Nur ein Selbstgespräch

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Wie schafft Jim es nur zu schlafen, während unsere Tochter mich schon fast eine Stunde wachhält? Gerade strecke ich meine Hand aus, um ihn zu wecken, da lässt mich sein plötzliches Aufschnarchen innehalten. Ich muss lächeln. Heute lasse ich ihn in Ruhe. Er ist dann morgen wieder dran. Meine Aufmerksamkeit wandert zurück zu dem Kind in meinem Arm.
„Hey, du ...", flüstere ich ihr zu, „weshalb kannst du nicht schlafen? Liegt es am Gewitter?"
Es kommt keine Antwort, natürlich nicht, sie ist noch kein halbes Jahr alt. Eine Windböe schlägt den Regen gegen das Fenster. Für ein paar Sekunden wirkt es, als würde das Wetter bei uns anklopfen, dann wird das ständige Rauschen wieder zu einer Hintergrundkulisse.
„Vor dem Regen brauchst du keine Angst haben. Wirklich nicht. Dein Opa hat mir früher immer gesagt, der Regen würde Geschichten erzählen. Vielleicht tut er das wirklich. Hörst du sie? Die Regentropfen auf dem Dach? Soll ich dir ihre Geschichte übersetzen?"
Kurz schweige ich und auf einmal kommt es mir albern vor, wie ich mit mir selbst spreche. Aber Majas Atem geht ruhiger als zuvor, also denke ich nicht weiter nach.
„Es war einmal in einem fernen, fernen Land..."
Ich sollte wirklich an meinen Geschichteneinstiegen arbeiten, bevor Maja sprechen lernt und mich verstehen kann.
„... dort lebte ein Wesen, das noch viel kleiner war als du. Und es besaß Fühler, wie ein Schmetterling. Sie waren doppelt so groß, wie sein gesamter restlicher Körper. Im Moment lag das kleine Wesen in einer winzigen Holzhütte in einem Bett aus Blütenstaub."
Jetzt muss ich aufpassen, dass die Geschichte nicht zu kitschig wird. Ein Bett aus Blütenstaub. Ich weiß nicht einmal, wie genau ich mir das vorstelle.
„Neben seinem Bett saß seine Mutter. Sie versuchte es zu beruhigen, denn draußen tobte ein schreckliches Gewitter. Kannst du dir das vorstellen? Wie ein Gewitter sich anfühlt, wenn du dich in einer Hütte befindest, die nicht größer als eine Pralinenschachtel ist? Jeder Regentropfen drohte die Fenster einzuschlagen. Das kleine Wesen konnte nicht aufhören zu weinen und seine Mutter nahm es in den Arm. Ich glaube, sie hieß Lia. Für sie war diese Nacht ebenfalls unheimlich. Natürlich wusste sie, dass sie sicher waren. Auch wenn ein solches Wetter dort, wo sie wohnten, selten war, hatte Lia bereits mehrere Stürme überlebt und wusste um die Haltbarkeit ihrer Behausung. Trotzdem konnte sie nicht anders, als bei jedem Donner zusammenzuzucken. Ihre gesamte Welt schien erschüttert zu werden. Wenn du so klein bist, wirkt alles anders. Natürlich, schließlich ist alles andere dann riesig. Aber es geht dabei um mehr als nur die Umgebung. Die Zeit vergeht anders. Du kannst dich in ihr verlieren. Jede Sekunde dehnt sich aus, weil du selbst schneller lebst. Es passt einfach mehr von so einem Leben in die Zeit. Vielleicht verstehst du mich nicht. Natürlich nicht, Maja. Aber so ist es wirklich. Im Moment hast du noch keine Vorstellung davon, dass diese Nacht ein Ende haben wird. Während sich jeder Moment für dich wie eine Ewigkeit anfühlt, werde ich mir morgen früh noch ein paar Stunden Schlaf wünschen."
Maya ist tatsächlich eingeschlafen. Ich traue mich nicht, mich zu bewegen, auch wenn diese Sitzposition mir über Nacht sicher nicht guttut. Stattdessen beobachte ich den Regen draußen. Dabei geht mir meine Geschichte durch den Kopf, die eigentlich gar keine Geschichte ist. Irgendwo nach dem Einstieg bin ich wohl falsch abgebogen. Die Vorstellung von Lia, ihrem Kind und der stürmischen Nacht hat sich jedoch in mein Gedächtnis eingebrannt. Auch wenn ich nicht genau sagen kann, was es ist, kommt mir irgendetwas daran wichtig vor. Früher hatte ich Angst vor Gewittern. Mit früher meine ich wirklich ganz früher. Damals war ich höchstens acht. Ehrlich gesagt, kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie ich diese Angst hinter mir gelassen habe. Vermutlich bin ich einfach älter geworden. Was ich noch weiß, ist aber das Gefühl, in der Ewigkeit einer Gewitternacht gefangen zu sein. So lange, dass man kaum an ein Ende glaubt und Angst hat, der Tag würde nie wieder kommen, bis man irgendwann doch einschläft. Und dann wacht man auf und alles ist vorbei. Komisch, wie sehr sich manche Gefühle oder Situationen einprägen. Draußen umreißt ein Blitz die Silhouetten der Bäume. Ein Teil von mir wünscht sich, wieder in die Ewigkeiten von damals einzutauchen. Ohne die Angst am besten, obwohl selbst diese in der Erinnerung nur noch ein Spiegelbild ihrer selbst geblieben ist, sodass ich diese alten Probleme fast vermisse. Im Nachhinein kommt einem vieles leichter vor, als es sich in Wahrheit angefühlt hat. So zu denken bringt nichts, das ist mir klar. Neidisch schiele ich zu Jim, der gerade vermutlich durch sinnlose Träume taucht, anstatt sich den Gedankenkreisen hinzugeben. Mich überkommt das dringende Bedürfnis, meinen Rücken auszustrecken, aber ich bin mir unsicher, ob ich solch ein Wagnis riskieren kann. Ich entscheide mich dagegen. Stattdessen greife ich nach meinem Handy, ursprünglich nur um die Uhrzeit zu prüfen. Dann gebe ich den Code ein, lasse meinen Finger automatisch über den Apps schweben und halte inne. Eigentlich bin ich nicht in der Stimmung für Ablenkung. Eigentlich befinde ich mich noch irgendwo mitten im Gewitter in einem fernen, fernen Land. Es könnte ja sein, dass die Ewigkeit, an die ich mich erinnere, gar nicht so verloren ist. Im Gegenteil, momentan kommt sie mir unvorstellbar nah vor. Ich lege mein Handy wieder weg. Eine irrationale Ungeduld befällt mich, als würde ich auf etwas warten. Statt sie zu verdrängen, muss ich lächeln. Sie erinnert mich an meine Kindheit, an stundenlange fünf Minuten. Auch wenn meine Position nicht unbedingt angenehm ist, nutze ich die gewonnene Zeit, indem ich mit meinen Gedanken dem Regen folge. Mich frage, wo diese Wolken schon waren. So spät in der Nacht sind solche halbphilosophischen Gedanken erlaubt. Ich mache mir nichts vor, morgen früh wird von diesen Gefühlen nicht mehr viel übrig sein. Vermutlich werde ich mir nur wünschen, ich hätte mehr geschlafen. Aber das ist in Ordnung, denn es ist inzwischen sowieso nicht mehr aufzuhalten. Maja schläft, also ist alles gut. Morgen wird sie aufwachen, die Sonne wird durch das Fenster scheinen, ich werde immer noch hier sitzen. Und sicherlich passiert das früher, als ich hoffe.


