Schule ist für'n Arsch

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,,Tim Wolbers!'' Erschrocken zuckte ich zusammen und sprang auf dem Stuhl etwas hoch, als meine spießige und sehr strenge Deutschlehrerin Frau Zimmermann mit ihrem Zeigestock auf meinen Tisch schlug.
,,Boah, was denn?!'', erwiderte ich nur genervt, rieb mir müde über die Augen und wollte nur noch zurück ins Bett.
Ich hatte die ganze Nacht so beschissen geschlafen. Andauernd bin ich mitten im Schlaf hochgeschreckt, hatte an die Decke gestarrt und leise geweint. Ich wollte einfach nur zurück ins Bett und mir Decke über den Kopf ziehen, um alles Versäumte nachzuholen.

,,Kannst du die zwei Merkmale eines Märchens wiederholen, die Katharina gerade genannt hat? Du hast schließlich so schön zugehört.'', forderte sie mich in einem ironisch und spöttischen Unterton auf und stützte sich auf dem Tisch ab, um mir direkt in die Augen zu gucken. Dumme Fotze!
,,Äh...keine Ahnung. Bei Märchen gibt es immer einen Guten und Bösen und... Boah, was weiß ich denn? Der Held wird oft als schwache Person dargestellt.'', antwortete ich gereizt und zuckte mit den Schultern.
,,Das waren zwar nicht Katharinas Worte, aber trotzdem richtig.'' Mit einem Hauch von sehr großer Verwunderung sah mich meine Lehrerin an und dachte wahrscheinlich, dass ich irgendeinen Knopf im Ohr haben musste, wo mir alles Richtige vorgesagt wurde.

Frau Zimmermann musterte mich noch einmal, während sie einige Schritte nach vorne trat und als Nächstest davon erzählte, dass wir in der nächsten Woche eine Klassenarbeit über das Thema Textformen schreiben würden.
Sie ging an die Tafel, kritzelte alles Nötige dafür an und bat uns darum, bitte mitzuschreiben. Ich holte zwar meinen Block aus dem Rucksack, aber hatte bereits nachdem Datum und der Überschrift keinen Bock mehr, und ließ den Stift einfach liegen.
Ich zog mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf und kippelte mit dem Stuhl leicht nach hinten, sodass ich mich an der Heizung abstützen konnte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte genervt auf die Uhr.

Gerade einmal zwanzig Minuten waren vergangen und schon wollte ich wieder nach Hause. Ich hielt es kaum noch aus. Es fuckte mich nur noch ab, hier auf diesem ungemütlichen Stuhl zu sitzen und bei etwas zu hören zu müssen, was mich sowieso nicht interessierte.
Völlig genervt sah ich mich im Klassenzimmer um und mein Blick blieb bei Sandy, der Streberin unserer Klasse, hängen. Ich musste lächeln, als sie sah, denn irgendwie erinnerte sie mich an meinen Lukas, der sich seit heute Morgen nicht mehr gemeldet hatte.
Es machte mich verrückt, nichts von ihm zu hören. Aber wahrscheinlich lag es daran, dass er bis jetzt nicht auf sein Handy geguckt hatte. Lukas hatte sicherlich einiges in der Schule zutun und machte, im Gegensatz zu mir, sogar mit.

Ich musterte Sandy, dessen Blick immer wieder zwischen ihrem Block un der Tafel hin- und herglitt.  Genau so stellte ich mir auch Lukas in der Schule vor. Wie er da morgens völlig vorbereitet ins Klassenzimmer trat und seine Schulsachen auspackte.
Im Gegensatz zu mir hatte er wahrscheinlich alles dabei, was man für die Schule so brauchte. Eine vollständige Federtasche, wo er die Stifte gestern Abend alle nochmal extra angespitzt, jeden Filzstift ausgetestet und den Füller mit neuen Patronen ausgestattet hatte.
So viele Blöcke, dass er damit die ganze Klasse versorgen könnte, ein Hefter für jedes einzelne Fache, wo er die Arbeitsblätter direkt gelocht einheftete und alle Bücher, die es für die Schule gab, hatte er selbstverständlich auch dabei.

