30 - Besuch

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Namjoon einigt sich mit seinem Chef, dass er jeweils in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag frei hat. Da bin ich sowieso zum Abendessen am Berg. Und danach haben wir vernünftig viel Zeit füreinander. Damit wir das wirklich genießen können, vereinbare ich mit meinem Vorgesetzten, dass ich ein paar Arbeitsstunden von Donnerstag Morgen auf Dienstag Nachmittag schieben darf. Dann muss ich nämlich am Mittwoch Abend nicht so früh wieder aufbrechen.

Mit noch mehr Vorfreude als sonst schon fahre ich nach der Arbeit den riesigen Umweg rauf zur Villa und werde am Tor wieder von Namjoon erwartet.
"Hallo, mein Schatz. So ungeduldig?"
Er grinst und gibt mir einen Kuss.
"Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das jetzt nur Vorfreude auf dich war, oder ob mich auch unser überdrehter Brummkreisel Taetae vertrieben hat. Der ist sooo reif! Hoffentlich sind seine Eltern pünktlich, sonst erwischt ihn gleich noch eine Herzattacke."

"Oje, der Arme! Aber es läuft wirklich gut für ihn. Er will nachher auch von dem Praktikum bei Dr. Lee erzählen. Ist die Schwester eigentlich auch dabei?"
"Von der war nie die Rede."
"Besser so. Sie ist nett, und sie liebt Tae. Aber sie überfordert ihn immer noch ab und zu."
Wir spazieren ziellos durch den Park und setzen uns schließlich vor dem Portal auf die neuen, weit geschwungenen Eingangsstufen aus anthrazitfarbenem Stein.

"Sag mal, Nelli ..."
"Mal."
Joonie lächelt amüsiert, und ich schmelze dahin.
"Schhhhhhhht! Unterbrich mich nicht."
"Aber ich sollte doch ..."
Weiter komme ich nicht, weil er mich auf höchst charmante Weise zum Schweigen bringt.

"Hast du dir eigentlich inzwischen einen wohltätigen Zweck für die Villa einfallen lassen? Wir sind langsam alle ziemlich neugierig, wo die Reise hingehen soll. Du wirst ja diesen irren finanziellen Aufwand nicht betreiben, damit wir einfach wieder da hochziehen und mietfrei den Luxus genießen."
"Oje. Frag nicht. Möglichkeiten, Ideen und Anlässe gibt es genug, aber ich weiß einfach nicht, wie ich zu einer Entscheidung hinfinden kann. Ich finde sozusagen den Anfang nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich einen Verein gründen oder eine Stiftung draus machen oder eine andere Institution unterstützen sollte."
"Naja, die Frage stellt sich ja glaube ich sowieso erst, wenn der Zweck feststeht. Hast du es schon mit dem Ausschlussverfahren probiert?"

Ich seufze.
"Ja. Hab ich. Hinterher hatte ich noch mehr Möglichkeiten als vorher. Wie ich mich kenne, entscheide ich mich am Schluss für irgendwas, das es sowieso mitten in der Stadt schon gibt. Die Lage ist für Wohltätigkeit halt doch ziemlich weit ab vom Schuss."
Namjoon sieht auf einmal sehr konzentriert und nachdenklich aus, schüttelt dann aber den Kopf und wendet sich mir wieder zu.
"Da war grad was, aber ich kriegs nicht zu fassen. Aber ein bisschen Zeit hast du ja noch."

"Eben nicht. Wo sollen Steckdosen hin? Wie viele sanitären Anlagen werden gebraucht? Was für Veranstaltungen muss die Küche wuppen können? Sollte an einem Ende des Saales eine große Leinwand in die Decke integriert werden? An welchem Ende? Und so weiter ..."
"Auch wieder wahr. Mist. Okay - ich widme diesem Problem mal ein paar Nächte. Vielleicht habe ich ja eine Eingebung vom Karnickel im Mond."
"Pfffft. Kannst du mich mal ernst nehmen?"
"Ich meine das vollkommen ernst. Die Nacht ist mein Tag - schon vergessen? Ich nehme die Frage einfach mal im Hinterkopf mit."
"Danke, du Lieber!"
"Schau mal, Jeongguk kommt nach Hause. Auf gehts. Wir müssen Jin helfen, unseren Brummkreisel zu bändigen."
Jeongguk flitzt an uns vorbei und sofort ins Haus. Lachend stehen wir auf und schlendern ihm gemütlich hinterher.

