017 - höflich geht anders

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Am Sonntag gehen So-Ra und ich mit ein paar Freunden ins Theater und anschließend noch gemeinsam was trinken. Entsprechend schwer fällt es mir am Montag, rechtzeitig aus den Federn zu kommen. Die Woche wird wie viele vorher auch. Das Kellergeschoss ist jetzt außen und innen trocken, clean und isoliert. So schnell wird hier nichts mehr gammeln. Die Firma hat ihren Job getan und zieht weiter, aber Hoseok und Taehyung sind auf unbestimmte Zeit freigestellt, damit sie weiter hier mitarbeiten können.

Die Rohre werden erneuert - Wasser und Abwasser im ganzen Haus und bis runter zur Straße. Bei der Gelegenheit wird mit vorbereitet, dass es im Dachgeschoss nicht nur ein Bad sondern auch eine Küche geben wird. Die Elektrik wird erneuert, so dass das ganze Haus und die Veranda ausreichend für moderne Technologie ausgerüstet sind. Auch zur Pförtnerei werden moderne Versorgungsleitungen und Rohre mit eigenen Zählern gelegt. Wer weiß, was mit dem Häuschen noch alles passiert.
Die Drainage ums Haus entsteht, der tiefe Graben rundrum wird zugeschüttet. Allerdings sind bei der Sanierung zusätzlich die Kellerfenster vergrößert und die Lichtschächte geneigt worden, damit in die Räume deutlich mehr Licht fällt. Kurz darauf rücken die Gerüstbauer an und "verpacken" die ganze Villa in ein Gerippe aus Stahl.

Die Treppe in den zweiten Stock ist endlich saniert, und so darf ich ausgerechnet mit dem steifen Architekten zusammen das erste Mal ins Dachgeschoss. In mein ehemaliges Kinder- und Jugendzimmer. Es liegt auf der Seite des Hauses, die einigermaßen unbeschädigt geblieben ist. Vor der Zimmertür bleibe ich kurz stehen und atme ein paarmal tief durch.
Was mich da wohl jetzt erwartet? Mein Frisierstuhl ist ja im Erdgeschoss gelandet, also war jemand schon vor dem Brand hier drin und hat Sachen rausgeholt.

Mehr so semi-mutig öffne ich die Tür und betrete den Raum. Die Fenster in der Gaube haben Sprünge, sind aber dicht. Jeder Schritt wirbelt Staub auf, der in den hereinfallenden Sonnenstrahlen tanzt. In meinem Bett ist keine Matratze mehr.
Die hat dann wohl eine Etage tiefer einen neuen Besitzer bekommen.
Aus meinem Kopfkissen flüchtet piepsend eine Mäusefamilie hinter die Fußleiste. Langsam drehe ich mich im Kreis, sehe mich um und werde überflutet von einer Fülle an Details. Ein paar Poster baumeln in Fetzen von der Wand, die Türen vom Kleiderschrank hängen schief in den Scharnieren und geben den Blick frei auf ein ziemliches Durcheinander.
Irgenjemand konnte meine Teeniekleidung brauchen.

Schließlich bleibt mein Blick hängen bei meiner alten Frisierkommode. Ich halte den Atem an und beiße die Zähne zusammen, um nicht auf der Stelle loszuheulen. Ein Bein ist abgeknickt, die Schubladen sind herausgerissen und einfach fallen gelassen, die Farbe blättert von den zierlichen Schnitzereien und der Spiegel ist völlig blind.
Hier habe ich so viele Stunden gesessen, mir beim Erwachsenwerden zugesehen, mich im Spiegel betrachtet, über mich selbst nachgedacht. Hier habe ich mich stolz im Kreis gedreht vor der Graduationfeier. Hier hat Onkel Harry mein Aussehen bewundert. Dann bin ich gegangen ohne einen Blick zurück, Onkel Harry ist zurückgezogen in die alte Heimat - und nun ist das alles, was ich so geliebt und für selbstverständlich gehalten habe, zerstört.
Es geht mir ja seit einer Weile wieder ganz gut, aber heute überfallen mich die Trauer und das schlechte Gewissen gegenüber meinem Onkel erneut wie ein wildes Wolfsrudel.

