19 - Vorschussvertrauen

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Es ist gut, dass ein reichhaltiges Abendessen auf dem Tisch steht und grade alle durcheinanderwuseln. Die selbe Runde wie am Montag, nur ohne So-Ra. Alle setzen sich irgendwo hin, und Jin bittet unseren Gast höflich, sich zuerst zu bedienen. Der weiß gar nicht, wo er hinsehen soll, so peinlich ist ihm das. Aber dann nimmt er sich hier und da, bleibt bescheiden und wartet, bis alle zu essen haben.
Ich schaue in die Runde. Nur freundliche Gesichter.
Haben die sich grade auch abgesprochen???
Kim Namjoon isst seine kleine Portion auf, wartet auf einen Moment Stille und tastet sich dann in unser Gespräch.

"Darf ich fragen, welche Spielregeln es noch gibt, an die ich mich halten sollte? Das alles ist für mich so ungewohnt, ... ich habe das Gefühl, ich schwimme im Dunklen durch ein Krokodilbecken."
Mehrere der Jungs runzeln die Stirn. Ich esse weiter und warte ab.
"Ich ... Mist! Ihr seid nicht die Krokodile. Vielleicht seid ihr sogar die einzigen Nichtkrokodile auf der Welt. Ich ... glaube, ich spiele mit offenen Karten. Ich bin Broker. Ich habe Geld unterschlagen. Viel Geld. Ich hatte jahrelang jeden Morgen beim Betreten der Bank das Gefühl, in ein Krokodilbecken zu springen. Ich wollte da sein. Also habe ich diese Haltung angezogen wie eine zweite Haut. Im Knast war es noch schlimmer. 24/7 Kampf um die Position im Ranking, 24/7 siegen - oder verlieren. Es gab nichts dazwischen. ..."

Hoseok schluckt seinen Bissen runter und sieht Namjoon direkt an.
"Entschuldige, dass ich dich vorhin so angepampt habe. Ich bin ehrlich - du machst es mir nicht leicht, dich zu mögen. Für mich darfst du sein, wer du bist, und dazulernen, was zu dir passt. Mich interessiert nur eins: bist du kritikfähig? Merkst du, wenn du Scheiße baust? Bist du bereit, an dir zu arbeiten, so wie wir alle an unserem Päckchen und unseren Macken arbeiten? Mehr brauchen wir von dir erstmal nicht: Einsicht und guten Willen. 'Die anderen sind schuld' funktioniert hier nicht."
Namjoon sieht aus, als hätte Hobi chinesisch geredet.
Keine guten Voraussetzungen ...

Jeongguk rutscht nervös auf seinem Stuhl rum. Dann gibt er sich einen Ruck.
"Ich habe viel, viel Scheiße erlebt und bin dabei zum Zombie geworden. Zeitweilig war mein Leben bedroht, und dieses Haus hier ist mein Überleben. Ich habe fast mehr Angst vor deinem Aufpasser als vor dir. Der Mann hat sich wohl dir und uns gegenüber so erniedrigend verhalten, dass ich nicht will, dass er jemals auch nur ahnt, dass hier ein Minderjähriger ist. Einen Schritt vor den Zaun, und ich verglühe vor Hochspannung. Respekt und Vertrauen sind für mich meine Lebensversicherung."
Guk hat angefangen zu zittern. Namjoon schaut staunend zu.

Yoongi nimmt die verkrampfte Hand auf dem Tisch, um ihn zu beruhigen. Ich wende mich an den Broker.
"Wir sind hier alle so gründlich durch den Fleischwolf gedreht worden, dass bei manchen nicht viel übrig geblieben ist. Deshalb gelten bei uns kaum normale Maßstäbe - Mann, Frau, alt, jung, reich, arm, laut, leise, typisch oder total bekloppt. Mit Klischees kommen wir hier nicht weiter."
Ich deute auf die Hände von Yoongi und Guk.
"Ein Beispiel: das da ist nicht 'typisch weiblich' und deshalb 'verweichlicht'. Das ist 'Guk vertraut nur Yoongi, und deshalb ist Yoongi derjenige, der ihm am besten helfen kann, wenn die Angst zu groß wird'. Verstehen Sie das?"
Ich kann sein Gesicht nicht deuten. Aber sein Seufzer - der kommt aus tiefster Seele.
Doch eine Chance?