Wie schön das gemeinsame Lachen klingt! Wie wohl ich mich fühle in seiner Gegenwart, mit seinem Humor, mit seiner Art zu denken, mit seinen Zärtlichkeiten. Was für ein großes Geschenk!
Beim Anblick des Pförtnerhauses kriegen wir den nächsten Lachkoller. Diesmal ist es Hoseok, der geduldig daneben sitzt, und Taehyung, der wie wild geworden Holz hackt. Hobi zwinkert uns zu.
"Da hat einer zu viel Energie. Und Jin wäre sonst wahnsinnig geworden da drinnen. Die beiden anderen sind fleißig für den großen Empfang."

Wir wenden uns der Haustür zu. Und wieder kann ich mir das Lachen nicht verkneifen. Irgendein Putzteufel scheint hier wahre Orgien veranstaltet zu haben. Alles, wirklich ALLES ist so sauber und ordentlich und blank gewienert, als käme der Präsident persönlich zu Besuch. Ich traue mich kaum, meine Handtasche irgendwo hinzustellen. Der Tisch ist festlich gedeckt, die Stühle stehen alle ganz grade, die Papierservietten sind ordentlich gefaltet.
Ach, du lieber Himmel! Das ist ja noch viel schlimmer, als ich dachte. Seine Eltern sollen sich doch wohlfühlen und die fröhliche Gemeinschaft erleben.
Ich unterdrücke den Impuls, wahllos ein paar Gegenstände auf dem Tisch zu verschieben, damit ich mich nicht wie im Museum fühle.

"Wisst ihr eigentlich, für wann die Eltern hier angekündigt sind? Und ob die Schwester dabei ist? Für sie mit decken sollten wir auf jeden Fall."
Schnell überschlägt Jeongguk im Kopf, wie viele Personen wir nachher sind, zählt die Gedecke und fängt an zu schimpfen.
"Mensch, Tae hat echt'n Rad ab. Der kann doch seine Schwester nicht ausschließen. Die muss sich doch doof fühlen, wenn sie kapiert, dass sie gar nicht eingeplant war."

Schnell packen die Jungs gemeinsam an und verschieben gaaaaanz vorsichtig die Gedecke so, dass noch ein weiteres dazu passt. Ich freue mir derweil ein Loch in den Bauch, denn so viel empathisches Mitdenken war ihnen allen bis vor vier Monaten vollkommen fremd.
"Ach, und deine erste Frage - wenn ich das richtig sehe, werden sie in etwa einer halben Stunde da sein."

Wie auf Kommando hören wir draußen einen Schrei, und ich fürchte schon, dass sich Tae ins Bein gehackt hat. Aber da fliegt die Tür auf, und wir spritzen alle auseinander, denn Taehyung kommt mit einem Arm voll Klamotten reingerast und verschwindet in Richtung Badezimmer.
"Mist, Mist, Mist - ich muss doch noch duschen. Und dann sind die Haare noch nass. Und ich muss runter zum Tor. Und ..."
Den Rest verstehen wir nicht mehr, weil die Badezimmertür zuknallt. Und weil wir gar nicht anders können, als uns kollektiv kringelig zu lachen. Ein letztes Mal leise kichernd lässt Hoseok sich auf einen Stuhl fallen.
"So lange er nicht erwartet, dass wir anderen uns auch schick machen ... Ich bin jedenfalls nicht bereit, bei dem Wetter eine lange Hose und ein Hemd anzuziehen. Eigentlich tut er mir leid. Aber dann auch wieder nicht, weil er sich so idiotisch aufregt."

