18 - Der Anker

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‚Gar nicht so übel, einen Familien-Anwalt an der Seite zu haben', dachte Yuki. Auch wenn Dr. Weißmüller noch immer sehr nervös wirkte, als sie sich verabschiedet hatten. Trotzdem er hatte sich bereit erklärt, einstweilen Stillschweigen zu bewahren und ihr darüber hinaus auf ihren falschen Namen nocheine größere Summe Bargeld nach Japan anweisen zu lassen. Dafür hatte sie ihm versprechen müssen, so bald wie möglich eine Aussage bei der Berchtesgadener Polizei zu machen. Welches sie sich sowieso fest vorgenommen hatte. Sie wollte sich so schnell wie möglich von jeglichem Verdacht befreien. Steves vertrauenswürdige Erscheinung hatte ein Übriges getan, den Mann zumindest vorerst zu überzeugen.

Es war schon spät am Abend und die Aussichtsplattform des Maintowers war so gut wie menschenleer, weil die meisten Besucher im dazu gehörigen Restaurant auf ihre Bestellungen warteten. Steve hatte darauf bestanden, dass sie sich etwas zu essen hier herauf schmuggeln sollten, da die Preise in keinem Verhältnis standen und ihre schon beträchtlich geschmolzene Barschaft zusätzlich belasten würden. Ihr war es ganz recht, doch sie hatte sich ein wenig darüber gewundert, dass er von sich aus die Regel brach, was mitgebrachte Lebensmittel anging. Es war so untypisch für ihn, sodass es wohl auf ihren schlechten Einfluss zurückzuführen war.

Sie aßen schweigend, Knie an Knie und betrachteten die Skyline, die sich dunkel vom Abendhimmel abhob. „Wie geht es Dir?" fragte Steve zögerlich. „Natürlich nur, wenn du darüber sprechen magst... aber ich denke, du solltest...", fügte er hinzu, als sie nicht gleich antwortete. Sie wollte nicht antworten, weil sie befürchtete, dass das bisschen Kontrolle, das sie wieder über sich erlangt hatte, wieder flöten ging, wenn sie über ihre Eltern sprach. Doch wie er sich so unter ihrem abweisenden Blick wand, während er gleichzeitig darum kämpfte, dass sie sich ihm anvertraute, tat er ihr leid. Sie atmete tief ein und war im Begriff, ihm zu geben, wonach es ihm so sehr verlangte, da hob er ihr Kinn an und sah sie fest an.

„Vielleicht kannst du die ganze Welt täuschen und so tun, als sei alles in Ordnung, aber ich merke, dass es das nicht ist. Seit dem Treffen mit Weißmüller, bist du nicht mehr du selbst."

Verdammt, dafür, dass er sie erst so kurz kannte, kannte er sie ziemlich gut. Sie hatte sich, nachdem sie das Hotel verlassen hatten, in ihr Innerstes eingekapselt und sich wie aus der Perspektive einer dritten Person beobachtet. Es war, als ob sie einer Fremden dabei zusah, wie sie Steve einsilbige Antworten gab und stoisch einen Fuß vor den anderen setzte. Es war ihre einzige Chance, nicht wie ein Soufflé unter einem Luftzug zusammenzufallen bei der Erinnerung, an das vertraute Gesicht ihrer Mutter, den Tränen nahe, und das ihres Vaters, von ungewöhnlichem Ernst gezeichnet. Sie auf dem Bildschirm zu sehen und sprechen zu hören: „Schatz, es gibt etwas, das du wissen musst und wozu wir nie den Mut hatten, es dir zu offenbaren. Wenn du das hier siehst, sind wir nicht mehr da, um es dir persönlich sagen zu können. Und es tut uns von Herzen leid.", das hatte all ihre Bemühungen zunichtegemacht, den Tod ihrer Eltern zu verdrängen. Dass sie sie nie wieder sehen, nie wieder umarmen oder auch mit ihnen würde streiten können, war mit dieser Einleitung zur unwiderruflichen Gewissheit geworden, die sie nur ertrug, indem sie sich von ihren Gefühlen abkoppelte.

Sie schluckte, und er legte nach: „Tu uns beiden einen Gefallen und sprich mit mir. Ich weiß, dass du stark sein willst, es bisher immer warst. Aber es ist kein Zeichen von Schwäche, sich anderen anzuvertrauen und helfen zu lassen. Glaub mir, ich habe in Sams Selbsthilfegruppe viele starke Menschen gesehen, die früher oder später unter der Last zerbrochen sind – aber das musst du nicht. Du darfst nicht."