Ich musste lachen bei diesem Gedanken, aber konnte mir den kleinen Streber genau so vorstellen. Ein top vorbereiteter Schüler, der jede Frage beantworten konnte, immer mit schrieb, seine Hausaufgaben pünktlich machte und sogar in der Pause extra für die nächste Stunde lernte.
Zu gerne wollte ich mal für einen Tag bei Lukas im Unterricht sitzen und ihn beobachten, um zu sehen, ob sich meine Vermutungen bestätigen würden. Aber wahrscheinlich würde ich niemals in den Genuss kommen, weil es ihm viel zu peinlich wäre und er niemals zu geben würde, dass es tatsächlich so ist.
Aber mir gefiel es, dass Lukas so ist. Es ist schön zu sehen, dass wenigstens einer so viel Spaß an der Schule hatte und sich so ins Zeug legte, um einen guten Schulabschluss zu bekommen.

Ich seufzte leise, kippte mit dem Stuhl leicht nach vorne und legte meinen Kopf auf dem Tisch ab. Vierundzwanzig Minuten. Ich werde wohl nie verstehen, wie in den Ferien die Zeit so rasen konnte und in der Schule einfach nichts vergehen wollte. 
Ich schloss die Augen und bereute es, nicht einfach an der Schule vorbeigegangen zu sein, als Mama mich mit dem Auto abgesetzt hatte. Sie würde in einigen Stunden eh bei der Arbeit sein und Frank hätte mich Zuhause sowieso nicht bemerkt.
Aber das schlechte Gewissen in mir hatte mich bei diesem Gedanken direkt ermahnt, denn schließlich bin ich derjenige gewesen, der gesagt hatte, dass er sich nach den Osterferien unbedingt anstrengen musste.

Ich wollte diesen Vorsatz nicht direkt am ersten Tag brechen und irgendjemanden enttäuschen. Ich könnte lügen, aber da ich in circa einer Woche das wichtige Gespräch mit meinem Klassenlehrer hatte, würde es so oder so herauskommen.
Sofort zog sich alles unangenehm in mir zusammen, als ich über dieses Gespräch nachdachte. Als ich gerade den Eingang zur Schule passiert hatte, hatte mich mein Klassenlehrer abgefangen und gefragt, ob meine Mama den Zettel schon unterschrieben und ausgefüllt hätte.
Mit zittrigen Fingern hatte ich diesen aus den Rucksack geholt und ihm in die Hand gedrückt. Mein Lehrer hatte dem Termin sofort zugestimmt, mich angelächelt und mir versichert, dass Alles gut werden würde und ich keine Angst haben brauchte.

Könnte ich ihm diese Worte nur glauben. Mittlerweile wusste ich ja, was mich erwarten würde, aber immer wieder aufs Neue hatte ich Angst. Angst, was mir bei dieser Konversation vor Augen geführt werden und vor dem, was als Nächstest folgen würde.
Es grauste mich jetzt schon daran denken zu müssen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1000 Prozent konnte ich sagen, dass mich dieses Gespräch psychisch komplett zerstören und danach in den nächsten Wochen gar nichts mehr gehen würde.
Ich würde innerlich zusammenbrechen, eine Träne nach der Anderen vergießen und so wütend auf mich selbst sein, sodass ich mich noch viel mehr hassen und mich selbst im Spiegel dafür anschreien würde, es nicht geschafft zu haben, den Arsch endlich hochzukriegen.

Ich würde mit Sachen um mich werfen, meine Mama anschreien und die Tage im Bett verbringen. Ab und zu würde Mama mal ins Zimmer kommen, um nach mir zu sehen, mir beruhigend über den Rücken zu streicheln und mir etwas Essen hinzustellen.
Ein, zwei Happen würde ich davon nehmen, bis ich den Teller zur Seite schieben und mit wackligen Beinen im Bad verschwinden würde, um mir dort den Finger in den Hals zu stecken und vollkommen fertig über der Kloschüssel zu hängen.
Irgendwann, so in einigen Wochen, wo es schon längst zu spät es, würde ich mich wieder aufraffen können, um einen Schritt in die Schule zu gehen. Dort würde mir aber direkt die nächste Niederlage begegnen, denn mir würde gesagt werden, dass ich es nicht geschafft hatte.

In diesem Moment würde ich merken, dass ich diese Auszeit gar nicht verdient hatte, denn ich hätte all die Zeit so viel sinnvoller nutzen können. Ich hätte endlich regelmäßig in die Schule gehen, mitmachen und meine Noten verbessern können.
Ich verstand auch nicht, was daran eigentlich so schwer sein sollte und wann der Zeitpunkt kam, an dem es endlich Klick bei mir machen würde. Nach all den Jahren sollte ich mal verstehen, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.
Ausgerechnet jetzt sollte ich die letzten Monate nutzen, um wenigstens nochmal irgendetwas reißen und einen Schulabschluss in den Händen halten zu können. Ich würde erst glücklich werden, wenn ich endlich mal damit aufhören würde, mir ständig meine Zukunft zu verbauen.

