36 - Abrechnung

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Sie war wieder entkommen, diese kleine Schlampe – mit mehr Glück als Verstand! Eigentlich hätten sie sie mit Leichtigkeit schnappen müssen, wie eine reife Frucht vom Baum pflücken. Ohne diesen allgegenwärtigen Schönling und die arrogante Widow hätte sie ein leichtes Opfer abgeben müssen. Doch wieder einmal hatten seine Agenten versagt. Shigeru Kobayashi verzog das Gesicht zu einer furchterregenden Fratze, die makellosen dritten Zähne gefletscht, die Augen zu sichtbaren Schlitzen verengt und die Hände zu zitternden Fäusten geballt. Er musste sich beruhigen, wollte er nicht in diesem lächerlichen Gefängnis einen Schlaganfall erleiden. Und so atmete er tief ein und wieder aus, versuchte zu meditieren. Doch das Einzige, das ihn abkühlte war der Gedanke daran, dass diese Versager ihren Fehler nicht überlebt hatten. Andererseits waren sie zu billig davongekommen, wie viel besser wäre es gewesen, hätte er sie seinen Zorn spüren lassen können. Aber auch da hatte ihm Exemplar 47 einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Er wurde alt. Als er noch jung gewesen war, hätte er vorausgesehen, dass dieses vielversprechende Objekt möglicherweise von alleine oder durch Dritte, die nicht Hydra angehörten, die Kontrolle über seine Kräfte erlangte, und Gegenmaßnahmen ergriffen. Andererseits konnte er doch unmöglich nur von Stümpern umgeben sein! Wenn es darauf ankam, musste man es eben selbst erledigen. Aber er wollte verdammt sein, in fortgeschrittenem Alter noch einmal dazu gezwungen zu sein. Auch wenn er als aktiver Judoka in guter Verfassung war, wusste er, dass er nicht mehr auf derselben Höhe war, wie noch vor dreissig Jahren. Außerdem bestand noch das klitzekleine Problem, dass er hier festsaß – und die Leute, die er bei S.H.I.E.L.D. eingeschleust hatte und die ihn hätten herausholen können, waren in der Silvesternacht erschossen und verbrannt worden.

Er würde erst wieder einen Weg finden müssen, Nachrichten nach außen zu schmuggeln, mit Anweisungen für seine Befreiung. Und dann würde er sich wohl oder übel selbst kümmern müssen. Der Kopf Hydras war immer noch außer sich vor Wut, wenn er an den neuesten Fehlschlag dachte. Doch kein Außenstehender konnte es jetzt erahnen. Er hatte seine Gefühle unter Kontrolle, ließ nur selten erkennen, was er dachte. Disziplin und Meditation machten sich bezahlt. Es ging nicht an, dass diese Romanoff, die in unregelmäßigen Abständen hereinschneite, Wind davon bekam, wie sehr er sich aufregte.

Wie aufs Stichwort schwang die Zellentür quietschend auf und dieses Weibsstück stolzierte herein, als wäre das ihre Party. „Guten Morgen, Sonnenschein!"

Kobayashi grunzte abfällig und sah durch sie hindurch.

Das folgende Verhör lief genauso ab wie die unzähligen anderen zuvor.

Sie stellte Fragen, er schwieg.

Sie drohte, er lachte sie aus.

Sie schmeichelte, er starrte sie stumpf an.

Sie drohte wieder, er machte sich über ihre stümperhaften Methoden lustig.

Sie renkte ihm Glieder aus, er versetzte sich in Trance.

Sie renkte sie ihm wieder ein, er starrte blind auf die ihm gegenüberliegende Wand.

Sie schmeichelte, er ließ durchblicken, dass er wusste, sie würde nicht bis zum Äußersten gehen.

Sie stellte immer wieder Fragen, ohne Antworten zu erwarten.

Das Prozedere wiederholte sich einige Male, doch anstatt ihn am Ende wie sonst zu verhöhnen, sah sie ihn mitleidig an.

„Wie Sie wissen, würde ich Sie liebend gerne fertigmachen. Aber ich kenne jemanden, der selbst darauf brennt – im wahrsten Sinne des Wortes. Und weil ich ein großzügiger Mensch bin, gönne ich es dieser Person von Herzen. Sie hat es, mehr als ich, verdient."

„Was soll das bedeuten, Weib?!" Kobayashi hatte da so eine Ahnung und Schweißperlen begannen sich auf seiner Stirn zu bilden.

