49 - Du und ich, das war.

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Der Tegeler See ist nur etwa zwanzig Minuten entfernt und so lenke ich meinen Wagen durch Berlins Straßen, wobei ich bemüht bin, mich nicht von dem halsbrecherisch hübschen Sonnenuntergang ablenken zu lassen, der Charlotte neben mir regelrecht den Atem raubt. Sie hat sich auf dem Beifahrersitz ein Stück nach vorn gelehnt, als wollte sie in die Weite des Horizonts hineinfallen, die Flügel ausbreiten und aufsteigen. Wirklich bei ihr bin ich im Moment aber nicht.

Als wir an einer Ampel halten, betrachte ich das malerische Farbenspiel am Himmel, wo Rosatöne, kräftiges Violett und Nachtblau dominieren. Gerade eben noch haben die Wolken in warmgoldenem Orange geleuchtet. Jetzt überpinseln die kühleren Nuancen, was vom Tage übrigblieb.

Ich frage mich bis heute, ob die Gaskuppel über unseren Köpfen nichts weiter als Gottes Leinwand ist. Jeden Tag übermalt er sie mit einer frischen Schicht, einem neuen ganz und gar einzigartigen Gemälde, dass es so nie wieder geben wird. Diese Allegorie stammt nicht von mir. Bedauerlich, wenn man bedenkt, wie schön sie ist; so würde ich mich gern von anderen zitieren lassen.
Aber ich habe mich bloß vor Jahren mit Aleks darüber unterhalten. Luks Freundin ist von Beruf Künstlerin und ihre Worte wandeln ewig in meiner Erinnerung. Oder im kollektiven Gedächtnis der Menschheit. Was sie da gesagt hat, hat einfach gestimmt. Es hat mich an das erinnert, was ich als Kind wusste, ohne dass mich ein Erwachsener davon in Kenntnis gesetzt hätte. Und exakt dieses Gefühl der Einheit mit dem Universum breitet sich gerade wieder in mir aus.

Ich lehne mich gegen die Kopfstütze an meinem Sitz und seufze wohlig.
Maria und ich waren damals zu Luks Geburtstag ins Atelier eingeladen worden. Dort haben Aleks und ich stundenlang philosophiert. Genauso wie sie, war auch Dag der Wahrheit über unsere Existenz an diesem Abend auf die Schliche gekommen, und ich konnte förmlich das Leuchten der Sterne in ihm sehen. Denn das hat er gesagt: dass wir das Licht sind, die Strahlen der Sonne, das Funkeln der Sterne, der Schein des Mondes. Wir sind das Wurzelgeflecht in der Erde, die Stämme und Äste darüber, und das Blattwerk, das Rumba mit dem Wind tanzt. Alles war so friedvoll in diesem Augenblick, bis ich meine Freundin angesehen und begriffen habe, dass sie und ich uns gegenseitig auslöschen würden. Ich war die Ruhe selbst, weil wir einander auf dieser Hausparty den gesamten Abend aus dem Weg gegangen sind, das ist mir klargeworden. Und es war tröstlich, es endgültig begriffen zu haben. Das mit ihr und mir war vorbei.

Charlotte greift nach meiner Hand und unsere Finger verschränken sich. Sie mustert mein Profil, spürt das leichte Zittern meiner Finger. Wortlos drücke ich aufs Gaspedal und schlucke. Ich denke nicht, dass ich irgendjemanden auf dieser Welt so hasse wie meine Ex-Freundin, und das ist gut so, denn dieser Hass ist eine unglaubliche Energieverschwendung. Ein konstanter Stressfaktor, an den ich mich merkwürdigerweise gewöhnt habe.

Ich atme tief ein, spüre wie der Sicherheitsgurt über meinem Herzen in meine Brust einschneidet. Konzentriert scanne ich den Straßenrand nach einer freien Parklücke und werde schließlich fündig. Charlotte schnallt sich ab, steigt aus ... Normalerweise würde mein Blick jetzt zu ihr wandern. Ich würde ihr dabei zu sehen, wie sie sich streckt, ihren Körper bewundern. Aber ich starre auf meine Hände, die noch immer das Lenkrad festhalten. Als ich blinzle, höre ich das Lachen meiner Ex, rieche ihr Hundert-Euro-Parfüm und werfe einen Blick auf die Rückbank, auf die sie früher jede Woche eine andere Designertasche geschmissen hat.
Sie ist leer.
Ich ziehe den Schlüssel mit einem Ruck ab.