Einen Moment lang bin ich wie gelähmt.
Wie konnte es nur so weit kommen? Ich glaube, bei der Frage werde ich mich nie verstehen!
"Frau Cho, was denken Sie, wie schnell Sie die Räume hier oben ausräumen können? Sobald die Böden frei sind, können wir mit der Prüfung für den nächsten Bauabschnitt beginnen."
Der Pragmatismus des Architekten holt mich schlagartig zurück in die Gegenwart.
"Bitte?"
"Wie schnell kann es gehen, dieses Dachgeschoss leer zu räumen?"
"Ich ... denke, die Jungs werden das in zwei Tagen schaffen."
"Das reicht, danke."

Die anderen Räume im Dachgeschoss, soweit sie überhaupt betretbar sind, kosten mich nicht so viel Kraft. Die Seite vom Dach, die gebrannt hat, sieht allerdings übel aus. Benommen starre ich durch das große Loch im Fußboden bis ins Erdgeschoss. Der Brand hatte wohl hier den Boden so angegriffen, dass der schon fast durch war. Im Laufe der Jahre haben dann Wind und Regen, Hitze und Frost erst den oberen und dann auch den Fußboden in Onkel Harrys Schlafzimmer nach und nach zerstört. Der Blick auf das geplatzte Parkett in Onkel Harrys ehemaligen Arbeitszimmer im Erdgeschoss ist trostlos und entmutigend.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass ich einmal Schnipp mache und die Villa in neuem Glanz erstrahlt? Geduld, Nelli. Du bist auf dem richtigen Weg. Das wird! Mal sehen, ob So-Ra heute Abend Zeit für mich hat. Ich glaub, ich muss reden.

Ich habe Mühe, mich von dem Anblick loszureißen, obwohl ich weiß, dass nichts besser wird, wenn ich weiter hier stehe und runterstarre. Also drehe ich mich schließlich um, gehe runter, verabschiede vor dem Haus den Architekten und mache mich auf den Weg zum Pförtnerhaus. Mir ist schwindelig, ich weiß aber nicht, ob von der Hitze oder von der Welle an Erinnerungen, die mich grade überrollt hat.

Hoseok hat wohl eben nach getaner Arbeit geduscht und kommt umgezogen aus dem Bad. Taehyung sitzt noch in Arbeitsklamotten davor und wartet, dass er jetzt rein kann. Als ich den Gemeinschaftsraum der Pförtnerei betrete, höre ich grade noch die "Übergabe".
"Bin fertig Tae, kannst rein."
Beide sehen und begrüßen mich. Im nächsten Moment lassen sie fallen, was sie grade in Händen haben, kommen zu mir und nehmen mich von beiden Seiten in die Arme.
"Hoppla - was ist mit DIR denn los? Du bist ja weiß wie die Wand!"
"Sofort hinsetzen!"
Die beiden schieben mich zum Sofa, drücken mich runter, legen meine Beine hoch. Ich bin leicht ... irritiert?

"Was ist denn mit dir passiert?"
"Ich ... weiß nicht. Wie seh ich denn aus? Ich bin doch nur von der Villa hierher gelaufen!"
Hoseok schüttelt missbilligend den Kopf.
"Jedenfalls nicht so, als ob du da draußen in der Hitze rumlaufen solltest. Du siehst aus wie der Tod auf Latschen."
Ich muss lächeln. Hobi gradeaus wie immer.
"Meinen untertänigsten Dank für dieses ausgesuchte Kompliment! ... Ich ... war grade zum ersten Mal im Dachgeschoss ..."
Tae verzieht das Gesicht.
"Autsch! Kein Wunder, dass du so fertig bist."
Hobi lächelt zurück.
"Alles klar. Liegen bleiben, ein paarmal durchatmen. Und dann bist du mal mit erzählen dran. Wir wissen nämlich auch verdammt wenig über dich!"

Stimmt. Zumindest die beiden haben mir inzwischen viel mehr anvertraut als ich ihnen. Aber ist das der richtige Zeitpunkt? Keine Ahnung! Und kann ich das? Alleine mit den Jungs? ... So-Ra! Dann ist jetzt wohl der richtige Moment gekommen.
"Nicht sofort, habt grade noch Geduld."

