- II -

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Anna war froh, als der Unterricht endlich vorbei war. Der letzte Block war Sport gewesen und gerade hier wurde ihr wieder einmal bewusst, dass sie sich noch nicht genug an all das hier gewöhnt hatte. Man musste nun von ihr denken, dass sie ein motorisches Problem hatte, aber im Moment entsprach das auch den Tatsachen. Die Frage war, ob Rebekka ihr in diesem Belang eine Hilfe sein konnte.

Sie beeilte sich mit dem Umziehen, ließ dabei natürlich die gebotene Vorsicht walten, und verließ die Umkleide als erste. Hoffentlich stand Rebekka schon draußen, sie wollte nicht warten und dabei vielleicht von irgendwem in ein Gespräch verwickelt werden. Den Tag über hatte sie glücklicherweise immer irgendwie ausweichen können, aber der Musikkurs hatte sie beinah dazu gedrängt, demnächst doch mal was zu spielen, als sie erwähnt hatte, dass sie Violine spielte. Selbst der Lehrer schien interessiert, was wohl die Wahrscheinlichkeit senkte, dass man es einfach vergessen würde.

Sie hatte Glück, in der Buswendeschleife vor der Schule stand Rebekkas Wagen, und sie selbst kam gerade aus dem Schulhaus. Sie besuchte wohl ihren Freund, der hier als Chemielehrer arbeitete. Manche traf sie auch an ihrer Arbeit. Anna wäre auch gern arbeiten gegangen, anstatt zur Schule zu gehen, aber Rebekka hatte gemeint, sie könnte ja keine Qualifikationen aus dem Hut zaubern, womit sie wohl recht hatte. Es war ja auch nicht für lang, wie sie hoffte.

Die Lichter des Autos blinkten und es war zu hören, wie die Schlösser sich entriegelten. Man konnte es beinah für Zauberei halten, diese kleinen Fernbedienungen. Anna warf ihren Rucksack auf den Rücksitz und stieg ein, gerade rechtzeitig, als die Mädchen aus ihrer Klasse vom Schulhof kamen. Rebekka grüßte eines von ihnen mit einem Kopfnicken und setzte sich hinters Steuer.

»Wie war der erste Schultag?«, fragte sie mit einem Lächeln und startete den Motor.

»Na ja. Unterrichtsstoff, den ich größtenteils miterlebt habe und Mitschüler, die gleich alles von mir wissen wollten. Welche Fächer ich belegt habe, ob es mir hier gefällt, wo ich herkomme ... So was halt. Kaum eine ruhige Minute haben sie mir in den Pausen gelassen.«

Rebekka lachte. »Du bist die Neue«, sagte sie, als wäre das eine Erklärung für alles. War es wahrscheinlich auch. Sie bog in die Bundesstraße ein, die am Berghang entlang führte, immer umgeben von Weiden, auf denen Kuhherden grasten. Man hatte einen Ausblick über die ganze Kleinstadt, in der das Gymnasium sich befand, bis hin um Hotel, das auf der anderen Seite des Tals über allem thronte. Zwischen zwei anderen Bergen hindurch konnte man über eine weite Ebene sehen, bis zu einigen Windrädern, zu weit entfernt, als dass man hätte erkennen können, ob sie gerade stillstanden oder nicht. »Das wird sich geben, aber im Moment musst du da durch. Und sie versuchen ja nur, nett zu sein.«

Anna nickte und drückte sich in den Sitz, als plötzlich ein Vogel so dicht vor dem Auto über die Straße flog, dass sie beinah erwartet hätte, er würde gegen die Stoßstange knallen. Zum Glück entkam er, aber sie hatte nicht erkannt, was es für einer gewesen war. »Die meisten schon, ja. Aber ich glaube, das eine Mädchen mag mich nicht, weil ich heute Morgen auf ihrem Platz saß.« Kurz fragte sie sich, ob es diese Platzkärtchen wirklich gab, die das Mädchen namens Caro erwähnt hatte, aber sie hatte nirgends welche gesehen. Und die Kleiderhaken hatten auch keine Bildchen.