Wir nutzen die Zeit und helfen Jin bei den letzten Handgriffen in der Küche. Taehyung taucht wieder auf und strubbelt sich die feuchten Haare. Hobis Verdacht bestätigt sich. Er trägt eine lange, schwarze Hose, ein kurzärmeliges Hemd, jammert über seine nassen Haare und steigt in ordentliche schwarze Schuhe. Ein schneller Blick zur Wanduhr.
"Ich geh schon mal runter zum Tor."
Hobi fährt ihm einmal mit der Hand über den Rücken.
"Tae? Atmen nicht vergessen. Es ist nur ein Abendessen."
Dann schiebt er das Nervenbündel zur Tür raus.
Ich setze mich beim offenen Fenster aufs Fensterbrett und grübele mal wieder über die Wohltätigkeitsfrage. Namjoon stellt sich vor mich und hindert mich erfolgreich daran.

Fünfzehn Minuten später entdecken wir vier Menschen, die vom Rondell zur Pförtnerei spazieren. Ich sehe heute die Familie zum ersten Mal wieder als ganzes und bin neugierig, was sich an ihrer Ausstrahlung geändert hat. Tae läuft in der Mitte zwischen Mutter und Vater - und Minni alleine zwei Meter weiter hinten. Gleich beim ersten Blick in ihr Gesicht wird mir schlagartig klar, dass da in der Familie Kim grade was so richtig, richtig schief geht. Sie ist weder neugierig noch gelangweilt, auch nicht fröhlich oder wütend. Sie ist ganz einfach still, traurig und allein. Und ausschließlich Tae steht noch im Mittelpunkt.

"Sie kommen, Leute. Zu viert. Und ich wäre euch dankbar, wenn ihr euch mit der Schwester beschäftigt, denn die ist grade nur noch fünftes Rad am Wagen."
Jeongguk steht sofort neben uns und schaut dem Grüppchen entgegen.
"Scheiße, fühlt sich DAS unangenehm vertraut an. Keine Sorge, die übernehme ich."
Hoseok strahlt ihn an.
"Manchmal bist du ein Schatz, Küken."

Wir verstummen alle, damit wir nicht gehört werden, und stellen gemeinsam ein umfangreiches und bunt gemischtes Mahl auf den Tisch. Da betritt Familie Kim das Wohnzimmer.
"Mama? Papa? Cho Cornelia und Jung Hoseok kennt ihr ja schon. Das ist Kim Namjoon, er ist erst nach mir dazugekommen. Das ist ..."
"Yoongi! Einfach Yoongi bitte."
Sollte Tae kapiert haben, was grade passiert ist, lässt er sich jedenfalls nichts anmerken. Yoongi ist schon wieder im Pokerface-Modus.

"Dort in der Küchentür steht Kim Seokjin. Er ist unser Koch. Und dann ist da noch unser Küken Jeongguk."
Und der ist nicht zu bremsen. Nachdem Jin alle aufgefordert hat, sich zu setzen, zieht Guk einen Stuhl vor und schaut Minni auffordernd an. Die ist ganz überrascht, sagt leise "Danke!" und setzt sich. Sofort rutscht Jeongguk auf den Stuhl daneben und stellt sich ihr nochmal persönlich vor.
Wunderbar. Das klappt ja prima! Da muss ich mich nicht mehr sorgen.

Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder den Eltern zu, die grade Jin für die vielen appetitlich aussehenden Gerichte loben und sich bedienen. Reis steht überall griffbereit, die Schüsseln und Platten wandern im Kreis um den Tisch, bis alle etwas auf dem Teller haben und wir gemeinsam anfangen können.
Die Eltern Kim unterhalten sich rechts und links, genießen das Essen und schenken Tae in ihrer Mitte viel Aufmerksamkeit. Ich beobachte, dass Tae immer unruhiger wird, und vermute, dass er grade innerlich den Mut zusammenkratzt, um von seinem Praktikumsplatz zu erzählen. Seine Schwester ist wirklich vollkommen abgemeldet, und das sieht man ihr auch an.

