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𝑫𝒆𝒓 𝑮𝒓𝒖𝒏𝒅, 𝒘𝒂𝒓𝒖𝒎 𝒊𝒄𝒉 𝑹𝒂𝒖𝒑𝒆 𝑵𝒊𝒎𝒎𝒆𝒓𝒔𝒂𝒕𝒕 𝒅𝒆𝒏 𝑲𝒂𝒎𝒑𝒇 𝒂𝒏𝒔𝒂𝒈𝒆 ...

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Streichen wäre hier mal wieder 'ne Idee. Kann ich mir mal für das Feedback am Ende merken.

Ich starre das Weiß über mir an. Beobachte, wie sich die klitzekleinen Risse hin und wieder berühren. Dicker und dünner werden. Sich verzweigen und auflösen. Dabei blende ich alles andere aus. Lausche nur dem leisen Geklimpere von »Comptine d'un autre été: l'après-midi«. Weiß Gott, wie lange ich das schon mache.

Und vermutlich hätte ich das noch weiter getan, wenn nicht mit einem Mal das besorgte Gesicht meiner Mutter in mein Sichtfeld gerückt wäre. Sofort richte ich mich auf, schaffe es gerade so die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen, da erfasst mich eine feste Umarmung.

»Was machst du nur für Sachen? Was ist passiert? Wie gehts dir?« Das altbekannte Fragen-Bombardieren — eine wahre Spezialität meiner Mutter.

»Das musst du meinen Körper fragen. Mein Date ist nämlich wegen ihm ein Fiasko geworden. Aber sonst gehts mir gut«, antworte ich ihr brav und ringe nach Luft, da sie mich immer noch derart stark drückt, als müsse sie mich zusammenhalten, weil ich sonst in kleine Splitter zerfallen würde.

Nach einer geschlagenen Minute lässt meine Mutter dann doch los, um mich mit ihrem streng-besorgten Blick zu fixieren.

Auweia, Kreuzverhör lässt grüßen.

»Du weißt, was ich meine. Was sagen die Ärzte?«

Meine Augen wandern nach unten zu meinen Händen, die in ihren liegen. Bleiben bei meinem rechten Zeigefinger hängen, an dem das Pulsoximeter angebracht ist.

Ich schaue auf den Bildschirm rechts neben mir, der verschiedene Kurven aufzeichnet. Unter anderem auch meine Herzfrequenz.

Dann höre ich die Tür aufschwingen und auf mich zukommende Schritte, die meine Aufmerksamkeit nach links richten lassen.

Es ist Dr. Fiedler, wie immer mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Dieses Mal ist er ohne ärztliche Verstärkung gekommen. Er greift sich einen der beiden Stühle im Raum, ehe er ihn neben mein Bett platziert und sich setzt. Seine Mappe legt er mitsamt dem Stift auf seinem Schoß ab. Daraufhin streicht er sich eine der grauen Strähnen seines vollen Haares aus dem Gesicht.

»Frau Schulz, wie geht es Ihnen heute?« Seine Stimme klingt stets beherrscht und ruhig, so auch jetzt.

Wie geht es Ihnen heute? Eine Standardfrage von Ärzten und medizinischem Personal. Dabei müsste er doch am besten wissen, wie es mir geht, schließlich hat er die Fakten vorliegen — denke ich zumindest nach den vielen Body-TÜVs, denen ich mich unterziehen musste.

»Danke, Dr. Fiedler, so weit ganz gut. Haben Sie denn auch gute Neuigkeiten für mich?« Ich lächele ihn erwartungsvoll an.

Und zum ersten Mal erlischt das Strahlen in seinem Gesicht. Plötzlich sieht es fahl aus, als hätte er einige Nächte durchgemacht. Seine Wangenknochen treten markant hervor, die Ringe unter seinen Augen wirken größer und mehr lila als sonst.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. »Was haben die Untersuchungen ergeben?«

Dr. Fiedler räuspert sich kurz, lässt den Blick auf seine sich faltenden Hände auf dem Klemmbrett sinken, ehe er dem meinen wieder begegnet. Eigentlich kann er sich seinen Vortrag sparen, denn man sieht es ihm so schon an, dass meine Lage überragend sein muss.

»Frau Schulz, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir durch das MRT einen Tumor in Ihrem Kopf gefunden haben. Es ist so, dass ...«

Er redet weiter, doch ich nehme nur noch Bruchstücke davon wahr. All meine Gedanken sind futsch. Ich spüre nur, wie mein Atem schneller wird. Ich knete meine schwitzigen Hände. Ich ertaste dabei dieses nervige Pulsoximeter an meinem Finger.