„Warum darf ich das nicht?", fragte sie, als sie sicher war, dass ihre Stimme ihr gehorchen würde.

„Weil ich dich brauche."

Dann schwieg er, wie um ihr die Gelegenheit zu geben, das zu verdauen. Was auch nötig war: Dieser simple Satz haute sie um, und sie ließ ihren Atem entweichen, als hätte sie ihn minutenlang angehalten. Konnte es wirklich so einfach sein? Dass sie zuvor nie das Gefühl hatte, gebraucht zu werden? Sie hatte sich immer selbst für bindungsunfähig gehalten, es auf ihren Drang zur Unabhängigkeit geschoben, dass sie es selten mehr als einige Monate mit einem Mann ausgehalten hatte. Okay, der eine oder andere miese Typ war dabei gewesen, doch oft hatte sie sogar die Beziehungen beendet, die ihre engsten Freunde und Mitbewohner für perfekt gehalten hatten.

Steve hatte mit diesen vier Worten eine Saite in ihr zum Klingen gebracht, von der sie nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierte. Sie wollte gebraucht werden, und es war unfassbar, dass ein so attraktiver Mann sie brauchte und es zugab. Sie legte ihm eine Hand auf die Brust und unterdrückte den Hauch von Selbstzweifel, der in ihr aufsteigen wollte.

„Wie könnte jemand wie du, Captain America, der die Welt gerettet hat, jemanden wie mich brauchen?"

Ihre Knie wurden weich, als er sie sanft auf die Stirn küsste.

„Weil ich das nicht immer war", erwiderte er genauso leise, zog sie an sich und strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich war ein unsicherer Junge, der die Chance ergriffen hat, etwas in der Welt zu verändern, und der dadurch ganz plötzlich mit einer Verantwortung konfrontiert wurde, für die er noch nicht bereit war. Und kaum jemand sah es. Heute sehen erst recht alle nur die Fassade. Den experimentellen Supersoldaten, diesen leeren Titel. Aber du siehst mehr als das, du siehst mich. Du bist der Anker, den ich brauche, um in dieser neuen Welt Halt zu finden."

Ein Glühen entfaltete sich in Yukis Brust, und sie war ein weiteres Mal froh darüber, nicht so leicht zu erröten. Die Wärme verfehlte ihre Wirkung nicht und ließ den Eispanzer, den sie seit dem Aufbruch aus Dr. Weißmüllers Suite trug, immer weiter schmelzen, bis nichts übrig blieb.

„Du hättest dir einen stärkeren Anker aussuchen sollen", sagte sie und lächelte schief.

„Glaub mir, Stärke gibt es in vielen Facetten und du bist stark. Sonst wärst du nicht so weit gekommen. Aber ich brauch dich nicht nur als Anker."

Sie blinzelte verwirrt. „Als wenn das nicht schon genug an Verantwortung wäre..., als was denn noch?"

„Ich brauche dich konzentriert und seelisch an einem Stück für die Aufgabe, die uns erwartet. Es wird nicht einfach werden in Japan, wenn Hydra, wie wir vermuten, dort ihre Basis hat. Und wenn du zusammenklappst, werden wir nicht lebend aus der Geschichte rauskommen. Und ich mag mein neues Leben mit dir. Bitte, rede mit mir. Lass mich dir helfen und dein Anker sein!"

✮✮✮✮✮✮

Grenzenlose Erleichterung durchflutete Steve, als Yuki sich ihm endlich öffnete und ihrem Kummer freien Lauf ließ. Erst hatte sie sich nur stumm an ihn geklammert und lautlos geweint. Danach, als wäre ein Damm gebrochen, hatte sie laut und hemmungslos geschluchzt und dem Universum alle möglichen Verwünschungen entgegen geschleudert. Seltsamerweise fühlte er sich nicht annähernd so unbeholfen wie sonst, wenn er mit weinenden Frauen zu tun hatte, welche in etwa eine ähnliche Auswirkung auf ihn hatten, wie aufdringliche Frauen. Zwar wühlte ihn ihr emotionaler Aufruhr mindestens ebenso auf, weil er nichts lieber wollte, als dass sie glücklich wäre und es ihr an nichts fehlte, doch er spürte jetzt, dass er dem nicht hilflos gegenüberstand. Ohne zu wissen, wie er es genau bewerkstelligte, half seine Gegenwart ihr dabei, den Schmerz zuzulassen und in der Folge auch die reinigende Wirkung. Anfangs hatte sie nicht viel gesprochen, er hatte sie sowieso kaum verstanden, doch später erzählte sie von Kindheitserinnerungen an Familienurlaube, von vielen kleinen, liebevollen Anekdoten aus dem Hause Leclerc, wie ihre Eltern ihr das erste Haustier, ihren einäugigen Kater Merlin, aus dem Tierheim mitgebracht hatten. All das war auf sie eingestürmt, als sie das Video gestartet hatte. Und am Ende gestand sie ihm ihre Gewissensbisse, die sie plagten, weil sie ihre Mutter am letzten Tag ihres Lebens belogen und vertröstet hatte.