Als Jin zum Nachtisch selbst gemachte Mochis und Eis präsentiert, greift Minni sich nur eine Schüssel Eis, steht auf und schaut zu Guk runter. Ihre Stimme wackelt.
"Gehn wir raus?"
Jeongguk nickt und tut es ihr gleich.
"Komm, lass uns verschwinden. Das sind eindeutig zu viele Menschen."
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass die beiden abhauen, bin aber grade selbst was gefragt worden und lasse Guk darum einfach machen.

Es dauert eine ganze Weile, bis die beiden wieder reinkommen. Und nun werde ich doch aufmerksam, denn Minni hat geweint. Und Jeongguk ist offensichtlich stinksauer.
Hoffentlich zerschlägt er jetzt kein Porzellan!
Zunächst mal setzen die beiden sich wieder hin - allerdings komplimentieren sie dafür leise Hoseok und Yoongi aus dem Weg, damit sie sich direkt neben die Mutter Kim setzen können. Die beiden wiederum schauen nun auch genauer hin und sind schlagartig genau so nervös wie ich. Die seltsame Stimmung lässt sich nicht lange verbergen.

Zum Glück ist Tae noch nicht über seinen Schatten gesprungen. Will ich wissen, was Jeongguk jetzt vorhat?
Ich erfahre es sofort. Mutter Kim knabbert an einem Mochi, Vater Kim bittet noch um einen Kaffee, und Tae ist grade unbeschäftigt.
Guk zieht seine Aufmerksamkeit auf sich und zeigt dann Minni ins Gesicht. Tae blickt zu ihr rüber und reißt die Augen auf. Er will sie schon ansprechen, aber sie schüttelt den Kopf. Tae ist ratlos. Ich bin es auch. Hobi und Yoongi stehen unter Strom. Da stehen Jeongguk und Minni einfach auf und gehen wieder raus. Taehyung bleibt gar nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen, wenn er wissen will, was los ist. Also schicke ich mit einem Blick Hoseok hinterher, stupse Namjoon an, und wir lenken die Eltern ein bisschen von dem Massenauszug ab.

Das gelingt zwar nur so semi, aber sie sind zu höflich, um nachzufragen. Immerhin bekommen sie so die Gelegenheit, mit allen "Restlichen" in Ruhe zu reden. Sprich: sie höflichen sich mit Yoongi an, der nur schlecht verborgen gerne verschwinden würde, der aber auch weiß, dass er bleiben muss, weil schon so viele draußen sind. Und sie unterhalten sich rauschend mit Jin und Namjoon, die beide ihren Charme auspacken, was Hirn und Herz nur hergeben.
Ich dagegen lehne mich zurück und genieße es, Namjoon dabei zu beobachten, wie er sozusagen sein "professionelles Nettsein" locker aus dem Ärmel schüttelt.
Da könnte ich jetzt noch ein paar Stunden so weiter zukucken. Der Anblick gefällt mir ausgesprochen gut. Ein bisschen davon durfte ich ja auch schon genießen.

Aber lange geht das hier nicht mehr gut, hoffentlich kapiert Tae schnell, was seine Schwester ihm zu sagen hat.
Tut er. Denn als die vier wieder reinkommen, sind die Gesichter entspannt, und Taehyung hat seiner Schwester den Arm um die Schultern gelegt. Hoseok nickt mir einfach zu.
Kuh vom Eis. Gut!

Tae setzt sich nicht zurück zwischen seine Eltern sondern zusammen mit Minni neben die Mutter. Jeongguk löst Yoongi ab, der jetzt endlich verschwinden darf. Aus dem Augenwinkel kann ich an der Bewegung erkennen, dass Taehyung unter dem Tisch nach Minnis Hand greift.
"Mama, Papa? Ich habe grade kapiert, dass ich in den letzten Wochen einen Fehler gemacht habe."
Der Vater fällt ihm ins Wort.
"Willst du dich schon wieder kleiner machen als du bist? Du musst dich nicht dauernd entschuldigen."
Tae lässt sich nicht beirren sondern spricht einfach weiter.