Ich seufzte leise, öffnete die Augen wieder und sah nach vorne an die Tafel, wo Frau Zimmermann unzählige von Wörtern angeschrieben hatte, die ich nicht verstand und die in meinen Augen keinen Sinn ergaben.
Genau jetzt wäre der richtige Moment, um mein Leben in den Griff zu kriegen. Würde ich jetzt endlich mal diesen verdammten Stift in die Hand nehmen und das Tafelbild auf mein Blatt übertragen, hätte ich schon mal einen Schritt in Richtung gute Note getan.
Aber stattdessen saß ich hier, hatte den Kopf auf den Tisch und hörte bei nichts zu. Es wurde eine Klassenarbeit angekündigt und während die Anderen fleißig alles aufschrieben, hatte ich nichts Besseres zutun, außer dumm durch die Gegend zu starren.

Ich sah auf mein leeres Blatt Papier, fand aber einfach nicht die Motivation dazu, jetzt meinen Füller in die Hand zu nehmen und das Tafelbild zu übertragen. Ich würde mir die Notizen von jemanden aus meiner Klasse geben lassen und sie abfotografieren.
Eigentlich wäre es das Vernünftigste, es einfach abzuschreiben, denn ich kannte mich und wusste, dass ich mir diese Bilder niemals wieder angucken und sie in spätestens einer Woche wieder löschen würde. Aber das ist mir egal...
Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, drückte den Knopf an der Seite und stöhnte frustriert auf, weil die Zeit einfach nicht vergehen wollte. Die erste Stunde zog sich schon wie ein Kaugummi in die Länge, wie sollte der restliche Tag denn erst werden?!

[...]

,,Ein Federkraftmesser ist ein mechanisches Messgerät zur Kraftmessung. Es besteht hauptsächlich aus einer elastischen Schraubenfeder mit bekann... Ey, könnt' ihr euch bitte wieder setzen?'' Ich erhob mich von meinem Stuhl, griff nach meiner Federtasche und ließ diese im Rucksack verschwinden.
,,Hallo? Kann ich bitte noch diese eine Sache erklären? Das geht auch ganz schnell, dann dürft ihr auch in die Pause. Setzt euch gefälligst!'', die Referendarin, die uns seit einigen Monaten in Physik unterrichtete, wurde etwas lauter und knallte einmal das Klassenbuch auf das Lehrerpult, was uns alle nicht sonderlich beeindruckte. Sehen wir aus wie Kinder?
,,Hier verlässt keiner den Raum, bevor ich nicht den Satz zu Ende gesprochen habe! Ansonsten schreiben wir nächste Woche einen Test! Setzt euch jetzt!'' Erbost sah sie uns an, aber anstatt irgendeine Art von Vernunft zu zeigen, fingen wir alle nur einmal lauthals zu lachen an und bewegten uns Richtung Tür.

,,Schieben Sie sich Ihr dämliches Federkraftmesser in den Arsch, wir haben Pause! Gibt die Klingel schließlich nicht umsonst!'' Mit diesen Worten drückten wir die Türklinke herunter und verließen das Klassenzimmer.
Dass wir uns vor Referendaren noch viel mehr wie die größten Assis benahmen ist keine Seltenheit und auch unsere neue Lehrerin Frau Opperach hatte schon so einiges abbekommen, denn wir tanzten ihr regelrecht auf der Nase rum.
Wirklich niemand hörte ihr im Unterricht zu, weil wir alle viel zu beschäftigt damit waren, an unseren Handys zu hängen, uns zu unterhalten, Zettel zu schreiben oder etwas zu planen, womit wir den Unterricht anderweitig stören konnten.

Dass sie das förmlich zur Weißglut trieb, musste wohl nicht erwähnt werden. Da sie aber gerade erst am Anfang ihres Lehramtstudiums stand und vor uns noch keine weitere Schule besucht hatte, hatte sie nicht den Mut dazu, ordentlich auf die Kacke zu hauen, weshalb wir sie schikanieren konnten, wo es nur ging.
Selbst ein mehrstündiges Krisengespräch mit unserem Klassenlehrer und, dass wir bei ihr eine sechs nach der Anderen kassierten, weil wir überhaupt nichts vom Unterricht mitbekamen, änderte etwas an der Situation.
Referendare waren schon immer die leichteste Beute gewesen, die man uns vorwerfen konnte. Da diese meistens sehr unerfahren und schüchtern waren, konnten wir tun und lassen, was wir wollten und hatten ausnahmsweise mal Spaß in der Schule.

