❊ 6 ❊

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

𝑫𝒆𝒓 𝑮𝒓𝒖𝒏𝒅, 𝒘𝒂𝒓𝒖𝒎 𝑿𝒀 𝒖𝒏𝒈𝒆𝒍𝒐̈𝒔𝒕 𝒊𝒔𝒕 ...

━━ ❊ ━━

Ich spüre heißen Atem auf meinen Nacken treffen, sodass sich automatisch jedes Härchen darauf aufstellt. Allerdings nicht auf eine angenehme Art und Weise ... Es ist eher so, als würden sie meine Haut vor dem Aufprall bewahren wollen. Innerlich schreit alles danach, mich sofort dieser Situation zu entziehen, äußerlich bin ich aber weiterhin am Boden festgewachsen. Als wäre mein Körper wie bei einer Narkose eingeschlafen und bewegungsunfähig. Ich bin vollkommen ausgeliefert. Dennoch bin ich imstande, jegliche Regungen in mir zu spüren. So ähnlich wird sich wohl das Awareness-Phänomen anfühlen. Während sich alles gegen denjenigen hinter mir auflehnt, macht sich nun stärker denn je wieder diese unsägliche Leere von heute früh in meinem Inneren breit.

»Papa!«, ertönt plötzlich eine glockenhelle Stimme und ich spüre, wie sich die Person ruckartig von mir entfernt.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich die Luft angehalten habe und ich nehme mehrere Atemzüge, um mich zu beruhigen. Als ich mich umdrehe, sehe ich den kleinen Tim mit einem fetten Grinsen im Gesicht, das mich sichtlich weiter entspannt und mich zurück in einen halbwegs normalen Zustand katapultiert. Noch etwas benommen beobachte ich, wie er einem Mann um den Hals fällt, der ihn daraufhin einige Male in die Luft wirft.

Ich löse mich nun vollkommen aus der plötzlich hervorgerufenen Starre, ringe mir ein Lächeln ab und suche meine Stimme. »Hallo.«

Der Mann dreht sich mit Tim im Arm zu mir und kurz erschrecke ich, wie ähnlich sich die beiden sehen. Jetzt fällt mir auch wieder ein, dass Dora einen Stiefvater hat. Und der ist der leibliche Vater von Tim. Mist, wie heißt der Kerl überhaupt? Dora wird ihn ja vermutlich nicht mit Papa ansprechen. Aber gut, ich kann beim besten Willen auch nicht alles wissen und von jedem den Namen kennen.

»Was hast du denn da auf dem Kopf?«, erkundigt er — ich nenne ihn übergangsweise XY, an dem Kerl ist nämlich wirklich noch viel ungelöst — sich bei dem kleinen Jungen, wobei er leicht auf die Kochmütze klopft.

Tim verweist mit dem Kopf in meine Richtung. »Ich bin jetzt Vizechefkoch hier! Stimmt's, Dora?«

Sein überbreites Lächeln an mich lässt nun das undefinierbare Gefühl in meinem Bauch auf eine winzige Spur schrumpfen. Unweigerlich rutschen meine Mundwinkel nach oben und ich nicke als Zustimmung.

XY schaut mich mit gehobenen Augenbrauen an, ehe er grinst und Tim wieder sinken lässt. »Und der Vizechefkoch hat beschlossen, dass es heute Fleisch gibt? Ich habe nämlich schon befürchtet, dass ich einen dieser übergesunden Gemüseaufläufe vorgesetzt bekomme. Was hast du denn gegessen?«

Der Kerl scannt erst das unmittelbare Umfeld von mir und dann mich. Von oben bis unten. Millimeter für Millimeter. Er sieht mich an, als wäre ich eine Außerirdische, die es genauestens zu studieren gilt. Sein durchdringender Blick brennt dabei wie ätzende Säure auf meiner Haut. Alles in mir sträubt sich und es fällt mir enorm schwer, nicht einzuknicken und in die nächste Schockstarre zu versinken. Denn da ist es wieder. Dieses äußerst negative Gefühl von vorhin. Was ist das? Ist das Dora?

»Isst du wieder Fleisch?«

Es dauert einen Moment, bis seine Frage mein in die Jahre gekommenes Gehirn erreicht. Und dann vergeht noch ein weiterer Moment, bis ich eins und eins zusammenzählen kann. Ist aber auch heute viel Zeug zum Verarbeiten.

»Äh ja, Cheat Day!«

»Cheat — was?« Seine eisblauen Augen fesseln mich regelrecht. Ihre Kälte scheint direkt in meinen Körper zu fließen, um ihn wieder stocksteif werden zu lassen.

»Cheat Day.« Ja, das habe ich bereits erwähnt, aber scheinbar weiß er nicht, was das ist, du Hirni! »Also, das ist ein Tag in der Woche, an dem man sich erlauben kann, alles zu essen. Und ich esse heute Fleisch.«

Er nickt, wenn auch langsam. Dann bildet sich ein Grinsen auf seinen Lippen. Eines, das man irgendwie nicht sehen möchte. Niemals nie, um genau zu sein. »Ich wusste, dass du irgendwann zur Vernunft kommen wirst und einsiehst, dass dieser Pflanzenfraß nichts für dich ist. Du ernährst dich ja viel zu einseitig.«

Okay, scheinbar ist Dora eine Vegetarierin. Oder eine Veganerin? Der Cheat Day als Erklärung ist also nicht ganz korrekt, aber vielleicht schummeln Vegetarier und Veganer auch mal in ihrem Ernährungsplan? Egal, XY hat ohnehin keine Ahnung, wovon ich rede.