"Genau darum geht es. Wir sind alle superglücklich, dass wir wieder eine vollständige Familie sind. Wir sind auf einem guten Weg. Aber das bedeutet nicht, dass ich ein Heiliger bin, um den alle rumtanzen müssen. Wir machen alle Fehler und sind alle gleich wichtig."
Die Mutter versucht, die vermeintlich vorhandenen Wogen zu glätten.
"Aber dann hast du doch nichts falsch gemacht, Taetae."
"Eben doch. Unabsichtlich, aber leider doch. Ich hatte erst so große Angst vor eurer Ablehnung, dass ich dann überfordert war und inzwischen so sehr eure Aufmerksamkeit genieße, dass ich dabei etwas übersehen habe."

Die Eltern sind verwirrt. Ich dagegen bin unglaublich stolz auf Tae.
Was die vier da draußen miteinander ausgekaspert haben, bringt die Wahrheit auf den Punkt und lässt niemand das Gesicht verlieren.
Der Vater lässt nicht locker sondern fragt weiter nach.
"Aber was denn, Taehyung?"
"Ich habe Minni übersehen. Ihre übersprudelnde Freude beim ersten Besuch war mir zu wild. Aber inzwischen ist sie ganz still geworden, steht in meinem Schatten, läuft nur noch nebenbei. Und das darf nicht passieren. Wir sind eine Familie zu viert, nicht zu dritt."

Frau Kim blickt ihrer Tochter ins Gesicht und erschrickt.
"Aber, Minni, du hast uns doch die ganze restliche Woche."
Endlich traut sich auch das Mädchen, etwas zu sagen.
"Klar hab ich euch. Und es ist auch so schön wie immer zu Hause. Aber ich möchte auch Zeit mit Tae verbringen. Wenn er da ist, dreht ihr euch um ihn. Und wenn er nicht da ist, reden wir auch nur noch von ihm. Wie es mir in der Schule geht, ob bei mir der Schuh drückt ..."
Minni wird ganz leise.
"... das merkt keiner mehr."
Jeongguk räuspert sich.
"Dürfte ich auch etwas dazu sagen?"
Der Vater scheint ihn erst jetzt richtig wahrzunehmen.
"Gerne, junger Mann. Wie war noch der Name?"

"Jeon Jeongguk. Ich ... bin ein jüngerer Bruder. Ich habe zu dem Älteren aufgesehen. Er ist ein Genie in einfach allem. Und der tollste Bruder der Welt. Aber meinen Eltern hat ein schlauer Sohn nicht gereicht. Sie haben mich immer an ihm gemessen. Also habe ich irgendwann aufgegeben, bin in der Schule abgesackt, wollte nicht mehr nach Hause, bin einer Mobbingbande in die Hände gefallen. Die haben versucht, mich umzubringen, weil ich mich gewehrt habe. Zum Glück gab es Zeugen, die mir das Leben gerettet haben. Aber meine Eltern haben denen nicht geglaubt sondern gemeint, ich würde mich nur wichtig machen wollen. Da bin ich dann abgehauen.
Das heißt NICHT, dass Sie genau so sind wie meine Eltern. Ich würde viel dafür geben, solche Eltern zu haben, wie Sie es sind. Was ich damit sagen will: ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man hinter einem anderen Menschen im Schatten steht, nicht selbst sein darf, auf der Strecke bleibt. Und das hat Minni nicht verdient."

Beim Vater kann ich gradezu vom Gesicht ablesen, dass er sich nicht entscheiden kann, ob er das jetzt verstehen oder doch lieber auf den fremden Jugendlichen sauer sein soll. Die Mutter hat damit keine Probleme. Sie steht sofort auf, geht zu ihrer Tochter, zieht sie hoch und nimmt sie in die Arme.
"Entschuldige, mein Mädchen. Das war kein böser Wille. Wir haben in den letzten Wochen wohl alle mehr gefühlt als gedacht. Ich möchte, dass du weißt, dass du natürlich genauso wichtig und wertvoll bist wie dein Bruder. Ich will lernen, mich an euch beiden zu freuen und euch beiden zuzuhören, ohne dass jemand dabei zu kurz kommt. Versprochen."

