Gericht (nicht zum essen)

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           Der Innenhof war viel voller, als Ana erwartet hatte. Soldaten in silbrigen Harnischen bewachten das große Tor hinter ihr und jede einzelne Tür, die in das riesige Gebäude vor ihr führten. Ihre Visiere saßen tief und dunkel und erinnerten Ana an das brennende Dorf.

Instinktiv drückte sie sich näher an Adriel heran, der ihre Hand zwar losließ, sie aber prompt an der Schulter zurückzog, als zwei Männer in Uniform eine große Truhe an ihr vorbeitrugen. Ihre Lederschuhe knirschten auf dem Kiesweg, der zu der breiten Treppe vor dem Haupteingang führte. Eine große Gruppe an Menschen in schrillen, bunten Kleidern hatte sich dort versammelt und beobachtete unter Sonnenschirmen und hinter Fächern die Ankunft im kühlen winterlichen Morgen.

Wind griff nach Anas Haaren und ihrem Rock und hinterließ eine Gänsehaut auf ihren Armen. Zypressenähnliche Bäume links und rechts vom Weg wogen hin und her und füllten den Hof mit ihrem Rauschen. Winzige Flocken lösten sich und wurden hoch zu den roten Giebeln der Dächer getragen und zu den entfernten Türmen, deren Farbe in den Wolken verblasste.

Adriel berührte sie am Rücken, um sie in Bewegung zu setzen, doch ein näherkommender Mann, der seinen Helm unter dem Arm trug, ließ ihn innehalten.

Er hatte schütter werdendes blondes Haar und trug eine silberne Brosche an seinem dunkelroten Wams, die Adriel die Stirn runzeln ließ. Seine Schritte waren groß und bemessen, als wisse er genau, was zu tun wäre. Als er den Nachtfuchs erreichte, fiel er auf ein Knie, das Kinn auf die Brust gesenkt.
„Eure Hoheit."

Adriel nahm seine Hand nicht von Anas Rücken, sondern musterte den Mann für einige Sekunden, ehe er schließlich genauso knapp entgegnete: „Hauptmann."

Ana verlagerte unruhig ihr Gewicht. Das war also der Mann, der Adriel von den Befehlen seines Bruders berichtet hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dies vollkommen ungefährlich abgelaufen war.

Mit einem erleichterten, wenn auch ungemütlichen Gesichtsausdruck kam der Hauptmann wieder auf die Füße. Er war ein stattlicher Mann, genauso groß wie Adriel mit breiten Schultern und winzigen Krähenfüßen um seine Augen herum, die im nächsten Augenblick auf Ana fielen.
„Das ist also Eure Begleitung, zu Euren Diensten, Ma'am."

Er verneigte sich noch einmal und Anas Hand zuckte instinktiv nach vorne, um ihn davon abzuhalten. Er sah nicht aus, als würde sein Rücken das zu oft mitmachen.
„Oh, vor mir verneigt sich eigentlich niemand-... ich... ich könnte mich vor euch... soll ich mich auch verneigen?"

Der Gesichtsausdruck des Hauptmannes wechselte von kurzer Verwirrung, zu überraschtem Lachen und dann gnädiger Güte ihr gegenüber. Egal was er über das Mädchen gehört hatte, an das sein Prinz gebunden war, sie war eine freundliche Überraschung.

Hinter Ana entspannte Adriel seine Schultern und trat unbewusst näher an sie heran. Er hatte Geschichten von Seelenbändern gehört, doch es hier vor sich zu erleben, stellte alle Erzählungen in den Schatten. Wie zum Trost holte er einen Flachmann heraus und hielt ihn Adriel hin.
„Ein letzter Schluck vor dem Gefecht?"

Er schraubte den Verschluss auf und Ana erwartete mit dem Geruch von Alkohol einen neuerlichen Angriff gewaltsamer Erinnerungen, doch mit Adriel in ihrem Rücken blieben sie auf Abstand.