Er wusste, er konnte nichts sagen, das ihre Selbstvorwürfe entkräftet hätte, also beschränkte er sich darauf, sie festzuhalten und so viel wie möglich von ihrer Pein in sich aufzusaugen, sodass weniger auf ihr lastete. Und es funktionierte so gut, dass seine Erleichterung sogar noch zunahm. Es war höchste Zeit, dass sie wieder zu sich selbst zurückfand, denn er wollte sie nicht in einem gefühlsmäßigen Ausnahmezustand mit in die Höhle des Löwen nehmen. Das war sein voller Ernst gewesen.

„Ich wünschte nur, sie hätten mir schon früher die Wahrheit gesagt. Es hätte mir einiges leichter gemacht." Yukis Stimme klang noch heiser, doch sie war fest und sie bliebt ruhig an ihn gelehnt stehen, ohne dass er sie halten musste.

„Was war es denn, was sie dir mitteilen wollten?"

„Die genauen Umstände meiner Adoption, die sie sie all die Jahre vor mir verheimlicht haben. Es ist kompliziert."

„Wir haben noch mehr als eine Stunde. Wenn es wichtig ist, nimm dir die Zeit."

„Du hast ja gar keine Ahnung, wie wichtig. Also die Adoption an sich war kein Geheimnis, aber sie wurde nicht auf offiziellem Wege durchgeführt. Sie haben damals in Tokio gelebt, als Papa dort für die Botschaft gearbeitet hat, und schon Jahre zuvor hatten sie vergeblich versucht, Kinder zu bekommen. Bei verschiedenen Adoptionsvermittlungen standen sie auf langen Wartelisten und hatten sich damit abgefunden, dass sie ihren Traum von einer kleinen Familie so schnell nicht würden verwirklichen können. Doch eines Nachts, rief ein japanischer Kollege an, der eng mit Papa befreundet war. Er war in Panik und bat um Hilfe – es ist so verworren, ich muss das selbst gerade noch sortieren, während wir hier sprechen..." Steve drang nicht weiter in sie und wartete, bis sie den Faden wieder aufnahm.

„Er erzählte von seiner Tochter, die ein Jahr zuvor spurlos verschwunden war und die nun ganz unverhofft gefunden worden war, weil sie ihren Entführern hatte entkommen können. Nach ihrem Notruf hatte man sie in ein Krankenhaus gebracht, wo sie auf der Entbindungsstation ein kleines Mädchen zur Welt brachte. Meine Eltern in ein Taxi steigen, das er ihnen schicken wollte und dorthin kommen. Der Mann wollte am Telefon nicht konkreter werden. Er war total paranoid, hatte Angst, sie könnten abgehört werden.

Papa und Maman haben sich zwar mehr als gewundert, doch weil sie ihn sehr mochten und ihm wirklich helfen wollten, haben sie sich darauf eingelassen. Um es kurz zu machen: Die junge Frau hat von Experimenten erzählt, bei denen man ihr Eizellen entnommen und sie ihr befruchtet wieder eingesetzt hatte. Und als die Schwangerschaft weiter fortgeschritten war, wollte sie um jeden Preis flüchten, damit ihre Peiniger nicht auch noch an ihrem Kind herumexperimentieren konnten.

Sie war wohl außer sich und die offiziellen Stellen haben sie für verrückt erklärt, denn man hatte an den von ihr beschriebenen Standorten nichts Auffälliges gefunden. Der Botschaftskollege konnte verhindern, dass das Kind in staatliche Obhut kam, wollte sein Enkelkind selbst aufziehen – aber seine Tochter hat ihn angefleht, das Baby zu verstecken, außer Landes zu bringen. Sie war sich sicher, dass die Entführer nichts unversucht lassen würden, des Kindes wieder habhaft zu werden.

Ihre Panik muss überzeugend gewesen sein, denn er bat Maman und Papa, die bald abreisen würden, das kleine Mädchen – mich – mitzunehmen. Er hatte sogar alle zuständigen Stellen bestochen, meine Eltern mussten nur noch zustimmen und das Land schnellstens verlassen."