Genau wie jetzt, als ich die Hiobsbotschaft an meine Mutter weitergebe.

Sofort sammelt sich Flüssigkeit in ihren Augen. Völlig sprachlos blickt sie mich an. Dann schluckt sie merklich; eine Träne entflieht, rollt ihre Wange hinab. »Aber sie können doch sicher operieren!«

Wie soll ich es ihr nur erklären, ohne dass sie hier und jetzt einen Nervenzusammenbruch erleidet?

»Mama ... ich ... werde nicht aufgeben. Das verspreche ich dir.« Ich drücke ihre Hände, streiche mit beiden Daumen über ihre weiche Haut und lächele kurz. »Uh ... du nimmst immer noch die Handcreme, die ich dir zum Geburtstag geschenkt habe?«

Sie schüttelt ebenfalls lächelnd den Kopf, rollt allerdings gleichzeitig ihre Augen, die inzwischen jeden Wasserfall vor Neid erblassen lassen würden. »Du bist genauso schlecht beim Themenwechsel wie dein Vater!«

»Ein Versuch war es wert«, entgegne ich ihr augenzwinkernd.

Erneut sieht sie mich mit ihrem ernsten Rück-mit-der-ganzen-Sprache-heraus-aber-dalli-Ausdruck an. »Also, ich höre?«

»Ich habe den Jackpot unter allen Tumor-Typen ergattert. Er frisst sich schön durch mein Gehirn wie Raupe Nimmersatt. Eine Bestrahlung könnte ihn zwar verkleinern, aber betroffene Stellen des Gehirns können dennoch irreparable Schäden haben. Erklärt zumindest, warum ich derzeit so vergesslich bin. Die einzige Möglichkeit ist so oder so eine OP«, erkläre ich meiner Mutter, wage es dabei allerdings nicht, sie anzusehen.

Eine Stille kehrt ein, in der ich lediglich ihr bitterliches Weinen höre. Mein Herz zieht sich zusammen, bekommt Risse wie die Decke über mir und droht zu zerfallen. Ihr Schmerz lässt sich kaum für mich ertragen. Wie geht es ihr dann erst?

Ich habe geahnt, dass es sie so richtig fertigmachen würde. Hätte ich doch lieber schwindeln sollen, um sie davor zu bewahren? Aber ein Beschönigen der Situation wäre ihr gegenüber erst recht nicht fair gewesen. Die bittere Wahrheit kommt früher oder später sowieso heraus. Und wenn es etwas gibt, das ich schon immer sehr an unserem Verhältnis geschätzt habe, dann ist das Ehrlichkeit, die wir bisher stets dem anderen entgegengebracht haben.

Immer noch höre ich ihr leises Wimmern, das inzwischen von unverständlichen Gebeten unterbrochen wird. Nun riskiere ich doch einen Blick. Ihr Kopf ist gesenkt, sodass ihr das braune, halblange Haar ins Gesicht fällt. Die Augen sind geschlossen, die Wangen glänzen.

Unvermittelt löse ich den Griff um ihre Hände und nehme sie in den Arm, damit unsere Körper im Einklang beben können.

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»Können wir heute Papa besuchen?«, frage ich, als meine Mutter mit zwei Tea-to-go in mein Zimmer zurückkehrt.

Überrascht zieht sie die Augenbrauen hoch. »Willst du nicht erst mal heim?«

Und alleine in meiner Wohnung versauern, wo ich mir dann schön den Kopf zerbrechen kann? Lass mich überlegen ... Die Antwort sollte klar sein.

Ich ziehe den Reißverschluss des kleinen Trolleys zu und halte für einen Moment inne. »Ehrlich gesagt, wollte ich dich fragen, ob es in Ordnung für dich wäre, wenn ich die nächsten Nächte bei dir wohnen könnte?«

Meine Mutter schlingt von hinten die Arme um meinen Bauch und lehnt ihren Kopf an meinen Rücken. »Du kannst immer bei mir wohnen. Egal, wann. Egal, wie lange. Dein Zuhause ist immer dort, wo ich bin, und da bist du jederzeit willkommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du bei mir bist.«

Gerade möchte ich mich zu ihr umdrehen, da wird die Tür erneut geöffnet und Dr. Fiedler tritt herein. Wir lösen uns kurzerhand aus der innigen Position und wenden uns ihm zu.

