Wir müssen reden

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,,Okay Timi, du schaffst das. Das sind drei ganz simple Worte, mehr nicht...'', atmete ich einmal tief durch, fuhr mir durch die Haare und las mir noch den Stichpunktzettel durch, den ich gestern Abend mit Lukas zusammen ausgearbeitet hatte.
Als er mich irgendwann am späten Abend angerufen hatte, um mir zu versichern, dass er und seine Familie heile in Hamburg angekommen waren, hatten wir noch einmal über mein Outing gesprochen und sind mögliche Szenarien durchgegangen.
Während wir miteinander telefoniert hatten, hatte ich mir immer wieder kleine Sätze aufgeschrieben, die ich zu meiner Mama sagen könnte. Richtig schön durchstrukturiert mit Anfang, Hauptteil und abschließendem Ende.

Ich musste lachen, als ich diesen Zettel sah, denn so viel Mühe hatte ich mir noch nicht einmal für irgendwelche Hausaufgaben oder Vorträge gegeben. Dass ich für diesen kleinen Stichpunktzettel sogar meine guten Filzstifte benutzt hatte, um alles Wichtige zu unterstreichen, beeindruckte mich.
Aber dieser Zettel nahm mir eine enorme Last von den Schultern. Da Lukas sich gute 248 Kilometer von mir entfernt befand und ich ihn nicht andauernd erreichen konnte, musste ich versuchen, mich anders zu beruhigen.
Mein Freund hatte mir zwar versichert, dass ich mich ruhig jederzeit melden könnte und er schon eine Möglichkeit finden würde, um mit mir zu reden, aber Lukas sollte die Zeit mit seiner Familie genießen und sich nicht ständig Gedanken um mich machen.

Außerdem ist das Outing meine Sache. Es ist lieb von Lukas, dass er mir so half und versuchte, mich zu unterstützen, wo es nur ging. Aber er ist nicht mein Vormund und ist nicht dafür verantwortlich, für mich zu sprechen, oder mir die Worte in den Mund zu legen.
Natürlich ist es nicht fair, dass Homosexuelle sich im 21. Jahrhundert immer noch für ihre Sexualität rechtfertigen mussten, aber von der Akzeptanz und Gleichstellung mit Heterosexuellen sind wir noch Lichtjahre entfernt.
Es ging niemanden etwas an, mit wem ich ins Bett stieg und eigentlich sollte es überhaupt keinen Unterschied machen, aber da die Gesellschaft es immer noch nicht in den Kopf bekam, zu verstehen, dass Homosexualität etwas Normales ist, musste ich diesen Schritt wagen.

Aber schon seit heute Morgen versuchte ich mich gekonnt vor diesen Moment zu drücken und ging meiner Mama, so gut wie möglich, einfach aus dem Weg. Beim Frühstück hatte ich nur darauf gewartet, dass sie nach draußen eine rauchen ging, damit ich mich in die Küche schleichen und ein Brötchen schmieren konnte.
Selbst wenn ich kurz ins Bad flitzen wollte, checkte ich, ob sie sich nicht auf dem Flur, im Zimmer von einer meiner Geschwister oder im Schlafzimmer befand. Ich versuchte wirklich alles, um ihr aus dem Weg zu gehen und ihr nicht sagen zu müssen, dass da zwischen Lukas und mir so viel mehr als Freundschaft ist.
Dabei wollte ich es unbedingt ausgesprochen haben. Ich wollte ihr sagen, was eigentlich Sache ist und ihr nicht ständig ins Gesicht lügen müssen. Über die Jahre hatten wir so ein tolles und ehrliches Verhältnis zueinander aufgebaut, das ich nicht wegen meiner Homosexualität zerstören wollte.

Normalerweise konnte ich mit Mama über alles reden. Wir hatten nicht dieses typische Mutter-Sohn-Verhältnis, sondern es fühlte sich für mich viel eher so an, als würde ich mit meiner guten Freundin sprechen.
Natürlich erzählte ich meiner Mama nicht unbedingt alles und es gab auch seine Grenzen. Zum Beispiel packte ich vor ihr nicht sämtliche Sexgeschichten aus, wie ich es bei Alex und Marcel gerne mal bis ins kleinste Detail tat.
Aber außerhalb von all dem, konnten wir wirklich über alles sprechen. Wenn ich ein Problem hatte oder einen Ratschlag brauchte, konnte ich jederzeit zu ihr kommen und sie würde sich die Zeit nehmen, um ausgiebig mit mir darüber zu quatschen.

Es fuckte mich ab, dass ich nicht die Treppen heruntergehen und ihr sagen konnte, dass ich dringend mit ihr reden müsste. Eigentlich sind es drei ganz simple Worte, aber sie konnten so viel bedeuten und kaputtmachen. 
Es ist wie ein 'Ich liebe dich'. Drei so schöne, aber gleichzeitig auch sehr mächtige Worte, die alles in deinem Leben besser machen, oder zerstören konnten. Sobald man diese Worte ausgesprochen hatte, wusste man nie, was als Nächstes passieren würde.
Ähnlich erging es mir gerade mit diesem Satz. Ich wollte meiner Mama diese Worte unbedingt sagen, aber ich konnte es nicht. Immer wieder plagte mich die Angst und die Frage, was sie darauf erwidern könnte.

Viele Optionen gab es da ja eigentlich nicht. Entweder sie akzeptierte es, nahm mich in den Arm und es würde alles wie vorher sein, oder sie hasste mich, fragte mich, wie krank man eigentlich sein konnte und ich würde mit gepackten Koffern auf der Straße stehen.
Über Variante zwei wollte ich eigentlich nicht nachdenken, aber man durfte es nicht ausschließen. Es gab zu viele Eltern da draußen, die ihr Kinder über Jahre großzogen, es liebten und sobald dieses sagen würde, dass es auch Männer stand, würde all das vergessen sein.
Keine Ahnung, was in den Köpfen dieser Menschen vorging, um seinem eigenen Kind so etwas anzutun, aber für viele da draußen ist selbst ein Mord halb so schlimm, als dass das der Sohn einen anderen Mann oder die Tochter eine andere Frau liebt.