Jetzt endlich wacht auch der Vater auf. Verlegen kratzt er sich am Kopf und sieht dabei ziemlich schuldbewusst aus. Sein Blick richtet sich erst auf Guk und schwenkt darauf in meine Richtung.
"Ich ... Danke, junger Mann. ... Bitte verzeihen Sie, Frau Cho. Ist es in Ordnung, wenn wir vier ein bisschen spazieren gehen? Dann fällt es mir leichter, ..."
"Aber natürlich. Sie können hier durch den Park spazieren, und Taehyung kann Ihnen ein bisschen die Baustelle zeigen. Bitte haben Sie nicht das Gefühl, Sie hätten uns den Abend verdorben. Solche Momente des Verstehens, solche klärenden Gespräche sind hier normal. Alle - auch ich - lernen hier, Konflikte auszutragen und auszuhalten."
"Danke für Ihr Verständnis!"

Kaum ist Familie Kim zur Tür raus, richten sich alle unsere Augen auf Jeongguk und Hoseok.
"Dürft ihr uns erzählen, was da draußen passiert ist? Bei euren Gesprächen?"
Guk will sofort loslegen, aber Hobi bremst.
"Ich denke, das ist nicht alles für die Allgemeinheit bestimmt, aber im Groben können wir das schon erzählen. Vorher will ich noch schnell loswerden, wie stolz ich auf dich bin, Gukkie. Du hast hingesehen, das Wesentliche verstanden, hast Minni Aufmerksamkeit und ein offenes Ohr geschenkt. Und du hast hier das Gespräch so gelenkt, dass niemand das Gesicht verloren hat."

Guk strahlt über beide Backen.
"Ich will nicht ablenken. Aber das mag ich euch erzählen. Wenn es in der Werkstatt Zoff gibt, dann setzen sich alle zusammen, die bei dem Streit im Raum waren. Wir sollen erst rausfinden, was wir selbst fühlen. Dann überlegen, wie die Streithähne auf uns wirken. Erst anschließend reden wir drüber, alle dürfen ausreden. Es ist total spannend mitzukriegen, wie die Unbeteiligten das jeweils erlebt haben. In der Regel stellt sich raus, dass da ein Mißverständnis war, oder wir schaffen es, uns auf einen Kompromiss zu einigen."
Hoseok klopft ihm anerkennend auf die Schulter.
"Cool! Das hat dich aber ganz schön schnell verändert. Gratuliere!"

"Aber zurück zu Minni. Wie ich sie da so alleine den Weg hab raufkommen sehen, da wusste ich wirklich SOFORT, wie sie sich grade fühlt. Sie hat draußen schnell einfach drauflos erzählt, ein bisschen gemeckert und viel geweint. Sie hat mit so viel Liebe von allen dreien geredet. Was sie ihr bedeuten. Aber im Moment ist ihr vor lauter Einsamkeit ganz kalt innerlich.
Sie hat immer wieder gesagt:'Ich bin Tae ja gar nicht böse.' Ich wusste genau, was das heißt. 'Aber es kann nicht mehr lange dauern.' Deshalb hab ich ihr ein bisschen erzählt, wie Tae war, bevor er zum ersten Mal nach Hause gekommen ist. Ich hab sie gefragt, wie es vorher für sie war als Familie zu dritt. Und dann hab ich ihr gesagt, dass Tae das ganz bestimmt so gar nicht will, wenn sie es ihm nur richtig sagt. Sie wollte aber, dass ich dabei bin. Deshalb haben wir vorhin diese Rauslock-Nummer abgezogen."

Hier erzählt Hoseok weiter.
"Es war übrigens gut, dass ich hinterher bin. Tae hat sich nämlich sofort mit sich selbst um die Wette geschämt. Wie Guk grade gesagt hat: das alles war überhaupt nicht seine Absicht. Also habe ich ihm ein bisschen Mut gemacht. Und beiden gesagt, dass es absolut nicht um Schuld geht - sondern darum, dass alle kapieren, was passiert ist und was ihnen als ganze Familie jetzt gut tun würde. Tae hat dann beschlossen und verkündet, dass er das selbst ansprechen will, weil er der Auslöser war. Ich fand ihn in seiner Klarheit echt klasse vorhin."