Aber so ein blöder Mist! Eine vorübergehende Diät gekoppelt mit Fleischentzug wäre mir lieber gewesen. Ein Cheat Day in der Woche wird nicht ausreichen, wenn der Traum noch länger andauert. Albtraum als Titel wäre auch langsam angemessen in Anbetracht der zunehmend misslichen Lage.

Ich zucke kurz mit den Achseln und fahre im nächsten Augenblick vor Schreck hoch, als die Haustür laut zufällt. Gaby alias Frau Gabriele Runge — wie ich einigen Unterlagen und Karten auf ihrem Schreibtisch entnehmen konnte — ist vermutlich im Anmarsch und rettet mich hoffentlich aus dieser seltsamen Situation mit XY. Ich verstehe nicht, warum er mich so einschüchtert, schließlich kenne ich ihn ja gar nicht. Ich will einfach nur weg von ihm, denn irgendetwas an ihm ist noch gruseliger als dieser ganze absurde Traum.

Als Frau Runge nahezu lautlos zu uns stößt, winkt sie ohne uns anzusehen und reißt den Kühlschrank auf.

Tim stürzt sich von hinten auf seine Mutter und umarmt sie, als hätte er sie zwei Wochen nicht mehr gesehen. »Mami! Ich hab' dich schrecklich vermisst! Stell dir vor, ich hab' heute mit Dora gekocht. Ich bin jetzt Vizechefkoch!«, sprudelt es fröhlich aus ihm heraus.

»Das ist toll, mein Spatz«, entgegnet sie tonlos und starrt in den offenen Kühlschrank, während sie seine Hand tätschelt.

»Komm Kumpel! Wir schauen uns mal zusammen Spongebob an«, schlägt XY vor und zieht den Jungen dabei sanft von Gaby weg.

Schon beginnt Tim die Melodie der Serie zu trällern und die beiden sind fort, sodass ich mit Frau Runge alleine bin. Unverändert steht sie da und ich mustere sie von der Seite.

Oje, diesen Blick kenne ich ... Sie hatte einen Scheißtag. Meine Vermutung bestätigend, greift sie sich die Weinflasche und schließt den Kühlschrank. Ohne ein Wort holt sie ein Kelchglas und füllt es bis kurz unterhalb des Randes. Schließlich seufzt sie auf und genehmigt sich einen ordentlichen Schluck, schenkt dann sofort nach.

»Kein guter Tag ... Mama?« Wie seltsam ist es, sie so zu nennen ...

Sie schüttelt den Kopf. Fixiert das Glas, das inzwischen außen beschlägt. Mein Herz wird schwer bei ihrem Anblick. Irgendwie erinnert sie mich an mich heute Morgen, als ich mich so leer und traurig gefühlt habe. Es war schrecklich und aus irgendeinem Grund verspüre ich den Drang, ihr zu helfen. Sie zu trösten.

»Ist es der Termin vorhin? Lief es nicht gut?«, taste ich mich weiter vor, in der Hoffnung, dass sie endlich spricht.

»Gerade läuft alles schief. Immer genau jetzt. Immer zu dieser Zeit. Es ist wie verhext. Nichts will mir gelingen.« Erste Tränen rinnen ihre Wangen hinab. Erneut setzt Frau Runge das Glas an und zieht ordentlich Flüssigkeit daraus. »Verdammt, es ist jetzt dreizehn Jahre her. Das Leben geht weiter. Aber trotzdem ... Die letzten Tage bis zu seinem Todestag ... Die sind jedes Jahr aufs Neue eine Qual.«

Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Denn es ist mir sehr wohl bekannt, was sie meint. Es ist, als würde man immer und immer wieder vor einem Abgrund stehen. Er stellt einen vor die Wahl, sich fallen zu lassen oder sich umzudrehen, um einen anderen Weg zu suchen. Ich habe mich stets für Zweiteres entschieden. Und auch meine Mutter ist jedes Mal mit mir gezogen. So haben wir uns gegenseitig Halt geben können, wenn es einmal holprig geworden ist.

Aber Gaby wirkt verloren. Genauso wie Dora. Es scheint beiden die Perspektive zu fehlen. Als würde sie mehr und mehr der Mut verlassen.

Langsam gehe ich auf sie zu und lege den Arm um sie. Streiche ihr dabei sanft über den Kopf. Sie hält sich an mir fest und für einen Moment atmet sie erleichtert auf, ehe ihr Körper von einem Schluchzen erschüttert wird. So verharren wir einige Zeit lang, bis sie sich mit einem Räuspern aus der Umarmung löst.

»Es tut mir leid, aber ich muss jetzt alleine sein.« Zusammen mit Flasche und Glas verschwindet Frau Runge auf leisen Füßen und lässt mich in der Küche zurück.

Ich bleibe noch einige Sekunden ohne Regung stehen und schaue ihr hinterher, obwohl sie schon längst um die nächste Ecke verschwunden ist.

Und dann macht es plötzlich Klick und alles passiert ganz schnell. Meine Handlungen gleichen denen eines Roboters. Nicht denken, einfach ausführen. Anziehen. Rennen. Fahrrad. Aufsteigen. Fahren. Immer weiter. Immer schneller. Links. Rechts. Rechts. Geradeaus. Immer weiter. Immer schneller. Rechts. Links. Stopp. Rennen.

Rennen. Rennen. Rennen. Stopp.

Dann stehe ich da. Da, wo Doras Grab ist. Oder eher sein wird. Doch es ist nicht nur ihres.

Während ich die Wörter und Zahlen immer wieder lese, ergibt nichts für mich einen Sinn. Obwohl ich es befürchtet, geahnt habe, sonst wäre ich ja nicht Hals über Kopf hierher gefahren. Aber es nun mit eigenen Augen zu sehen.

Das kann doch alles unmöglich ein Zufall sein ...

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro