Zehn

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Mein Kollege stand mit dem Rücken zur Wand, der Restaurantkritiker vor ihm. Seine beiden Hände umfassten Duncans Hals und drückten so fest zu, dass die Adern und Sehnen unter der Haut hervortraten. Duncan versuchte sich aus dem Griff zu winden, doch trotz der Hiebe, die er dem Mann vor ihm gegen Schienbeine und Oberkörper versetzte, gelang es ihm nicht sich zu befreien. Und das, obwohl der Restaurantkritiker nicht unbedingt dünn war und das Fitnessstudio bisher wahrscheinlich nur von außen gesehen hatte. Dennoch drückte er Duncan mit einer beängstigenden Leichtigkeit gegen die Wand.

Mein Herz krampfte sich vor Angst zusammen. Ich musste ihm helfen. Sofort. Schnell. Nur wie?

Duncans Blick schoss zu mir und für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er. Dann deutete er mit den Augen eindringlich in Richtung Tür. Ich verstand. Aber ganz bestimmt nicht würde ich mich jetzt einfach auf und davon machen. Ich konnte nicht.

Hemingway flüsterte etwas und Duncan wandte hastig den Blick ab, um zu verhindern, dass er mich bemerkte. Was der Fremde gesagt hatte, ging in dem lauten Piepsen in meinen Ohren unter.

Die Pistole kam mir wieder in den Sinn. Durch mein vernebeltes Sichtfeld scannte ich Hemingway und erkannte tatsächlich eine Wölbung unter seinem Jackett. Als ich meinen Blick weiter durch den Raum schweifen ließ, entdeckte ich die Waffe jedoch auf dem Boden, direkt neben den beiden Männern. Es schien, als habe Duncan versucht, sie ihm aus dem Halfter zu entwenden.

Ein weiteres Röcheln erklang. Duncans Gesicht hatte mittlerweile eine beunruhigend rote Farbe angenommen. Diesmal zögerte ich nicht. Ein plötzlicher Energieschub schoss durch mich hindurch und drückte mich in Richtung der beiden Männer; so stark, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob ich den Weg aus eigener Kraft zurücklegte. Meine Fingerspitzen kribbelten immer stärker, das Piepsen wurde intensiver, unerträglich.

Heftig prallte ich gegen Hemingway. Der Überraschungsmoment war auf meiner Seite und so taumelte der Mann verwundert nach hinten und löste seine Hände von Duncans Hals. Dieser ging röchelnd in die Knie und versuchte zu Atem zu kommen. Das Piepen verebbte, die schablonenartigen Muster vor meinen Augen hingegen blieben.

»Was zur Hölle -« Hemingway starrte mich entgeistert an und auch ich konnte nicht glauben, was allein meine Kraft soeben bewirkt hatte. Langsam richtete er sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Seltsamerweise flößte mir diese Geste nicht einmal im Ansatz Furcht oder auch nur Respekt ein. Auch nicht, als er die Augen zu schmalen Schlitzen verengte und mich wütend anfunkelte. Denn ich sah eindeutig die Angst darin. Angst vor ... mir?

»Verschwinden Sie«, zischte ich. Ein unbekanntes Gefühl breitete sich in mir aus. Macht? Genugtuung? Jedenfalls fühlte es sich gut an, Duncans Angreifer die Stirn geboten zu haben. Mehr als gut. Auch wenn ich mir nicht erklären konnte, woher meine plötzlichen Kampfkünste rührten. Besonders elegant konnte ich mich dabei jedenfalls nicht angestellt haben.

Der Mann rührte sich noch immer nicht. »Sofort!« Obwohl ich leise sprach, schienen meine Worte die gewollte Wirkung zu erzielen. Und nicht nur das. Sowie ich die Stimme erhoben hatte, entzündete sich eine Flamme des Zorns in meinem Körper, die sich in Sekundenschnelle weiter ausbreitete. Schließlich gelangte die pulsierende Hitze bis hin zu meinen Fingerspitzen, wo sie sich in einer gewaltigen Welle entlud, die durch den gesamten Raum brandete. Es knallte, Glas splitterte. Geistesgegenwärtig schlug ich die Hände vor die Augen und wandte meinen Körper vom Fenster ab, um mein Gesicht vor den Scherben zu schützen, die nur einen Wimpernschlag später zu Boden rieselten. Einige Splitter trafen mich am Hinterkopf und an meinem Nacken. Wie Nadelstiche pikste das Glas in meine Haut.

Wieder erschallte ein Piepsen. Diesmal war es jedoch nicht in meinem Kopf. Es kam von dem Rauchmelder, der oben an der Decke angebracht war. Als ich die Hände von den Augen nahm, regnete eine Flüssigkeit auf mich herunter. Das kühle Nass war eine willkommene Abwechslung zu der Hitze, die sich zuvor in meinem Inneren angestaut hatte. Jetzt waren sogar die letzten züngelnden Flammen erloschen.

Hinter mir erklang ein Fluchen. Kurz darauf war Hemingway aufgesprungen und hatte den Raum durchquert, die Tür aufgerissen und war hinausgestürmt. Nur noch das Blut und die fröhlich laufende Sprinkleranlage konnten mich davon überzeugen, dass ich all das nicht schon wieder geträumt hatte.

Ich hörte Duncan leise stöhnen. Mein Kollege kniete noch immer auf dem von Scherben übersäten Boden, sein Kopf war rot, doch das Blut klebte an seinen Händen. Wassertropfen prasselten unermüdlich auf ihn hinunter und rannen an seinem Gesicht hinab. In dem Versuch sich aufzurichten, drückte er sich mit einer Hand vom Boden ab, wobei er jedoch in einen weiteren Scherbenhaufen fasste. »Fuck!«

»Warte, ich helfe dir.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Sie zitterte noch immer vor Schock. Was auch immer gerade geschehen war, ich wusste nicht, wie ich es mir logisch erklären sollte. Zögerlich ergriff Duncan meine Hand und ließ sich von mir auf die Beine ziehen.

»Danke«, murmelte er rau.

Ich wusste nichts zu erwidern und beschränkte mich deshalb auf ein knappes Nicken. »Habt ihr hier Pflaster?«, wisperte ich. Die Tür stand halb offen. Ob wohl schon die ersten Gäste die Flucht ergriffen hatten?

»Nein. Aber das ist nicht so wichtig.«

Fassungslos lachte ich auf. »Nicht so wichtig? Dein Gesicht ist voller Scherben!«

»Also ich sehe nichts.« Duncan grinste schief, doch ich konnte seinen Humor nicht teilen.

»Das ist nicht lustig.« Ich runzelte besorgt die Stirn. »Nichts an dieser Scheiße ist lustig.«

Er presste die Lippen aufeinander und nickte. »Gut. Wir schließen das Café für heute. Und dann sehen wir weiter.«

Ich musterte ihn kritisch. »Und du bist dir sicher, dass du nicht erstmal ins Krankenhaus gehen willst? Zur Sicherheit?«

»Wegen den paar Splittern?«, fuhr er mich an; so laut, dass ich zusammenzuckte.

Sein Blick wanderte zur Decke. Der Rauchmelder piepte noch immer. Plötzlich griff Duncan nach dem Teil einer alten Kaffeemaschine, die neben ihn auf einem Stapel Lieferungen stand, holte aus und warf. Es knallte, dann verstummte der Rauchmelder und die Sprinkleranlage gab ihren Geist auf. Ein letzter, einsamer Tropfen löste sich und fiel zu Boden. Seine Aufprall klang in der plötzlichen Stille wie ein Kanonenschuss.

***

Duncan bestand weiterhin darauf, sich zu Hause zu verarzten und wusch sich nur notdürftig das Blut von Händen und Gesicht. Ich schlug ihm vor, die Polizei zu rufen, doch er schüttelte den Kopf. Als er mich ansah, lag auf seinem Gesicht ein zweifelnder Ausdruck. »Oder weißt du etwa, wie wir der Polizei das hier erklären sollen, ohne als verrückt abgestempelt zu werden?«

Er hatte Recht. Hätten meine Hände nicht noch immer gezittert, und wäre Duncan nicht gewesen, der alles mitangesehen hatte, so hätte ich meine Erinnerung lediglich für ein Hirngespinst gehalten.