"Ich verstehe wahrscheinlich nicht mal einen Bruchteil davon. Die letzten fünfzehn Jahre meines Lebens bestanden aus 'friss oder stirb'. Deshalb weiß ich auch nicht, ob ich das alles schnell genug schaffe. Aber ich verstehe: unten am Tor werde ich umschalten auf freundlich und aufmerksam, damit ich eine Chance habe. ALLES ist besser als zurück in den Bau. Gebt ... ihr mir 'ne Chance?"
Yoongi lässt Guks Hand los, die nun wieder ruhig da liegt.
"Du hast ihn gehört. Er muss sich hier sicher fühlen können. Wieviel Möglichkeiten hast du, deinen Oberaufseher unter Kontrolle zu kriegen?"
"Furchtbar wenig. Aber vielleicht ... könnte Frau Cho ... ich meine ..."

"Ich werde dem Mann zeigen wo die Tür ist, falls er Unsinn machen will. Aber ich bin nicht immer hier. Wenn er sich tagsüber auf die Baustelle mogelt ... Je mehr klare Signale ihr untereinander habt, wie ihr euch sehr schnell verständigen könnt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, das wir das hinkriegen. Kann der Mann Ihre Arbeitszeiten kontrollieren?"
"Absolut. Er kriegt den aktuellen Dienstplan und alle Änderungen. Er kann mich tracken und zum Beispiel einen Besuch in der Pommesbude hinterfragen."
Vollkommen überraschend für uns alle entfährt Jeongguk ein herzhaftes "Arsch! Morgen Abend musst du gesattled sein? Hast du ein eigenes Bett? Miete zahlen wir alle nicht. Wir arbeiten nach Kraft und Fähigkeiten am Bau mit und haben dafür Kost, Logie und ein Taschengeld."

Kim Namjoon fällt die Kinnlade runter, und alle anderen fangen an zu lachen.
"Ich sage Ja, denn ich wünsche dir einfach nicht 'zurück in den Bau'. Wenn du da so geworden bist, wirds Zeit, dass du was anderes zu sehen bekommst."
Guk steht auf und fängt an, Teller zu stapeln. Sofort ist Namjoon auf den Füßen und macht mit. Ich habe keine Ahnung, wie lange das anhalten wird, aber fürs erste ist es mal ein Lichtstrahl.

Als der Tisch leer ist, stellt Jin uns allen Kaffee und Tee hin. Namjoon beobachtet ihn.
"Du bist geschult, Jin. Und zwar nicht in der Kneipe an der Ecke. Du hast das richtig gelernt."
Jin wird weiß wie die Wand, lässt das Tablett mit lautem Scheppern auf den Tisch fallen und rennt in sein Zimmer.
"Uff. Das war ein Kompliment! Ist der immer so 'ne Mimose?"
Hoseok geht Jin hinterher. An der Tür dreht er sich nochmal rum.
"Jin hatte sein Leben so restlos aufgegeben, dass er sogar zu kraftlos war, sich in der Überschwemmung oben in der Villa selbst zu ersäufen, in der er rumgeschwommen ist. Was du heute siehst, ist für uns alle ein Wunder. Dein Kompliment war ehrlich, hat ihn aber getriggert. Damit musst du bei uns allen rechnen. Ich schau, ob ich ihm helfen kann. Organisiert ihr Namjoons Umzug?"

"Tschuldigung. Was war das mit Überschwemmung, Villa und selbst ersäufen?"
"Die letzten, die vor Jin oben im Haus waren, haben es geschafft, die städtische Wasserleitung anzuzapfen - zu dem Preis, dass der Keller der Villa einen halben Meter unter Wasser stand. Dort hatte Jin sich selbst lebendig begraben, indem er mit einem Floß auf der Brühe rumgedümpelt und nicht mehr hoch gekommen ist."
Nach schlechtem Gewissen sieht unser Neuzugang nicht grade aus, aber er hats wohl kapiert.

"Jungs, mein Bett ruft. Lasst uns doch noch eben praktisch werden.
Herr Kim, was haben Sie an Besitztümern, die morgen oder möglichst bald hierher gebracht werden sollten? Hoseok und Jin haben beschlossen, zusammenzuziehen, damit Sie erstmal Zeit und einen eigenen Raum zum Rückzug haben. Wir werden Hoseoks Sachen nachher schon rübertragen. Das Zimmer ist da am äußeren Flur zur Haustür, und Ihre Nachbarn werden Jeongguk und Taehyung sein."
In dem Augenblick bimmelt ein Telefon in Namjoons Tasche. Er holt das Handy hervor, schaut drauf, dreht die Augen zur Decke und geht nach draußen. Zwei Minuten später steht er wieder in der Tür, hält das Handy zu und blickt uns fragend an.
"Was für eine Adresse habe ich hier eigentlich?"
Ich schreibe sie ihm schnell auf einen Zettel. Er geht wieder raus.