Er war fast einen Kopf größer als sie aber über ihren Schopf lehnte er dankend ab.
„Ich trinke nicht mehr. Aber es wäre möglich, dass wir früher als später Eure Unterstützung benötigen werden."

Bei den Worten wurde der Hauptmann sofort wieder ernst und nickte in die Richtung der großen Treppe.
„Er erwartet Euch im Thronsaal."

Auch Adriel warf einen Blick in Richtung der versammelten Palastmitglieder auf der Treppe und sofort kam Bewegung in die Menge. Die Röcke gerafft und die Schirme wieder zusammengefaltet, drängten sie sich hektisch wieder ins Innere des Hauses.

Der Hauptmann schnalzte und er fing Anas Blick auf. Sein Mundwinkel zuckte als wäre er Teil eines Witzes, den sie nicht hörte.
„Adriels Onkel hat mir viel von Euch erzählt. Nur Gutes, wie ich Euch versichern kann."

Ana wurde rot, doch bevor sie antworten musste, ging Adriel dazwischen.
„Mir wäre es lieber, wenn mein Onkel nicht von ihr gesprochen hätte. Um ihrer eigenen Sicherheit willen."

„Leider erwartet Euer Bruder auch sie im Thronsaal."

Adriel seufzte.

Anas Herz zog sich zusammen.

„Natürlich tut er das." Mit der Hand noch immer in ihrem Rücken, schob er sie in Richtung des Haupteinganges, der inzwischen vollkommen leer war. Er spürte ihre verkrampften Muskeln unter seinen Fingern und lehnte sich im Laufen zu ihr herunter, um ihr ins Ohr flüstern zu können.
„Ich verspreche, dir wird nichts geschehen. Überlasse nur das Reden mir."

Er unterhielt sich mit dem Hauptmann gedämpft bis zu der Tür des Thronsaals, während Ana sprachlos versuchte, ihre Umgebung zu verarbeiten.

Sie war mit ihrer Familie auf Burgruinen und in Museen gewesen, doch nichts hatte den Herzschlag eines bewohnten Edelsteins eingefangen, den sie hier betreten hatte.

Zwei Diener öffneten ihnen die Flügeltüren links und rechts noch bevor Adriel sie mit seinen großen Schritten erreicht hatte. Sie schwangen auf und gaben den Blick auf einen riesigen Saal frei, der Ana den Atem stahl.

Bemüht mit dem Prinzen Schritt zu halten, wurde ihr Blick von ganz alleine zur Decke gezogen, deren aufwendig verzierte Streben weit über ihren Köpfen wie die Wurzeln in der Rebellenstadt wuchsen.

Riesige kristallene Lüster waren daran befestigt und brachen das Licht, das durch die Bodentiefen Fenster an der linken Seite hereinfiel. Säulen, dick und von Rosen umrankt, stützten sie und unterteilten die Halle in drei Abschnitte: Den Hauptgang, der direkt nach vorne zu zwei Thronen führte und die Flügel, in der sich eine unzählbare Menge an Höflingen quetschte.

Ihr Flüstern erstarb mit dem ersten hallenden Schritt Adriels über den Marmornen Boden und machte langen, klebrigen Blicken Platz. Ana hörte ihr Herz dafür umso lauter pochen, ihre Schritte viel leiser und kleiner hinter dem Nachtfuchs.

Adriel musste es ebenfalls bemerkt haben, denn er verlangsamte sein Tempo unmerklich, bis er neben ihr ging, seine eigenen Soldaten in seinem Rücken.

Ana wurde das Gefühl nicht los, dass sie Dreck in diese heiligen Hallen schleppten. Im Augenwinkel sah sie, wie man Salem und Lucah zur Seite zog in eine Nische, die von den anderen Adeligen durch eine halbhohe Holzwand abgegrenzt war.