„Und sie haben die Chance ergriffen", murmelte Steve abwesend.

✮✮✮✮✮✮

Die Geschichte klang noch immer so haarsträubend verrückt, wie als Yuki sie das erste Mal auf Band vernommen hatte. Selbst aus ihrem eigenen Mund hatte sie nichts von ihrer Absurdität verloren, doch sie hatte keinen Zweifel daran, dass es die Wahrheit war. Und keinen Zweifel daran, dass es genau das war, weswegen Papa an seinem letzten Tag extra nach Hause gekommen war und weswegen Maman so darauf gedrängt hatte, dass sie so schnell wie möglich auch heimkam. Die beiden hatte einen Zusammenhang zwischen den merkwürdigen Vorfällen während der Kreuzfahrt, die in der missglückten Entführung gegipfelt hatten, und Yukis Herkunft gesehen und wollten das Geheimnis nicht mehr länger bewahren. Die Geschichte mit den geheimnisvollen Experimenten klang zwar verrückt, ergab jedoch in diesem Licht gesehen einen Sinn. Es war Hydra, war es immer gewesen. Sie war das Produkt eines ihrer Experimente und nun wollten diese Irren sie wieder zurück. Was auch immer sie sich von ihr versprachen, sie hatten dafür gemordet und würden es wieder tun.

„Dieses Feuer in Paris muss ich verursacht haben," brach es aus ihr heraus, während sie in der Warteschlange zum Check-In-Terminal am Flughafen standen. „Auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wie. Das hat Hydra aus mir gemacht. Ich komme aus einem ihrer Reagenzgläser, ich bin ein Freak."

„Das bist du nicht, und das weißt du ganz genau!"

Sie wusste es, doch es von ihm zu hören, tat gut. Es erstickte den Anflug von Hysterie im Keim, und sie nahm ihn bei der Hand. „Ich habe es nicht unter Kontrolle, und das macht mir Angst. Was, wenn ich unabsichtlich einen ganzen Wohnblock anzünde?!"

Sie musste ihre Stimme der umstehenden Menschen wegen dämpfen. Steve flüsterte ihr beruhigend ins Ohr: „Das wirst du nicht, solange du nicht in akuter Gefahr bist." Sie glaubte ihm, weil sie es unbedingt glauben wollte. Anderenfalls würde sie vollends verrückt werden.


Steve sah sich am Boarding Gate nervös um, damit Yuki ihn nicht überraschte. Sie hatte noch dringend auf die Toilette gehen müssen und wollte es erledigen, bevor sie im Flieger sitzen würden. Während des Startvorganges mussten alle Fluggäste angeschnallt auf ihren Plätzen sitzen, und so lange würde sie es nicht aushalten, hatte sie ihm erklärt.

Ihm war es nur recht, denn er musste unbedingt mit Fury sprechen. Die jüngsten Ereignisse verboten es, weiter auf eigene Faust zu agieren. In Japan würden sie auf Unterstützung angewiesen sein, wenn die Dinge eskalierten. Und das würden sie, er machte sich da nichts vor. Jemand, der aus dem Nichts ein Feuer entfachen konnte, das selbst Platin beinahe zum Schmelzen bringen konnte, und dabei so harmlos aussah, würde eine perfekte Waffe abgeben. Sie würden alles, aber auch alles tun, um sie zu ergreifen und umzudrehen. Und dabei vor nichts zurückschrecken.

„Ja, Sir. Ich melde mich zurück, sobald wir gelandet sind. Aber ihre Leute sollen sich bedeckt halten!" Er legt hastig auf und es war keinen Moment zu früh, da Yuki soeben um die Ecke kam. Sein Gesicht fror einen kurzen Moment ein und versuchte ihm möglichst schnell wieder einen neutralen Ausdruck zu verleihen, auch wenn es ihm schwerfiel. Er hatte sein Versprechen ihr gegenüber gebrochen. Aus gutem Grund, doch sie würde es nicht verstehen. Noch nicht. In Tokio war noch Zeit genug, es ihr einzugestehen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.

„Du Trottel, belüg dich doch nicht selbst", schaltete Bucky sich ein. „Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, ihr zu sagen, dass du sie hintergangen hast."

Steven Grant Rogers fluchte unterdrückt und sagte seinem ungebetenen Gast, er solle sich zum Teufel scheren. Doch als sein Mädchen sich bei ihm einhakte, biss er sich auf die Unterlippe. Sein unsichtbarer Freund war vielleicht lästig, doch meistens hatte er recht. Und das war das Lästigste an diesen kurzen Stippvisiten.

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