Mein Kollege scheuchte die verdutzten Gäste aus dem Café und drehte das Türschild auf »Geschlossen«. Ich stand an die Theke gelehnt und hatte meine Hände zwischen die Kante des Tresens und meine Pobacken geklemmt. Die Sonne stand schon tief am Himmel und ließ das Mobiliar in einem warmen Orange erstrahlen. Duncan drehte sich zu mir um. Obwohl ich mich am liebsten in der nächste Ecke verkrochen und geheult hätte, hatte dieser Moment etwas Friedliches. Endlich einmal war das Café nicht erfüllt vom lauten Geplapper der Kunden, und obwohl ich aus meinem Kollegen nicht wirklich schlau wurde, mochte ich irgendetwas an diesem Augenblick. Vielleicht lag es an der untergehenden Sonne, die in mir schon immer ein Gefühl von Melancholie hervorgerufen hatte; vielleicht aber auch die Tatsache, dass ich mich Duncan nach dem, was gerade geschehen war, ein wenig verbunden fühlte. Als ich aus dem Fenster blickte und am Himmel eine Wolke entdeckte, kamen mir fast die Tränen. Die Wolke war klein und dunkelblau und leuchtete an den Rändern weiß-gelblich. Eine ähnliche hatte ich schon tausende Male in meinem Leben gesehen und trotzdem überkam mich die Gewissheit, dass ich genau diesen Moment niemals vergessen würde.

Ich presste die Lippen aufeinander, räusperte mich und straffte die Schultern. Eilig umrundete ich den Tresen, wo ich gespielt beschäftigt einige imaginäre Krümel von der Arbeitsplatte wischte und Gläser zurechtrückte.

»Kanntest du diesen Mann?«, fragte Duncan.

Verdutzt schaute ich auf. »Nein. Ich dachte, du würdest ihn kennen, weil er dich angegriffen hat.«

Duncan kam ein wenig näher und lehnte sich gegen einen der Tische in der Mitte des Raumes. Nachdenklich starrte er auf seine Füße. »Als ich mit ihm in den Lagerraum gegangen bin, hat der Typ mich gefragt, wer du bist. Ich habe ihm nicht geantwortet. Er hat mir weitere Fragen über dich gestellt, aber ich habe nichts gesagt. Daraufhin ist er wütend geworden und hat mich gewürgt, um mich zum Sprechen zu bringen.« Wie automatisch wanderten seine Finger zu seinem Hals und strichen über die roten Flecken, die Hemingways Hände dort hinterlassen hatten. »Er war verdammt stark, ich bin fast schon ein wenig neidisch auf ihn. Ich hatte absolut keine Chance.«

Mir wurde übel und das Blut wich mir aus dem Gesicht. »Wieso hat er das alles gefragt?« Ich bemühte mich um eine möglichst beherrschte Stimme, doch spätestens meine Übelkeit machte all meine Versuche zunichte.

Duncan schüttelte ratlos den Kopf und sah mich wieder an. »Ich habe keine Ahnung. Aber als letztes wollte er wissen, ob wir beide zusammen sind. Ich wusste nicht, welche Antwort wohl die ungefährlichere wäre – für mich und für dich. Also habe ich gar nichts gesagt. Und den Rest kennst du ja.«

Ungläubig runzelte ich die Stirn.

»Deshalb dachte ich, dass du ihn kennst. Dass er vielleicht ein alter Freund ist oder dein Freund. Er hat dich so komisch angeschaut.«

Angewidert verzog ich das Gesicht. »Der Typ ist bestimmt dreimal so alt wie ich.«

Er zuckte die Schultern. »Woher soll ich wissen, auf welche Typen du so stehst?«

»Auf welche wie ihn jedenfalls nicht.«

»Das heißt, du kennst ihn nicht?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen. Aber stimmt, er hat seltsam geguckt.«

»Meinst du, er -« Er stockte, als wüsste er nicht, wie er es formulieren sollte.