Ich lehne mich erleichtert zurück.
"Na, dann ist ja alles gut gegangen. Ich hätte es unglaublich schade gefunden, wenn jetzt stattdessen Minni verloren gegangen wäre. Jetzt muss sich nur noch Papa Kim berappeln. Aber ich glaube, das kriegt Tae dann auch noch hin."

Die Tür fliegt auf, Minni stürmt zu Jeongguk und fällt ihm um den Hals. Guk wirkt leicht überfordert.
"Danke Gukkie. Danke, dass du dich vorhin so toll um mich gekümmert hast. Ich MUSSTE das endlich mal jemand erzählen. Und Papa hats jetzt auch kapiert. Als Tae uns dann verraten hat, was für ein Praktikum er bald macht, konnten wir uns so richtig gemeinsam darüber freuen."
Da ist er ja wieder - dein übersprudelnder Enthusiasmus. So gefällst du mir viel besser, Mädchen. Du wirst schon irgendwann die Balance finden.

Der Rest der Familie trudelt langsamer ein. Wir unterhalten uns noch ein bisschen im Stehen, dann brechen die drei Kims auf.
"Noch einmal ganz herzlichen Dank für die Einladung, Frau Cho. Es ist wirklich schön hier. Und dass Taehyung hier so gute Freunde hat und sich so wohl fühlt, ist wunderbar. Wir sind so dankbar."
Ich lächele einfach, bis Tae seine Familie zum Tor begleitet, wo ihr Auto steht. Wir atmen alle durch.

Jin streckt sich.
"Und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen 'Vormittag'?"
Ich grinse quer über den Tisch und wackele verheißungsvoll mit den Augenbrauen.
"Was du machst, weiß ich nicht. Aber Namjoon und ich werden jetzt seinen ersten freien Abend genießen. Denn die Nacht durchmachen muss er ja sowieso. Und ich gehe morgen später zur Arbeit."
Allgemeines Pfeifen und Johlen kommt von allen Seiten. Namjoon entfährt ein verblüfftes "Uuuuups!" und Jeongguk wird rot wie eine Tomate. Ich lache mich kringelig und genieße die jetzt wieder ganz entspannte Stimmung. Wir decken noch schnell gemeinsam den Tisch ab und laufen dann auseinander.

Joonie und ich wollen den Weg den Berg rauf ausprobieren, schnappen uns dafür zwei Wasserflaschen und laufen einfach los. Aber kaum sind wir vom Gelände und um die Ecke, hält er mich fest und sieht mich sehr ernst an. Mir wird ganz anders, weil ich keine Ahnung habe, was er jetzt vorhat.
Hoffentlich hab ich grade nichts falsch gemacht!

"Soso. Wir nutzen meinen ersten freien Abend, machen die Nacht durch, und du schwänzt dann deine Arbeit. Wie soll ich das bitte verstehen?"
Diesmal wackelt Joonie mit den Augenbrauen, und ich werde rot wie eine Tomate. Als sich dann auch noch dieses zum Sterben schöne Lächeln in seine Mundwinkel schleicht und seine Augen amüsiert glitzern, weiß ich gar nicht mehr, wo ich hinsehen soll.
"Ach, Menno! Du weißt doch, was ich gemeint hab."
"Weiß ich das? Und ich hab da auch nichts falsch verstanden?"
Sein Grinsen wird immer frecher. Bockig trommele ich ihm mit meinen Fäusten vor die Brust.

"Du bist ein B..."
"... Boyfriend?"
"Nein. Ein Blödmann! Mach dich nur über mich lustig."
"Schaaaaade. Ich habe mir schon Hoffnungen gemacht."
Inzwischen grinst er von einem Ohr bis zum anderen, und ich könnte schon wieder tauchen gehen in seinen Grübchen. Dann erlöst er mich.
"Komm her, du wunderbarste Nelli aller Zeiten!"
Der Rest erübrigt sich dann, denn küssen ist einfach schöner.

........................
10.2.2023    -    22.3.2024

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