„Unsere gemeinsame Freundin war vielleicht einmal ein nettes, harmloses Mädel – jetzt ist sie das Produkt Ihrer Arbeit. Vielleicht sollten Sie Angst vor ihr haben, weil sie jetzt wirklich eine Scheiß-Laune hat. Möchten Sie wissen, warum?

Er presste die Lippen zusammen und blieb stumm.

„Sie hatte eine beschissene Silvesterparty."

„Was geht mich das an?", entgegnete er grob, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, nichts mehr zu sagen.

„Sie gibt Ihnen die Schuld daran. Und natürlich auch für alles andere Sie-wissen-schon-was."

Er knirschte mit den Zähnen und sagte dieses Mal wirklich nichts mehr. Diese Frau sollte nicht merken, dass er es tatsächlich mit der Angst zu tun bekam.

„Sie wird Sie bald besuchen kommen. Sehr bald. Ich sage Ihnen nicht wann, denn Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude", sagte sie im Plauderton und zeigte für seinen Geschmack zu viele von ihren weißen Zähnen, als dass es noch als Lächeln durchgehen durfte. „Sie und ich, wir sehen uns heute jedenfalls das letzte Mal."

Mit diesen Worten schlenderte sie wieder aus der Zelle.

„Ein schönes Leben noch."

Den Abschiedsgruß warf sie ihm wie einen nassen Waschlappen vor die Füße, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Shigeru Kobayashi atmete tief durch. Es konnte eng für ihn werden, doch für die Organisation war gesorgt. Sollten alle Stricke reißen, stand Alexander Pierce in den Startlöchern. Ein fähiger Mann, der schon einen Fuß sowohl im Weltsicherheitsrat als auch in S.H.I.E.L.D. hatte. Bedauerlicherweise hatte er noch nicht viel Einfluss, sonst wäre er, Kobayashi, schon vor Tagen freigekommen.

Und würde jetzt nicht, wie eine Maus in der Falle sitzen. Nicht wissend wie groß das Potential seiner einstmals großen Hoffnung war und ob sie es schon maximal ausschöpfen konnte. Das war in der Tat bedenklich.

Das erste Mal in seinem langen Leben verspürte er Furcht. Er tätschelte geistesabwesend den losen Backstein in der Wand hinter seiner Toilette. Dort lag eine angespitzte Zahnbürste verborgen, die er sich von einem seiner Lakaien lange vor dem Silvester-Debakel hatte hereinschmuggeln lassen. Natürlich hatte er nie erwartet, sie benutzen zu müssen, doch er war immer auf Nummer sicher gegangen.

Seine Miene verfinsterte sich. Das kleine hölzerne Ding war kaum mehr als ein Zahnstocher, es taugte nur schlecht dazu, die feinen, kalten Fühler heraufziehenden Grauens zurückzudrängen. Aber es war besser als nichts.

Er musste sie nahe an sich heranlassen, und er würde schnell sein müssen.


Die verlassene Lagerhalle sah aus, wie alle verlassenen Lagerhallen der Welt. Baufällig, von Unkraut und Büschen überwuchert und dadurch von der Mainstreet aus nicht sichtbar. Auch die anderen Hallen- und Bürogebäude waren schon lange nicht mehr in Betrieb. Die leeren, dunklen Fensteröffnungen, in denen kein Glas mehr heil war, gähnten den Passanten, der das Elend nicht geflissentlich übersah, trübe und traurig an. Das ganze Gewerbe-Areal war menschenleer und wartete bestimmt seit zwanzig Jahren, wenn nicht gar länger, auf einen Investor, der nie aufgetaucht war. Genau so stellte man sich den idealen Ort vor, um jemanden festzuhalten, von dem die Welt nichts erfahren sollte.

Einzig die sechs Agenten, die auf dem Areal patrouillierten, wollten nicht so recht ins Bild passen. Doch eine große Tafel, auf der das Betreten verboten wurde mit dem Hinweis, dass durch den schlechten baulichen Zustand erhebliche Einsturzgefahr herrschte, erklärte die Anwesenheit von Wachpersonal, die ein illegales Eindringen verhindern sollte.