»Sag es einfach«, ermutigte ich ihn seufzend und rieb mir erschöpft über die Stirn.

»Na gut. Also denkst du ... meinst du, du hast einen Stalker?«

Meine Gesichtszüge gefroren und mein Puls schoss in die Höhe. »Nein«, sagte ich bestimmt. »Dafür ist schon meine Cousine zuständig. Mich stalkt niemand. Ich kenne ja kaum jemanden in Gloamwood.«

»Und wenn er dir gefolgt ist? Von dort, wo du vorher gewohnt hast?«

»Nein. Wie gesagt, ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Und wenn du ihn nur noch nie bemerkt hast?«, hakte Duncan weiter nach.

»Glaub mir, dort wo ich vorher gewohnt habe, kannte jeder jeden. Da kennt man sogar die Geheimnisse des unauffälligen Nachbarn«, versicherte ich ihm.

»Ein kleines Kaff?«

»So ähnlich.« Ich kam wieder um den Tresen herum gelaufen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Um wieder zum eigentlichen Thema zurückzukommen: Scheinbar hat er uns beide gekannt oder zumindest von unserer Existenz gewusst. Aber woher?«

»Und vor allem«, ergänzte Duncan hinzu. »Weshalb ist er davon ausgegangen, dass wir zusammen sind?«

Ich kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe. »Vielleicht, weil du ihm nichts über mich sagen wolltest? Möglicherweise dachte er, du wolltest deine Freundin beschützen?«

Er runzelte zweifelnd die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Dazu war er zu aggressiv und zu besessen auf meine Antwort.«

»Hm.« Ich starrte wieder nach draußen. Die Sonne war jetzt kurz davor, hinter den Dächern der Stadt abzutauchen und man konnte zusehen, wie sich das Licht veränderte, das sie auf die Fassaden und Ziegel der Häuser sandte. »Und wenn er uns zusammen im Wald gesehen hat?«

»Nur deshalb? Dann ist er aber ein sehr eifersüchtiger Stalker.«

»Er ist kein -«, begann ich. Allerdings wurde mir im selben Moment klar, dass es keine andere Erklärung gab. Warum sonst sollte er Duncan über mich ausfragen und der Frage nach unserem Beziehungsstatus besonders viel Beachtung schenken?

Duncan suchte meinen Blick. Als ich ihn unsicher erwiderte, sah er mir so eindringlich in die Augen, dass ich das Gefühl hatte, jeden Moment vor Spannung zu zerplatzen. »Jules, vielleicht sollten wir doch die Polizei rufen.«

»Ja ... aber das Fenster. Wie soll ich das denn erklären?« Gegen Ende hin verlor meine Stimme immer weiter an Kraft, bis ich ein leichtes Kribbeln in der Nase verspürte. Schnell schaute ich zu Boden, damit Duncan nicht sah, wie mir die Gesichtszüge entgleisten.

»Jules.«

»Was?«

»Jules, schau mich an.« Der sanfte Unterton in seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Zögerlich sah ich auf. Als sich unsere Blicke begegneten, schoss mein Puls in die Höhe.

Duncans von Schrammen übersätes Gesicht war verkniffen vor Angst und Sorge, und das erste Mal wirkte er weniger unnahbar als sonst. Eines hatte ich in meinen siebzehn Jahren Lebenszeit gelernt: Man lernte die Menschen erst richtig kennen, wenn die Umstände sie an ihre Grenzen brachten.

»Was war das, was du da getan hast?«, fragte er. »Nimm es nicht persönlich, aber wenn ich mir dich angucke, kann ich mir nicht vorstellen, dass du einen Mann von solcher Größe und Kraft mit Leichtigkeit zur Seite stoßen konntest.«

Ich ließ eine Hand auf die kühle Arbeitsplatte sinken. Unter meinem Mittelfinger ertastete ich eine kleine Ausbuchtung. »Ich weiß es nicht«, wisperte ich. Mal wieder bemerkte ich, wie sich meine Stirn vor Sorge verkrampfte. »Es ... es kam einfach so über mich.«

»Was? Was kam über dich?«, wollte Duncan wissen, doch ich schüttelte den Kopf und schloss die Lippen.