Ich konnte gar nicht mehr an meinen Fingern und Zehen abzählen, wie viele Referendare wir bereits so sehr terrorisiert hatten, sodass diese ihr Studium abgebrochen, die Schule gewechselt hatten oder vor uns in Tränen ausgebrochen sind.
Über Wochen hinweg hatten wir alles daran gesetzt, keinen Unterricht zu haben. Wir hatten die Stunden geschwänzt, die Lehrer in den Räumen eingeschlossen, im Unterricht mit Dingen nach ihnen geworfen oder ihre Arbeitsmaterialien verbrannt oder aus dem Fenster geschmissen.
Dass darunter unsere Noten litten und wir uns selbst damit in kein gutes Licht rückten, war uns schlichtweg egal. Wir wussten alle, dass wir uns die Zukunft sowieso schon verbaut hatten und es nur wenig Hoffnungsträger an dieser Schule gab.

Hoffnungsträger, zu denen ich definitiv nicht zählte. Ich zählte viel eher zu den Schülern, bei denen die Lehrer nur noch darauf warteten, dass ich endlich von der Schule flog oder von selbst auf die Idee kam, dass das Alles nichts bringen würde.
Sie versuchten zwar, es zu verstecken, aber ich wusste, wie sie alle über mich dachten und das jedes einzelne Mal im Lehrerzimmer über mich gelästert wurde. Ich konnte mir so gut vorstellen, wie sie da zusammen am Tisch saßen und sich lachend meine Noten und Fehlstunden ansahen.
Wahrscheinlich schlossen sie untereinander Wetten ab, an wie vielen Tagen ich diese Woche fehlen, schwänzen oder in welchem Unterrichtsfach ich als Nächstest eine sechs schreiben würde, um am Ende der Auswertung einen Gewinner zu küren.

Ich schüttelte mit dem Kopf, steckte mir die frisch gedrehte Kippe in den Mund und zündete sie mir an, während ich mich auf dem Pausenhof umsah und langsam Richtung Tor schlich, um das Gelände zu verlassen.
Ich ging zu den Hochhäusern, die hier ganz in der Nähe standen, um mich unter einer der Hausgänge zu stellen, um wenigstens für einige Minuten meine Ruhe und niemanden zu haben, der mir auf den Sack ging.
Ich brauchte das jetzt einfach. Ganze drei Stunden musste ich schon mit Menschen verbringen, auf die ich so gar keine Lust hatte und denen ich gerne aufs Maul hauen wollte, wenn sie noch ein einziges Wort an mich verloren.

Ich blies den Rauch aus meiner Lunge, lehnte mich lässig gegen die Hauswand und wünschte, dass er jetzt hier wäre. Lukas könnte meine Laune um das Tausendfache heben, mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern und mir so viel Motivation geben, um auch den restlichen Tag zu überstehen.
Aber das konnte ich vergessen, denn Lukas hatte mir immer noch nicht geschrieben und es kotzte mich an, nichts von ihm zu hören. Diese zwei Häkchen waren nach wie vor blau und dieses dämliche Online wandelte sich nicht in ein schreibt... um.
Ich checkte mein Handy, aber wollte es direkt auf die Straße vor mir schmeißen, als ich sah, dass ich keinerlei Benachrichtigung hatte. Hatte ich irgendwas falsch gemacht? Ging ich Lukas auf die Nerven? Wollte er nichts mehr von mir wissen? Warum schreibt dieser Arsch nicht?

Ich seufzte leise, musste aber direkt lächeln, als ich sein neues Profilbild sah. Es zeigte unsere Hände, die fest ineinander verschlungen in seinem Bett lagen. Dem Ort, an dem ich jetzt so viel lieber wäre.
Ich scrollte weiter runter und mein Herz schlug direkt einige Takte schneller, als ich seinen aktualisierten Status las. Er lautete T ♥ und allein' dieser eine Buchstabe plus das Zeichen dahinter, machten mich zum glücklichsten Menschen der Welt.
Heute Morgen vor der Schule hatten Lukas und ich noch miteinander geschrieben. Er hatte mich gefragt, wie es mir ging und hatte mir erzählt, wie schrecklich seine Nacht gewesen. Lukas hatte kaum schlafen und hatte sich tief in die Decke gekuschelt, um sich vorzustellen, dass ich jetzt bei ihm wäre.