Charlotte beobachtet mich unverhohlen, doch ich nicke rasch in Richtung Promenade.
„Gehen wir ein Stück." Ich biete ihr meinen Arm an und sie hakt sich bei mir unter. Es ist offensichtlich, dass sie sich Sorgen um mich macht. Trotzdem dauert es, bis ich mich räuspere, um sie davon zu erlösen. „Ich hab 'ne beschissen komplizierte Kiste mit Maria hinter mir, und ich kann dir nur meine subjektive Sicht der Dinge darlegen."
„Das ist vollkommen logisch", sagt meine Freundin leise. Wir legen noch einige Meter schweigend zurück, bevor ich weiterspreche.

„Sie war nie ... nett. Ich hab sie schon als Kratzbürste kennengelernt, aber damals fand ich das noch irgendwie spannend. Es war anders, es war feurig – und ich dachte dauernd, ich weiß, was ich tue. Sie hat mich gemocht, hat über meine Witze gelacht, hat auch ab und an mit mir geflirtet. Aber keiner von uns beiden hat das ernst genommen. Ich noch weniger als sie, glaube ich. Deswegen war das alles so komisch ... Meinen allerersten Kuss hatte ich mit ihr, Aufgabe beim Flaschendrehen."
„Wie alt warst du?", will Charlotte wissen. Sie spricht leise, als wollte sie mein Gehirn nicht beim Arbeiten stören, während ich meine Erinnerungen durchkämme.
„Sechzehn." Meine Freundin nickt und gebietet mir stumm, einfach fortzufahren. „Ich war extrem nervös davor, und hab beschlossen, nachzuahmen, was sie mit ihrer Zunge macht. Das hat funktioniert, ziemlich gut sogar. So gut, dass sie mich gleich nochmal geküsst und in ein leeres Schlafzimmer geführt hat. Sie war betrunken, trotzdem ..." Ich schüttle den Kopf. Charlotte legt eine Hand in meinen Nacken und krault mich dort. Die Berührung beruhigt mich automatisch.
„Wolltest du überhaupt schon?"
„Klar, vor allem mit ihr", gebe ich wie aus der Pistole geschossen zurück. „Aber ich hätte nie und nimmer gedacht, dass meine feuchten Träume zur Realität werden könnten, verstehst du?" Charlotte zieht ratlos die Schultern hoch. Ich seufze, entziehe ihr meinem Arm und vergrabe meine schwitzigen Hände in meinen Hosentaschen.
„Ich war ein pummeliger Teenager, kein Brad-Pitt-Double", kläre ich sie auf und lasse meinen Blick schweifen, um mich zu beruhigen, denn mein Puls rast. Ein Eichhörnchen flitzt rechts von uns übers Gras und verschwindet im dichten Dickicht. „Es ging alles irre schnell mit ihr. Maria hat immer erstmal die Vorspultaste gedrückt, und danach so richtig abrupt Stopp. Scheiße, ich hab's nie kommen sehen ...", murmle ich. Charlotte nickt kurz, sagt aber nichts. „Nach der Party ist sie mir aus dem Weg gegangen. Dann hat ihre beste Freundin sie zu einem Gespräch mit mir überredet, wo sie auf einmal meinte, sie wüsste nicht, was in sie gefahren wäre. Sie meinte sogar, sie würde anzweifeln, dass wir wirklich was miteinander hatten in dieser Nacht."
„Also hat sie deine Glaubwürdigkeit infrage gestellt", konstatiert meine Freundin, als hätte sie es bereits geahnt. Ich lasse ein Schnauben los.
„Das war nicht so schlimm, bloßstellen konnte sie mich dadurch jetzt nicht. Über Frauengeschichten hab ich nie gelogen, meine Freunde wussten das, und andere Meinungen waren mir schon immer scheißegal. Na, also irgendwas an mir fand sie auf alle Fälle anziehend. Frag mich nicht was, ich hab keine Ahnung. Sie wahrscheinlich genauso wenig."

