"Award oder so": Endlich

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Ich erstarrte, als ich die Türklingel hörte. Einmal kurz, einmal lang, zweimal kurz und nochmal lang.
Unser Zeichen seit Kindertagen. Wie im Traum lief ich zur Tür. Jetzt noch erinnere ich mich genau an das Schlurfen meiner Pantoffeln, denn das war es, worauf ich mich konzentrierte. Kein Gedanke an etwas anderes, nicht an meinen Bruder, der vor der Tür stand.
Meine Hüfte schmerzte, auch das weiß ich noch. Dann lag meine Hand auf der Klinke. Kurzes Zögern. Wir standen uns gegenüber.
„Hallo...", sagte er.
„Hallo", sagte ich.
Wir schwiegen.
Verändert hatte er sich nicht viel, nur seine Haare waren grau geworden. Dennoch sah man ihm an, dass er jünger als ich war.
Es gab eine Zeit, in der wir uns immer etwas zu sagen hatten. Das war, bevor er mich allein ließ.
Jon fasste sich zuerst wieder.
„Also ... naja, ich dachte, ähm, ich komme einfach mal vorbei. Auf einen Spaziergang. Durch den Garten."
Hinter der offenen Tür regnete es in Strömen. Was ich dann tat, war seltsam, aber ich war müde, alt und von seinem Besuch überrumpelt. Alles in allem war es eine Kombination, die mich zu den verrücktesten Sachen hätte bringen können.
Jedenfalls begann ich, mir Schuhe, Jacke und Mütze anzuziehen. Er beobachtete mich nur.
Als ich fertig war, sagte ich: "Dann also, ein Spaziergang durch den Garten."
Ich lief einfach an ihm vorbei nach draußen. Der Garten war riesig. Es war derselbe, in dem schon unsere Mutter als Kind spielte.
Plötzlich zeigte Jon auf einen Baumstumpf.
„Ursula ist weg?"
Von da an sah ich alles mit anderen Augen. Ursula war der Name des Bäumchens, das wir vor vielen Jahren eingepflanzt hatten. Ein Apfelbaum. Ich weiß nicht, wie oft ich damals "Äpfel von der Ursula" holen sollte. Irgendwann letztes Jahr wurde sie von einem Gewitter so ramponiert, dass sie ganz gefällt werden musste. Es war wohl diese Erinnerung, die mich all die Jahre ohne Jon vergessen ließ.
Wir begannen, gemeinsam durch unsere Erinnerungen zu laufen. Die Schaukel, die früher einmal leuchtend rot war, weil wir sie selbst streichen durften. Der Vogelschuppen, in dem wir mehrmals versuchten, angeschlagene Vögel aufzupäppeln. Irgendwie hatten diese Tiere eine Schwäche für unser Küchenfenster, wogegen sie regelmäßig flogen. Während wir so gingen, erinnerten wir uns an noch viel mehr.
Durch die Ablenkung spürte ich meine Hüfte kaum noch, was ich aber sicher auch Jon zu verdanken hatte, der mich stützte. Schließlich standen wir vor der Villa, unserem Baumhaus. Lange fühlten wir uns dort mehr zuhause, als im Gutshaus.
„Komm mit hoch!", rief ich.
„Sicher, dass du da hochkommst? Und das bei dem Wetter?"
Bei Jons Einwand hing ich schon an der Leiter. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mir zu helfen. Der Weg nach oben war tatsächlich schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Sprossen waren rutschig und ich nicht gelenkig. Doch wir schafften es. Erschöpft legte ich mich auf den Boden. Erstaunlicherweise war er trocken. Niemals hätte ich gedacht, dass die Villa noch so gut hält. Jon setzte sich neben mich.
„Du... eigentlich wollte ich dir noch etwas sagen. In den letzten Jahren... Es tut mir leid."
„Wieso bist du nicht gekommen? Wieso ausgerechnet heute?"
„Jemand hat mich daran erinnert, wie wichtig die Familie ist. Ich hatte mir immer eingeredet, ich hätte keine Zeit. Die Arbeit ist mir zu wichtig geworden und ich glaube, je länger ich nicht hier war, desto weniger habe ich mich getraut zu kommen... Ich weiß, dass sind alles keine Gründe. Entschuldigung."
Ich sagte nichts. Eine Weile hörten wir nur den Regen, der langsam nachließ. Dann seufzte ich.
„Danke, dass du heute da bist."
Wieder schwiegen wir. Irgendwann verschwand der Regen ganz. Alles war friedlich, so friedlich, dass ich selbst auf dem Holzboden eingeschlafen sein muss. Aufgewacht bin ich nie wieder.
Mit einundneunzig Jahren war das auch nicht nötig und schließlich ist mein Bruder noch rechtzeitig gekommen.



Diese und auch die nachfolgende Kurzgeschichte habe ich für den "Award oder so" von @StaubfingerGwin geschrieben. Leider wurde der Award bis auf Weiteres abgesagt, weshalb dazu auch nichts mehr kommen wird. Beide Geschichten sind in der Überschrift als Teil des Awards gekennzeichnet.

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