Seufzend stützte ich meine Hände auf dem Kopf ab und starrte auf meinen Zettel. Anfang: - sagen, dass es etwas Wichtiges zu besprechen gibt -> gegebenenfalls hinsetzen, einen ruhigen Ort suchen, wo einen niemand stören kann
- erklären, dass man ruhig bleiben, zu hören oder erst etwas erwidern soll, wenn man zu Ende gesprochen hat
- entspannt beim Outing bleiben, Pausen sind OK und nicht zu schnell sprechen, damit man mir noch folgen kann
- deine Gefühle erklären, damit man sie besser nachvollziehen kann

Immer wieder las ich mir die Punkte durch und wollte einfach nicht mehr. Ich wollte es nur noch hinter mich bringen, damit mir diese riesige Last endlich von den Schultern fallen und alles beim Alten sein würde.
Ich konnte und wollte meine Homosexualität nicht länger geheimhalten. Die letzten Tage hatten mir gezeigt, dass es endlich raus musste und ich erst glücklich werden würde, wenn ich es ausgesprochen hatte.
Ich konnte es nicht länger vor mich herschieben, denn wenn ich es heute nicht machen würde, würde ich es auch nicht in den nächsten Monaten oder Jahren tun. Lukas hatte mir so viel Input gegeben und Mut gemacht, dass ich es unbedingt heute machen wollte.

Aber meine Angst hielt mich einfach viel zu sehr davon ab. Diese dämliche Angst, die sich einfach nicht in den Hintergrund rücken und verstehen wollte, dass sie mich keinen Schritt nach vorne bringen würde.
Aber sie würde erst wieder verschwinden, wenn ich mich ihr stellen würde. Es ist wie mit Gedichten, die man vor der Klasse halten musste und vor denen man totale Panik hatte. Man hatte Angst sich zu versprechen, einen Blackout zu kriegen oder das Falsche gelernt zu haben.
Aber selbst dort musste man sich seiner Angst stellen und sich selbst in den Hintern treten. Man konnte sich nicht verstecken, denn irgendwann würde sich kein Freiwilliger mehr melden und ausgerechnet du würdest derjenige sein, den der Lehrer als Nächstest nach vorne bitten würde.

Im Nachhinein empfindet man solche Sachen aber als halb so schlimm und ist froh darüber, sich seiner Angst gestellt zu haben. Nachdem man etwas vorgetragen hatte und zurück auf seinen Platz ging, fühlte man sich auf einmal völlig tiefenentspannt, während die Übrigen zitterten.
Das Leben bestand ständig darin, sich seiner Angst zu stellen. Wir Menschen hatte ständig Angst vor irgendwas. Sei es vor der Zukunft, einem wichtigen Meeting, einem Test in der Schule oder, was morgen zum Mittag auf dem Tisch stand.
Aber immer wieder aufs Neuste mussten wir dieser Angst ins Gesicht blicken und ihr zeigen, dass sie einen nicht unterkriegen konnte. Man musste diesen Schritt wagen und sich etwas Neues trauen, auch wenn es einem im ersten Moment Sorgen bereitete.

Es gab so viele wunderschöne Dinge da draußen, die man nicht erlebt hätte, wenn man die Angst gewonnen lassen hätte. Am Ende ist man immer froh darüber, es doch getan zu haben und machte meistens die besten Erfahrungen seines Lebens.
Selbstverständlich gab es auch Situationen, wo einem die Angst zeigte, dass man es lieber hätte lassen sollen, aber solche Momente waren eine Lektion fürs Leben und brachten uns ebenfalls weiter, auch wenn im ersten Augenblicklich nicht so scheint.
Wäre ich mein Leben lang vor meiner Angst weggerannt, wäre ich jetzt nicht dort, wo ich heute bin. Man musste sich selbst manchmal in den Arsch treten und sich sagen, dass die Angst einem nichts konnte, weil man viel stärker und mutiger ist.

Genau so müsste es jetzt auch bei mir sein. Ich musste mich dieser verdammten Angst stellen, denn nur, wenn ich diese Worte endlich aussprach, würde ich wissen, was Sache ist und was Mama wirklich über dieses Thema dachte.
Ich könnte mich noch den ganzen Tag im Zimmer verschanzen und mir Gedanken darüber machen, was passieren würde, wenn ich Mama sagte, dass ich schwul und mit Lukas zusammen bin.
Ich konnte mich weiterhin mit den Gedanken verrückt machen und mir einreden, dass sie mich hassen und herausschmeißen würde, sobald ich die Katze aus dem Sack ließ. Aber die Antwort würde ich erst kriegen, wenn ich es ihr auch gesagt hatte.

,,Ach, fuck it!'', sagte ich schlussendlich, sah nochmal auf den Zettel und erhob mich schlussendlich vom Schreibtischstuhl, weil ich es nicht noch länger hinauszögern und geheimhalten konnte.
Perfekter konnte der Zeitpunkt sowieso nicht sein. Meine Mama hatte jetzt ganze zwei Tage frei gehabt und ist dadurch völlig tiefenentspannt. Meine Geschwister hatten auch keinen weiteren Ärger gemacht und da sich gerade niemand außer uns beiden im Haus befand, konnte uns auch niemand stören.
Besser konnte man die Karten nicht in die Hand gelegt bekommen. Es würde sowieso nichts bringen, das noch viel mehr in die Länge zu ziehen, denn mehr Vorbereitung und sich bereit fühlen, gab es da nicht.

Ich fuhr mir einmal durch die Haare, musterte mich im Spiegel und nickte mir selbst einmal mutig zu. Mit Beinen aus Wackelpudding und einem Herzen, welches mir fast aus der Brust sprang, ging ich mit zitternden Fingern die knarzende Treppe herunter. 
Durch meine viel zu schwitzigen Hände, hatte ich Angst, am Geländer abzurutschen. Obwohl mir zugegebenermaßen gerade nichts lieber wäre, als einfach die Treppen herunterzustürzen und mir im besten Fall das Genick zu brechen.
Ich wollte mich diesem Gespräch stellen, gleichzeitig wollte ich es aber auch mit ins Grab nehmen. Aber ich hatte Lukas versprochen, dass ich mein Outing nicht noch länger vor mich herschieben, sondern es dieses Wochenende hinter mich bringen wollte.