»Menschen sind Gewohnheitstiere«, bemerkte Rebekka. »Manche mehr und manche weniger. Aber alle legen Wert auf eine gewisse Routine, du merkst es ja jeden Morgen bei mir.«

»Du musst mir das nicht erklären. Ich kenn mich mit Menschen ganz gut aus.«

Rebekka nickte langsam, als wäre das etwas, das sie schon oft gehört hatte. »Ist in Ordnung, ich weiß ja. Hast du schon gegessen?«

Anna schüttelte den Kopf. Der Geruch, der aus der Cafeteria im Keller gekommen war, hatte sie nicht besonders angesprochen. Der Gedanke daran, mit den anderen zusammen in dem kleinen Raum, der exklusiv für Schüler der Oberstufe gedacht war, ebenfalls nicht. Und das Brot mit Putenwurst und Salat hatte sie schon zur Frühstückspause gegessen.

»Wenn du dich so gut mit Menschen auskennst, solltest du wissen, dass du regelmäßig essen musst. Vor allem, wenn du anschließend Sport hast.« Rebekkas Stimme hatte einen tadelnden Ton angenommen, der Anna so gar nicht gefiel. Sie war eigentlich froh darüber gewesen, dass sie bei jemandem untergekommen war, der bescheid wusste und dem auch klar war, dass solche Vorträge nicht sein mussten. In diesem Moment war es jedoch ganz angebracht, weil Anna selbst gemerkt hatte, dass es ihr nicht sonderlich gut gegangen war. Das hatte sie dann auch gut als Ausrede dafür gebrauchen können, dass sie beim Volleyballspiel am Ende eher ein Hindernis denn eine Hilfe gewesen war. Diese Frederike hatte sich lautstark über sie beschwert, woraufhin jemand anders erwidert hatte, dass sie auch nicht gerade die beste Sportlerin des Jahrgangs war. Darüber hatte Caro sich besonders amüsiert. Garantiert gab es da eine Vorgeschichte, die Anna aber nicht sonderlich tangierte.

»Ich hab es gemerkt ...«, erwiderte sie also nur und nahm sich vor, am nächsten Tag zwei Brote zu schmieren. Aber dann würde sie nicht wieder Sportunterricht haben, der kam erst am Donnerstag wieder dran.

»Wir essen ja heute Abend warm, geht schon in Ordnung. Und ich hatte mir gedacht, dass wir nach dem Kaffee mal Möbel kaufen fahren. Dein Zimmer ist so kahl nur mit Bett und Schrank. Und ein paar Klamotten wären wohl auch nicht schlecht.«

»Warum nicht? Wenn es dir keine Umstände macht.«

Rebekka seufzte. »Nein, es macht mir keine Umstände. Ich wollte eh noch einkaufen fahren. Wünsche zum Abendbrot?«

Anna sah sie von der Seite an. »Warum fragst du mich das? Ich werd essen, was du auf den Tisch stellst.« Über viele Jahrhunderte hinweg hatten die meisten Menschen einfach gegessen, was da war, und nun stand plötzlich alles zur Verfügung, was man sich vorstellen konnte. Und gerade sie sollte aus all den Lebensmitteln etwas auswählen, wo doch alles, was sie über das Essen wusste, die Tatsache war, dass es ganz angenehm war, das zu essen, was Rebekka kochte. Am Samstag war es eine Suppe mit Erbsen aus dem eigenen Garten gewesen, von der Rebekka so viel gemacht hatte, dass sie die Reste eingefroren hatte, und am Sonntag Hackbraten mit Kartoffelklößen.