Hiermit kommt seit langem also mal wieder eine neue Kurzgeschichte zur Sammlung hinzu. Eine Geschichte aus dem zweiten MusicAward, das Konzept ist ja bereits bekannt. Das oben eingefügte Lied habe ich als Inspiration gewählt. Allerdings hat das Veröffentlichen der Geschichte einen bitteren Beigeschmack. Das Profil, auf welchem dieser und all die anderen Awards stattgefunden haben, existiert nicht mehr. Übrig bleibt uns nur ein sehr leerer Ort namens __Monarch__ . Der Grund dafür? Sinkende Teilnehmerzahlen. Mit dem Osterkalender in der Anmeldephase gab es eine letzte Möglichkeit, zu beweisen, dass immer noch genug Menschen an solchen Projekten interessiert sind. Es haben sich nicht genug Personen gefunden. Ich weiß nicht, ob es irgendwann ein Weitergehen gibt. Daher ist es vorerst die letzte in solch einem Wettbewerb entstandene Kurzgeschichte von mir. Obwohl ich irgendwann vielleicht noch die Geschichte vom Fortuna Award veröffentlichen werde. Bisher habe ich das noch nicht gemacht, weil ich unzufrieden mit ihr bin und sie noch überarbeiten möchte.
Trotz allem war auch dieser Music Award wieder wunderschön und es hat Spaß gemacht, all die entstandenen Geschichten zu lesen!

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