Als nächstes hören wir durchs offene Fenster seine wütende Stimme.
"Ihr werdet WAS? Nicht euer Ernst. ... Bitte? ... Wie soll ich das denn in 24 Stunden schaffen? Ich hatte Nachtdienst, hab heute kaum geschlafen und muss in drei Stunden wieder ran. Wie soll ich da für morgen einen Umzug organisieren?"
Da ist wieder das, was Yoongi gemeint hat. Worum auch immer es geht - Namjoon muss sein Leben selbst auf die Kette kriegen. Es sind nicht automatisch die anderen doof.

Ich selbst hätte ihn jetzt schmoren lassen, aber Taehyung ist innendrin hoffnungslos butterweich und freundlich. Er ringt mit sich. Dann schwingt er sich durchs offene Fenster, nimmt Namjoon das Handy weg und macht es einfach aus. Der weiß offensichtlich nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für ihn ist. Aber Tae lässt sich nicht beirren.
"Erstens - du musst schlafen, sonst schaffst du das morgen nicht.
Zweitens - hast du ein Bett, oder kaufen wir eins, um deine Bulldogge morgen zu besänftigen?
Drittens - was war das grade für ein netter Mensch?
Viertens - du hast unser Ja, also stehen wir dir auch zur Seite. Wo ist dein Kram, wie viel ist es, schaffen wir das heute Abend noch ohne dich?"

Namjoon ringt um Fassung. Ich kann sehen, dass dieses Telefonat ihn echt erschüttert hat. Aber sein Zweifel an Taes Verstand ist genauso eindeutig. Er schüttelt vollkommen irritiert den Kopf.
"Das waren meine Eltern. Sie wollten wissen, ob ich jetzt eine Wohnung habe und wann sie meinen Kram loswerden. Sollte ich wieder im Knast landen, wollen sie alles in den Sperrmüll geben."
"Wie ist dein 'Kram' gelagert?"
"In ihrer Garage. Sie leben in Itaewon, da ist Stauraum kostbar."
"Kommen wir da gut mit einem Laster ran?"
"Bis auf zehn Meter an die Garagentür. Ach, und ich habe kein Bett. Ich penne in der Tanke auf einer Pritsche. ... Ihr seid verrückt. Wieso tut ihr das?!?"

Hoseok kommt zurück in den Raum und hört durchs offene Fenster diese Frage.
"Weil du du bist? Wir lassen niemand hängen."
Namjoon gibt uns die nötigen Informationen und verschwindet in Hobis Bett. Jin ist unverbesserlich. Er kocht Kaffee und packt Essen ein für Namjoons Nachtschicht. Eine halbe Stunde später ist ein Navi programmiert, ein Sprinter von der Baustelle notdürftig sauber gemacht und Jin, Hobi, Yoongi und Tae sind unterwegs. Den Eltern wurde mitgeteilt, dass das Abholkommando mit einer - nicht existenten - Bestandsliste anrückt, dass Namjoons einer Bruder sich bereit erklärt hat, beim Verladen zu helfen.

Ich harre aus und lege mich dafür draußen ins trockene Gras.
Was ein Tag! Das wird echt spannend mit dem Sturkopf. So ganz glaube ich noch nicht, dass er das so brav durchhält. Wir werden sehen ...
Kurz, bevor ich reingehe, um Namjoon zu wecken und zu seiner Tanke zu fahren, höre ich von der Straße das Brummen vom Sprinter.
Das passt. Dann kann er kurz drüberkucken, ob was Wichtiges oder Wertvolles fehlt.

Namjoon schmeißt sich in der Küche eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht, nimmt leicht errötend das Lunchpaket von Jin entgegen, leuchtet den Laderaum vom Sprinter aus und atmet einmal tief durch.
"Soweit alles da. ... Ei, ihr seid echt verrückt. Da kann ich doch gar nicht mithalten!"
Yoongi grinst.
"Musst du ja auch nicht. Wir haben Geduld. Bis morgen!"
Die drei Möbelretter gehen erst rein, um Hoseok zu Jin umzuziehen. Dann tragen sie Namjoons Kisten in sein Zimmer. Ich schnappe mir Namjoon und bringe ihn grade noch rechtzeitig zu seiner Arbeitsstelle. Er macht mit seinem Kollegen Übergabe, drückt mir einen teuren, schweren Koffer in die Hand und begibt sich an die Arbeit.