»Hey, ich habe das gleiche erlebt wie du. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du den Typen geschubst hast, und ich habe auch die Hitze gespürt, als plötzlich eine Art Druckwelle aus dir herausgeströmt ist. Ich habe gesehen, wie du das Fenster zerstört hast. Erzähl mir, was du willst, ich werde es dir glauben.« Er klang so aufrichtig, dass ich fast schon in Erwägung zog, seinen Worten Glauben zu schenken.

»Aber was, wenn wir einfach beide verrückt sind?«, gab ich zu bedenken.

»Aber was, wenn nicht?« wand er ein.

»Okay«, seufzte ich. In Kürze schilderte ich ihm, was in mir vorgegangen war: Das Kribbeln, die Muster vor meinen Augen, das Piepsen, die übernatürliche Energie in mir und schließlich die unbändige Wut, die in mir aufgestiegen war.

Duncan unterbrach mich kein einziges Mal und bis auf sein regelmäßiges Blinzeln regte sich nicht einmal das kleinste Fältchen auf seinem Gesicht. Selbst als ich mit meiner Erzählung endete, sagte er kein Wort und starrte mich stattdessen nur nachdenklich an. Ich umschlang meinen Körper mit den Armen, um das plötzlich in mir aufkommende Unwohlsein zu vertreiben. Duncans Schweigen war kaum zu ertragen. Ich war gespannt wie ein Bogen und drohte jeden Moment zu reißen, wenn er meine Geduld noch weiter strapazierte.

»Jetzt sag doch bitte mal was«, drängte ich.

Duncan grinste schief, konnte damit allerdings nicht die Erschöpfung und das Unbehagen in seiner Miene kaschieren. »Aber ich bin sprachlos.«

»Oh. Und jetzt?«, fragte ich ein wenig überrumpelt.

»Na ja, ich denke, du hast Recht.«

Jetzt war ich erst recht überrascht. »Ja?«

Mein Kollege erhob sich, um seinen Gang durch das Café fortzusetzen. Dabei steuerte er direkt auf mich zu. Ich meinte, ein leises Schmunzeln auf seinen Lippen zu erkennen. Er blieb nur gut zwei Schritte vor mir stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Also gut, Supergirl, was kannst du noch so?«

Ich lachte nervös auf. »Ich weiß nicht, ob du das richtig verstanden hast, aber ich habe keine Ahnung, was vorhin mit mir passiert ist. Es war das erste Mal, dass ich so etwas erlebt habe. Und nenn mich nicht Supergirl.«

»Und wie hast du vor, herauszufinden, was es mit deinen Superkräften auf sich hat?«

Verdutzt blinzelte ich ihn an. »Um ehrlich zu sein, hatte ich das nicht vor. Mein Plan war, so zu tun, als wäre all das nie geschehen, und zu beten, dass es auch nie wieder vorkommt«, klärte ich ihn auf.

»Du wolltest es einfach vergessen?«, wiederholte Duncan fassungslos. »So etwas? Was versuchst du denn noch zu vergessen? Alles, was dir als unangenehm erscheint? Ich hoffe, du weißt, dass das keine dauerhafte Lösung ist.«

»Ja«, gab ich etwas gereizt zurück und presste die Lippen aufeinander. »Ich weiß nicht, wie dein Leben so aussieht, aber ich habe weitaus mehr Probleme als angebliche Superkräfte und absolut keine Lust darauf, mich um Dinge zu kümmern, die ich ohnehin nicht ändern kann.«

Abwehrend hob er die Hände. »Okay. Aber was, wenn es wieder passiert? Du kannst nicht einfach hoffen, und darauf vertrauen, dass das reicht.«

»Was soll ich denn sonst machen?« Ich war so verzweifelt, dass sich meine Stimme überschlug. Natürlich konnte ich den Vorfall nicht einfach vergessen. Aber neue Probleme waren nun wirklich das letzte, was ich gebrauchen konnte. Und auch wenn meine Therapeutin strikt dagegen wäre, wünschte ich mir nichts sehnlichster, als dass sich die Erlebnisse der letzten Stunde in Luft auflösten oder wenigstens so weit verblassten, dass ich sie kaum noch fassen konnte.