Yuki fragte sich, ob Fury bewusst war, dass sich Urban Explorer von solchen Schildern nicht davon abhalten ließen, einen sogenannten Lost Place zu erkunden. Dass sie, ganz im Gegenteil, sogar durch solche Warnhinweise angelockt wurden. Je gefährlicher die Örtlichkeit, desto mehr Klicks ließen sich auf einschlägigen Webseiten und Videoplattformen generieren. Der Direktor war wahrscheinlich zu alt für solchen neumodischen Firlefanz, dass er dieses Risiko nicht in Betracht zog. Er verließ sich dabei auf die Agenten, die Wache hielten. Diese sollten etwaige Eindringlinge abfangen und des Grundstücks verweisen. Ein Glück, dass dieser Ort total uninteressant für die Community zu sein schien. Anderenfalls hätte die sechs Agenten alle Hände voll zu tun gehabt.

Was sie selbst anging, war sich Yuki gar nicht mehr so sicher, ihr Vorhaben durchziehen zu wollen. Kurz nach der Besprechung mit Natasha war sie optimistisch, ja geradezu euphorisch gewesen. Und nachdem sie mit Hanzo gesprochen hatte, umso mehr. Er hatte ihr eine lupenreine neue Identität für einen guten Start in einem Land ihrer Wahl zugesichert. Die Angst, vollkommen mittellos von null anfangen zu müssen, hatte er ihr auch genommen. Sie würde zwar nicht ihr ganzes Erbe in ihr neues Leben retten können, aber doch eine ordentliche Summe.

Und das ganz einfach, indem sie Dr. Weißmüller anwies, eine kleine gemeinnützige Stiftung zu gründen eben dort, wo sie zukünftig leben wollte. Als Vorstand sollte ihre neue Identität eingesetzt werden, sodass sie ein bescheidenes Gehalt beziehen konnte. Sie selbst wäre nie auf so eine Idee gekommen. So viel Raffinesse hatte sie Hanzo, dem Barkeeper, gar nicht zugetraut, und nun schämte sie sich ein bisschen dafür, dass sie einem allgemeinen Vorurteil gefolgt war. Dafür hatte er wirklich was gut bei ihr, aber davon wollte er nichts hören, weil er es für Natasha tat.

„Was hat sie gemacht, dass du so in ihrer Schuld stehst?", hatte sie gefragt, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten.

Alles in allem, hätte sie also in ihrem Entschluss bestärkt sein müssen, doch jetzt, wo sie kurz davorstand, ihren Plan in Tat umzusetzen, wollte sie am liebsten weglaufen und nach Washington fliegen. Wo sie mit Steve weiterleben könnte und so tun, als wäre nichts passiert.

Ein unbeteiligter Beobachter hätte nur gesehen, wie ein Schauer ihre Schultern durchlief, und nichts von dem Widerstreit ihrer Gefühle geahnt. Allerdings hätte er sich darüber gewundert, was eine junge Frau im Gebüsch vor einem verlassenen Lagerhaus sitzend zu suchen hatte.

Yuki Leclerc wusste im Grunde ihres Herzens genau, dass sie nicht zurückkonnte. Dafür hatte sie schon zu viel angeleiert und Kobayashi durfte einfach nicht mehr in ihren Träumen ein- und ausgehen, wie es ihm gefiel. Was Steve anging, er konnte sich ja dafür entscheiden und mit ihr aussteigen. Obwohl ... das war reines Wunschdenken. Am besten verdrängte sie jetzt alle Gedanken an ihn, sonst würde sie noch in tausend Jahren hier hocken und mit sich hadern.

✮✮✮✮✮✮

Etwas stimmte überhaupt nicht, und Steve war ernsthaft beunruhigt. Dass sie nicht ran ging und nicht zurückrief, war eine Sache. Eine ganz andere, dass auch Natasha ihn wegdrückte. Nur den ersten Anruf hatte sie angenommen, weil sie es versäumt hatte auf die Anrufer-ID zu schauen. Und da hatte sie ihn mit allerlei Ausreden abgespeist: dass Yuki gerade in der Dusche und allgemein einfach nur zu überwältigt von der großen Hauptstadt sei, dass sie es vergaß, ihn anzurufen. Aber nein, es sei alles in Ordnung, Yuki ginge es ausgezeichnet und er solle sich nicht aufführen wie eine überfürsorgliche Glucke.

Schlechte Lügen von einer Widow, das konnte nichts Gutes bedeuten.