"Wann haben Sie Feierabend?"
"Um 7.00 Uhr, wieso?"
"Ich hole Sie ab und mache bei der Gelegenheit ein bisschen vertrauensbildende Maßnahmen bei Ihrem Chef."
Während ich mit dem Koffer zu meinem Auto gehe, höre ich ihn hinter mir reden. Es klingt nahezu verstört und ist definitiv nicht für meine scharfen Ohren gedacht.
"Warum!?! Ich mein ... Ich kann euch doch egal sein. Ich will weg, sobald es möglich ist, ich bin offensichtlich ein Arsch, ich hasse Mitleid? ... Ich raffs nicht."

Meine Nacht wird auf diese Weise ein wenig kurz. Ich schreibe So-Ra, dass ich morgen ca. ein bis zwei Stunden später ins Büro komme. Sie wird das weitergeben. Ich markiere im Shop von IKEA die drei Betten, die ich Namjoon morgen früh zur Auswahl zeigen will. Ich atme auf meinem Balkon ein paarmal tief die kühlere Nachtluft ein, lasse mich ins Bett fallen und schlafe gefühlt schon, bevor mein Kopf das Kissen berührt.

Nicht so gelassen ist meine Behandlung für meinen altmodischen Wecker, der es wagt, bereits um kurz nach 5.00 Uhr Lärm zu machen, und zum Dank dafür mit Schwung in den Papierkorb fliegt.
Ich schleppe mich ins Bad, wecke meine grauen Zellen mit einer heißen Dusche, arbeite mich eher unwillig durch mein Beautyarsenal und verlasse mein Zuhause heute ausnahmsweise mit dem Auto. Der Morgenverkehr ist mörderisch, aber um kurz nach 7.00 Uhr bin ich doch wieder an der Tanke. Namjoons Chef muss grade erst gekommen sein, denn ich kriege noch die Begrüßung mit, während ich mir an einer Glasvitrine mein Frühstück aussuche.

"Morgen. Alles glatt gegangen heute Nacht?"
"Klar, kein Problem."
Der Tankstellenbesitzer tappt müde zur Kasse und überfliegt die Einnahmen. Namjoon schielt nervös und unschlüssig zu mir rüber.
"Scheint zu stimmen. Kannst abhauen."
Namjoon denkt gar nicht daran abzuhauen, sondern verbeugt sich stattdessen höflich vor mir.
"Guten Morgen! Darf es etwas bestimmtes sein?"
Während er meine umfangreiche Bestellung zusammenstellt und gut verpackt, gehe ich nach draußen und tanke bei der Gelegenheit. Sein Chef starrt mich stirnrunzelnd an, als ich zum Bezahlen wieder reinkomme.

"Ach ... Namjoon. Wie ist das eigentlich? Kommst du heute Abend wieder? Oder kriegst du jetzt deinen restlichen Lohn?"
Liebenswürdig. Noch so'n Sklavenaufseher ...
"Ich würde gerne wiederkommen, wenn ich darf. Eine Adresse habe ich jetzt."
Hör ich da Trotz? Oder Triumph? Egal! Da hat er ja sogar recht mit.
"Echt? Wie hast du das denn so schnell hingekriegt?"
Reicht dann auch.
Ich greife ein.
"Guten Morgen, Mister. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Cho Sarang Namja Cornelia und die Vermieterin von Kim Namjoon. Er wohnt seit gestern in einer WG auf meinem Grundstück am Bukhansan. Wenn Sie darauf bestehen, wird er gerne heute Abend seinen Mietvertrag vorlegen. Unbefristet natürlich. Herr Kim Jaein, Beamter im Sozialdezernat Nord der Stadt Seoul war bereits da und hat sein Okay zu dieser lebenspraktischen Wiedereingliederungsmaßnahme gegeben."