Ich konnte dieser Konfrontation schließlich nicht ewig aus dem Weg gehen und irgendwann war es einfach an der Zeit, sich zu offenbaren und die Wahrheit zu sagen. Schließlich konnten wir nicht bis zu unserer Hochzeit auf mein Outing warten...
Was wäre das auch für eine absurde Vorstellung? Ich sagte all meinen Freunden und Verwandten, die dachten ich hätte Frau und Kind Zuhause sitzen, dass ich heiraten würde und sobald sich die Türen der Kirche öffneten, trat da plötzlich ein anderer Mann Richtung Altar.
Ich musste lachen, aber schob diesen Gedanken direkt beiseite, denn natürlich wollte ich nicht, dass an meiner Hochzeit alle tot umkippen würden, wenn sie dort das allererste Mal erfahren würden, dass mir all die Jahre mit einem Kerl das Bett geteilt hatte.

Es musste einfach raus. Nicht morgen, nicht in zwei Wochen, sondern jetzt. Länger würde ich es eh nicht aushalten und diese Heimlichtuerei machte auf Dauer nur noch viel mehr Probleme und Sorgen, die gar nicht nötig waren.
Ich wollte mich nicht noch mehr in die Scheiße reiten und vor allem wollte ich Mama nicht ständig anlügen. Es würde sowieso auffliegen und irgendwann verrannte ich mich so sehr in diesem Lügenkonstrukt, dass ich noch nicht selber wusste, was eigentlich die Wahrheit ist.
Ich wollte nur noch, dass Alles wie früher werden würde und Mama und ich uns nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit, die indirekt mit meiner und Lukas' Beziehung zutun hatte, in die Haare kriegen würden.

,,Oh Gott, das kann ja was werden. Was habe ich mir da eigentlich vorgenommen?'', seufzte ich leise, als ich die letzte Treppenstufe heruntergegangen war und vor der Tür unseres Esszimmer stand, an dem das Wohnzimmer angrenzte.
Ich atmete einmal tief durch, schloss die Augen und versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Es würde schon halb so wild werden und falls irgendwas sein sollte, konnte ich jederzeit Lukas anrufen, der mich wieder herunterbringen würde.
Ein Lächeln zog über meine Lippen, als Lukas mir beim Telefonieren versichert hatte, dass er mich, falls mich meine Mama nachdem Outing herausschmeißen sollte, sofort in den nächsten Zug springen und mit mir zusammen in mein neues Zuhause fahren würde.

Ich hätte gerne das Wochenende bei ihm verbracht, als mich dieser dämlichen Angst zu stellen. Ich hätte es ruhig noch viel länger hinauszögern können und müsste jetzt nicht so eine Panik schieben.
Nachdenklich starrte ich die Treppen nach oben und überlegte, nicht noch einen spontanen Rückzieher zu machen, denn jetzt hatte ich noch die Chance. Doch sofort entschied ich mich dagegen, denn ich hatte es Lukas versprochen.
Ich könnte lügen, aber spätestens beim Telefonieren oder dem nächsten Treffen würde dieser Kerl mir ansehen, dass ich nur irgendeine dumme Ausrede benutzt hatte, um mich davor zu drücken und dann würde es richtig auf den Deckel von ihm geben.

Ich seufzte leise, fuhr mir einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und ging Richtung Wohnzimmer, wo ich einmal meine sehr stark zitternde und durchgeschwitzte Hand, auf die Türklinke legte und nochmal die Augen schloss.
Ich atmete tief durch, ging in meinem Kopf nochmal alle Stichpunkte durch und ließ Lukas' aufmunternde Worte von gestern Abend Revue passieren und versuchte, mir diese zu verinnerlichen.
Ich hoffte, dass Alles gut gehen und ich nicht gleich mit dem Nudelholz durch den Vorgarten gejagt werden würde, nur weil meine Mama nicht akzeptieren wollte, dass ich mich in den wohl tollsten Jungen der Welt verliebt hatte.

,,Okay Timi, du machst das jetzt. Du schaffst das und es wird auch nicht so schlimm werden, wie du gerade denkst. Keine Ahnung wie, aber es wird.'', sprach ich mir selbst einmal Mut zu, bis ich die Türklinke herunterdrückte und wackligen Beinen ins Wohnzimmer trat.
Mit nervösen Augen blickte ich mich in diesem und entdeckte sofort meine Mama, die gerade dabei war, etwas Staub von der Kommode zu wischen und nebenbei einer ihrer unzähligen Serien laufen ließ.
Direkt schlich sich der Gedanken in meinen Kopf, lieber wieder umzudrehen, weil es schließlich ein unpassender Moment und sie viel zu beschäftigt sein könnte, als auch nur mehr als fünf Minuten mit mir zu reden.

Aber sofort ermahnte ich mich selbst, denn ich wusste, dass ich gerade nur nach irgendeiner Ausrede suchte, um wenigstens mit gutem Gewissen sagen zu können, dass es einfach nicht funktioniert hatte.
Aber wenn ich den Schritt ins Wohnzimmer geschafft hatte, konnte ich ihr auch sagen, was Sache. Ich hatte mich lange genug vor Mama versteckt und war endlich an der Zeit, ihr die Wahrheit zu sagen.
Sie hatte es nicht verdient, ständig von mir angelogen zu werden. Ich wollte mich nicht mir ihr streiten, sondern wieder offen und ehrlich mit ihr reden können, wie wir es vor der Zeit mit Lukas auch getan hatten.

,,Oh... Hey, mein Schatz. Entschuldigung, ich habe dich gar nicht bemerkt.'', begrüßte mich Mama direkt lächelnd, als sie sich umgedreht hatte. Ich erwiderte ihr Lächeln, fuhr mir durch die Haare und biss mir nachdenklich auf die Unterlippe. Fuck...
,,Ach, alles gut, so lange stehe ich noch nicht hier.'', winkte ich gelassen ab, lächelte und rieb mir völlig nervös die Hände, während ich mich davor bewahren musste, jetzt nicht einfach in Ohnmacht zu fallen. Obwohl mir gerade nichts lieber wäre...
Meine Mama lachte, sah mich mit strahlenden Augen an und griff nach einer der Lappen, um unseren Wohnzimmertisch sauberzumachen. Ich beobachtete sie dabei, spielte nervös an dem untersten Saum meines Shirts und sie richtete ihren Blick zu mir.

