass hier schon vor Ewigkeiten niemand mehr gewesen war. Unmissverständlich ereilte Zar diese Eingebung spätestens, nachdem er die weißen, blankgeputzten Überreste eines menschlichen Skeletts entdeckte, das ausgebreitet, als würde es ein Sonnenbad nehmen, inmitten einem der Vorgärten lag.

Juraj trat über es hinweg und ging die drei Treppenstufen zum Hauseingang nach oben. Er hatte seit ihrer Auseinandersetzung am Pandur wenig gesprochen und Zar lediglich mit seinem Maschinengewehr weitergewunken, wenn er der Meinung war, dass sie mit einer Grundstückbesichtigung fertig waren.

Er folgte Izabelas Supersoldaten ins Haus des sich entspannenden Toten und schob ein abgerissenes Poster mit dem Stecken aus dem Weg, den er sich in Ermangelung einer Waffe angeeignet hatte, um zumindest nicht völlig mittellos hinter Juraj herzudackeln. Prinzipiell störte es ihn nicht, seine Rückansicht zu genießen, allerdings würde er sich durchaus sicherer fühlen, wenn er selbst eine geladene Waffe schwenken konnte. Aber Juraj darum zu bitten, erschien ihm im Augenblick noch nicht sehr weise. Nein, das musste er besonnen angehen, nicht, dass er die hundertkiloschwere Killermaschine noch fälschlich gegen ihn aufbrachte und sein Leben schneller verlor als unter Izabelas Umsichtigkeit. Außerdem erschien es ihm als unfair, Vega ihren Triumph nicht zu ermöglichen. Wenn er starb, dann wenigstens durch ihren wilden, ungezügelten Appetit.

Das Haus war wie jedes vorherige komplett leergefegt. Glasscherben und zersprengtes Holz schmückte die Flure und ihre zerwühlten Teppiche. Dort, wo die Türen offen standen, hatten Wind und Wetter phänomenale Arbeit geleistet. Auch, wenn niemand mehr hier war, um sich aufgrund von Wasserschäden oder vermodertem Laub aufzuregen, schob Zar die ärgsten Überreste zu einem Haufen zusammen, während Juraj militärisch professionell die Umgebung sicherte und nach Nützlichem Ausschau hielt.

Aber spätestens nach dem siebten so erkundeten Haus, wurde schnell klar, dass es hier niemanden mehr gab. Zar hockte sich vor das Skelett im Vorgarten und formte seine klapprige Hand zu einem Daumenhoch.

»Was machst du denn?«, zischte Juraj und sah ihm ungeduldig über die Schulter.

Zar zuckte mit den Achseln. »Der hier wurde von keinem Engel getötet, da verdient er es, diesen Umstand zu feiern.«

Juraj verzog den Mund zu einer strengen Linie. »Wir gehen weiter.«

Zar stand sich auf den Knien abstützend mit einem Seufzen auf. »Hier gibt es keine Engel. Oder irgendeine Menschenseele.«

Juraj bedachte ihn mit einem fragenden Blick, der die harte Maske seiner bemüht autoritären Erscheinung sprengte. Zar grinste. »Asavi vertraut mir bedingungslos. Das kannst du auch tun.«

Jurajs Gesicht verdüsterte sich und er packte das Maschinengewehr fester. »Das kann ich nicht.«

Zar zuckte mit den Schultern und deutete mit seinem Stecken in Richtung des von ihnen beanspruchten Hauses. »Also willst du sie einfach schutzlos in dem Haus lassen? Was ist überhaupt dein Plan?«

»Wir bewegen uns in einem Radius um das Grundstück.«

»Schön, wie du willst. Aber um dir zu beweisen, dass ich's ernst meine, frage ich dich nicht einmal nach deiner Schusswaffe«, zwinkerte er ihm zu.

Jurajs Augen verengten sich, aber er ließ es unkommentiert und sie setzten ihre Erkundungstour schweigend fort, bis sie auf eine weitere Leiche trafen.

»Keine Engel, sagst du?«, knurrte Juraj und hob sein Maschinengewehr an die Schulter.

Zar hob die Augenbrauen. Der leblose Körper lehnte an einer der zerbröckelten Grundstücksmauern und starrte ins Nichts. Es war unmöglich zu sagen, wie lange die Frau schon tot war, denn ihre Haut war zwar wächsern, aber unversehrt, ihr Körper von der Natur unberührt. Kein Tier hatte sich an sie herangewagt, um das Fleisch von ihren Knochen zu nagen oder ihr die Augen auszupicken. Ihr aufgebrochener Brustkorb hatte nicht geblutet, keine Fliege hatte ihre Eier in die blutige Masse ihres Torsos gelegt und obwohl die weißen Knochen ihres Rippenbogens unter der Vormittagssonne glühten wie Sterne am Nachthimmel, roch es nicht einmal nach Verwesung.