Sie schluckte trocken, ihre Finger in den löchrigen Stoff ihres Kleides gekrallt. Schlammspuren zogen sich über den beigen und blauen Stoff, den sie Lady DeCries gestohlen hatte und sammelte sich unter ihren Fingernägeln.

Die goldenen Verzierungen an den Säulen, den Türen und den Fenstern reflektierten ihr Licht auf sie zurück und hoben den Dreck von mehreren Wochen an Reisezeit hervor.

Adriel neigte vorsichtig den Kopf zur Seite, den Blick geradeaus auf die zwei noch leeren Stühle gerichtet.
„Wer hat dich als gescheitertes Experiment bezeichnet?"

Er hatte also doch zugehört. Ana stellte versehentlich Blickkontakt zu einer jungen Frau in hell-violettem Ballkleid her und senkte sofort den Kopf. Sie alle mussten wissen, wer sie war und wen sie hierher gebracht hatte. Ihre Finger zogen einen Faden aus dem Ärmelsaum.
„Keine Sorge, ich wäre weniger gescheitert, wenn ich zumindest noch dein Ableben verschulden könnte."

Adriel rollte mit den Augen und richtete sich wieder auf.
„Wenn wir das hier überleben, darfst du es gerne versuchen."

Sie erreichten eine geflieste Linie vor dem Thron und blieben stehen. Niemand, außer einer Handvoll Soldaten, befand sich bei den Zwillingsthronen.
Anas Puls schlug derartig hoch, dass ich schlecht wurde.
„Du glaubst nicht, dass ich es könnte?"

Adriel lachte leise auf, gerade, als an der Seite des Thronsaals eine kleine Tür geöffnet wurde.
„Doch. Ich denke nur nicht, dass du es wirklich willst."

Usurpator Kellen kam ohne Begleitung in den Thronsaal. Zuerst fiel Ana auf, dass er seinem Bruder in etwa so ähnlichsah, wie sie Cassy.
Er war kaum größer als sie, mit der schmalen Statur von jemandem der zu wenig aß für den Stress, unter dem er litt. Seine Haut war blass und wirkte noch blasser durch die schwere, dunkle Kleidung, die er sich ausgesucht hatte.

Der Mantel verfing sich mehrere Male um seine Knöchel und offenbarte ein riesiges Schwert, das seine linke Hüfte nach unten zog. Es war ihm im Weg, als er sich auf den Thron fallen lassen wollte, weshalb er es erst abnehmen musste und dann quer über seinen Schoß legte.

Sein Blick wanderte unstetig über die versammelten Leute, ehe sie schließlich erst bei Ana und dann bei seinem Bruder hängen blieben. Seine Oberlippe zuckte, aber es war schwierig zu benennen, ob es Missfallen oder Erleichterung war.
„Adriel."

Neben ihr neigte Adriel leicht den Kopf, seine Stimme tief aber von demselben Akzent geprägt.
„Kellen."

Das Monokular in Anas Rocktasche begann zu vibrieren. Leise. Dringlich flüsternd, als habe es eine wichtige Information für sie, die sie nicht verpassen durfte. Instinktiv presste Ana von außen ihre Hand dagegen, still den magischen Gegenstand bittend, keine Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen.

In dem Saal entstand eine kurze Pause und Ana hielt genauso die Luft an. Durch ihre Wimpern linste sie nach oben zu dem Jungen auf dem Thron, der offensichtlich innerlich debattierte, wie er fortfahren sollte, ehe er sich schließlich auf seinem Thron zurücklehnte. Die Krone in seiner Stirn rutschte bedenklich.
„Ich vermute, du bringst mir nicht den Weltenwandler?"

Ana hätte den Brief des Hauptmannes nicht gebraucht, um zu wissen, auf welche Gerüchte Kellen anspielte. Blut schoss in ihr Gesicht, bis ihre Ohren brannten. Sie hatte Mika'il freigelassen, nicht Adriel. Doch als sie sich innerlich fragte, ob Kellen genauso versessen darauf war, seinen Onkel wieder frei zu erleben, wurde das Monokular so warm, dass sie die Hand von der Tasche nehmen musste.