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Namjoon geistesgegenwärtig nach hinten huscht und sich umzieht, damit wir sofort los können.
"Wenn Sie mich entschuldigen würden? Kim Namjoon muss dringend in ein Bett, und ich muss an meinen Schreibtisch in Gangnam-Du. Auf Wiedersehen."
Ein bisschen fühle ich mich wie die Queen, wie ich da so mit dem sehr aufrecht gehenden Namjoon an meiner Seite die Tankstelle verlasse und ohne einen Blick zurück mein Auto ansteuere.
"War das okay so? Oder zu frech?"
"Das war perfekt, danke! Ich verstehe vollkommen, warum er morgens die Kasse kontrolliert. Bei meiner Vorgeschichte. Aber die unterschwelligen Nadelstiche ... ach, egal."

Kaum bin ich vom Hof der Tankstelle gerollt und habe mich in den dichten Verkehr eingefädelt, sackt mein Sitznachbar in sich zusammen.
"Alles okay? Oder kriegen Sie die Augen noch so weit auf, dass Sie sich ein Bett aussuchen können?"
"Ein Bett?"
Ich deute auf mein Laptop.
"Ich hab mal ein bisschen vorsortiert. Schauen Sie einfach rein."
Wann wird wohl der Tag kommen, an dem er nicht mehr aussieht, als sei er aus Versehen im Irrenhaus gelandet, sobald einer von uns den Mund aufmacht? Jungejunge, muss DAS fremd sein. Du hast noch einen weiten Weg vor dir.

Kim Namjoon klappt mein Laptop auf und betrachtet sich die drei Bettgestelle mit Matratzen.
"Ist ..."
Er gähnt wie ein Krokodil.
"Verzeihung! Ist es möglich, dass ich das günstigste Bettgestell nehme und dafür dann die beste der drei möglichen Matratzen? Ich zahle alles irgendw..."
Da wir grade an einer roten Ampel stehen, nutze ich die Gelegenheit und schaue ihm strafend über die Ränder meiner Sonnenbrille hinweg in die Augen. Er wird ganz leise.
"Es fühlt sich falsch an."
"Weil Sie damit Ihre Souveränität verlieren würden? Dann ist es genau die richtige Maßnahme, Ihnen beizubringen, dass es auch ganz anders geht. Die anderen wollten auch alle erstmal nicht. Aber das ist Quatsch."

An der Villa fahre ich gleich an den Containern vorbei und bringe ihn zur Pförtnerei. Der Mann kann kaum noch die Augen offen halten. Ich wende meinen Wagen.
"Trauen Sie sich bitte, mit den anderen Stillezeiten abzusprechen. Sonst lassen unsere Küken Sie nicht zur Ruhe kommen. Sofern das bei dem Baulärm überhaupt möglich ist."
"Keine Sorge, ich hab Oropax."
Er gähnt schon wieder und schleicht ins Haus.

Auf der Fahrt zur Arbeit mache ich mir keine Gedanken, wo ich in Gangnam einen Parkplatz finden soll - das ist sowieso unmöglich. Ich halte einfach an einem Vorstadtbahnhof der richtigen S-Bahnlinie an und fahre den Rest unterirdisch, während meine Gedanken die letzten drei Tage durchkauen.
Jetzt haben wir den unangenehmen Kerl doch an der Backe. Aber ich glaube, er hat recht - wir sind verrückt. Wir mögen ihn gar nicht, aber allein die Tatsache, dass sein Aufpasser ihn schlecht behandelt hat, hat bei uns allen dazu geführt, dass wir für ihn in die Bresche gesprungen sind und ihm alle Türen weit geöffnet haben. Wer weiß, vielleicht soll das so sein! Auch wenn ich dem Burgfrieden nicht traue. Seine Stimmungen schwanken stark, und dann geht er schnell unter die emotionale Gürtellinie.

Auch bei mir macht sich die kurze Nacht bemerkbar. Fast verpenne ich meine Haltestelle. So-Ra begrüßt mich mit einem starken Kaffee.
"Du siehst aus, als solltest du heute Nachmittag auf dem kürzesten Weg ins Bett schleichen."
Ich stürze den Kaffee schwarz runter und schüttelte müde den Kopf.
"Geht nicht. Ich muss wieder rauf. Wir haben dem Typ gestern seine innere Betonwand so perforiert, dass er Besserung gelobt. Aber sein Bewährungsverhinderer ist noch schlimmer als er. Also haben wir dem hübsch den Wind aus den Segeln genommen und ihm ein Ja abgerungen. Heute Abend kommt der wieder und will ein fertig eingerichtetes Zimmer und einen gültigen Mietvertrag sehen. Den werde ich also gleich aufsetzen, mich nachher mit Kim Namjoon auf dem Einwohnermeldeamt treffen und mit meinem unvergleichlich wachen und lieblichen Charme ohne Termin zur Passstelle durchschleimen."