,,Sag' mal, Timi, warum ist das vorhin so laut bei euch gewesen? Wer hat da schon wieder Terror gemacht?'', fragte mich Mama aus dem Nichts und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen, während ich lachen musste.
Sofort erklärte ich ihr, dass nichts weiter Schlimmes vorgefallen ist, sondern mein kleiner Bruder und meine Schwester, beim Kaufmannsladen spielen etwas eskaliert waren und es dementsprechend in einem Chaos geendet ist.
Mein Bruder hatte den Kunden gespielt und hat dann einfach irgendwas geklaut. Meine Schwester hatte versucht ihn zu fangen, doch er hatte sich in seinem Zimmer eingesperrt und schlussendlich musste ich Polizist spielen, um den Streit zu schlichten.

,,Ihr seid mir vielleicht welche. Ich hatte schon Angst, dass wieder sonst was passiert ist und ich noch hochkommen müsste.'', atmete sie erleichtert aus, verdrehte grinsend die Augen und bekam sich kaum noch ein.
,,Ne ne, alles gut. Nur ein geklautes Waschmittel, Brot und Süßigkeiten. Aber Hauptkommissar Wolbers hat das Alles in den Griff bekommen.'', zwinkerte ich meiner Mama vielsagend zu und diese lachte nur noch viel lauter.
,,Na ein Glück haben wir dich. Wenigstens einer, der dieser Chaos-Truppe standhalten kann.'', erwiderte meine Mama lächelnd und streichelte mir einmal liebevoll über die Schulter. Noch bist du froh darüber, mich als deinen Sohn zu haben... 

,,Ähm...Mama...ähm...hast du...also...hast du mal Zeit...äh...zum Reden?'', brach ich fragend unser Schweigen mit unsicherer Stimmlage.
,,Natürlich, mein Schatz. Was gibt es denn?'', fragte sie lächelnd nach, tauchte den Lappen in den Eimer und drehte sich, ihrer Tonlage entsprechend, zu mir um.
,,Aber...ähm...k-können wir uns dafür vielleicht setzen? Ich denke, das wäre besser für dich...'' Mit schüchternen Augen sah ich zu meiner Mutter, biss mir unsicher auf die Unterlippe und sie zog die Augenbrauen nach oben.

,,Na klar können wir das machen. Ich wisch' das hier nur schnell ab und dann können wir. Setz' du dich ruhig schon mal hin.'', stimmte meine Mama leicht irritiert, aber lächelnd zu und deutete dabei auf das Fensterbrett.
,,Okay, dann bis gleich...'', nuschelte ich so leise, dass ich es selbst kaum verstanden hatte und verließ mit zügigen Schritten das Wohnzimmer, um Richtung Esstisch zu gehen, wo ich mich sofort auf einer der Stühle niederließ.
Ich seufzte leise, wischte meine schwitzigen Hände an der Jogginghose ab und umklammerte einmal fest meinen Stuhl. Mit zittrigen Fingern holte ich mein Handy aus der Hosentasche und entsperrte dieses.

Timi, 16:56 Uhr:,,Bin eben runter und habe meiner Mama gesagt, dass wir über was Wichtiges reden müssen. Sitze im Esszimmer und sie kommt gleich. Habe so Angst...😓''
Lukas, 16:58 Uhr:,,Das wird schon, Baby. ♥ Ich drücke dir auf jeden Fall ganz fest die Daumen und falls irgendwas ist, schreib' ruhig. Viel Glück! Du schaffst das! 💪 ♥''
Timi, 16:59 Uhr:,,Wird schon schief gehen. Mehr als rausschmeißen und hassen kann sie mich eh nicht. Steig' am Besten schon mal in den Zug, das wird nicht lange dauern. Warte dann am Bahnhof auf dich...''
Lukas, 17:01 Uhr:,,Timi, sie wird dich nicht hassen oder rausschmeißen! Deine Mama wird sich für dich freuen und dich ganz fest in den Arm nehmen. Sie wird es akzeptieren, glaub' mir. Du kriegst das hin. ♥''

Ich wollte Lukas gerade antworten und ihm und seinen Worten, wie so oft in den letzten Tagen, widersprechen und ihm sagen, dass seine aufmunternden Worte totaler Bullshit sind, aber da konnte ich hören, wie Mama den Raum betrat.
Ich schickte Lukas nur auf die Schnelle einen lieb gemeinten Mittelfinger-Emoji und ein Herz zurück, ehe ich mein Handy zurück in die Hosentasche wandern ließ und sie mit nervösen Augen musterte.
Meine Mama lächelte mich aufmunternd an, musterte mich einmal und ich konnte an ihren Augen und der Körperhaltung erkennen, dass sie mehr als angespannt und aufgeregt war. Typisch...

Mama ließ sich nur auf dem Stuhl gegenüber von mir nieder, schluckte einmal schwer und fuhr sich einige Strähnen aus dem Gesicht, während sie mich nachdenklich musterte. Ich wusste, dass es in ihrem Kopf gerade ratterte und sie überlegte, was ich Schlimmes getan haben könnte.
Sie lächelte mich an und ich erwiderte dieses. Sofort kam in mir der Gedanke auf, dass sie genau das gleich nicht mehr machen und alles für immer vorbei sein würde. Dass ich den Satz noch noch nicht mal richtig aussprechen und sie mich mit gepackten Koffern vor die Haustür setzen würde.
Am liebsten wollte ich ihr sagen, dass das Gespräch doch nicht so wichtig ist und sie ruhig weiter putzen konnte. Aber ich wollte mich nicht drücken, denn ich bin schon soweit gekommen und da sollte ich endlich mal den Mut dazu haben, es auszusprechen.