Es hatte mir das Herz gebrochen, diese Sachen lesen zu müssen und am liebsten hätte ich mir das Auto von Mama geschnappt, und wäre direkt zu ihm ins Dorf gefahren, um ihn einmal fest in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass er nicht traurig sein musste, da ich jetzt bei ihm wäre.
Lukas hatte mich auch gefragt, was bei mir los wäre und ich hatte ihm gebeichtet, dass es mir wegen der Schule nicht sonderlich gut gehen würde. Eigentlich hatte er mir versichert, dass ich mich jederzeit bei ihm melden konnte, falls irgendetwas sein sollte.
Aber seit geschlagenen vier Stunden meldete sich dieser Kerl nicht mehr und es machte mich rasend, nicht zu wissen, was genau da eigentlich los ist und ob ich nicht doch irgendwas falsch gemacht hatte.

Dieses wenn und warum machte mich wahnsinnig! Ich wollte wissen, was Lukas scheiß Problem ist, denn so lange hatte er mich bisher noch nie sitzen lassen. Er antwortete mir meistens sofort und wenn nicht, dann dauerte es gerademal eine halbe Stunde.
Ich drückte meine Zigarette auf dem Boden aus und drehte mir direkt die Nächste, weil mich das Alles so nervös und verrückt machte. Ich ließ mich auf der Treppe nieder, blies den Rauch aus und eine Träne rollte mir über die Wange.
Dieser ganze Tag machte mich fertig, dabei bin ich gerade mal seit vier Stunden wach und hatte kaum etwas anderes gemacht, außer auf meinem Stuhl zu sitzen und dumm in der Gegend umherzustarren.

Vor zwei Wochen ging es mir noch so gut, ich hatte gelacht, ein Dauerlächeln im Gesicht getragen und den Spaß meines Lebens gehabt. Aber jetzt war überhaupt nichts mehr von dieser guten Stimmung übrig.
Es ist, als hätte sich das Klima in meinem Kopf verändert. Mit Lukas zusammen gab es nur Sonnenschein, ab und zu mal kleine Regenfälle, aber hauptsächlich fühlte es sich mit ihm zusammen kuschelig warm an.
Aber kaum hatte mich Lukas verlassen, zog eine Gewitterwolke über mich her. Es krachte einmal laut, Blitze schlugen in regelmäßigen Abständen ein, ein starker Wind zog auf und es schüttete wie aus Eimern.

Das ist alles einfach nur scheiße! Lukas gab keinen Ton von sich, die Schule lief mehr als beschissen und der Albtraum, der mich die ganze Nacht über wachgehalten hatte, beschäftigte mich s so sehr, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Am liebsten wollte ich jetzt nach Hause gehen, aber das konnte ich niemanden antun, weder mir selbst, noch meiner Mama oder Lukas. Ich wollte keinen von beiden enttäuschen und bereits am ersten Tag meine guten Vorsätze zunichte machen.
Ich musste langsam den Arsch hochkriegen und in der Schule mitmachen. Wenn ich es jetzt nicht machte, würde ich es in den nächsten Monaten genau so wenig tun und das würde sich in meinen Noten wiederspiegeln.

Aber wie sollte ich das schaffen? All die Motivation, von der ich die Osterferien über gesprochen hatte, ist nicht zu sehen. In keiner einzigen Stunde, hatte mich bis jetzt ein Anschub von Energie getroffen, sondern viel eher der, der Müdig- und Gleichgültigkeit.
Ich hatte bis jetzt nichts weiter gemacht, außer mit dem Stuhl zu kippen, in der Gegend rum zu gucken, vom Fenster aus irgendwelche Leute zu beobachten oder irgendwas auf meinem Handy zu spielen.
Dabei hätte ich so gut mitmachen können. Ich hätte mir die Themen für die Deutsch-Klassenarbeit aufschreiben, in anderen Fächern die Aufgaben bearbeiten und die Tafelbilder mitschreiben können.