Ich fische mein Handy aus der Hosentasche und rufe meine beste Freundin bei der Arbeit an. Es tutet.
Noch müsste sie da sein ...
Richtig, sie geht schnell an den Apparat.
"Süße, machst du heute noch lang?"
"Ui - hat da jemand Sehnsucht? Du klingst schlapp. Alles in Ordnung?"
"Wird grad wieder. Hast du heute Abend was vor? Oder hast du Lust, mit uns hier oben zu Abend zu essen?"
"Blöde Frage. Hast du eine Ahnung, WIE lange ich schon drauf warte, dass du mich eeeeeendlich mal mitnimmst??? Klar komm ich! Ich bin hier grade dabei, den letzten Vorgang abzuschließen. Auto holen. Ich könnte so in anderthalb Stunden da sein."
"Prima. Dann ruf ich dich gleich nochmal an."

Jin hat am Wochenende zum ersten Mal für mehrere Stunden das Gelände verlassen, weil er Lebensmittel einkaufen wollte. Er ist an einem Flohmarkt vorbei gekommen, hat eine riesige bayerische Kuhglocke gekauft und sie hier im Wohnzimmer aufgehängt. Der absurde Anblick erschüttert mich zutiefst.
Wie um Himmels Willen ist DAS Teil nach Seoul und auf diesen Flohmarkt geraten?
Jedenfalls bitte ich jetzt Tae zu läuten.

Yoongi ist noch in der Stadt, aber Guk und Jin sind bald zur Stelle.
"Wo brennts?"
Hoseok bremst den Jüngsten, und Tae gibt ihm für den blöden Spruch einen Klaps auf den Hinterkopf.
"Mach langsam, Guk! Nelli will euch was fragen."
Jin und Guk hocken sich auf die nächsten Sessel und blicken mich erwartungsvoll an.
"Ganz einfach. Ich habe eine allerbeste Freundin seit schon immer. Ich würde sie gerne zum Abendessen einladen, damit ihr euch mal gegenseitig kennen lernen könnt. Ich denke aber, dass das für euch in Ordnung sein muss. Und dann würde ich euch gerne endlich ein bisschen mehr über mich erzählen."

Jin nickt einfach. Jeongguk wird sofort hibbelig.
"Ist die der KaMpFhUnD, über den ihr immer lacht? Wenn ... die dann auch dichthält?"
"Keine Sorge. Am ersten Tag wollte sie die Polizei rufen. Aber das ist längst Schnee von gestern. Sie brennt nur noch vor Neugierde, steht voll hinter mir und euch und wird ganz bestimmt absolut dicht halten."
Jeongguks Stimme nimmt sofort einen misstrauischen, abweisenden Unterton an.
"Neugierde!?! Möööp! So lange sie uns nicht Löcher in den Bauch fragt ..."
"Dann bremst ihr eben - höflich, aber bestimmt."

Jin ist in Gedanken schon viel weiter und macht mich damit überirdisch glücklich.
"Wann wäre die dann hier? Soll ich mich mit den anderen in die Küche werfen und was kochen, oder willst du was bestellen?"
"Wenn ihr Lust habt, dann kocht doch was."
"Wird gemacht, bin schon unterwegs."
Jin schnappt sich Guk und Tae und scheucht sie in die Küche.
Er hat soviel mehr Energie als vor zwei Monaten! Er ist kaum wiederzuerkennen.

Hoseok schaut den dreien versonnen nach.
"Das ist vielleicht das größte Wunder. Ich hätte nie, NIE damit gerechnet, dass Jin wieder so weit auf die Füße kommt. Inzwischen halte ich bei ihm alles für möglich."
"Ich denke, dass er das noch nur hier im geschützten Rahmen schafft. Aber er hat sich ganz leise auch innerlich auf den Weg aus dem Keller gemacht. Er hat Freude daran, etwas Sinnvolles für die Gemeinschaft zu tun. Und an diesem Satz sind alle Hauptwörter ein absolutes Novum für ihn. Wer weiß ..."

Hoseok mustert prüfend mein Gesicht.
"So, gehts dir jetzt besser? Dein Gesicht hat jedenfalls wieder Farbe, und deine Stimme klingt auch normal."
"Ja, danke. Gut, dass ihr so schnell reagiert habt. Mir war mörderisch schwindelig."
Ich setze mich auf.
"Ich ruf eben nochmal So-Ra an."
Meine Besti freut sich sehr über das Okay und verspricht, zum Einstand ein paar Kilo Eis mitzubringen. Hobis Augen leuchten auf. Er grinst.
"Okay - akzeptiert. Bei dem Wetter mit Eis anzurücken - das ist blanke Bestechung."