»Vielleicht ... vielleicht gibt es irgendwelche esoterischen Beratungsstellen, die dir weiterhelfen können?«, überlegte er halbherzig.

»Hier? In Gloamwood?« Ich schüttelte den Kopf.

Duncan atmete tief ein und wieder aus. Schließlich nickte er in Richtung des Lagerraums. »Lass uns erst einmal das Chaos dort drinnen beseitigen. Vielleicht bekommen wir dann beide einen kühlen Kopf. Helen hat heute noch Spätschicht, aber ich schreibe ihr, dass sie nicht mehr zu kommen braucht, und erkläre meinem Vater ungefähr, was passiert ist. Natürlich ohne die ... unheimlichen Details.«

»Deinem Vater?«, hakte ich verwundert nach.

Er schaute ebenso irritiert zurück. »Ja. Es wäre ganz gut, wenn er davon wüsste. Immerhin ist er der Chef des Cafés.«

»Ach so. Das wusste ich nicht.« Mister Emerson war Duncans Vater? Ich musste schlucken. Während ich meinem Kollegen in den Lagerraum folgte, fragte ich mich, ob und wenn ja, was mein Chef seinem Sohn wohl über meine Vorgeschichte erzählt hatte.

***

»Das Fenster hat jemand von außen eingeschlagen. Irgendwer muss im Innenhof gewesen sein. Als wir gekommen sind, war der Täter schon längst auf und davon und der Rauchmelder ist angesprungen, weil eine Scherbe an den Auslöser geflogen ist«, fasste Duncan zusammen, was er seinem Vater erzählt hatte.

»Und was ist mit dem Restauranttester? Hast du ihn erwähnt?«

»Nein. Früher oder später würde mein Vater auf Ungereimtheiten stoßen. Außerdem würde er sich fragen, weshalb wir nicht die Polizei gerufen haben«, erklärte Duncan, während er an einem Zitronenbonbon lutschte.

»Aber würde jeder normale Mensch nicht auch die Polizei rufen, wenn das Fenster eingeschlagen wird?«

»Ich lass mir schon etwas einfallen.« Er zuckte die Schultern und begann, den Boden nass zu wischen.

Mit der Kehrschaufel beförderte ich die letzten Scherben in den Mülleimer und legte dann den Besen beiseite. »Ähm, Duncan?«

»Hm?«

»Danke, dass du das tust. Dass du deinen Vater anlügst und alles.« Es fiel mir fast ein wenig schwer, diese Worte auszusprechen, wo ich doch noch vor wenigen Stunden eine völlig andere Meinung von ihm gehabt hatte.

»Das hättest du gar nicht von mir gedacht, was?«, fragte er sarkastisch.

Ich schwieg. Er hatte direkt ins Schwarze getroffen. »Ich kenne dich ja auch nicht wirklich«, entgegnete ich schließlich. »Und mit deiner ständigen schlechten Laune hast du auch nicht gerade dazu beigetragen, dass ich ein gutes Bild von dir bekommen konnte.«

Als Antwort zuckte er die Achseln, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.

»Jedenfalls danke«, sagte ich noch einmal.

»Kein Ding. Allein schon, weil mein Dad nicht nur dich, sondern auch mich für verrückt halten würde, kann ich ihm nichts davon erzählen.«

»Aber du lügst deinen Vater an. Das würde nicht jeder machen.« Und vor allem nicht für eine Person, die er erst seit Kurzem kannte.

Duncan schnaubte und zerkaute die letzten Reste des Bonbons knirschend zwischen den Zähnen. »Er ist nun wirklich einer der letzten Menschen auf dieser Welt, bei denen ich ein schlechtes Gewissen dabei habe, sie zu belügen. Bringst du bitte den Müll raus?«

»Klar«, entgegnete ich verdutzt. Während ich nach draußen ging und durch die kleine Gasse in den Hinterhof lief, fiel mir auf, woran mich seine Worte erinnerten.

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