Natur II

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MIA

Das Meer war heute eine eisengraue Fläche. Lediglich an den Strand schlugen silbrige Schaumkronen.

Mias nackte Zehen gruben sich in den körnigen Sand, Tränen malten zarte Linien auf ihre Wangen, die im Sternenlicht glänzten.

Was hatte sie nur getan?

Sie sah hoch, in den samtschwarzen Himmel. Er konnte ihr auch keine Antwort geben. Nur Bilder drängten sich in den Kopf, Bilder dieser Nacht. Bilder, die sie krampfhaft versuchte zu vergessen.

Immer dieselbe gruselige Fratze starrte sie aus hunderten Gesichtern an, mit glühenden Augen. Mia klammerte sich verzweifelt an Lukas fest. Sie hatte Angst, sie hatte so sehr Angst. Die Insekten flatterten auseinander und sie schrie auf.

Mika stand auf dem Holzboden.

Danach ging alles ganz schnell. Gezischte Worte, mit Gift getränkt. Das laute Brummen der Insekten, die Lukas einkreisten. Lukas auf dem Boden.

Tot.

Mia zitterte und schlang sich Lukas Mantel noch enger um ihren Körper.

Seine Aufforderungen. Ihre unterdrückten Tränen. Lukas Mantel, nach dem sie griff. Die Insekten nahmen sie in ihre Mitte. Dann wieder Boden unter den Füßen. Mikas Annäherungsversuche. Ein kaltes Messer in ihrer Hand. Ein Stoß. Warmes Blut.

Tot.

Sie tastete in dem weichen Futter der Jackentasche nach dem Messer. Ihre Finger stießen auf etwas Kaltes, aber auch auf rissiges Papier. Mia zog beides aus der Tasche - und begann zu weinen.

Das Papier war ein verblasstes Foto von ihr und Lukas. Beide strahlten in die Kamera. Im Hintergrund sah man die leuchtenden Reklamen des Weihnachtsmarktes. Das abgegriffene, zerschlissene Papier zeugte davon, dass es schon oft in die Hand genommen und betrachtet wurde.

Es war eine bessere Zeit. Eine Zeit, in der er noch lebte.

Sie lächelte traurig. Das Foto hatte sie ganz vergessen. Nun erinnerte sie es schmerzhaft an das, was sie verloren hatte.

Sie warf es zusammen mit dem blutverkrusteten Messer ins Meer, das sich sofort wieder in eine spiegelglatte Oberfläche verwandelte.

»Vergib mir«, flüsterte sie zu den Sternen und verließ den Strand.

***

Die rosaroten Zuckerwatteschlieren des Morgens klopften an die Tür des Hauses ihrer Eltern, das eigentlich eher ein Schloss war.
Die Fassade in Perlmuttweiß verlieh dem Ganzen etwas von einem Elfenpalast. Es gab viele Erker und Fenster und ein mitternachtsblaues Dach. Die hölzerne Tür war mit märchenhaften Schnitzereien beschmückt. In das Türschloss, das aussah wie ein goldenes Löwenmaul, steckte Mia den passenden Schlüssel.

Im Haus huschten fahrige Schatten an den Wänden und verströmen etwas unheilvolles. Am liebsten wollte Mia weglaufen wie sie, weit weg von allen Problemen und in den Armen der Sorglosigkeit.

Auf dem Küchentisch stand noch eine Tasse mit kaltem Kaffee, unberührt. Ihr Vater liebte den Geruch, verabscheute aber den giftig bittren Geschmack.
Über allem lag der schwere, süßliche Duft des Rosenparfums ihrer Mutter. Der Duft nach Heimat. Auch jetzt fühlte Mia sich geborgen und es nahm ihr die Sorgen, Trauer und Schuld von den Schultern.

Denn egal was all die verstaubten  Geschichten über große Häuser, die einen verschlucken, erzählen: Auch in einem riesigen Palast kann man sich Zuhause fühlen.

Ihre Eltern schliefen noch, als Mia die Treppe hinaufstieg, die nur leicht knarzte.

In ihrem Zimmer öffnete sie ihr Fenster und sog die frische Morgenluft tief in ihre Lungen. Vereinzelt fingen Vögel an zu singen.

»Amsel, Drossel, Fink und Star
Und die ganze Vogelschar«

Mia summte das Lied leise. Ihre klare Stimme vermischte sich mit der Melodie der Vögel und ergab ein einzigartiges Gefühl von Freiheit. Ihr Herz wurde ganz leicht, Mia liebte die unberührten Morgenstunden, in denen die Welt noch schlief.

Ihr Körper formte tanzende Bewegungen zu den Rhythmen der Musik, und sie war für einen kurzen Moment glücklich.

Doch auch das wurde ihr genommen, als sie gegen den Nachttisch stieß und ein Ring klappernd zu Boden fiel.

Es war der Ring.

Der Ring der Erinnerungen. Sowohl Lukas als auch Mika hatten ihn berührt und ihm Leben eingehaucht.

Er stammte von Mika, doch nach ihrer Trennung warf sie ihn weg. Lukas fand ihn und schenkte ihn ihr - Mia sah die Geste darin und nahm in an.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass das ein Zeichen von Unaufmerksamkeit war. Sie hatte den Ring wochenlang getragen und wer näher hinsah, erkannte die Gravur M&M.

Sie ballte ihre Fäuste zusammen, wütend auf die verdammten Jungs und auf sich selbst, auf ihre Dummheit und ihre Blindheit.

Obwohl draußen die orangene Sonne aufging, tobte in ihr ein tiefschwarzes Gewitter ohne Lichtblitze.

***

Mia stand vor dem versteckten Tümpel ihres Gartens. Von hohen Farnen und gekrümmten Bäumen umgeben verschmolz er mit der Umgebung. Das Wasser war getränkt von grün.

Es war ein verwunschener Ort.

Und hier würde sie Lukas und Mika begraben. Die Erinnerungen an beide.

Der Ring platschte ins Wasser. Dort würde er liegen, für lange Zeit.

Doch erstmal ließ Mia ihr Herz in ihrer Brust fliegen.

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Blackstar2711 ~ 784 Wörter
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