So-Ra starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an.
"Ihr habt den genommen???"
"Ja. Es wird ein hartes Stück Arbeit, den zu zivilisieren. Aber ganz ehrlich - wenn der nochmal in den Knast muss, lernt er es nie. Bei uns hat er eine Chance. Die Jungs haben klare Grenzen abgesteckt und ja gesagt. Sogar Jeongguk."
Ich muss kichern.
"Wir werden ihn schlicht in die Knie höflichen. Der hat gar keine andere Wahl."
"Dein Wort in Gottes Gehörgängen."
Kopfschüttelnd macht sich meine Beste wieder an die Arbeit.

Ich checke die Öffnungszeiten von der Passstelle, was man dafür alles mitbringen muss, wo wir uns treffen sollten. Ich bestelle 'bitte pronto' Bett, Matratze und eine Kommode für Namjoons Zimmer. Dann ziehe ich einen Standardmietvertrag aus dem Netz, fülle ihn aus und stecke ihn in meine Tasche.

Dreimal muss So-Ra mich heute wecken. Beim dritten Mal schmeißt sie mich raus.
"Verschwinde! Du nimmst jetzt sofort von deinen Überstunden. Fahr bitte nicht gegen irgendeinen Baum."
Ich melde mich bei Hobi, der ganz entspannt klingt.
"Namjoon ist schon wach und baut grade mit Yoongi und Guk die Möbel auf. Soll ich ihm das Telefon geben?"
"Ja, bitte."
Im Hintergrund höre ich es hämmern.
"Hallo, Herr Kim. Haben wir noch genug Zeit, gleich auch noch die Adressänderung in Ihrem Pass zu beantragen? Den Mietvertrag habe ich bei mir."

Wir einigen uns schnell, treffen uns vor dem Amt und mogeln uns höchst unverschämt an allen anderen vorbei. Der Beamte will sich erst querstellen, aber ich klappere mit den Wimpern.
"Wenn Sie dem Mann heute keinen aktualisierten Pass geben, muss er morgen ins Gefängnis. Dabei hat er seine Strafe abgesessen und alle Bedingungen erfüllt. Bitte lassen Sie sich erweichen."
Die Wirkung ist die selbe wie immer. Mein vehementes Eintreten für den Ex-Knasti verblüfft den Beamten so sehr, dass er einfach macht, worum ich ihn bitte. Die Geburtsurkunde hat Namjoon, den Schrieb zur Haftentlassung auch, das Foto ist schnell gemacht, und der Mietvertrag liegt vor.

Eine halbe Stunde später sind wir, mit den Dokumenten in der Hand, schon in der S-Bahn auf dem Weg zu meinem Auto. Wir müssen uns sputen, damit der Oberaufseher nicht vor uns da ist.
Der macht dann noch ein bisschen Theater, sprüht giftige Funken in alle Richtungen, fotografiert die Dokumente ab, staunt über das fertig eingerichtete und sogar gemütliche Zimmer und muss ohne seinen 'Delinquenten' wieder von dannen ziehen.

Die Anspannung der letzten Tage fällt von mir ab. Ich kann die Augen nicht mehr offen halten, dabei ist es noch gar nicht so spät. Namjoon spricht mich an.
"Frau Cho? Wenn ... Sie mir genug vertrauen, dann fahre ich Sie nach Hause. Sie sollten jetzt nicht mehr fahren. Und morgen ist noch ein Arbeitstag."
Hobi schmunzelt anerkennend, Yoongi klopft ihm auf die Schulter und Jin drückt ihm wieder ein Lunchpaket in die Hand.
Ich gähne.
"Gern, danke."

Kim Namjoon fährt ruhig, sicher und angenehm - und weckt mich am Anfang meiner Straße.
"Wo solls jetzt hingegen?"
Ich bin noch nicht richtig wach, dirigiere ihn dann aber doch fehlerfrei in meine Tiefgarage. Er hilft mir raus, schließt das Auto ab, gibt mir meine Schlüssel und bringt mich zum Fahrstuhl. Ganz Gentleman.
Geht doch!
Im Erdgeschoss steigt er aus, winkt mir zu und wünscht mir eine gute Nacht.

........................
21.1.2023 - 21.3.2024

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