Das Gefühl drohenden Unheils schnürte ihm die Kehle so zu, dass er das verführerisch duftende Grillsteak-Sandwich nicht so recht genießen konnte, welches ihm die Bedienung des Diners mit einem freundlichen Lächeln auf den Tresen gestellt hatte. Und das, obwohl es mit einer echten Bratensoße serviert wurde, die den Namen auch verdiente. Was selten genug vorkam. Allerdings kam Buckys Meinung nach nichts der Soße gleich, die Steves Mutter Sarah jeden Sonntag serviert hatte, wenn das Geld für einen Sonntagsbraten reichte. Wie hatte er sie eines kalten Novembertages in den italienischen Alpen genannt, als die Truppe frierend von all den Köstlichkeiten schwärmte, die sie von zu Hause vermisste?

Steve kaute mechanisch und schluckte, ohne etwas zu schmecken. Dann fiel es ihm wieder ein: Bucky hatte Sarah Rogers Bratensoße als Offenbarung bezeichnet und seinem Freund dabei derb auf die Schulter geklopft.

Trotz reichlich Soße rutschten gegrilltes Fleisch, Brot, Salat und Röstzwiebeln nur widerwillig hinunter, wie trockenes Sägemehl und schmeckten auch ganz genauso. Die Bedienung, eine ältliche Frau namens Marjorie, wie ihm die gestochen scharfen Buchstaben auf ihrem Namensschildchen verrieten, kam zurück und tätschelte seine Hand. „So schlimm? Kann ich dir etwas anderes bringen, Schätzchen?"

Er beeilte sich, ihr zu versichern, dass es nicht am Essen lag und auch nicht am Service, merkte aber, dass sie ihm nicht glaubte. Vielleicht würde ein großzügiges Trinkgeld sie davon überzeugen, dass er nicht ihretwegen ein Gesicht machte wie drei Tage Regenwetter. Er selbst war sich ziemlich sicher, dass nicht einmal die Bratensoße seiner Mutter seine Laune gehoben hätte.

Marjorie lächelte ihn aufmunternd an.

„Kein Mädchen auf der Welt ist es wert, dass so ein feiner Kerl Trübsal bläst."

Ein bemerkenswertes Gespür für ihre Gäste hatte die Dame, dachte Steve und erwiderte ihr Lächeln, wenn auch gequält.

„Sie kennen sie einfach nicht, sonst würden Sie so etwas nicht sagen."

Marjorie tauschte nur mitleidige Blicke mit ihrer Kollegin und ging wieder an die Arbeit.

Steve würgte noch den Rest seines Mittagessens herunter und zahlte. Am liebsten wäre er gleich mit dem nächsten Flieger nach DC geflogen, um nach dem Rechten zu sehen. Ständig dieses ungute Gefühl im Nacken ohne greifbare Ursache machte ihn wahnsinnig, als führe er auf seinen eigenen Nervenbahnen Achterbahn. Doch um nicht als kontrollsüchtiger Freund dazustehen, durfte er diesem Drang auf keinen Fall nachgeben. Steven Grant Rogers presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Der erste Flug am übernächsten Tag, das war lange genug.

Und in der Zwischenzeit hoffte er, dass Bucky sich zeigen würde. Ausgerechnet die eine Person, mit der er über alles reden konnte, ob real oder nicht, hatte er seit seinem vermaledeiten Wutausbruch nicht mehr gesehen. Wenn er Pech hatte, würde sein alter Freund sich nie wieder blicken lassen, auch Projektionen hatten ihren Stolz.

Übermorgen. Er würde sich dann auch nicht mehr mit Ausflüchten abspeisen lassen.

✮✮✮✮✮✮

Natasha unterhielt sich zwanglos mit einem der Wachposten, vermutlich dem ranghöchsten Agenten vor Ort. Yuki konnte nicht verstehen, was sie sagte, der Körpersprache nach, war es freundliches Geplänkel unter Kollegen, welchem der besagte Kollege nicht abgeneigt war. Die Widow lehnte sich mehr als nötig zu ihm, lächelte charmant und strahlte wie hochangereichertes Uran. Dass dem Mann nicht auffiel, wie das Lächeln ihre Augen nie erreichte? Yuki Leclerc verstand nicht, warum die meisten Typen auf so etwas hereinfielen, aber solange es ihren Zwecken diente, sollte es ihr Recht sein.