Freundlich nickt er mir und meiner Mutter als Begrüßung zu, ehe er mir den Umschlag mit den Entlassungspapieren entgegenstreckt. »Frau Schulz, wenn die Tage irgendetwas sein sollte, dann kommen Sie bitte wieder unverzüglich hierher. Ansonsten sehen wir uns übermorgen, um alles für die geplante Behandlung durchzusprechen.«

»Ich kann es kaum erwarten, Raupe Nimmersatt den Kampf anzusagen«, verkünde ich im ernsten Tonfall und salutiere dabei.

Anstatt mich irritiert anzusehen, entweicht ihm ein ehrliches Lachen. »Das ist die Einstellung, die wir brauchen. Wir sehen uns am Freitag. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und Gottes Segen!«

Zum Abschied lächelt er uns zuversichtlich an. Dann verlässt er den kahlen, sterilen Raum, was wir ihm keine fünf Minuten später gleichtun. Krankenhäuser sind nun wirklich nicht meine erste Wahl, wenn es um einen Platz zum Nächtigen geht.

Auf dem Weg zu meinem Elternhaus halten wir vor einem großen Parkplatz, auf dem wie gewohnt sehr wenig los ist. Als ich aussteige, wandert mein Blick bereits zu dem großen Eisentor, das von einer hohen Backsteinmauer eingefasst ist.

Hand in Hand passieren wir den Eingang und gehen den breiten Kiesweg entlang, von dem rechterhand einige kleinere Wege abzweigen. Den dritten davon schlagen wir ein.

Die Sonne dringt durch das Laub der Bäume und taucht die umliegende Natur in ein angenehmes Licht. Ich spüre sie auch sanft auf meine nackte Haut treffen, sodass eine wohltuende Wärme hinterlassen wird. Ab und an sehe ich ein Eichhörnchen die Baumstämme emporklettern, bevor sie in den dichten Kronen der Eichen verschwinden.

Schließlich halten wir an. Mein Blick gleitet über die silbernen Letter, die auf dem grauen Marmor aufgebracht sind.

Harald Klaus Schulz
geliebter Ehemann und Vater
*04. Mai 1956
†15. September 2002

Nach einiger Zeit der Stille und des Gebets, fasst meine Mutter meine Hand und drückt sie leicht. »Du wirst den Kampf nicht verlieren! Du wirst das schaffen!«

Davon bin ich bisher auch überzeugt gewesen. Was bleibt mir denn auch anderes übrig? Trübsal blasen ist sowieso nicht mein Ding.

Doch jetzt, wo ich vor dem Grab meines Vaters stehe, verlässt mich diese Zuversicht und die Angst schleicht sich in mein Herz. Er hat auch gekämpft. Bis zum Schluss. Mit dem Ergebnis, dass seine Kraft irgendwann nicht mehr genug gewesen ist. Was, wenn ...

Ich schüttele die düsteren Gedanken entschlossen weg und fixiere das Kreuz auf dem Grabstein. Dann fällt mir der Spruch darunter ins Auge:

Das kostbarste Vermächtnis eines Menschen ist die Spur, die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen hat.

Ein Windhauch streichelt meine Haut. Hinterlässt dabei einen seltsam wohligen Schauer, der mein Inneres mit Wärme füllt. Urplötzlich durchströmt mich eine unbeschreibliche Kraft und mir ist ganz anders. Ich strotze förmlich vor Energie. Fast so, als könnte ich hier und jetzt Bäume ausreißen.

Ist er das? Mein Vater? Ja ... ich glaube schon. Ich spüre es. Er ist bei mir. In meinem Herzen. Warum bemerke ich das erst jetzt?

Nun ist es an mir, die Hand meiner Mutter zu drücken. »Mit Gottes Hilfe, aber auch mit deiner und der von Papa, werde ich es schaffen. Es wird einen Weg geben, der mich weiterführt.«

Von der Seite nehme ich wahr, wie meine Mutter mit ihrer freien Hand das Kreuzzeichen macht, ehe sie »Amen« sagt.

Einen Augenblick verharren wir noch vor dem Grab meines Vaters. Dann verlassen wir wieder den Friedhof.

Das Gefühl bleibt bei mir.

Wir fahren nach Hause. Kochen. Essen. Lachen. Sehen fern. Kuscheln. Ein wunderschöner Abend.

Das Gefühl bleibt bei mir.

Als meine Mutter erschöpft ins Bett geht, bin ich immer noch hellwach. Es lässt mich nicht mehr los. Dieses Gefühl. Dieses unbeschreiblich krafterfüllende Gefühl. Dennoch habe ich irgendwie Angst, dass es weg sein könnte, wenn ich einschlafe. Dass es morgen nicht mehr da sein könnte. Also bleibe ich wach. Vollkommen verrückt ...

Bis ich erschrocken die Augen aufschlage und feststelle: Das Gefühl ist fort.

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