Zar drehte seine Nase in den schwachen Wind, roch aber nichts weiter als die auftrocknende Umgebung. Erde, reifes Rispengras, die Anfänge eines Hochsommertages, den man nur im Schutze eines Baumes überstand, jedoch kein Eisenkraut. Keine kalte Note in der Luft, die ihn weder vollkommen an Schnee, noch an Stein erinnerte, aber an eine kosmische Mischung. Natürlich würde er niemals behaupten, er wüsste, wie ein Komet roch, auch wenn das die einzige Assoziation war, die er mit dem Duft der Engel in Verbindung brachte.

Hier gab nichts, was darauf hindeutete, dass der Engel, der diese Frau gefressen hatte, sein Unwesen noch im Dorf trieb. Ihrer Kleidung nach zu urteilen hatte sie sich hier oder in der Nähe verschanzt gehabt, keine Waffen, keine Ausrüstung. Ein beunruhigendes Mysterium.

Zar ging vor ihr in die Hocke. Er hatte einmal mit Asavi über die Hüllen gesprochen, welche die Engel zurückließen. Nicht von dieser Welt, eingefroren in einem zeitlosen Zustand gefangen und nach dem ganzen Gerede über den Sensenmann und seine verantwortungslose Vernachlässigung seiner Pflichten gegenüber, wunderte er sich, ob das beunruhigende Stadium dieser Leichen nicht doch mehr verletzte als das Naturgesetz der Wiederverwertung. Es war falsch und entwürdigend, sie hier so liegen zu sehen, und irgendwie nahm Zar das persönlich.

Nicht einmal die Haare der Frau wehten in der Brise, die das Gras um ihren Körper sanft hin und her wogte. Irgendetwas absolut Widernatürliches haftete ihrem entstellten Körper an, das Zar eine Gänsehaut über den Nacken jagte. Ihm waren schon öfter, zwangsweise, Hüllen untergekommen, denn wenn man auf Engel Jagd machte, folgte man meistens ihrer Spur der Verwüstung. Er streckte den Arm vorsichtig nach ihrem Kinn aus, ehe Jurajs Hand nach vorne schoss und sein Handgelenk packte.

Zar hob eine Augenbraue und sah zu ihm nach oben. Juraj schüttelte den Kopf. »Fass sie nicht an.«

Zar entzog ihm seine Hand und legte sie auf seine angewinkelten Knie. »Erinnern sie dich an deine Brüder?«

Juraj starrte ihn verwirrt an und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die von der Zeit unberührten Leiche. »Wieso sollte sie?«

Zar biss sich auf die Lippe und stemmte sich mit seinem Stecken auf die Füße. »Naja«, machte er und begutachtete Jurajs Erscheinung von Kopf bis Fuß. »Izabela erkauft sich doch die Loyalität ihrer Engel mit Kerlen wie dir.«

Juraj starrte ihn stumm an, dann wieder auf die Leiche zu ihren Füßen. Die distanzierte Maske bröckelte und unter seinen makellosen Gesichtszügen spielte sich ein beeindruckendes Schauspiel aller möglichen Emotionen ab, die im Endeffekt zwischen Unglauben und Entsetzen wechselten. Er ließ das Maschinengewehr sinken und fasste sich mit der freien Hand an die Brust. »Was meinst du damit?«

Zar atmete tief durch. »Ich dachte, du wusstest das. Arjan hats erwähnt.«

Juraj schluckte schwer und er wandte sich zu ihrem einstweiligen Lager um, als suchte er dort nach einer Antwort. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte er dann hart und seine Knöchel um das Maschinengewehr traten weiß hervor.

Zar trat sicherheitshalber einen Schritt näher und schob sich an Jurajs Seite, um im Notfall nicht direkt erschossen zu werden. »Arjan hat erzählt, dass Izabela ihre gezüchteten Soldaten den Engeln zum Fraß vorwirft, weil sie ja mit Luna-Major immer wieder neue Dus züchten kann.«

»Nein. Izabela versucht genau das zu verhindern. Dass die Engel Menschen töten.«

»Wie sonst kann sie Psychopaten wie Vega unter Kontrolle halten? Sicherlich nicht mit leeren Versprechen.«

Juraj sah aus, als wäre ihm schlecht. »Das ist nicht – Izabela hat nicht-«

Zar drückte den Lauf des Maschinengewehrs behutsam gen Boden, denn Jurajs Griff war dem Abzug viel zu nahe gekommen. »Izabela hat ihre eigene Tochter beinahe hinrichten lassen und lediglich darauf bestanden, ihr nur in die Beine zu schießen, damit sie nicht davonlaufen kann. Izabela hatte nie Skrupel und wird jetzt garantiert keine mehr entwickeln.«