Sie setzte den Feldstecher ab. Was jetzt folgte, brauchte sie nicht zu sehen, weil es bis ins Detail mit Natasha abgesprochen war. Sie musste nur warten, bis die zwei Wachen mit Natasha abzogen, und konnte sich nach weiteren fünf Minuten endlich in das Gebäude wagen. Sie hatte keine Ahnung, womit die Wachen abgelenkt und außer Gefecht gesetzt werden sollten, ohne dass die Agentin gesehen wurde.

Natasha hatte Yuki gegenüber nur angedeutet, dass sie die Zweierteams mit dem Hinweis auf unbefugte Eindringlinge am anderen Ende des Grundstückes weglocken wollte, um sie dann ungesehen einen nach dem anderen auszuschalten. „Nein, natürlich bringe ich sie nicht um!", hatte sie entrüstet auf Nachfrage geantwortet.

Und die Frage, wie sie es denn anstellen wollte, beschied sie mit einem knappen „Lass das mal meine Sorge sein! Schau du nur zu, dass du den richtigen Zeitpunkt nicht verpasst und schnell reingehst."

Dieser Zeitpunkt war jetzt da, und Yuki verschwendete keinen Gedanken daran, was Natasha mit ihren armen Kollegen anstellen würde und wie sie bei der unvermeidlichen Untersuchung und Befragung keinen Verdacht erregen wollte. Die Frau wusste, was sie tat.

Sie selbst jedoch musste jetzt los und sich darauf konzentrieren, die letzten Ratschläge den Umgang mit Kobayashi betreffend zu beherzigen. Insbesondere, da sie als letzten Freundschaftsdienst noch einmal versuchen wollte, mehr über weitere Maulwürfe und Hydra-Zellen herauszufinden. Sie hatte die kühle und seidige Stimme noch ihm Ohr:

„Er ist ein hinterhältiger Bastard. Du darfst ihn keine Sekunde aus den Augen lassen."

Sie verließ ihre Deckung, den großen und dicht belaubten Busch.

„Außerdem manipuliert er gerne Menschen, die er als schwach ansieht, und das sind in seinen Augen die meisten."

Sie schlich entlang der Hauswand auf die schmale, unscheinbare Seitentür des Lagers zu.

„Lass dich nicht darauf ein und schon gar nicht zu irgendetwas provozieren."

Die Tür war offen, Natasha hatte mit einem Pappstreifen dafür gesorgt, dass sie nach ihrem Besuch nicht wieder ins Schloss fiel. Wie hatte sie nur den Alarm ausgeschaltet? Unwichtig.

„Er hört sich gerne reden, ist überzeugt davon, der bessere Mensch zu sein. Mach dir das zunutze."

Bis zum anderen Ende der Halle und dort die Stahlbetontreppe hoch. Vorsichtig, weil das Geländer sich fast ganz aus der Verankerung gelöst hatte.

„Sei auf der Hut, und rechne jederzeit mit einem Angriff. Er sollte keine Waffe haben, aber wer weiß ..."

Oben im ehemaligen Bürobereich der Halle den Flur entlang. Ihr Herz klopfte wie verrückt, ihre Sicht verschwamm. Sie zwang sich, langsamer zu atmen.

„Bleib auf Abstand, und, wenn du so weit bist, nähere dich ihm schnell und entschlossen. Nicht zögern, lass ihm keine Chance, dir in seinen letzten Sekunden noch zu schaden."

Da hinten, die makellos schimmernde Stahltür, als einzige ohne Rostflecke. Das musste sie sein.

„Wenn es vorbei ist, verschwinde unverzüglich. Auf der besprochenen Route, das ist wichtig!"

Die Schlüsselkarte in ihrer Hand wog eine Tonne.

„Dreh dich nicht um, egal was passiert, lauf weiter so schnell du kannst, bis zum verabredeten Versteck. Und. Bleib. Dort! Solange bis Hanzo dich kontaktiert. Viel Glück, Süße."

Eine Hand an der Klinke zögerte Yuki, kalten Schweiß auf der Stirn spürend. Sie atmete noch einmal tief durch, öffnete die Zellentür einen schmalen Spalt und trat schnell seitlich hindurch, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Der Schrecken so mancher Nächte wirkte jetzt, da sie ihn leibhaftig wieder sah, sehr viel weniger Furcht einflößend. Shigeru Kobayashi hatte stark abgenommen, und obschon er nicht mehr der Jüngste gewesen war, als sie ihm zuletzt gegenübergestanden hatte, so schien er jetzt um mindestens zehn weitere Jahre gealtert zu sein. Die Gefangenschaft bekam ihm nicht gut, oder besser gesagt: Black Widow bekam ihm nicht gut. Aber er tat ihr nicht im Mindesten leid.