Aber was machte ich stattdessen? Lag mit dem Kopf auf dem Tisch, döste leicht vor mich hin und hörte nicht zu, weil ich es einfach nicht gebacken bekam, zu realisieren, dass es jetzt endlich Klick bei mir machen und ich dringend mitarbeiten musste.
In Geografie hatte ich auch nur irgendwelche Skizzen in meinen Block gemalt und viel lieber dem Gespräch von Lara und Annalena zugehört, die direkt hinter mir saßen und von irgendeiner Party erzählt hatten, auf der sie am Wochenende waren.
Mit Physik brauchte ich gar nicht erst anfangen, denn da hatte ich nur mit Papierkugeln umhergeschmissen, Frau Opperach gesagt, dass sie mich gefälligst nicht mit ihren Fragen nerven sollte und mich mit meinem Sitznachbarn unterhalten.

Ich schüttelte über mich selbst mit dem Kopf, steckte mir die nächste Kippe an und verlor der Reihe nach einige Tränen. Ich strich mir diese direkt aus dem Gesicht, schnaubte laut auf und schämte mich.
Vor einigen Wochen hatte ich einen Brief bekommen, in dem stand, dass meine Versetzung gefährdet ist und anstatt einmal das Richtige zu machen, versuchte ich rein gar nichts, um die Situation zu verändern.
Das Gespräch mit meinem Klassenlehrer würde genau so wenig bringen, denn es würde alles beim Alten bleiben, egal wie sehr man mir die Dinge vor Augen führte und mir zeigte, wo ich nach den Sommerferien enden würde.

Mit den Ärmel strich ich mir die Tränen aus dem Gesicht musste leicht lachen, denn es gab eigentlich keinen Grund zum Heulen. Schließlich hatte ich mir Scheiße selbst eingebrockt, denn hätte ich mich von Anfang an anstrengt, hätte ich meinen Abschluss schon seit zwei Jahren in der Tasche.
Eigentlich hatte ich genau das auch immer getan, denn bevor meine Eltern sich getrennt hatten, bin ich ein recht guter Schüler gewesen. Natürlich nicht der Allerbeste, aber auch nie der Schlechteste. Ich hatte immer mitgemacht, meine Hausaufgaben und Schulsachen dabei gehabt und, trotz kleiner Aussetzer, gute Noten geschrieben.
Doch als es in meiner Familie immer schwieriger wurde, meine Eltern sich öfters stritten und auch ich regelmäßiger schlimme Dinge von meinen Vater ins Gesicht gesagt bekam, nahm meine Motivation für die Schule immer mehr ab. Meine Noten wurden von Stück zu Stück immer schlechter, ich fing zu schwänzen an, fehlte und hatte kaum mehr als Block und Stift dabei.

Als meine Eltern sich dann endgültig voneinander getrennt hatten, ging es rasend schnell bergab. Ich ging immer unregelmäßiger zur Schule, hatte mehr Fehltage, als ich überhaupt da war, schrieb schlechte Noten, fiel negativ auf und Mama saß fast jeder Woche bei der Direktorin, um über mein Verhalten zu reden.
Die ersten Verweise und Verwarnungen trudelten in den Briefkasten und ab der siebten Klasse hatte ich immer wieder eine Ehrenrunde gedreht, bis ich vor circa zwei Jahren, auf Empfehlung meiner ehemaligen Lehrer hin, von der Real- auf die Hauptschule gewechselt bin.
Es ist wirklich witzig, dass die Lehrer ernsthaft Hoffnung darin hatten, dass ich es auf dieser Schule packen und schon bald einen Abschluss in den Händen halten würde. Dass ich wahrscheinlich nach den Sommerferien arbeitslos und Hartz IV beziehen würde, hatte sie alle doch schon längst erwartet.

Ich zündete mir die vierte Kippe an und eine Träne tropfte auf den Boden. Immer wieder fickte es mich, über meine Zukunft nachzudenken und zu wissen, dass ich absolut nichts in meinem späteren Leben reißen würde.
Alle hatten einen genauen Plan, nur ich nicht. In meiner Klasse gingen die meistens schon zu Vorstellungsgesprächen, während ich noch nicht einmal wusste, wie man überhaupt eine vernünftige Bewerbung schrieb.
Genau so wenig hatte ich Ahnung davon, was ich werden wollte. Mit meinen Noten würde mich sowieso niemand nehmen. Die Leute würden sich nur darüber lustig machen und sich fragen, wie dumm ein einziger Mensch sein konnte. Dann würde meine Mappe im Papierkorb landen, weil ich eine Rückmeldung einfach nicht wert bin.