,,Also, mein Schatz, über was möchtest du denn mit mir sprechen?'', fragte mich Mama, als wir für eine kurze Zeit miteinander geschwiegen hatten und nervös zerkaute ich mir die Unterlippe.
,,Ähm... na ja... also...puh...ähm...also...äh...ja....'', bekam ich stotternd einige Silben heraus und kam mir wie der größte Vollidiot auf Erden vor.
,,Ach Mensch, das klingt aber sehr interessant! Erzähl' mir bitte mehr davon...'', scherzte Mama, machte ein erstauntes Gesicht und sah mich auffordernd an.
,,Man, Mama!'', verdrehte ich nur grinsend die Augen.

Ich hatte mir schon gedacht, dass mein Outing mir nicht leicht fallen würde, aber dass es tatsächlich so schwer werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte schon oft sehr kritische, schwierige Gespräche mit Mama geführt, in denen ich ihr Dinge beichten und mich für gewisse Taten rechtfertigen musste.
Aber keines davon ist jemals so schlimm gewesen, wie dieses hier. Schon verrückt, dass es mir wesentlich leicht fiel, ihr irgendeine kranke Drogengeschichte oder einen Diebstahl zu erzählen, während es hierbei lediglich nur darum ging, dass ich mich in einen Jungen namens Lukas verliebt hatte und mit diesem zusammen bin.
Eigentlich sollte es einfacher für mich sein, aber das ist es nicht. Bei den anderen Geschichten konnte ich ansonsten immer im Ungefähren einschätzen, wie sie darauf reagieren würde, aber ausgerechnet zu diesem Thema kannte ich ihre Meinung nicht mal im Ansatz.

Wir hatten noch nie darüber gesprochen, weil es mich sonst auch nicht weiter interessiert hatte und sie wahrscheinlich auch niemals damit gerechnet hätte, dass es bei einer ihrer Kinder jemals zur Sprache kommen würde.
Als Alex' Bruder sich geoutet hatte, hatte sie zwar recht positiv darauf regiert und sich für ihn gefreut, aber das ist nochmal was anderes, denn es betraf schließlich nicht ihre Familie und sie hatte auch sonst nichts mit ihm zutun.
Ansonsten gab es bisher keine weiteren Fälle, wo ich ihre Meinung abschätzen konnte. Sie hatte keine Freunde, die auf was gleiche Geschlecht standen, im Verwandtenkreis gab es da auch niemanden und bei ihren Arbeitskollegen, ist es ihr sowieso egal.

,,Timi Schatz, was ist denn los? Ist irgendwas Schlimmes passiert? Ist was mit der Schule?'', riss mich die besorgt fragende Stimme meiner Mutter aus den Gedanken und sofort schüttelte ich mit dem Kopf.
,,Irgendwas mit Drogen?'' Erneut schüttelte ich mit dem Kopf und wünschte mir, dass es einfach irgendwas davon wäre. Natürlich würde Mama enttäuscht davon sein, aber immerhin wusste ich, dass sie mir diese Sache nach einem ausgiebigen, klärendem Gespräch verzeihen würde.
,,Dann...keine Ahnung, hast du irgendeine Straftat begangen und ich muss jetzt ein Bußgeld zahlen?'' Wieder gab ich die gleiche Antwort von mir und Mama seufzte leise, während sie darüber nachdachte, was ich denn schon wieder angestellt haben könnte.

,,Was hast du denn gemacht, Timi? So Schlimm kann es ja denn nicht sein, wenn diese ganzen Kriterien raus fallen.'', harkte Mama nach und lächelte mich einmal aufmunternd an.
,,Ich habe auch nichts Schlimmes gemacht...'', erwiderte ich schüchtern und verwirrt zog Mama die Augenbrauen zusammen.
,,Und warum sollte ich mich dann setzten, wenn es nichts Schlimmes ist? Dann hättest du es mir auch im Wohnzimmer sagen können.''

,,Man Mama, es fällt mir wirklich nicht leicht, dir das zu sagen!'', erwiderte ich frustriert, vergrub die Hände im Gesicht und wollte am liebsten nur noch schreien, weil ich mir ja hätte denken können, dass es so ablaufen würde.
Schon von Anfang an hatte ich gewusst, dass mir das Outing nicht leicht fallen und ich keinen vernünftigen Satz zustande bringen würde. Lukas und ich sind zwar mögliche Sätze durchgegangen, aber ich hatte alles vergessen, was auf diesem dämlichen Zettel stand.
Wenn Lukas das sagte, klang das Alles so einfach und so, als müsste man sich eigentlich keine weiteren Gedanken darum machen, weil es irgendwie schon laufen würde. Aber der Kerl konnte gut reden, sein Outing ist natürlich auch reibungslos abgelaufen.

Aber ich, ich bekam wieder gar nichts hin. Ich hatte Angst, dass Mama mich hassen und deswegen verstoßen würde. Es reicht schon, dass mein Vater nichts mehr von mir wissen wollte, da wollte ich sie nicht auch noch verlieren.
Mama ist einer der wichtigsten Menschen meines Lebens und hatte mich durch so viel Scheiße begleitet. Egal, was ich getan hatte, immer hatte sie mir verziehen, mich in den Arm genommen und mir versichert, dass Alles besser werden würde.
Ohne sie wäre ich ein Hauch von Nichts und würde noch nicht mal einen einzigen Tag überleben. Ich brauchte diese Frau und wollte sie nicht aufgrund meiner Homosexualität verlieren, denn das ist das Schlimmste, was mir jemals passieren könnte.

Auch wenn mir Lukas jedes Mal Asyl anbot, falls irgendwas sein sollte, machte es die Situation nicht besser. Es ist lieb von ihm gemeint, aber es änderte nichts daran, dass ein wichtiges Teil meines Puzzles für immer fehlen würde.
Ich wollte mir auch keine Gedanken darum machen, was sein würde, wenn sie mich herausschmeißt, denn das sollte gar nicht erst passieren. Ich wollte nicht zu Lukas fahren, nur weil mich Mama verstoßen hatte...
Ich wollte mit meiner Mama zu Lukas gehen, damit sie sich endlich richtig kennen lernen und sie sehen konnte, was für einen wunderschönen und tollen Menschen ich eigentlich an meiner Seite hatte.