Adriels Ausdruck blieb stoisch, doch seine Stimme fiel so einem drohenden Bass ab.
„Ich habe meine Suche abgebrochen, weil ich irregeführte Soldaten davon abhalten musste, ein einfaches Bauerndorf niederzubrennen."

Kellen blinzelte nicht. War diese Information neu für ihn, hatte er es wie sein Bruder gemeistert, die Maske bewegungslos auf seinem Gesicht zu tragen. Stattdessen sagte er: „67."

Für einen kurzen Augenblick ließ er die Zahl wirken, ehe er ausführte: „Die Zahl der Jugendlichen, die von den Rebellen ermordet wurden, weil sie Anspruch auf einen Thron haben, dem sie sich nicht würdig erwiesen haben."

Es wurde so leise in der Halle, dass Ana ihren eigenen Herzschlag hörte und trotz der Hitze ihr Monokular im Stoff erdrückte, um das Brummen zu ersticken. Aufdringlich. Ärgerlich, dass es ignoriert wurde.

„Weitere zweihundert Mann sind bei wiederholten Attacken auf diesen Palast gestorben", Kellen bewegte das Schwert auf seinem Schoß und der Griff schabte mit einem widerwärtigen Quietschen über die steinerne Armlehne des Throns, „Und trotzdem schützen Bauern des Landes die Rebellen. Geben ihnen Verstecke und Essen. Versorgen sie mit Waffen, die sie sonst für die Bärenjagd verwenden. Alles nur, um mich loszuwerden."

Adriel machte einen Schritt auf den Thron zu, doch die Soldaten links und rechts von uns waren schneller. Sie stoppten erst, als er die Hände in die Luft hob und zurück neben Ana trat. Doch sie spürte die Spannung von ihm abstrahlen.
„Ich habe mein Mögliches getan, um ihre Anführer zu stoppen. Ich-..."

Kellen kam so schnell von seinem Thron hoch, das Ana erschrocken einen Schritt zurück machte und von einem der Soldaten wieder nach vorne geschubst wurde.
„Du hast gar nichts getan, außer einem einzigen Mann hinterher gejagt und deine neue Seelengebundene durch das Land geschifft!"

Leise Laute des Entsetzens brachten die Menge der Adeligen in Bewegung. Mehrere Leute verließen den Saal zu verdeckten Seitentüren, doch die meisten blieben dicht an ihre Begleitung gedrängt zurück.

Mit sichtbarer Anstrengung unterdrückte Kellen seine laute Stimme und ließ sich nach einigen tiefen Atemzügen wieder langsam auf seinen Thron sinken, „Und trotzdem...", fügte er leise hinzu, „... denkt das Orakel, dass du der geborene Caraid für dieses Land bist."

Wo Adriel stets ruhig und verschlossen blieb, war Kellen pure Emotion für Ana. Sie sah den Schmerz hinter seinen Augen, den Selbsthass und die Hoffnung. Es war so viel auf einmal. Als wisse er nicht, ob er sich selbst zerreißen oder die Welt in Schutt und Asche legen sollte, bis dieses große Missverständnis berichtigt worden war. Sie wollte vortreten und ihm versichern, dass... sie wusste nicht einmal was, doch Adriel war ohnehin schneller.

Vorsichtig hielt er sie am Arm zurück und sagte stattdessen laut: „Du weißt, dass deine Ernennung immer noch kommen kann."

Aus irgendeinem Grund hatte das den gegenteiligen Effekt auf Kellen, als erwartet. Als er den Blick wieder zu seinem Bruder hob, loderten darin der Hass, der seine Entscheidung, wer für die Ungerechtigkeit der Welt zu büßen hatte, ausbuchstabierte. Seine Finger krallten sich um das Schwert in schlecht verhohlener Zurückhaltung und er presste gerade noch zwischen seinen Zähnen hervor. „Rede nicht so einen Schwachsinn. Wir beide wissen, dass jeder in diesem Land mich für unfähig hält seit dem Zwischenfall mit...", sein Blick fiel auf Ana und er stoppte sich selbst.
„Wenn du den Weltenwandler nicht vor Gericht bringen kannst, werde ich den Fall schließen müssen."