Ich seufzte leise, atmete tief durch und checkte die Uhrzeit. Direkt schlug mir das Herz bis zum Hals, bei dem Gedanken daran, gleich wieder in diesen alten, ekligen und kalten Plattenbau zu müssen.
Meine Hände begangen zu zittern und hastig rauchte ich die Kippe zu Ende, die meine Lunge unangenehm brennen ließ. Ich erhob mich von der Treppe, drückte mit der Schuhsohle den noch übrig gebliebenen Zigarettenstummel aus und hörte vom Weitem die Klingel.
Ich musterte mich einmal in der Spiegelung der Haustür und strich mir die verlorenen Tränen aus dem Gesicht. Ich atmete erneut tief durch und versuchte mich irgendwie zu motivieren, auch die restlichen drei Stunden über mich ergehen zu lassen.

Zögerlich und mit Beinen aus Wackelpudding drehte ich mich um, um mit langsamen Schritten wieder zurück aufs Schulgelände zu schleichen. Normalerweise ist es mir völlig egal, wenn die Lehrer mich erwischten, aber nur einmal wollte ich Verantwortung für mein Handeln tragen.
Auf irgendwelchen Ärger hatte ich keinen Bock und so kurz vor dem wichtigen Gespräch wollte ich nicht noch mehr Beschwerden einsammeln und meine Mutter noch mehr Gründe dafür geben, um sich Sorgen um mich zu machen.
Wahrscheinlich ist sie schon den ganzen Tag über völlig nervös, weil sie wusste, ob ich wirklich zur Schule gegangen bin, sondern stattdessen woanders durch die Gegend zog.

Wenn sie könnte, wäre sie sicherlich mit mir zusammen ausgestiegen, hätte mich an die Hand genommen und hätte mich ins Klassenzimmer gebracht, wo sie mich an den Stuhl gekettet hätte, damit ich nicht entkommen konnte.
Ich verlor eine Träne aus dem Augenwinkel, denn es ist unglaublich wie wenig Vertrauen diese Frau in mir haben musste, weil man sich bei mir nicht sicher sein konnte. Selbst wenn ich ihr versicherte, dass ich in der Schule gewesen bin, glaubte sie mir nicht.
Über die Jahre hinweg hatte ich gelernt, sie, ohne mit der Wimper zu zucken, anzulügen und ihr irgendwelche Geschichten aufzutischen. Sie versuchte mir zu vertrauen, aber viel zu oft gab es Situationen bei denen sie herausgefunden hatte, dass ich nicht die Wahrheit gesprochen hatte.

Eigentlich müsste es so viel anders sein, aber das ist es nicht. Selbst für Alex und Marcel, die Menschen, die mich am Besten und Längsten kannten, bin ich in vielerlei Hinsicht ein Buch mit sieben Siegeln.
Sie glaubten, alle Seiten an mir zu kennen, aber immer wieder aufs Neue konnte ich sie mit irgendwelchen Dingen überraschen und sie mussten überlegen, wie man in solchen Moment auf mich zu reagieren hatte.
Es machte mich fertig, dass Menschen so über mich dachten und dass ich diese so behandeln konnten, dass sie sich nie sicher über mich waren und ständig Angst davor haben mussten, was als Nächstest passieren würde.

Ich bin eine tickende Zeitbombe. In der einen Sekunde konnte ich noch total verständnisvoll und ruhig sein und in der Nächste rastete ich komplett wegen Dingen aus, die mir nicht in den Kram passten und warf mit Dingen um mich.
In meiner Therapie hatte meine Therapeutin versucht, mir beizubringen, diese Gefühle und Stimmungsschwankungen zu kontrollieren. Dass ich lernte, zu verstehen, woher diese kamen, was in diesem Moment in mir vorging und wie ich darauf zu reagieren hatte.
Auch hier fiel es mir oft schwer, diese Mauer nicht bröckeln zu lassen. Doch selbst in der Therapie konnte ich vielem nicht standhalten und in der einen Sitzung flogen Zettel und Stift durch die Gegend und in der Anderen saß ich nur stumm da, hörte zu, sagte etwas und weinte.