»Dann lügt Arjan.«

Zar seufzte und packte Juraj mit beiden Händen an den Schultern. Er drehte ihn vom Anblick der Hülle weg, um ihm hinauf in die Augen zu sehen. »Warum sollte Arjan lügen? Er saß seit Jahren im Gefängnis. Meinst du ernsthaft, er fängt mit dem Lügen an, nachdem Izabela ihn ausgepresst hat, wie eine Olive?«

Jurajs Blick schoss tatsächlich zu ihm und er verzog den Mund. »Das ist kein guter Vergleich.«

Zar lächelte. »Ich dachte wirklich, das wüsstest du. Ist ja nichts, das man leicht unter den Tisch fallen lassen kann«, fügte er ernster hinzu.

Juraj schüttelte leicht den Kopf. »Gehen wir weiter.« Er schob Zars Hände von seinen Schultern und umklammerte erneut sein Maschinengewehr.

Obwohl Juraj bestimmt hundemüde war, hielt er sich den Tag über stoisch. Zar beobachtete ihn immer wieder aus den Augenwinkeln, während er sich durch die Einrichtung des Hauses wühlte und seinen Verdacht bestätigt vorfand, dass der Grund, warum dieses hier so unberührt geblieben war, tatsächlich seiner Existenz als Ferienhaus zu verdanken war. Die Menschen, die aus diesem Ort geflohen waren, hatten sich nicht die Mühe gemacht, einzubrechen und die Utensilien mitgehen zu lassen, was das Aufbauen eines Lagers zumindest erleichterte.

Asavi war immer noch bewusstlos, aber zumindest hatte sich die tiefe Furche zwischen ihren Augenbrauen ein wenig geglättet.

Juraj machte wie versprochen etwas zu Essen, was bedeutete, dass er vorerst auf dem Campingkocher eine Suppendose aufwärmte. Zar beklagte sich nicht. Vor allem, weil Juraj seit der Entdeckung der Hülle schwieg wie ein Grab und seine Kommunikation auf die wenigen Befehle und Antworten beschränkte, die Zar aus ihm herauspresste. Er ließ es sich auch nach Sonnenuntergang nicht nehmen, an Asavis Bett Wache zu halten, sodass Zar ihn schwer seufzend in die Wohnküche bat.

»Hör zu«, beschwor er Juraj und deutete auf die Metallstühle mit dünnem Plastikbezug. »Es hat keinen Sinn, wenn du die zweite Nacht durchmachst, wenn ich sowieso nicht viel Schlaf brauche.«

Juraj schlug seine Geste stumm aus, rieb sich aber trotzdem erschöpft mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Ich beschütze sie.«

Zar neigte versöhnlich den Kopf. »Ist angekommen. Und wie bereits gesagt, mache ich das auch. Aber wenn du dich bis zum äußersten Rand der Erschöpfung stresst, bist du für sie keine Hilfe mehr, sondern bestenfalls ein Risiko, wenn nicht komplett ein Hindernis.«

Das saß. Juraj ließ erschlagen den Arm fallen und fuhr sich durch die Haare, die selbst nach zwei Tagen Dauerstress immer noch perfekt saßen.

Zar schob seinen metaphorischen Fuß in den Spalt und hakte daraufhin weiter ein. »Und vertrau mir, Asavi ist zwar nicht die Eloquenz oder Diplomatie in Person, aber sie würde sich ganz furchtbar fühlen, wenn du ihretwegen leidest.«

»Ich leide nicht.«

Zar hob abwehrend die Hände. »Schön, mach dir das mit ihr aus, wenn sie aufwacht. Ich für meinen Teil bin mit dem heutigen Tag durch. Wenn du jemanden brauchst, der dich in den Arm nimmt, weißt du ja, wo du mich findest«, zwinkerte er ihm zu.

Damit wandte er sich um und marschierte schnurstracks ins Wohnzimmer, um sich mit dem Gesicht voran auf die Sitzecke sinken zu lassen. Es brachte vermutlich auch nichts, Juraj zu erklären, dass sein sechster Sinn besser funktionierte als jedes Ortungsgerät.

Für eine Weile lauschte er noch auf Jurajs Schritte, aber schon bald drifteten seine Gedanken ab. Er wollte nicht schlafen, nicht mit seinen Erinnerungen alleine bleiben und schon gar nicht über Arjan nachdenken. Also tat er es nicht. Stattdessen fing er an, den Lageplan des Dorfes auf einem Papierrest aus dem Bücherschrank im Schein einer Taschenlampe zu skizzieren und sich mit Gehirnakrobatik zu errechnen, wie weit und wohin sie gefahren waren. Alles andere durfte warten.


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