Hoseok geht für eine Weile in sein Zimmer, um sich auszuruhen, denn die heißen, langen Tage schlauchen doch ziemlich. Selbst wir in unserem klimatisierten Büro sind zur Zeit langsamer. Bewegen? Igitt!
Ich bleibe einfach auf dem Sofa sitzen, denke nach darüber, was eben mit mir passiert ist - und was in welcher Reihenfolge ich den Jungs gleich erzählen will.
Das ist gar nicht so einfach. Nachdem die Jungs mir schon so oft bei solchen Anfällen von Rührung zugesehen haben, haben sie allmählich ein Recht darauf, mehr über mich und meine Motivation für dieses Projekt zu erfahren. Aber ALLES würde zu lange dauern, und es geht sie ja auch nicht alles was an.

Meine Überlegungen enden abrupt, als Yoongi zur Tür reinkommt. Mit einem sehr großen Mittdreißiger im Schlepptau, der sich mit verschlossener Miene umsieht - und mich dabei geflissentlich übersieht. Er hat eine ordentliche, silbergraue Frisur ohne Farbansatz, ist glatt rasiert am späten Nachmittag, seine Kleidung ist ausgesucht und hat definitiv ein Bügeleisen gesehen, er trägt Designerschuhe, allerdings wohl nicht das neueste Modell. Er quetscht sein Selbstbewusstsein und sein Gefühl von Überlegenheit aus allen Poren.
Sympathisch geht anders ...

"Hallo, Frau Cho. Ist es in Ordnung, wenn ich noch jemand dabei habe?"
"Tach, Yoongi! Für mich ist es in Ordnung. Sagen Sie grad in der Küche Bescheid, dass wir zwei Esser mehr haben? Jin ist schon am Kochen."
Während Yoongi nickt und in die Küche schlurft, gehe ich auf den Fremden zu und verbeuge mich.
"Herzlich willkommen! Ich bin Cho Cornelia, die Besitzerin dieses Anwesens. Gäste sind immer gern gesehen."
Sein Blick wandert erst jetzt zu mir. Einen Augenblick lang mustert er mich stumm, als wolle er mich abschätzen. Seine Verbeugung erschöpft sich in einem knappen Nicken.
Wie unangenehm! Höflich geht auch anders ...

"Guten Tag. Kim Namjoon. Danke für die Einladung zum Essen."
Damit dreht er sich um und verschwindet hinter Yoongi her in der Küche. Mir bleibt die Spucke weg bei so viel Unhöflichkeit.
Na, dem werd ich ganz bestimmt nicht viel über mich erzählen! Schade - für die Jungs und mich schien es endlich zu passen ...
Ich setze mich wieder aus Sofa, verfalle in Gedanken - und plane um.

Irgendwann kommen Jeongguk und Yoongi herein und fangen an, den Tisch zu decken. Auch der Fremde kommt dazu, setzt sich hin und schaut gelangweilt durch den Raum, statt zu helfen. Yoongis Augen ruhen kurz auf ihm, huschen dann zu mir, er runzelt die Stirn. Ich versuche, meine Gesichtszüge etwas mehr unter Kontrolle zu kriegen.
Im nächsten Moment kommt Tae mit einem Stapel Untersetzern aus der Küche, und gleichzeit schellt die Klingel vom Tor. Tae drückt Jeongguk die Untersetzer in die Hand, bindet sich die Schürze ab und geht So-Ra entgegen. Also erhebe auch ich mich wieder und helfe, den Tisch zu Ende zu decken. Als So-Ra zur Tür reinkommt, ist Jeongguk sehr schnell verschwunden.

"Hallo Süße! Wie schön, dass ich hier sein darf. Also, der erste gefällt mir schon mal richtig gut."
Ich nehme sie kurz in die Arme, würde ihr aber viel lieber eine watschen. Denn Taehyung bekommt einen hochroten Kopf und flüchtet ruckartig mit zwei großen Kühltaschen zu den anderen in die Küche.
"So-Ra? Könntest du mir und dir einen Gefallen tun?"
"Was denn?"
Neugierig streift sie durch den Raum.
"Könntest du bitte mindestens zwei Gänge runterschalten und bedenken, dass die Menschen hier im Haus alle sehr scheu, auf ihre Sicherheit bedacht und allgemein von schlechten Erfahrungen geprägt sind?"
Augenblicklich wendet sie sich mir zu. Ihre Augen weiten sich, sie versteht.
"Schlechter Start?"
"Schlechter Start."
"Verstanden."