Aus irgendeinem Grund grinste Rebekka. »In diesem Moment ist wohl jede Mutter auf dieser Welt einfach nur neidisch auf mich.«

»Warum?«

»Ach, nur so.« Rebekka nahm die Einmündung in die Straße, die zu dem Dorf führte, in dem sie wohnte, etwas zu schnell, weil Gegenverkehr kam. Einen Moment fürchtete Anna, der Wagen würde kippen, doch zum Glück geschah das nicht. »Normalerweise sind die meisten Mädchen in deinem Alter ziemlich schwierig mit dem Essen.«

»Mädchen in meinem Alter«, wiederholte Anna und lächelte.

Rebekka schnalzte mit der Zunge. »Na, du weißt schon. Und wo wir grad dabei sind, ist es okay, wenn Anders heute Abend bei uns isst?«

Das war noch so eine Frage, von der Anna nicht verstand, warum sie ihr gestellt wurde. »Ist doch dein Haus und dein Freund, es stört mich nicht, wenn er da ist.« Schließlich wusste Anders auch bescheid, auch wenn er etwas anders mit der Situation umging als Rebekka. Aus reiner Gewohnheit hatte Anna ihn begrüßt mit Fürchte dich nicht, als er am Samstagabend zu Rebekka gekommen war, und er hatte geantwortet Warum sollte ich auch Angst vor einem kleinen Mädchen haben? Trotzdem behandelte er sie nicht wie ein bloßes Mädchen, womit sie ganz glücklich war.

»Ich möchte ja nur Rücksicht auf dich nehmen.« Rebekka klang beleidigt, aber Anna war sich sicher, dass sie nur einen Witz machte. Das war ihr Humor, den man manchmal gar nicht als solchen erkannte. »Ganz schön viel los im Schwimmbad.«

Anna nickte. Auf dem gekiesten Parkplatz vor dem Waldbad standen sicher zwei Dutzend Autos. Sie wusste nicht, warum Rebekka sich dafür interessierte, aber sie machte auch Kommentare darüber, wie die Gaststätte besucht war, wenn sie abends durch das Dorf spazierten. Dann war es abgekühlt und sie sahen die Leute dort drin sitzen, ältere Herren an einem einzelnen Tisch im vorderen Raum und Familien im anderen.

»Willst du auch mal hingehen?«, wollte Rebekka wissen. »Ist ne gute Abkühlung bei dem Wetter, wir müssen dir nur nen Bikini kaufen. Bei der Gelegenheit könnte ich mir auch mal wieder einen zulegen.«

»Klar, gern.« Anna hatte es genossen, am Freitagabend ein Bad zu nehmen, nachdem sie im Garten aufgewacht und voller Erde gewesen war. Es hatte sie überrascht, dass Rebekka so gelassen mit der Situation umgegangen war, bis die ihr erzählt hatte, dass ihr Vergleichbares schon öfters passiert war. Nur waren die Kollegen in den meisten Fällen freiwillig hier gewesen, im Gegensatz zu ihr.

Rebekka wohnte in einem kleinen Haus in einem Neubaugebiet, das im älteren Teil des Dorfs als Schuldenberg bezeichnet wurde. Hier wohnten hauptsächlich zugezogene Leute, aber Rebekka war im Dorf aufgewachsen und später dorthin gezogen, als jemand sich das Haus gebaut hatte, dann aber bald wieder ausgezogen war. Sie hatte Anna Bilder gezeigt aus ihrer Kindheit, damals war dort überall noch Wiese gewesen, nur durchsetzt von ein paar Gärten.

Von dem Gästezimmer, das sie für Anna zurechtgemacht hatte, aus, schaute man direkt auf den Wald, der in dieser Gegend wohl genauso allgegenwärtig war wie die Berge selbst. Verglichen mit dem Rest des Hauses war der Raum wirklich sehr leer, was Anna jedoch nicht gestört hatte, bis Rebekka es erwähnt hatte. Das Inventar bestand aus einem Bett aus Eichenholz, einem passenden Schrank mit Spiegel an einer Tür und einem Stuhl, auf dem Anna ihre Schulsachen gestapelt hatte. Die meiste Zeit war sie auch gar nicht hier, sondern saß mit Rebekka im Wohnzimmer oder machte Spaziergänge durch den Wald, aber es war schon richtig, dass es nicht schaden würde, hier einen gemütlichen Rückzugsort zu haben.