Adriel ließ Ana nicht los, als habe er sie neben sich vollkommen vergessen. Er war immer noch ruhig. Immer noch gefasst. Aber Ana wusste, wieviel davon reine Selbstdisziplin war.
„Du würdest das Schicksal deines eigenen Onkels besiegeln?"

Kellen hob eine Braue, sah ihn kurz unter halbgeschlossenen Lidern an und zuckte dann mit den Schultern.
„Er war der Erste, der mich verurteilt hat."

Ana konnte es nicht glauben. Nichts von all dem. Sie sah, was der Hauptmann in seinem Brief so dringlich beschrieben hatte. Den Zorn eines Jungen, der verzweifelt von seinen Untergebenen respektiert werden wollte. Aber er war auch der Usurpator, der lieber sein Volk brennen sah, als Verrat zu tolerieren oder sich ihre Gründe anzuhören. Und weder sein Bruder noch irgendjemand in seiner Familie konnten ihn besänftigen.

„Mörder", flüsterte eine Stimme hinter ihnen. Das Wort brach durch die Stille wie ein Stein durch eine Fensterscheibe. Leute zuckten zusammen, wichen aus.

Adriel schloss die Augen und hielt Anas Hand fester, als sein Bruder sich zu etwas erhob, das er nicht mehr aufhalten konnte.
„Wer hat das gesagt?" Seine Stimme war leise, brach auf halbem Weg und echote dissonant unter den hohen Bögen der Halle hindurch.

Mehrere Adelige traten hektisch von einer Person weg, einem älteren Mann mit grauen Haaren, tief gebeugt über seinen Gehstock. Adriel erkannte ihn, als einen der ältesten Freunde seines Vaters, der im nächsten Moment links und rechts von Soldaten gepackt wurde, doch Ana sah nur den Gehstock, der klirrend zu Boden fiel.

„Kellen...", drehte er sich zu seinem schwer atmenden Bruder um.

„Bringt ihn runter!" Kellens Augen fanden Adriels. Seine Schultern hoben und senkten sich von seinem rapiden Atem.
„Für dich heißt das Eure Majestät."

Dieses Mal war es Adriel, dessen Finger zuckten und knackten. Ana sah es aus dem Augenwinkel und griff panisch seine Hand fester. Er würde sich nur in Schwierigkeiten bringen. Und sie wollte nicht herausfinden, wie die für ihn enden würden. Mit seinem Prozess hatten sie noch gar nicht angefangen. 

Zu ihrer Überraschung schlossen sich Adriels Finger für den Bruchteil eines Herzschlages um ihre und drückten zu, ehe er sie losließ.

Atemzug für Atemzug verstrich, in denen er sich genau seine Worte zurechtlegte und die Leute im Saal dahinter Schutz in Gruppen suchten. Schließlich trat Adriel vor und sagte sehr leise: „Kellen, du weißt, dass Vater niemals Gnade walten lassen konnte?"

Der Nasenflügel des Jungen zuckte bedenklich. Es war als kämpften zwei Mächte in ihm so wüst gegeneinander an, dass es ihn bereits genug Kraft kostete, ihre Zerstörung nicht ungefiltert nach draußen zu lassen.
„Was willst du mir sagen?"

Adriel machte wieder einen Schritt auf ihn zu und dieses Mal reagierte die Thronwache nicht.
„Sei besser als er."

Kellen blinzelte nicht. Er betrachtete seinen Bruder aus ausdrucksvollen Augen, die Hände bebend an seiner Seite.