,,Timi Schatz, jetzt sag' schon, was los ist. Du weißt doch, dass wir über alles reden können und du vor nichts Angst haben brauchst. Habe ich dir jemals den Kopf abgerissen?'', sagte meine Mama liebevoll, lächelte mich an und stur schüttelte ich den Kopf.
,,Ich...ich will aber nicht, dass du mich hasst, Mama. Nicht, dass du total ausflippst und nichts mehr von mir wissen möchtest...'', erwiderte ich verzweifelt und musterte sie mit unsicheren Augen, in denen sich einige Tränen bildeten.
,,Um Gotteswillen, warum sollte ich dich denn hassen, Timi? Wie kommst du denn auf sowas?'', fragte Mama leicht aufgebracht nach und sah mich mit großen Augen an, während ich die Schultern zuckte.

,,Keine Ahnung, wegen dem, was ich dir eigentlich sagen möchte. Ich habe wirklich Angst davor, dass du mich deswegen hasst...'', seufzte ich leise und verlor eine Träne, die ich mir sofort aus dem Gesicht strich.
,,Timi bitte, welchen Grund sollte ich denn haben, um dich zu hassen? Du weißt, dass du immer willkommen bist und ich dich niemals für irgendwas verurteilen würde.'', erwiderte Mama lächelnd, während ich erneut mit dem Kopf schüttelte.
,,Das geht nicht! Du wirst mich hassen und dafür verurteilen! Ich kann es dir nicht sagen, wirklich nicht...'', begegnete ich ihren Worten weiterhin mit Ablehnung, vergrub die Hände im Gesicht und schluchzte leise vor mich hin. Warum konnte ich nicht bei Lukas sein?

,,Timi, ich werde dich für nichts verurteilen, keine Angst. Sag' mir einfach, was los ist, bitte.'', befahl mir Mama in einem etwas sanfteren Ton, doch ich schüttelte nur wieder stur mit dem Kopf. Das bringt doch alles nichts!
,,Ich kann das nicht! Du wirst mich hassen! Du wirst es nicht akzeptieren und dir wünschen, dass ich niemals geboren wäre - genau wie Papa!'', wurde ich etwas lauter und löste die Hände von meinem Gesicht, um sie schallend auf den Esstisch zu klopfen.
,,Soll ich schon mal meinen Koffer packen und gehen? Soll ich mir meine eigene Wohnung suchen? Soll ich aus dem Leben verschwinden, damit alles perfekt wird?'', fragte ich schluchzend nach und Mama sah mich mit schockierter Miene an.

,,Was denkst du denn bitte über mich? Timi, ich werde dich nicht herausschmeißen oder hassen, das kannst du vergessen! Wir können über alles reden und egal, was du jetzt sagst, es wird nichts zwischen uns ändern.''. wurde Mama etwas lauter.
,,Doch, das wird es! Du wirst mich hassen, wenn du die Wahrheit erfährst! Das bringt alles nichts!'', erwiderte ich, schüttelte mit dem Kopf und fing wieder laut zu schluchzen an, weil ich es einfach nicht mehr aushielt.
,,Du hasst mich doch jetzt schon...'', seufzte ich leise, vergrub die Hände zurück in mein Gesicht und es wurde plötzlich ganz ruhig zwischen uns, dass man selbst eine Stecknadel auf den Boden fallen hören konnte.

Ich spürte den besorgten Blick meiner Mutter auf mir ruhen und wünschte mir, dass ich einfach den Schwanz eingezogen hätte. Mir hätte von vornherein klar sein müssen, dass dieses Outing kein gutes Ende nehmen würde.
Schon seit Wochen stritten wir uns wegen diesem Thema. Ich schaffte es nicht einmal Tacheles zu reden und meiner Mama die Wahrheit sagen zu können. Alles, was ich mir für dieses Gespräch vorgenommen hatte, wirkte plötzlich so falsch.
Am liebsten wollte ich hoch in mein Zimmer gehen und das Alles vergessen. Aber das konnte ich nicht, denn jetzt wusste Mama erst recht, dass irgendwas im Busch lag und ich etwas zu verheimlichen hatte. So eine Scheiße! Konnte ich nicht erst nachdenken und dann handeln?

,,Tim...'', brach Mama leise unser andauerndes Schweigen und beugte sich etwas vor.
,,Sag' nichts, du hasst mich eh...'', unterbrach ich sie direkt und strich mir die Tränen aus dem Gesicht.'
,,Timi, jetzt lass' mich doch mal...''
,,Nein, du hasst mich! Gib' es zu!''
,,Timi, ich hasse dich nicht, ich...''
,,Lass' es, Mama! Versuch' es nicht schön zu reden, du wirst damit nicht klar kommen - niemals!''
,,Doch ich komme damit klar, mein Schatz, mehr als das.'', erwiderte meine Mama und ein Lächeln zierte ihre Lippen.
,,Timi, warum...''
,,Nein!'', unterbrach sie und Mama verdreht leicht genervt die Augen.

,,Timi, warum fällt es dir so schwer, mir zu sagen, dass du mit Lukas zusammen bist? Was hält dich davon ab?''
,,Nein, du...warte mal... Was hast du gerade gesagt?!'', hielt ich in meinen Worte inne und mir klappte mit einem Mal die Kinnlade herunter. Das konnte doch nicht wahr sein!
Hatte meine Mama mich gerade ernsthaft gefragt, warum es mir so schwer fiel, ihr zu sagen, dass ich mit Lukas zusammen bin? Sie wusste von uns beiden?

Unauffällig kniff ich mir in den Arm, doch erwachte nicht aus diesem Albtraum, in welchem meine Mama alles, aber auch wirklich alles wusste. Mir blieb augenblicklich die Luft im Hals stecken, als ich das realisierte.
Sie wusste über mich und Lukas Bescheid, bevor ich es ihr überhaupt sagen konnte. Aber woher sollte sie das wissen? Die Einzigen, die von mir und Lukas wussten waren Alex, Maria, Linda und seine Familie.
Alex konnte nichts ausgeplaudert haben, denn dazu gab es gar nicht die Möglichkeit und sie würde mir niemals in den Rücken fallen, genau so wenig wie meine Stiefschwester Linda das tun würde.