Kim Namjoon schnaubt herablassend und geht nach draußen. Yoongi zuckt zusammen und folgt ihm auf dem Fuße. Ich werde wahrscheinlich grade grün vor Wut im Gesicht, und So-Ra schüttelt den Kopf.
"Na - DER gefällt mir dafür überhaupt nicht. ... Ups - Entschuldigung! Wer ..."
"... keine Ahnung. Und in diesem Fall auch kein Grund, sich zu entschuldigen. Der ist zehn Minuten vor dir zum ersten Mal hier aufgeschlagen und wird bald wieder rausbefördert, wenn er so weiter macht."

Durch das viele Rein und Raus und Geschirrklappern aufgescheucht, taucht jetzt auch Hoseok wieder auf. Ich stelle ihn und meine Freundin einander vor und erkläre dann kurz, was hier eben alles passiert ist. Seine "Begeisterung" sprüht Funken.
"Juchu. Nicht. Und ich hatte mich schon echt auf deine Märchenstunde gefreut. Aber so?"
"Genau. Definitiv nicht. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben."

Als Jin kurz darauf zum Essen bimmelt und alle sich um den großen Tisch versammeln, ist die ungemütliche Anspannung fast mit Händen zu greifen. So hatten wir uns den Abend nicht vorgestellt - es ist echt ärgerlich! Wir stellen uns nochmal gegenseitig vor, lassen die Schüsseln kreisen und konzentrieren uns aufs Essen. Es schmeckt herrlich und hebt unsere Laune wieder ein bisschen. Aber so richtig Stimmung will nicht aufkommen. So-Ra plaudert mit ihren Sitznachbarn, Namjoon pickt sich die leckersten Bissen raus, Yoongi köchelt auf niedriger Flamme, frustriert von seinem unhöflichen Gast, Jeongguk sieht aus, als wolle er sich am liebsten unterm Tisch verkriechen, Jin ist völlig verwirrt, weil er ja ganz viel nicht mitbekommen hat. Und ich denke ernsthaft darüber nach, wie wir den unangenehmen Zeitgenossen wieder loswerden.

Allzu ausgedehnt wird das Abendessen darum nicht. Alle stehen auf, um abzudecken. Nur Kim Namjoon bleibt sitzen und zündet sich völlig ungerührt eine Zigarette an. Mir fällt die Kinnlade runter.

"Könnten Sie bitte draußen rauchen? Die Gemeinschaft hat beschlossen, das Haus rauchfrei zu halten. Ein Aschenbecher steht vor der Garage nebenan."
Vollkommen seelenruhig hebt er eine Augenbraue und schaut mich nicht mal an. Zack landet die Asche auf seinem abgegessenen Teller.
"Stört's?"

"Ja!"
Ungewöhnlich heftig kommt Hoseoks Stimme von der Küchentür her.
"Raus!"
Yoongi drückt sich an ihm vorbei und schiebt den Arrogantling zur Tür. Wir anderen öffnen die Fenster und atmen durch. Nach und nach tauchen alle aus der Küche wieder auf.
"Wo hat Yoongi DEN denn aufgegabelt? Hoffentlich verschwindet der ganz bald auf Nimmerwiedersehen."
Jeongguk sieht aus, als könne er auf der Stelle einen Mord begehen.

So-Ra hat sich mit dem Rücken an eins der offenen Fenster gelehnt und stutzt auf einmal. Einen Moment ist sie ganz still, dann schüttelt sie energisch den Kopf und winkt uns alle zurück in die Küche.
"Ihr solltet euch schnell auf eine Strategie einigen. Euer neuer FrEuNd hat Yoongi grade gefragt, ob der ihm jetzt sein Zimmer zeigen kann. Ich bin jedenfalls dafür, dass wir mit dem Eis noch warten."
Sprachlos starren wir sie an.
Der will SEIN Zimmer sehen? Was ist denn jetzt in Yoongi gefahren???