Ana zählte ihre Atemzüge in der Stille des Thronsaals, nervöse Blicke nach hinten werfend, wo die Soldaten Lucah und Salem festhielten.

Schließlich rollte Kellen seine Schultern zurück und ließ sich wieder auf seinen Thron plumpsen.
„So wie bei dem Soldaten und deinem Jägernovizen?" Seine Finger tanzten über die Lehne des Stuhls.

Adriel richtete sich unmerklich auf, doch seine Stimme behielt ihren ruhigen Tonfall bei, als spreche er mit einer scheuen Raubkatze. „Ich denke, sie wären ein gutes Beispiel für etwas, was du generell zeigen möchtest. In allen Fällen."

Kellen lehnte sich zurück und streckte seine langen, dünnen Beine aus. Es hätte entspannt gewirkt, wenn seine Augen nicht so rastlos gewesen wären.

Ana fragte sich unwillkürlich, wann er das letzte Mal geschlafen haben mochte, doch da sprach er bereits.
„Ich begnadige keine Verräter."

„Ich glaube nicht, dass sie Verräter sind." Hatte Ana zuletzt gedacht, Adriel wäre besonders vorsichtig mit ihr? Es war kein Vergleich, wie behutsam er mit seinem Bruder sprach. „Sie hatten den Befehl, die Seite meiner Seelengebundenen nicht zu verlassen und sie in jeder Situation zu beschützen. In diesem Sinne haben sie sich nichts zu Schulden kommen lassen."

Kellens Blick wanderte hinüber zu Ana und sie zog instinktiv die Schultern nach oben.
„Sie ist Mika'ils Trägerin, nicht wahr? Warum hast du sie nicht in einer Zelle einsperren lassen? Wäre sie so nicht einfacher zu bewachen und... sicherer?"

Es war eine gute Frage. Ana hatte sie sich ebenfalls bereits gestellt und war zu dem undankbaren Schluss gekommen, dass sie in einer Zelle vermutlich nicht überlebt hätte. Nicht alleine mit den Erinnerungen an die Erlebnisse ihrer alten Welt und dem Chaos der Neuen.

Aber Adriel sagte das nicht. Erzählte den Anwesenden nicht, in was für einem erbärmlichen Zustand er sie angetroffen hatte. Was für ein Wrack sie inzwischen Puzzleteil für Puzzleteil wieder angefangen hatte, zusammenzusetzen. Er sah nur für einen kurzen Moment zu ihr herunter und sagte stattdessen: „Und sie strafen, für etwas, an dem sie keine Schuld trug?"

Kellens Rücken wurde steif und er richtete sich auf, als hätte er sich verhört.
„Sie hat Mika'il nicht nur hierher zurückgebracht und die Rebellion neu angefacht, sie hat ihn auch noch befreit, dein Schiff angezündet, zwei Männer zum Hochverrat gedrängt, einen meiner Soldaten mit einem Dolch angegriffen und zu guter Letzt die Weltenwandlerin aus Cerriv freigelassen, die unsere Cousine ermordet hat. Soll ich die Liste fortführen?"

Ana wusste, wie die Liste weiterging: Pferdediebstahl, Wissen über und Verheimlichen des Aufenthaltsorts der Trägergilde und damit eines Rebellenstützpunktes und zuletzt ihr Favorit: Komplott zu einem Mord an einem ausgerufenen Caraiden.

Aber Adriels Gedanken hielten sich an etwas anderem auf. Die Stirn gerunzelt sah er vom Boden zu seinem Bruder hoch.
„Woher weißt du von Reah?"

Kellen blinzelte zweimal, ehe er mit einem geschlagenen Schulterzucken zu der Ecke sah, in der Lucah und Salem immer noch festgehalten wurden und nickte einmal.

Ana spürte ihren Herzschlag in ihrem Hals, als sie sich gemeinsam mit all den anderen Leuten im Saal umdrehte, während Lucah entspannt seine Handschellen dem nächsten Soldaten hinhielt.