Im Moment saß sie im Wohnzimmer auf der breiten, hellgrünen Couch, mit einem Stück Kirschkuchen und einem Eiskaffee. Rebekka erzählte von ihrem Arbeitstag, es musste wohl mal wieder voll gewesen sein in der Praxis. Von den Gesprächen mit den Patienten hatte sie dies und das erfahren, womit sie Anna jedoch verschonte, da sie die Leute ohnehin nicht kannte. Bei den Spaziergängen hielt Rebekka öfters inne und unterhielt sich mit den Leuten, die sie so traf, und stellte Anna dann immer als die Tochter einer Freundin vor. Hier, wo die Leute sie kannten und wussten, dass sie keine Geschwister hatte, konnte sie nicht behaupten, Anna wäre ihre Nichte. Rebekkas Eltern hatten sie aber noch nicht besucht, und obwohl sie im selben Ort wohnten, machte sie nicht den Eindruck, als hätte sie das vor.

Anna zog sich um, bevor sie losfuhren. Im Laufe des Tages hatte sie gemerkt, dass die Bluse zu viel gewesen war, obwohl sie kurze Ärmel hatte und aus dünnem Stoff bestand. Darum zog sie nun ein ärmelloses Kleid derselben Marke mit demselben gestickten Blütenmuster an der Seite an. Ihre Schulterblätter waren davon gerade so weit bedeckt, dass niemandem etwas auffallen konnte. Am Samstag waren sie schon einmal in der Stadt gewesen, um Kleidung zu kaufen, weil Rebekkas Sachen ihr einfach zu lang waren und ihr die durchweg schwarze Farbe nicht besonders zusagte. Es war ermüdend, sich erst einen Laden auszusuchen und dann auch noch so lang Kleidungsstücke anzuprobieren, bis man endlich eins gefunden hatte, das richtig saß. Aber nun wusste sie ja, wo sie zu suchen hatte, also würde es wohl nicht mehr so lang dauern.

Im Möbelhaus führte Rebekka sie an der Hand zwischen Dutzenden von Sofas hindurch und beschwerte sich im Flüsterton darüber, dass der Weg mit Absicht so gelegt worden war, damit die Kunden bloß noch erkannten, dass sie vielleicht dieses oder jenes brauchen würden. Ihr war aufgefallen, dass es sehr lang dauern würde, die Möbel allein aufzustellen, deshalb rief sie Anders an und diskutierte eine Weile mit ihm, bevor er offenbar zusagte, ihnen zu helfen. Dann hast du dir auch ein richtig gutes Abendessen verdient, sagte Rebekka zum Abschied. Es schien ihr hier recht unangenehm zu sein, denn sie schaute immer wieder auf die Uhr und trieb Anna damit indirekt zur Eile an. Die wollte auch nicht so viel Zeit hier verbringen, also stimmte sie einfach den Vorschlägen zu, die Rebekka machte. Die wusste wohl am besten, was passte und was nicht, verglich immer wieder die Maße des Raums, den sie sich auf einen Zettel geschrieben hatte, mit den Angaben auf den Informationszetteln.

»Was hast du eigentlich später mit den Möbeln vor?«, fragte Anna, während sie vor einer mit Gemälden vollgehangenen Wand stand und sich kaum entscheiden konnte zwischen einer Stadtansicht und fünf Spatzen auf einer Wäscheleine.

Rebekka hob die Schultern und lief vor der Wand hin und her, als würde sie selbst auch ein Bild suchen. »Keine Ahnung. Vielleicht behalt ich das Regal, kann man ja immer brauchen. Den Schreibtisch wird meine Freundin brauchen, wenn ihre Tochter aufs Gymnasium kommt. Mach dir da mal keine Gedanken.«

»Und es macht dir wirklich nichts aus, das alles zu kaufen?« Erst ein paar Tage war sie her und hatte überall Beschwerden über Geld gehört, dass zu wenig zur Verfügung stand und zu viel für alles verlangt wurde. Rebekka schien da keine Sorgen zu haben.