Die Frage bleibt ungeklärt, denn die leise murmelnden Stimmen entfernen sich. Hoseok geht auf Nummer Sicher und folgt den beiden. Aber immerhin - als er zurückkommt, kann er berichten, dass Yoongi es abgelehnt hat, Namjoon im Alleingang aufzunehmen. Dafür müsse er sich deutlich höflicher und kooperativer zeigen und natürlich mit jemand sein Zimmer teilen. Das habe Namjoon wohl nicht geschmeckt, und er sei dann gegangen.
Meine liebe Beste bringt es auf den Punkt.
"Na dann - her mit dem Eis!"
So-Ra war echt großzügig. Sie ist zum nächsten Discounter gefahren und hat ungelogen zwölf Liter Eis in lauter verschiedenen Geschmacksrichtungen gekauft. Sehr schnell sind unsere Schüsselchen mit unseren Lieblingssorten gefüllt.

Yoongi kommt zurück und will sich an uns vorbeischleichen, aber ich spreche ihn direkt an.
"Yoongi? Kommen Sie. Setzen Sie sich dazu. Es ist noch ganz viel da. Sie können doch nichts dafür, dass der Typ sich nicht benehmen kann."
Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich zu uns zu setzen. Wir Frauen nehmen uns ganz zurück, denn die Jungs fangen jetzt tatsächlich an, sich miteinander zu beraten.

Jeongguk ist mit seinem Totschlagargument natürlich wieder der schnellste.
"Nur über meine Leiche setzt DER nochmal einen Fuß hier rein!"
Taehyung ist etwas vorsichtiger.
"Wir haben doch alle unser Päckchen zu tragen. Also wissen wir auch alle, wie sich miese Behandlung anfühlt. Ich für meinen Teil würde es vorziehen, hier nur mit Menschen zu tun zu haben, die dafür sensibilisiert sind und sich einfügen. Ich finde ..., der ... passt einfach nicht zu uns."
Hoseok hat allen gut zugehört.
"Mich irritiert er vor allem. Er hat einen modernen, korrekten Haarschnitt, manikürte Hände, ordentliche Alltagsklamotten und Schuhe, ... und so. Und er ist vermutlich sogar älter als Nelli. Wie landet ein so aussehender Typ aus einem wahrscheinlich ganz ordentlichen Job in dem Alter auf der Straße???"

Yoongi wird bei all diesen Statements immer kleiner auf seinem Stuhl und löffelt schweigend sein Eis.
Der schreit ja gradezu: wo ist mein Mauseloch?
Zu meiner Freude stellt Jin jetzt die Fragen, auf die ich die ganze Zeit gehofft hatte.
"Kannst du uns mehr über ihn erzählen, Yoongi? Wo und wie hast du ihn kennen gelernt, was für einen Hintergrund hat er? Bisher waren wir bei der Frage immer mit uns geduldig. Aber in diesem Fall würde ich gerne mehr wissen, denn sonst stresst er uns alle doch erheblich. Unsere Stimmung vorhin beim Essen war ... scheiße?"

Yoongi kann sich ein bisschen entspannen.
"Ganz ehrlich? Vorher war der nicht so. Ich wusste zum Beispiel selbst nicht, dass er überhaupt raucht. Hätte ich ihn so schon mal erlebt, wäre mir nicht im Traum eingefallen, ihn mitzubringen. Allein schon, WIE unhöflich er zu Frau Cho war.
Ich hab mit ihm zum ersten Mal vor einer Woche länger geredet. Er arbeitet meistens am Wochenende und nachts an einer Tanke, an der ich mir öfter was zu essen kaufe. Ich weiß glaube ich lange nicht alles. Er hat wohl studiert und dann einige Jahre gearbeitet. Dabei hat er irgendwie Scheiße verzapft und ist im Bau gelandet. Jetzt ist er auf Bewährung raus, muss dafür aber eine Adresse vorweisen, was er nicht kann, weil sowohl seine Eltern und Brüder als auch seine ehemaligen Freunde abgewunken haben. Ich fand ihn nett und dachte: wir könnens ja versuchen. Aber das vorhin ... das war unterste Schublade. Wenn er so bleibt, muss er auf die harte Tour lernen, wer er selbst ist."