Ihre Knie wurden weich, als er von Salem wegtrat und mit gemessenen Schritten zwischen den Leuten hindurch nach vorne zum Thron kam. Direkt neben Adriel fiel er auf ein Knie, den Kopf gesenkt.
„Ich habe alles getan, was Ihr von mir verlangt habt, Eure Majestät."

Kellen sah ihn nicht einmal an, sondern starrte stattdessen zu seinem Bruder hinüber, der sich nach und nach zu seiner vollen Größe aufrichtete.
„Was hat sich seit deinem letzten Bericht zugetragen?"

Ana schluckte einmal. Dann noch einmal. Der Kloß in ihrem Hals blieb bestehen. Was tat Lucah da? Er war doch nicht... er hatte doch nicht...?

Lucah hob den Kopf nicht.
„Der Jägernovize hat Euren Bruder davon überzeugt, dass es sich bei Miss Rea nicht um eine Weltenwandlerin handle und er hat sie besseren Wissens Eurer Gesetze fortgeschickt."

Wieder wurde das Gemurmel der Leute lauter, doch Kellen ließ es geschehen, badete förmlich darin.
„Er hat die Mörderin unserer Cousine freigelassen?"

Adriel verschränkte die Arme, das Gesicht immer noch ausdruckslos.
„Du hast mich ausspionieren lassen."

Und aus irgendeinem Grund schien dieser Verrat schwerer zwischen den Brüdern zu wiegen, als irgendetwas, was in dem letzten halben Jahr vorgefallen war. Ein Riss, der mit jeder verstreichenden Sekunde wuchs. Ausuferte. 

Kellen blinzelte nicht. Es war, als sehe er die Zerstörung vor sich, wolle jedes Detail in sich aufnehmen, ehe er ihr den finalen Stoß gab. 
„Berechtigt, wie es scheint."

Anas Herz schlug hoch bis in ihren Hals. War er enttäuscht von Adriel? Lucah hatte gesagt, dass Adriel Hochverrat begangen hatte und Kellen wirkte nicht so, als habe er es wirklich glauben wollen. Als hätte er bis zu diesem Moment gehofft, ihr die Schuld an den Vorfällen geben zu können.

Doch als sie ansah, war das keine Unsicherheit mehr. Kein Zweifel daran, dass er tun würde, was er tun musste. „Wenn du kein Prinz wärst, würde ich dich hängen lassen. Sei dankbar für meine Gnade, Bruder. Zehn Peitschenhiebe für dich und zehn Peitschenhiebe für sie."

Jemand aus der Menge japste hörbar auf. Ana ebenfalls.
Zehn? Zehn war viel, oder? Sie wollte sich nicht einmal die Schmerzen von einem vorstellen, die Finger bereits unbewusst nach ihrem Rücken ausgestreckt. Ihr Atem wurde schneller.

Adriel trat vor sie.
„Gib mir zwanzig und verschon sie. Sie wusste nicht, was sie tut. Es wird denselben Effekt haben."

Anas Finger fielen von ihrem Rücken ab und sie drehte sich zu Adriel.
„Nein!" Das Wort war aus ihrem Mund, bevor sie darüber nachdachte.

Hinter ihr ebbte das Gemurmel ruckartig ab. Kellens dunkle Augen wanderten langsam zu ihr hinüber, eine Braue in die Luft gezogen.

Ana schluckte. Das war eine schreckliche Idee. Sie konnte sich kaum die Verletzung vorstellen, die zehn Peitschenhiebe auf einem Rücken hinterlassen würden, ganz zu schweigen von zwanzig. Es würde Adriel umbringen. Und sie hatte den Verdacht, dass das das Ziel war.

Entschieden, wenn auch mit zitternden Händen, schob sie sich an Adriel vorbei.
„Ich trage meine eigene Verantwortung. Ich werde meine zehn Peitschenhiebe auf mich nehmen." Ihre Knie wurden weich, kaum da sie gesprochen hatten. Peitschenhiebe. 