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Ihre Schwindelei damals war so lächerlich und unnötig verletzend. Verdammt, Vincent, sei nicht so 'ne Heulsuse.
„Du warst ja nicht bescheuert, natürlich hast du gespürt, dass sie mehr in dir gesehen hat, als sie im Stande war zuzugeben."
„Genau", pflichte ich Charlotte sofort bei. „Ich weiß, das klingt jetzt erstmal komplett unrealistisch, aber im darauffolgenden Monat stand sie echt oft vor meiner Tür. Und dann wollte sie eigentlich immer Sex mit mir." Charlotte lacht kopfschüttelnd auf. „Wenn ich sturmfrei hatte, hat sie bekommen, was sie wollte", fahre ich fort. „Und wenn ich sauer auf meine Eltern war. Sie wollte aber auch, dass ich das nicht an die große Glocke hänge. Hab ich dann auch nicht. Wie gesagt, sie konnte echt gemein werden und ich wollte absolut keinen Ärger mit dem Mädchen, das freiwillig das Bett mit mir geteilt hat, dafür war ich viel zu scharf auf sie. Der Einzige, der davon wusste, war Dag. Er hat mir am Anfang fast nicht geglaubt, der Arsch." Ein Lachen bahnt sich seinen Weg durch meine Kehle nach draußen, als ich mich an sein dämliches Gesicht zurückerinnere. „Ich kann's ihm nicht verübeln, ich war halt ... Wir waren Außenseiter. Dag und ich. Unser Leben war geil – also Schule war mega scheiße, vor allem die Lehrer ... Aber wir hatten uns, und die andern Spinner gab's auch noch, Lenny, Lexi, Olli, Alex, Thilo ... Maria hat nie wirklich in unsere Clique der Verrückten reingepasst. Sie hat sich lieber an die Schicki-Micki-Mädels gehalten. Das war an sich okay, fand ich nicht schlimm. Für mich war alles okay, solange sie trotzdem regelmäßig bei mir zu Hause reingeschneit ist. Sie hing mal mehr mit uns, mal mit den elitären Spasten rum. Aber irgendwann ging's los. In der Öffentlichkeit hat sie dann kaum noch mit mir geredet. Ihre Besuche wurden seltener und bei den letzten drei Malen oder so, als wir uns spontan gesehen haben, ist sie direkt nach dem Sex heulend irgendwohin abgehauen. Ich hab ihre Ausbrüche nie verstanden, und hab außerdem keinen Sinn darin gesehen, ihr nachzulaufen. Mich haben ihre Probleme kein müdes Bisschen interessiert. Sie hat sich auch nie nach mir in der Hinsicht erkundigt, ihr war das ebenfalls herzlich egal, zumindest hat sie mir das immer deutlich gezeigt. Ein paar Wochen hatten wir entsprechend null Kontakt zueinander. Ich dachte also: drauf geschissen. Am Ende hab ich mir meine erste Freundin geklärt, die hieß Nina. Sie war äußerlich süß, und hat mich praktisch angebetet. Mit ihr hat mir nur leider, leider das Spiel gefehlt, das ich mit Maria hatte", erkläre ich bitter. „Es gab diesen genialen Adrenalinkick nicht mehr, weil ich immer wusste, wann Nina vor meiner Tür stehen würde; keine Ungewissheit, mit ihr alles war berechenbar. Ich wusste Stabilität nicht zu schätzen als Jugendlicher. Es hat eine Weile gedauert, dann hab ich mir endlich eingestanden, dass mich Nina nicht reizt. Und als es sich rumgesprochen hatte, dass mit ihr Schluss war, darfst du dreimal raten, wer im Spitzentanga vorbeigeschaut hat, um mir zur Trennung zu gratulieren."

„Wow", wirft Charlotte freudlos ein. „Maria muss ziemlich vernarrt in dich gewesen sein."
„Echt, keine Ahnung." Ich fahre mir durchs Haar, ohne ins Detail zu gehen. „Aber ja, auf jeden Fall ist sie auf irgendwas krass abgefahren. Sie hat dann auch angefangen, wieder mehr in der Schule mit mir zu reden. Und ich hab das zum Anlass genommen, meinen Freunden davon zu erzählen, dass zwischen mir und ihr was lief. Um ehrlich zu sein hab ich das auch gemacht, um Maria eins auszuwischen, für die Zeit, in der sie mich fallengelassen hat."
„Verständlich", beteuert Charlotte.
„Marlene hat sich übrigens am meisten drüber gewundert", berichte ich und ringe mir ein halbherziges Grinsen ab. „Das war in dem Jahr, in dem sich Dags Eltern getrennt haben. Ich hab viel gegrübelt über Beziehungen damals und mich letztendlich dazu durchgerungen, Maria vor die Wahl zu stellen. Ob sie entweder meine feste Freundin sein möchte – oder ob wir in Zukunft besser getrennte Wege gehen sollen. Sex ohne Verbundenheit hat mir keinen Spaß mehr gemacht, ich wollte was Neues. Sie ist in sich gegangen, ehe sie mir mitgeteilt hat, dass sie auf die körperliche Nähe momentan nicht verzichten könne und meinem Vorschlag deshalb – wenn auch unter anhaltendem Protest – zustimmt. Ab da war sie meine Freundin", sage ich, „und die Pforte zur Hölle stand offen."