Ein versonnenes Lächeln huschte über Yukis Gesicht, bevor ihr Blick sich wieder ernst auf den Mann richtete, den zu töten sie gekommen war. Kalte, tote Augen musterten sie ohne auch nur die winzigste Regung zu zeigen.

„So sehen wir uns also wieder." Die verhasste Stimme traf sie wie ein Dampfhammer.

Und mit einem Mal war sie wieder das abgemagerte Etwas, das zitternd an den Manschetten zerrte, die es bewegungsunfähig hielten, Schmerzwelle um Schmerzwelle erwartend. Ihr Puls erreichte ungeahnte Höhen, und ihre Synapsen drohten, durch den Overkill zu kollabieren. Grellweiße Funken begannen vor ihren Augen zu tanzen und ihr wurde bewusst, dass sie kurz davor war die Kontrolle und sich selbst zu verlieren.

Augen schließen – Einatmen – Ausatmen.

Das musste unter allen Umständen vermieden werden. Dieses Mal würde kein Captain America zu ihrer Rettung eilen, wenn sie sich wieder in dieses von Instinkt getriebene, seelenlose Ding verwandelte. Und andere Retter, selbst wenn welche kämen, würden nicht einmal zu ihr durchdringen.

Ein und Aus.

Und als sie die Augen wieder öffnete, war sie immer noch Yuki Leclerc und immer noch am Leben. Kobayashi hatte nicht versucht, sie zu erwürgen, während sie ihre Dämonen aus der Vergangenheit bekämpft hatte. Dafür sah er sie spöttisch aus schmalen Augen an.

„Armes Vögelchen, so leicht aus der Fassung zu bringen!"

Endlich funktionierte Yukis Sprachzentrum wieder: „Halten Sie die Klappe!"

„Sonst was?"

„Sonst das." Sie hob eine Hand und beschwor eine handtellergroße Flamme herauf, die fast bis zur nackten Glühbirne an der Decke loderte. Mit Genugtuung registrierte sie, wie der alte Mann kaum merklich zusammenzuckte und erstickte das Feuer, indem sie die Hand darum schloss und zur Faust ballte.

„Glaubst du wirklich, du kannst mir Angst machen, Mädchen?"

Vergeblich versuchte Kobayashi das leichte Zittern in seiner Stimme zu überspielen. Yuki hatte es, wie auch das Zucken zuvor, bemerkt und wuchs innerlich um einen halben Meter. Jetzt war sie am Zug. Sie war nun diejenige, welche IHM unsägliche Schmerzen zufügen konnte, die die Fäden in der Hand hielt und den Ausgang seines Tages bestimmen würde. Sie hatte keine Vorstellung gehabt, wie berauschend es sein konnte, sobald man über etwas Macht verfügte.

„Ich will Ihnen keine Angst machen. Ich will, dass Sie bezahlen. Mit Zins und Zinseszins."

Der Mann hatte sich schon wieder gesammelt und lachte höhnisch.

„Dazu benötigst Du mehr als nur ein paar Taschenspieler-Tricks."

Yuki ging nicht darauf ein. Stattdessen schlenderte sie um den kleinen Holzklapptisch herum, der in der Mitte der Zelle stand, und legte die Hand darauf. Sie löste ihre mentale Sperre gerade so weit, dass feine Rauchschwaden aufstiegen und der beißende Geruch verbrennenden Lackes sich ausbreitete. Dann hob sie die Hand und betrachtete den schwarzen Abdruck, der das abgenutzte Holz zierte.

„Vielleicht sind es Tricks, aber ich habe gelernt, sie zu kontrollieren", sagte sie leise, aber kalt. „Wie wirksam sie sind, werden Sie bald herausfinden."

Er zeigte sich unbeeindruckt. Nur eine ungesunde Blässe lieferte einen Hinweis, dass er nicht ganz so gelassen war, wie er es vorgab zu sein.

„Warum bringst Du es nicht hinter Dich, Du wertlose kleine Schlampe?"

Provokation. Wie Natasha vorhergesehen hatte.

Sie begegnete seinem herausfordernden Blick mit ihrem kühlen.

„Weil ich zuvor noch etwas wissen will."