Sie winkte ab. »Ich hab normalerweise nicht gerade viele Ausgaben und hatte genug Zeit, was für Fälle wie diesen anzusparen. Und wegen des Jubiläums ist hier diese Woche eh alles verbilligt.« Sie deutete auf ein großes Plakat, auf dem 20% stand, und von dem viele in der riesigen Halle hingen.

»Wenn du meinst.« Anna entschied sich für die Spatzen, auch weil dieses Bild etwas weniger kostete, und legte es auf die anderen Kartons auf dem großen Wagen.

Es wurde spät an diesem Abend, und Rebekkas Wagen war voll mit Kartons und Tüten, als sie nachhause fuhren. Dort wartete schon Anders, der einen Schlüssel für das Haus besaß und in der Küche saß, auf dem Tisch lagen Blätter verteilt. Er half ihnen nicht, alles nach drin zu bringen, dafür aber beim Aufbauen, während Anna ihre neue Kleidung in den Schrank räumte und sich für den Rest der Zeit überflüssig vorkam. Mit Rebekkas Exemplar von Sofies Welt setzte sie sich in die Küche und erledigte auch die anderen Hausaufgaben, die sie für die Woche aufbekommen hatte.

Als sie damit fertig war, rief Rebekka sie ins Gästezimmer. Dort sah es gleich gemütlicher aus, irgendwie wie eins der Beispielzimmer, die im Möbelhaus aufgebaut worden waren. Auf dem Bett lagen neue Kissen, sie würde es später mit der neuen Bettwäsche beziehen, der Schreibtisch war noch etwas leer, man hatte einfach den Stapel vom Stuhl umgeschichtet. Im Regal standen nur ein paar Bücher, die Rebekka gehörten und die Anna am Wochenende gelesen hatte. Darauf standen eine Stereoanlage und ein CD-Ständer, in dem genau drei CDs steckten, eine davon hatte Anna sich heute gekauft. Vor dem Bett lag ein flauschiger Teppich und an den Wänden waren Aufkleber in der Form von Vogelsilhouetten. Eine war so angebracht, dass es aussah, als würde sie auf einem Bettpfosten sitzen.

»Danke«, sagte sie nur, und hoffte, dass die beiden heraushören würden, dass sie einfach nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Der Zusatz dafür, dass ihr mir den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich macht ließ sie besser weg, denn das konnte sie nicht sagen, ohne dass es nach einer Beleidigung klang. Dabei mochte sie Rebekka, sie mochte das Haus und hatte nichts gegen Anders, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Es lag wohl nicht an ihr, dass er so mürrisch blickte, ihre neuen Mitschüler hatten gemeint, das wäre immer so gewesen. Auch wenn im Moment ein gewisser Stolz in seinem Blick lag. Die Gegend gefiel ihr auch, aber auf Kontakt mit noch mehr Menschen hätte sie gern verzichtet.

Sie merkte, dass sie lächelte, als sie sich noch einmal im Zimmer umsah.

»Sehr schön.« Rebekka klatschte in die Hände nahm dann Anders am Arm. Wie sie nun so nebeneinander standen, bemerkte Anna, wie ähnlich sie sich sahen. Beide waren groß, sehr dünn und hatten schulterlange schwarze Haare. Und beide trugen schwarze Shorts und ebenso schwarze ärmellose Hemden. Man hätte sie für Zwillinge halten können. »Dann mach ich mal Abendbrot. Ich hab Hähnchen gekauft«, antwortete sie auf Anders' fragenden Blick und schob ihn sanft an Anna vorbei zur Tür. »Du hilfst mir doch bestimmt.«

Zur Antwort kam von ihm nur ein Brummeln, aber das konnte genauso gut ja heißen. Er wehrte sich auch nicht, sondern ging einfach mit.