Adriel zog sie unsanft an der Schulter zurück und drehte sie, bis sie ihm in die leuchtend grünen Augen sehen musste. Es war selten, dass er Emotionen preisgab, aber in diesem Moment, kam seine Sorge wie eine Flutwelle. Wie ein lebendiges Tier, das bereit war, um sich zu beißen.
„Ana, du hast keine Ahnung, was du-..."

„Lass sie", unterbrach Kellen ihn, bereits halb vom Thron erhoben, „Du hast mir in deinen Briefen versichert, dass sie keine Kaliah ist. Lass es sie beweisen." Etwas wie Respekt schwang in seiner Stimme mit, verzerrt durch andere Emotionen, die ihn fest in ihrem Griff hatten. 

Adriels Blick wanderte zu ihm und wieder zu Ana zurück. Seine Bewegungen abrupt, als wäre er kurz davor die Kontrolle aufzugeben. 
„Sie hat noch nie ein Auspeitschen erlebt", beschwor er sie. Flehte sie förmlich an. Zweifelsohne wusste er, was zehn Peitschenhiebe mit einem anstellten. 

Kellen stand über ihnen wie die Statue eines Richters- bewegungslos jede Szene unter ihm in sich aufnehmend und beurteilend. Er hatte sein Schwert wieder in der Hand und bohrte damit abwesend Löcher zwischen die großen Steinplatten. 
„Das werden wir jetzt ändern."

Adriels Hand auf Anas Schulter wurde bleischwer, doch schließlich wandte er sich dem Thron wieder zu.
„Du kannst sie nicht verurteilen Bruder. Als Trägerin fällt sie in die Gerichtbarkeit der Jägergilde. Genau wir ihr Novize." Ein wortloses „Als Caraid solltest du das wissen", schwang unter seinen Worten mit.

Kelles Lächeln flackerte, die Finger wie Krallen um den Schwertgriff gelegt. Sehr langsam wanderte sein Blick zu einer Mönchsartigen Gestalt, deren hochgerollten Ärmel einer schwarzen Kutte mehrere Tätowierungen preisgab.
„Den Burschen lass ich gehen. Aber sie hat mein Gesetz gebrochen."

Und damit packten die Soldaten Ana und Adriel.

Adriel wehrte sich nicht, doch er ließ sich auch nicht so einfach von Ana wegziehen, wie es sich die Männer vielleicht vorgestellt hatten.
„Ana, du weißt nicht, was dir bevorsteht. Ein gezielter Schlag zwischen die Rippen und-..."

Ihre Füße verließen fast den Boden, so schnell wurde sie links und rechts an den Armen gepackt. Ihr Herz hämmerte unkontrolliert und Schweiß bildete sich wie ein dünner Film auf ihrer Haut.
„Zehn doppelte Peitschenhiebe vergehen schneller als zwanzig."

Es war eine dämliche Lüge. Sie sah den Horror in Salems Augen, selbst durch die halbe Halle hinweg. Lucah kauerte noch immer genau dort, wo er auf ein Knie gegangen war, doch er hatte die Augen geschlossen.

Einer der Soldaten versuchte Adriel mit einem Schlag seiner Lanze in die Knie zu zwingen. Es blieb effektlos. Stattdessen zog er die beiden Männer weiter hinter Ana her.
„Das ist mir egal. Du wirst-..."

„...das nicht mit dir diskutieren", presste Ana gerade noch zwischen ihren Zähnen heraus, ehe ihre Soldaten eine der niedrigen Seitentüren erreichten und sie hinauszerrten. 

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"On a scale from one to ten, my friend, you're fu*#%$ed!"- Ana, singt auf dem Weg zu ihrer ersten Disziplinierung. 

Sommerferien. Haaaaach. Irgendwer schöne Pläne? Irgendjemand in Griechenland?

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