Lukas' Eltern konnten ebenfalls nichts gesagt haben, denn Lukas hatte mir erklärt, dass er seinen Eltern erzählt hatte, dass ich vor meiner Mama noch völlig ungeoutet bin und sie sich deswegen bitte mit Kommentaren bezüglich unserer Beziehung zurückhalten sollten.
Lukas' beste Freundin Maria kannte sie nicht und sie wäre die Allerletzte, die je ein Wort dazu verlieren würde. Erwischt werden konnten wir auch nicht ,weil wir immer stets darauf geachtet hatten, dass kaum einer in der Nähe ist.
Also woher wusste es Mama dann? Lukas und ich hatten immer darauf geachtet und meine Wissens nach ist mir nie etwas Derartiges, was darauf hindeuten könnte, dass da mehr ist, herausgerutscht.

,,Ich...ich...ähm...wie du...'', bekam ich nur stotternd heraus, als wir für eine sehr lange Zeit miteinander geschwiegen hatten. Mit fassungslosen Augen sah ich meine Mama an und hatte Angst davor, vom Stuhl zu kippen, weil ich einfach nicht glauben konnte, welche Worte ihren Mund verlassen hatten.
,,Wie lange weißt du das schon und vor allem woher? Wer hat dir das gesagt?'', fragte ich leicht aufgebracht nach, schüttelte unglaubwürdig mit dem Kopf und suchte im Esszimmer nach irgendeinem Anzeichen darauf, dass ich mir nur in irgendeinem dummen Traum befand. Ich konnte das Zimmer nicht verlassen haben...
Das konnte einfach nicht das, meine Mama konnte das nicht wissen. Lukas und ich hatten immer so viel Acht darauf gegeben, dass niemand etwas erfahren könnte. Hatte uns doch irgendjemand beobachtet? Hatte uns irgendein Arbeitskollege von Mama gesehen und sie gefragt, was da eigentlich los ist?

,,Timi, ich weiß es schon, seitdem du den einen Samstag von Lukas' Mutter nach Hause gebracht wurdest und ich dich wegen dem Knutschfleck angesprochen habe.'', gab meine Mama zu und meine Augen weiteten sich immer mehr.
,,Ich hab' schon länger gemerkt, dass mit dir irgendwas nicht stimmt und mich immer wieder gefragt, wieso nicht mit mir darüber redest. Vor allem, wenn ich dich auf das Thema Liebe angesprochen habe, hast du so merkwürdig reagiert. Das hat mich verwirrt, weil du ja sonst immer zu mir kommst, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt.''
,,Ich hab' mich gefragt, ob es vielleicht an mir liegen könnte oder irgendwas vorgefallen ist, worüber du eher weniger mit deiner Mutter sprechen möchtest. Du weißt ja, dass ich dir nicht hinterherspioniere und dich machen lassen, aber ich habe mir wirklich den Kopf daran zerbrochen...'', fuhr sie seufzend fort.

,,Na ja, und an dem Abend, wo ich gerade von der Arbeit nach Hause kam und du keine paar Minuten später auch gekommen bist, habe ich dich und Lukas gesehen. Natürlich habe ich mir nichts weiter dabei gedacht, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet hätte, dass du Lukas so gerne magst. Aber als ihr euch nach der Umarmung so innig geküsst habt, ist mir einiges klar geworden und ich wusste, was mit dir los ist.'', erklärte mir meine Mama und warf mir ein schiefes Lächeln zu.
,,Als du dann reingekommen bist und gefragt hast, was genau ich gesehen habe, hatte ich eigentlich gedacht, dass du es mir jetzt sagen würdest. Aber es kam nichts von dir und als du dann so wütend in dein Zimmer gerannt bist, da...ähm...du weißt, dass ich das normalerweise nicht mache, aber ich habe dem Gespräch gelauscht, was du danach mit Lukas geführt hast. Entschuldigung, ich mache sowas nie wieder...''
,,Ich wollte einfach nur herausfinden, was genau das zwischen euch beiden ist und wieso du dich nicht traust, es mir zu sagen. Das soll nicht wie ein Vorwurf klingen, aber ich wäre die Letzte, die dir deswegen den Hals umdrehen würde. Ich fand es ehrlich gesagt verdammt süß. dass sich Lukas in dem Moment so um dich gekümmert und dir geholfen hat. Er ist so ein Lieber.'', lächelte sie mich an und ich wusste einfach nicht, was ich dazu sagen sollte. Das ist doch ein schlechter Scherz, oder?

,,Außerdem... Entschuldigung, dass ich das sage, aber du hast es mir nicht unbedingt schwer gemacht, da irgendwas herauszufinden. Ich hab' auch die Bilder von euch beiden knutschend und kuschelnd im Maisfeld an deinem Geburtstag gesehen, bevor du sie in Lukas' Hoodie gesteckt hast. Dann die Blicke von dir auf Lukas, als sie dich abgeholt haben und die vermisste Strickjacke, die angeblich bei Marcel liegt und ich nicht abholen kann, hatte Lukas plötzlich an.'', erläuterte sie es mir etwas genauer und ich biss mir auf die Unterlippe.
,,Und erinnerst du dich noch, als ich dich in den Osterferien gefragt habe, ob ich deine Zeichnungen wegräumen darf? Ich glaube, dass es dir nicht bewusst gewesen ist, aber da waren hauptsächlich nur Zeichnungen dabei, die du von Lukas gemacht hast und ja, ich habe auch die Nackigen gesehen. Da wusste ich natürlich immer mehr, dass hinter euch zweien nicht nur eine reine Freundschaft steckt.''
,,Timi, eigentlich weiß ich es schon, seitdem du mit mir über das Thema Liebe reden wolltest und es da angeblich um Marcel ging, der sich nicht sicher darüber ist, ob er in das Mädchen verliebt ist, oder nicht. Schon von der ersten Sekunde an wusste ich, dass es um dich geht. Natürlich habe ich noch gedacht, dass es dabei tatsächlich um ein Mädchen gehen würde, aber als ich dich mit Lukas gesehen habe, ist mir direkt ein Licht aufgegangen.'' Ich nickte einmal verstehend und konnte einfach nicht glauben, was sie mir da gerade gestanden hatte.