Anna blieb im Zimmer und räumte den Schreibtisch ein, dann legte sie die CD von Howlin' Wolf ein, die sie gekauft hatte, und setzte sich mit einem von Rebekkas Büchern ans Fenster. Dabei stellte sie fest, dass es irgendwie Spaß machte, mit dem Drehstuhl vom Schreibtisch über das Laminat zu rollen.

Im Garten der Nachbarn hüpften Amseln durchs Gebüsch, ein Pärchen, das immer nah beieinander blieb. Eine ganze Weile saß Anna nur da und beobachtete sie, was ihr doch besser gefiel, als Homo Faber zu lesen. Langsam kam die Sonne von Süden her und als sie die Vorhänge schloss, damit der Raum sich nicht zu sehr aufheizte, klopfte es energisch an die Tür. Gesagt wurde nichts, doch eben daraus schloss sie, dass es Anders war, der ihr mitteilen wollte, dass das Abendessen fertig war.

Rebekkas Küche war im Gegensatz zu den restlichen Zimmern eher altmodisch eingerichtet. Die Wand über dem Herd war gefliest und durchsetzt mit einigen Dekorfliesen, auf denen Teekessel abgebildet waren. Die Schränke bestanden aus hellem Holz und die Arbeitsplatten waren grau-blau, sahen aus wie aus unzähligen kleinen Schnipseln zusammengesetzt. Der Fußbodenbelag machte den Eindruck von Natursteinen, bestand aber eigentlich aus Linoleum. Der Tisch bestand aus Massivholz und hatte Schubladen, in denen das Besteck und Untersetzer untergebracht waren, die Stühle passten dazu und waren mit ebenfalls grau-blauen Kissen belegt. An der Wand hing eine schlichte Uhr neben einem Kalender mit expressionistischen Gemälden.

Anders und Rebekka saßen schon, hatten mit dem Essen aber auf Anna gewartet. Es gab Kräuterhähnchen auf Brot, zusätzlich standen Butter, Wurst und Käse bereit, außerdem ein Schälchen mit Weintrauben.

Sie aßen schweigend, im Hintergrund war leise die Musik zu hören, die Anna im Zimmer nicht ausgeschaltet hatte, und von draußen das Gebell eines Hundes. Wenn man durchs Dorf lief, erwartete einen hinter so gut wie jedem Tor ein Hund, der es nicht leiden konnte, wenn man an der Grenze seines Reviers entlang ging. Überhaupt schienen sie Anna im Speziellen nicht leiden zu können, denn immer, wenn sie jemandem mit Hund begegnete, knurrte das Tier sie an. Man entschuldigte sich dann meist wortreich, aber auch so machte es ihr wenig aus. Vielleicht spürten sie die Wahrheit, aber so lang nur sie es waren, sollten sich keine Probleme ergeben.

Durch die Hitze des Herdes war es in der Küche noch wärmer gewesen als im restlichen Teil des Hauses, und nach dem Essen hatten sie sich beeilt, das Geschirr abzuspülen und Rebekka machte in ihrem Schlafzimmer die Wäsche, während Anna mit Anders ins Wohnzimmer ging. In einer schattigen Ecke stand ein Käfig mit Rebekkas Wellensittichen Attila und Susi. Sie war wildfarben, während er hellblau, sogar fast weiß war, und in diesem Moment damit beschäftigt, die Käfigtür zu öffnen.

»Wenn du das Fenster schließst, kannst du sie rausholen«, sagte Anders und setzte sich in den Sessel. Auf dem Tisch lag ein Stapel Papiere, den er nun durchsuchte und in zwei Stapel aufteilte, von dem der eine deutlich größer war.