Feuer frei für die erste Befragungsrunde. Yuki war gespannt darauf, über wie viele Runden dieser boshafte Mensch durchhielt, bevor sie ihn endgültig fertigmachte. Und das hoffentlich nachdem er einige Namen und Orte genannt haben würde. Andererseits, war das sowieso nicht ihr eigentliches Ziel.

Aber das Spiel machte gerade so richtig Spaß, und so fuhr sie fort.

Stellte Fragen. Drohte, schickte gerade genug Hitze über den Bodenbelag, dass dieser Blasen warf und seine nackten Füße zuckten, ohne offenes Feuer zu entzünden. Dann wiederholte das mit seinem metallenen Bettgestell, als er sich darauf flüchtete. Dummerweise hatte der alte Mann vergessen, dass Metall Wärme sehr viel besser leitete als stumpf gewordenes Linoleum. Während der ganzen Zeit war Yuki peinlich darauf bedacht, ihm nicht zu nahe zu kommen.

Da hatte es sich gut gefügt, dass sie gerade erst vor einer Woche gelernt hatte, ihre Energie mittels eines anderen Mediums über eine begrenzte Distanz auf ein Ziel zu übertragen. Bruce Banner würde ausflippen, wüsste er, wozu sie das Gelernte soeben benutzte.

Es dauerte nicht lange, da hatte der Mann zunehmend geschwächt gewirkt, sodass sie sich in seine Nähe traute, um ihn direkt zu berühren. Sie war nicht zimperlich gewesen, seine Haut sah stellenweise so aus, als könnte sie sie abziehen wie die einer gut gegrillten Paprika.

Er hatte zuletzt geredet wie ein Wasserfall und Yuki legte den Zettel mit den fein säuberlich notierten Namen angeblicher Hydra-Maulwürfe auf den Tisch neben den angekohlten Handabdruck. Auch die Standorte einiger Zellen in Europa und den USA hatte sie aufgeschrieben. Ob alles der Wahrheit entsprach, darauf wettete sie lieber nicht. Der alte Mann war weiß wie ein Laken und zitterteununterbrochen – er hätte alles gesagt, was sie hören wollte. Sie wusste, wie das war, hatte sie das Gleiche vor nicht allzu langer Zeit noch am eigenen Leib erfahren. Aber damit musste sich Fury auseinandersetzen, ihr Problem war das nicht mehr. Sie hatte nicht unbegrenzt Zeit, und ein Blick auf die Armbanduhr sagte ihr, dass sie sich sputen musste. Bald würden die auf Eis gelegten Wachen wieder aufwachen und vorher musste sie verschwunden sein.

Yuki Leclerc ließ den Kugelschreiber mehrmals klicken und legte ihn auf das Blatt Papier. Dann wandte sie sich wieder dem alten Mann zu, der hinter der Toilettenschüssel in der Zellenecke kauerte. Sie hatte keine Ahnung, wie man ein besonders furchteinflößendes Gesicht aufsetzte, und verlegte sich darauf, zu lächeln und aufreizend langsam wieder auf ihn zu zu gehen.

Je näher sie ihm kam, desto mehr schlotterten seine knochigen Knie. Es war bis jetzt so gut gelaufen, dass sie sich nicht erklären konnte, warum sie sich vor der Konfrontation so einen Kopf gemacht hatte. Jetzt war es endlich so weit, und ihr Kopf wurde leicht.

Während sie noch darüber nachdachte, ob sie ihm gnädigerweise einen schnellen Tod schenken, oder ob sie ihn wie geplant leiden lassen sollte, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, dass ihre Unachtsamkeit sich auf dem Fuße rächen würde.

Sie war etwas mehr als eine Armlänge von ihm entfernt, als der Delinquent ganz plötzlich und unvorhergesehen zur Seite schnellte, einen losen Backstein aus der Wand riss und diesen nach ihr warf. Yuki schaffte es, dem Wurfgeschoss noch auszuweichen, und stürzte sich mit einem wütenden Schrei auf den Mann. Ihr Blickfeld wurde weiß, doch sie behielt die Kontrolle, bezähmte die Wut.

Aber als sie ihn an der Schulter packte und zu sich herum riss, spürte sie einen scharfen, stechenden Schmerz, der ihre Kontrolle weg sprengte, und dann überschlugen sich die Ereignisse. Noch bevor Yuki an sich herunter blicken und feststellen konnte, was diesen Schmerz verursacht hatte, war sie in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verbannt worden und beobachtete das Geschehen aus der Perspektive einer stummen Zuschauerin, zur Untätigkeit verdammt.