Ich trete So-Ra unter dem Tisch, weil ich merke, dass sie unbedingt mitreden will. Denn das ist gar nicht nötig. Hoseok hat schon weiter gedacht.
"Bis wann muss er denn eine Adresse vorweisen?"
Yoongi zieht die Augenbrauen hoch und grinst schmerzhaft.
"Freitag?"
"Autsch! Dann ist er wirklich seeeeeeehr von sich selbst überzeugt, wenn er glaubt, mit DEM Verhalten einfach so durchzukommen."
Jeongguk steht auf, und man sieht, das es schon wieder in ihm köchelt.
"Also ich bin generell dagegen. Wenn der auf Bewährung draußen ist, tanzt hier dauernd ein Bewährungshelfer an und steckt seine Nase in Angelegenheiten, die ihn nichts angehen. Das ist mir zu heiß."

Yoongi hat sich gefasst und hindert ihn daran, schon wieder wegzulaufen.
"Ganz ruhig, Brauner! Setz dich bitte wieder, Guk. Du musst keine Angst haben. Deshalb sitzen wir doch jetzt hier zusammen. Weil ihr alle ein Mitspracherecht habt. Das entscheiden wir gemeinsam, und auch du wirst gehört. Das ist nämlich in der Tat ein Argument. Für uns ist das unser Zuhause. Es geht nicht, dass sich einer von uns hier bedroht fühlt. Die, die schon da sind, gehen vor. Oder seht ihr das anders?"
Alle atmen auf, und unser Poltergeist setzt sich wieder.
Ich staune. Über alle.
Seltsam. Vielleicht haben wir diesen ungehobelten Klotz hier mal gebraucht? So ernsthaft, sensibel und fair habe ich die Jungs noch nicht ein einziges Mal erlebt bisher. Sie lassen sich ausreden, können ehrlich miteinander sein - hat was!

Taehyung hat eine Weile nur zugehört. Jetzt äußert er sich noch mal dazu.
"Ich fand den Typen vorhin auch furchtbar. Arrogant. Aber ich möchte nicht wissen, wie ich vor drei Jahren war. Dagegen weiß ich ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn man mit dieser Mischung aus Mitleid und Abscheu im Blick zur Tür rausgeschoben wird.
So, wie er jetzt ist, tut er uns nicht gut. Da gebe ich Jin und Yoongi recht. Aber wenn wir ihm, sagen wir mal, Mittwoch Abend ein Gespräch anbieten, in dem er unsere Spielregeln lernen muss - dann hat er den Knastschlüssel schon wieder vor Augen, hört vielleicht richtig zu und kapiert, was wir für Bedingungen stellen. Er soll seinen Bewährungshelfer mitbringen, von uns sitzen hier nur Frau Cho als Besitzerin, Yoongi als Auslöser und Hobi, der nichts zu befürchten hat. Was wir drei anderen wollen, könnt ihr gut vertreten. Wenn klar und akzeptiert ist, dass der Aufpasserfritze uns nicht zu Gesicht bekommt, solange wir das nicht wollen - dann könnte ich mir vorstellen, ihm die Chance zu geben. Dann liegt es an ihm, wie lange er bleiben kann."
Yoongi, Jin und Hoseok nicken bedächtig, denn der Vorschlag klingt ... na sagen wir mal ... machbar.

Jetzt bin ich gespannt, ob sie eine gemeinsame Linie finden werden, mit der alle leben können.
Jeongguk ringt mit sich.
"Puh. Wohl fühle ich mich damit noch nicht. Was bin ich froh, dass ich schon mit Tae in einem Zimmer stecke. Also kann er höchstens zu Hobi, Yoongi oder Jin dazurutschen. Oder ihr müsst ganz neu sortieren. Okay - dann bieten wir ihm für Mittwoch ein Gespräch in genau der Zusammensetzung an. Und ihr habt es in der Hand."
Nervös fährt sich der Jugendliche mit seinen Händen durch die zu langen Haare. Aber er ist über seinen Schatten gesprungen. Das ist neu.
Dieser Abend tut allen hier richtig gut.

Jetzt endlich darf So-Ra mal wieder etwas sagen, ohne getreten zu werden. Sie wird mir bestimmt hinterher die blauen Flecken abzählen. Aber das war mir zu wichtig, da durften wir nicht reinfunken.
"Darauf eine zweite Runde Eis?"
Alle fangen an zu grinsen, jammern, wie satt sie schon sind - und schaufeln sich die Schüsselchen nochmal voll mit Eis. Die Reste werden in ein paar der Eisdosen zusammengepackt, damit sie nicht so viel Platz im Tiefkühlschrank wegnehmen.

........................
17.1.2023    -    20.3.2024

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