Anna schloss das Fenster also und ging Attila bei seinem Vorhaben zur Hand. Wie zum Dank pfiff er und flatterte sofort genau auf ihren Kopf. Susi hingegen flog zielsicher zu Anders und ließ sich auf seiner Schulter nieder. An der Naht des Oberteils und am Kragen entlang ging sie ganz nah an sein Gesicht heran. »Susi Küsschen«, krächzte sie. »Susi Küsschen.« Es war ein seltsames Bild, wie er da saß, der Missmut in Person, und sich dieses Vögelchens erbarmte, der sich anschließend ruhig auf sein Knie setzte und sich die Federn richtete.

Attila brachte währenddessen Annas Haare durcheinander, als er über ihren Scheitel lief, sich vehement dagegen wehrend, sich auf ihren Finger zu setzen, den sie ihm anbot.

»Sei vorsichtig, Bel, er zwickt«, klärte Anders sie auf und schien nun in dem größeren Stapel nach einem bestimmten Zettel zu suchen. Das mussten Leistungskontrollen sein, alle in anderer Schrift beschrieben und manche trugen rote Markierungen. Frau Fischer aus dem Philosophiekurs hatte für den Donnerstag eine angekündigt, von der Anna allerdings freigestellt war, weil sie den überwiegenden Teil des geforderten Stoffs nicht mitbekommen hatte. Spätere Tests würde sie aber ebenfalls schreiben, auch wenn unklar war, wie lang sie bleiben würde.

»Mit mir macht er so was nicht«, entgegnete Anna lächelnd und gab es schließlich auf, worauf der kleine Vogel sich wie aus Trotz auf ihre Hand setzte, in der sie noch die Käfigtür hielt. Rebekka hatte sie schon am Samstag gewarnt, aber bisher grundlos. Beide Vögel hatten sich auf Anhieb gut mit ihr verstanden.

»Wenn ihr einmal dabei seid, könnt ihr ja mal bitte den Käfig sauber machen«, rief Rebekka aus dem Schlafzimmer.

»Ich mach das schon«, sagte Anna und winkte ab, als Anders Anstalten machte, aufzustehen. Unter dem Tisch holte er nur einen Batzen alter Zeitungen hervor, mit denen sie die gebrauchten ersetzen sollte. Während sie das tat, flog Attila nach oben auf den Schrank und hopste hin und her, um sie ja immer gut im Blick zu haben.

Also warf sie die schmutzigen Zeitungen weg, wischte den Boden des Käfigs nass aus und wieder trocken, legte neue aus und füllte Wasser nach. Während sie gebückt dastand, kam Attila wieder zu ihr und lief über ihren Rücken, sie spürte seine Krallen durch ihr Kleid hindurch. Es tat nicht so sehr weh wie das Volleyballspiel ihren Armen wehgetan hatte, war auf andere Weise unangenehm, aber auszuhalten. Nur an diesen gewissen Stellen ging es tief unter die Haut.

»Soll ich dich morgen mitnehmen?«, fragte Anders unvermittelt. Er hatte noch immer mit Susi zu tun, die nun auf seinem Handgelenk saß und am Ende seines Rotstifts knabberte.

»Gern.« Im letzten Block würde sie ohnehin mit ihm Biologie haben, er hatte dann auch Dienstschluss und Rebekka würde nicht extra fahren müssen. Anna wollte ihnen wirklich keine Umstände machen, auch wenn sie immer wieder beteuert bekam, dass das nicht der Fall war. »Ich möchte nur ungern mit dem Bus fahren.«

Er nickte und lehnte sich zurück, streichelte Susis Köpfchen mit dem Zeigefinger. »Du bist ja ein liebes Vögelchen«, sagte er leise zu ihr und plötzlich klang seine Stimme weich. »Aber jetzt lass mich doch bitte meine Arbeit machen.«

Sie dachte anscheinend überhaupt nicht daran,sondern streckte sich genüsslich seinem Finger entgegen, damit er bloß nichtaufhörte. Er hörte auch nicht auf, sondern legte ganz im Gegenteil seinen Stift weg.

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