,,Aber warum hast du denn nie etwas gesagt? Warum hast du mich nicht darauf angesprochen, wenn sich die Chance geboten hat?'', fragte ich irritiert nach, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
,,Weil ich dich in keine Ecke drängen wollte, Timi. Natürlich hätte es machen können, aber ich wollte, dass du dich bereit dazu fühlst und von selbst auf mich zu kommst.'', antwortete sie lächelnd.
,,Wow... Ich bin beeindruckt davon, dass du das so lange verstecken konntest und nicht immer wieder an die Decke gegangen bist, wenn ich nichts gesagt habe...'', gab ich lachend zu und biss mir unsicher auf die Unterlippe.
,,Also manchmal musste ich mich schon zurückhalten, weil ich mir gedacht habe; Wieso sagt der Junge denn nichts?'', erwiderte Mama lachend und schüttelte einmal mit dem Kopf.

,,Aber Mama, ich bin nicht bisexuell und das ist auch keine Phase, damit du das weißt und nichts Falsches von mir denkst.'', sagte ich irgendwann, als wir geschwiegen hatten und lächelte schief.
,,Das ist okay, mein Schatz. Es ist mir egal, ob du jetzt schwul, bi oder sonst was bist, so lange du glücklich damit bist, bin ich es auch.'', lächelte sie mich an und mit großen Augen musterte ich meine Mutter.
,,Warum guckst du denn so? Was hast du denn gedacht?'', harkte sie direkt irritiert nach und legte den Kopf schief, während ich nervös mit dem untersten Saum meines Shirts spielte und mir total dämlich vorkam.

,,Also in meiner Vorstellung hättest du mich jetzt schon längst rausgeschmissen und mir gesagt, dass ich mich nie wieder bei dir melden brauche...'', gab ich unsicher zu, zuckte mit den Schultern und kaute auf der Unterlippe rum.
,,Timi bitte, das wäre das Allerletzte, was ich tun würde. Du bist hier immer noch genau so willkommen, wie davor auch. Das zwischen dir und Lukas wird nichts ändern.'', lächelte sie mich ehrlich an.
,,Aber es gibt Eltern, die das ihren Kindern antun und sie deswegen hassen...'', seufzte ich leise und starrte nachdenklich auf den leeren Esstisch, während ich mehr als glücklich darüber war, dass es nicht mich getroffen hatte.

,,Ja, und diesen Menschen sollte es verboten werden, Kinder in die Welt setzen zu dürfen. Timi, ich könnte dich niemals hassen und vor allem nicht deswegen.'', wurde Mama etwas lauter und erhob sich vom Stuhl, um um den Tisch zu laufen und sich neben mich zu setzen.
,,Timi Schatz, es ist mir wirklich egal, welche Sexualität du hast. Als ich damals mit dir schwanger wurde, habe ich mir geschworen, meine Kinder nie für etwas zu verurteilen und sie das Leben leben zu lassen, das sie wollen.''
,,Also ob du nun mit einem Jungen oder einem Mädchen an der Hand nach Hause kommst, ist mir völlig egal. So lange du glücklich und zufrieden damit bist, bin ich es auch. Ich werde dich immer lieben, egal was du machst.'' Mama fuhr mir einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht und lächelte.

,,Außerdem merke ich, wie gut dir Lukas eigentlich tut. Du strahlst immer so, wenn du mit ihm unterwegs gewesen bist und wirkst wie ein völlig anderer Mensch. Ihr seid wirklich süß zusammen und ich würde niemals auf die Idee kommen, so etwas zu zerstören.'' Mama nahm mich einmal fest in den Arm und streichelte mir zärtlich über den Rücken.
Sofort schlang die Arme um sie und alle Dämme brachen. Die ersten Tränen bannten sich ihren Weg in die Freiheit und leise schluchzte ich in ihr Shirt. Besser hätte mein Outing gar nicht laufen können!
All die negativen Gedanken, die mich in den letzten Wochen geplagt hatten, löschten sich mit einem Mal aus. Zu wissen, dass meine Mama mich akzeptierte, bedeutete mir unendlich viel und machte mich so glücklich. Endlich konnte ich, ich selbst sein und musste mich nicht mehr verstecken!

,,Oh Gott, was ist denn jetzt los? Du brauchst doch nicht weinen, mein Schatz, es ist alles gut.'', fragte Mama lachend und löste mich etwas von sich, als es gar nicht mehr aufhören wollte. Sie musterte mich einmal und strich mir die Tränen aus dem Gesicht.
,,Ich...ich bin einfach nur froh darüber, dass du es akzeptierst. Ich hatte wirklich Angst, es dir zu sagen. Ich bin einfach nur erleichtert darüber, dass es endlich raus ist.'', erklärte ich ihr schluchzend, aber mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.
,,Natürlich, Timi. Es wird sich jetzt nichts zwischen uns ändern. Du hättest wirklich keine Angst haben brauchen. Es ist schön, dass du deinen Lukas gefunden hast.'', erwiderte sie lächelnd und nahm mich noch einmal fest in den Arm.

,,Hast du vielleicht Lust mit mir zusammen das Abendbrot zu machen? Du müsstest ja jetzt ein Meister in der Küche sein, so oft wie du mit Lukas gekocht hast.'', fragte mich Mama lachend, als wir uns nach einer Weile voneinander gelöst hatten.
,,Also, ich hab' den Bachelor in Kartoffel schälen gemacht. Wenn du damit was machst, kann ich dir gerne helfen.'', stimmte ich lachend zu, zuckte mit den Schultern und konnte einfach nicht fassen, dass ich es wirklich ausgesprochen hatte.
Es machte mich glücklich, dass ich jetzt endlich offen und ehrlich mit Mama über alles reden konnte. Wenn irgendein Problem mit Lukas gab, konnte ich zu ihr kommen und allgemein konnte ich ihr einfach alles über uns erzählen.

,,Überbackende Hackkartoffeln also?'', fragte Mama grinsend nach und zog die Augenbrauen nach oben.
,,Überbackende Hackkartoffeln!'', stimmte ich lächelnd zu und erhob mich sofort von dem Stuhl.
Mama tat es mir gleich und gemeinsam gingen wir in die Küche, wo sie alle nötigen Utensilien zusammensuchte und mich stolz von der Seite anlächelte, als ich die Kartoffeln schnitt.

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