Vor uns liegt der See. Die Wellen darauf sind sanft und gleichförmig. So fühlt es sich an, Charlotte von Maria zu berichten, stelle ich fest. Nach Monotonie. Jede Instanz unserer Beziehung war wie eine dieser Wellen – nie besonders hoch, aber mal schlugen sie lauter, mal leiser ans Ufer. „Sie hat 'ne Menge emotionalen Ballast mit sich rumgeschleppt. Als wir ein Paar wurden, haben wir uns vermehrt darüber unterhalten. Es waren lange Gespräche, und sie ist schnell in die Tiefe gegangen, hat wieder die Vorspultaste gedrückt. Wieder war ich kurz hin und weg von ihr. Wir haben einander von Grund auf kennengelernt, wussten alles übereinander. Ich hab mich ernstlich in sie verknallt und wir sind nach dem Abi zusammengezogen. Sag nichts."
„Hatte ich nicht vor."
„Okay ..." Ich atme langsam aus. „Da war sie nach wie vor bissig. Ich kannte ja aber die Ursachen inzwischen und dachte, sie braucht nur einen, der zu ihr hält. In guten wie in schlechten Zeiten. Um ihr zu zeigen, dass ich sie als Person wahrnehme und auf ihr Urteil vertraue, hab ich sie die Entscheidungen treffen lassen, ihr zugehört, sie nicht infrage gestellt. Anfangs hat es geklappt. Sie hat so souverän gewirkt, während des Studiums. Als ich aber meine Karriere vorangetrieben und mich gegen jede versuchte Bevormundung von ihr gesperrt habe, wurde sie hartherzig. Wir hatten Stress, haben bloß noch nebeneinander gelebt, und während ich als Produzent erfolgreicher wurde, entwickelte sie den ganz tollen Traum, Hausfrau zu werden."

Ich sehe Charlotte ernst in die Augen. „Versteh mich nicht falsch, ich hab kein Problem mit sowas, aber das passt nicht so richtig dazu, wie ich mir mein Leben in ein paar Jahren vorstelle." Ein selbstironisches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Ich bin selbst schon 'ne verdammte Super-Hausfrau. Na, jedenfalls ... Sie hat als Sekretärin im Büro eines renommierten Steuerberaters gearbeitet. Noch im Zuge ihres Wirtschaftsstudiums hatte man ihr die Stelle angeboten. Aber mir hat sie mitgeteilt, sie würde auf Dauer eher keinen Job ausüben wollen. Nicht mal einen Nebenjob, nichts."
„Ich würde verrückt werden, wenn es meine einzige tägliche Aufgabe wäre, das Heim zu hüten", kommentiert meine Freundin. Da haben wir sie: die Frau, die diesen Titel auch verdient.

„Ich habe ihr alle möglichen Kompromisslösungen vorgeschlagen, aber mit Maria kannst du keinen Kompromiss eingehen. Das Wort existiert in ihrem Wortschatz einfach nicht ... Sie hat hinter meinem Rücken ihre Anstellung gekündigt. Nach dem Debakel bei ihren Eltern haben wir uns vorübergehend getrennt, das weißt du ja noch. Ich hab mich reingekniet in die Arbeit und meine Karriere nahm weiter an Fahrt auf. SDP lief besser, wir haben's tatsächlich geschafft einige Alben zu verkaufen. In dieser Trennungsphase kam Maria scheinbar zur Besinnung. Sie hat eine Umschulung zur Kosmetikerin gemacht und in einem Beauty-Salon gearbeitet. Das fand ich gut, und da hab ich mich hinreißen lassen, sie bei einem Kaffee einige Monate später zu fragen, ob wir's nochmal miteinander versuchen wollen. Sie hat ja gesagt." Ich sehe Charlotte an, mein Herz klopft irrsinnig. Für nichts in meinem Leben schäme ich mich so sehr wie für diese bescheuerte Frage, die ich seinerzeit an meine Ex gerichtet habe. „Lief nicht so toll", krächze ich und merke, wie meine Stimme versagt.

Meine Freundin nimmt mich in den Arm. Sie bohrt nicht weiter nach, streichelt bloß meinen Rücken und ich vergrabe mein Gesicht absichtlich in ihren blonden Haaren. Am liebsten würde ich mich vor dem Rest der Welt verstecken. Ich hasse meine Ex, aber viel schlimmer ist, dass ich tief im Innern weiß, dass das nur der Hass auf mich selbst ist, den ich auf Maria projiziere. Ich war so blöd; blind für das, was direkt vor meiner Nase war. Überfordert, hallt es durch meinen Kopf, du warst komplett überfordert. Hast dich selbst überschätzt. Dir passiert es auch.

„Schon in Ordnung. Das war ziemlich viel für dich heute, denke ich. Lass deine Augen zu – aber hör jetzt mal, wie schön es hier ist", flüstert Charlotte mir ins Ohr und streichelt beruhigend meine Schultern, meine Seiten, meine unteren Rücken. Ich lausche auf das Rauschen des Wassers. Lausche auf die Wellen, die – mal lauter, mal leiser – Marias Schemen überspülen und fortschwemmen, die ich sonst ständig im Spiegel meiner Seele sehe.

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