Ich seufzte leise und schüttelte erneut mit dem Kopf. Ein ekeliges Kribbeln durch zog meinen Körper und am liebsten wollte ich wegrennen. Wegrennen, vor all den Menschen, die ich jeden Tag aufs Neuste enttäuschte, vor der Zukunft und all den ungelösten Problemen.
Ich fragte mich oft, wie es Alex, Marcel und meine Familie nach all den Jahren immer noch bei sein und zu mir halten konnten. Ich hielt es kaum selbst mit mir raus und hasste mich; Warum sollten sie das dann ertragen?
Ich bin wirklich nicht der Art von Freund, Sohn oder Bruder, den man sich wünscht. Ich würde es sogar verstehen, wenn Alex und Marcel plötzlich den Kontakt zu mir abbrechen würden, denn ich bin eine schreckliche Persönlichkeit und hatte es nicht verdient, hier zu sein.

Diese Erkenntnis hatte Lukas heute Morgen sicherlich gewonnen und deswegen schrieb er mir nicht mehr. Er hatte einfach gemerkt, dass es ohne mich so viel besser ist und das man so jemanden wie mich nicht in seinem Leben haben wollte.
Ich brachte nur Chaos und Drama mit mir. Ich machte Probleme, wo keine waren, hatte die übelsten Stimmungsschwankungen, würde mich selbst niemals lieben und wenn mir etwas nicht passte, ging ich komplett an die Decke.
Lukas ist sowas doch nicht gewohnt und es schockte ihn, so einen Menschen an sich herangelassen zu haben. Dass er nicht schon weggerannt ist, als ich ihm von der Trennung meiner Eltern erzählt hatte, wunderte mich, denn er musste mich für den totalen Psycho halten.

Lukas ist einfach der totale Gegensatz zu mir, in jeder Hinsicht. Er ist so gut behütet aufgewachsen, hatte Eltern, die perfekt miteinander harmonierten, sich nie stritten und ihren Sohn so nahmen, wie er ist.
Lukas ist das totale Wunschkind gewesen, auf das seine Eltern bis heute unendlich stolz sind und es auch immer sein werden. Er schrieb gute Noten in der Schule, engagierte sich privat für seine Hobbys und machte nie Ärger.
Er hatte einen Charakter aus Gold, ist so lieb und respektvoll anderen Mensche n gegenüber, würde niemals eine Straftat begehen, hatte Humor, Intelligenz und ist in allem einfach der beste Mensch der Welt.

Und was ich hatte zu bieten? Ich, ich bin das totale Gegenteil von Lukas. Meine Familie ist komplett zerbrochen, mein Vater will nichts mehr von mir wissen, ich bin völlig ungewollt gewesen und von guten Noten konnte ich nur träumen.
Meinen Charakter konnte man in die Tonne kloppen, so etwas wie Respekt und Anstand existierte in meinem Wortschatz nicht, von den Einträgen im polizeilichen Führungszeugnis wollte ich nicht anfangen und weder Intelligenz noch Humor besaß ich.
Das Einzige, was ich konnte, war mir das Hirn wegzukiffen, mich auf meinen psychischen Krankheiten auszuruhen, dass gestörte Verhältnis zu meinem Vater und meinen mehr als ekelhaften Unterton gegenüber anderen Mitmenschen.

Immer wieder fragte ich mich, was Lukas an so jemanden wie mir eigentlich fand und was genau ihn  an mir reizte. Warum so ein toller Junge ernsthaft mit so einem kaputten Kerl wie mir zusammen ist, verstand ich nicht.
Wenn Lukas wirklich wollen würde, könnte er schon längst einen Typen an seiner Seite haben, der so viel perfekter und einfach als ich ist. Jemandem, bei dem es nicht so viel Drama gab und um den man sich keine Sorgen machen musste.
Ein Kerl, der nicht direkt eine halbe Panikattacke bekam, nur weil man für mehrere Stunden nicht schrieb und bei dem man keine Angst davor haben brauchte, dass er sich jeden Moment etwas antun könnte. Ich hatte Lukas nicht verdient.

,,Das ist doch alles scheiße!'', meckerte ich, als gerade den Eingang der Schule passierte und mit Tränen in den Augen, den Schulhof, um daraufhin zur Eingangstür zu gehen.
Nur noch drei Stunden müsste ich überstehen und dann könnte ich mich Zuhause im Bett verkriechen. Der einzige Ort, an dem ich mir die Decke über den Kopf ziehen und meinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte.
In drei Stunden würde sich Lukas immer noch nicht gemeldet und ich die Bestätigung dafür haben, dass er nichts mehr mit mir zutun haben wollte, mich in den Osterferien nur geduldet und jetzt nur noch auf den Moment wartete, um mit mir Schluss zu machen. In drei Stunden.


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