Weißes Licht explodierte geradezu, Kleidung wurde zu Asche, Kobayashi schrie auf und hielt ihr das qualmende Überbleibsel eines hölzernen Gegenstands entgegen. Hatte er etwa damit versucht, sie zu erstechen?

Sie riskierte nun doch einen Blick nach unten: Knapp unterhalb ihres linken Schlüsselbeins ragte noch der Rest dessen hervor, womit Kobayashi zugestochen hatte. Ihr Körper glühte und leuchtete, genauso wie das letzte Mal. Nur mit dem Unterschied, dass er sich jetzt zusätzlich selbst heilte.

Das herausragende Holzstückchen würde in wenigen Sekunden ganz in Rauch und Asche aufgehen. Der Teil, der noch in ihrem Körper steckte, war bestimmt schon verglüht und der Wundkanal begann bereits, sich auf wundersame Weise zu schließen. Die Eintrittswunde war angefüllt mit pulsierender Energie, der Schmerz nur noch eine schwache Reminiszenz.

Und bevor sie es sich versah, ging ihr früherer Foltermeister in Flammen auf, nicht ohne zuvor zu weinen und zu betteln. Sie wünschte nur, sie könnte ihre Rache endlich genießen, doch es ging viel zu schnell.

Als der Mann nur noch ein Haufen aus Knochen und Asche war, versuchte Yuki wieder das Steuer zu übernehmen, doch wie sie befürchtet hatte, wollte der Mahlstrom ihrer Kraft sie nicht so leicht freigeben. Panik stieg auf, sie wollte sich nicht wieder selbst verzehren, nie wieder diese allumfassende Kälte spüren, die sie am Ende umbringen würde.

„Fokus!", hörte sie Banner sagen, als stünde er neben ihr, wie während der ersten Versuche, ihre Gabe zu kontrollieren. „Fokus ist das Schlüsselwort. Konzentriere dich auf etwas, das dir wichtig ist. Oder auf eine starke und gute Emotion."

Sie musste ihrem anderen Ich signalisieren, dass wieder alles in Ordnung war und keine Gefahr mehr drohte.

Yuki zog sich noch weiter in sich selbst zurück, ignorierte die Flammen um sie herum. Das Bild, das sie heraufbeschwor, war, wenig überraschend, das von Steve. Wie er sie an einem lange vergangenen Sommernachmittag in der Provence festgehalten hatte, die Haare von der kräftigen Sonne zu einem goldenen Leuchtfeuer angefacht. Da hatte sie sich das erste Mal nach ihrer Flucht aus Deutschland sicher und geborgen gefühlt, und wie schon damals wurde sie von dieser Empfindung eingehüllt wie in einen schützenden Kokon.

Sie war verwirrt.

Obwohl sie ihre Beziehung zum ihm aufgeben wollte, hatte sie ihn als Anker ausgewählt, der sie festhalten und verhindern sollte, dass sie sich selbst an Hydras Fluch verlor. Und sie war überrascht, wie gut es funktioniert hatte, denn plötzlich war sie wieder sie selbst.

Aber sie war wieder einmal nackt und ihre Armbanduhr nur noch ein geschmolzener, nutzloser Klumpen Metall. Beides hinderlich für den erfolgreichen Abschluss der Mission. Was die Klamotten anging, hatte sie immerhin vorgesorgt: Im Gebüsch, das ihr als Versteck gedient hatte, war einen Rucksack mit Wechselkleidung deponiert, fast als hätte sie geahnt, dass sie etwas zum Anziehen brauchen würde. Doch ohne Uhr konnte sie nicht sagen, wie viel Zeit ihr noch blieb, bis sie, vollständig umgezogen, hier abhauen musste.

Am besten sofort, damit sie Natasha nicht verpasste. Es war wichtig, dass die Black Widow sich vor den Augen sämtlicher Überwachungskameras an ihre, Yukis Fersen heften konnte. Natasha hatte sie zwar nicht eingeweiht, warum es so wichtig war, doch sie vertraute ihr.

Es war höchste Zeit, zu gehen. Sie seufzte und verließ die Zelle. Heute tat sie das nicht als Opfer, nicht als gebrochene Person, sondern als Siegerin, die endlich frei war von den Geistern, die sie peinigten. Und sie hoffte, dass die Freiheit von Dauer sein würde.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro