Undurchdachter Fluchtversuch Teil 2. Jetzt wird alles besser.

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          Ana saß in Adriels Kajüte und starrte die Holzmaserung an, die Beine angezogen und ihr Kinn auf ihre Knie gelegt. Sie bewegte sich nicht, was ein ironischer Kontrast zu ihren rasenden Gedanken war.

Adriels Onkel kam und setzte sich zu ihr. Erzählte ihr, dass sie Kurs auf die Hauptstadt nahmen. Er sprach so sanft mir ihr, dass seine Stimme sich kaum noch von Dr. Neill unterschied.

Ana starrte an ihm vorbei und klammerte sich an Cassys Otter fest. Sie würde von diesem Schiff verschwinden. Und wenn das den einzigen Kerl beinhaltete, dem es vermutlich sogar noch egal war, ob sie verrückt war oder nicht.

Es war eine richtig dumme Idee. Die Erkenntnis lag wie ein Stein in ihrem Magen. Sie wusste, dass sie ihm nicht trauen konnte. Dass er genau wusste, womit er sie locken konnte. Aber die guten Ideen waren ihr vor zwei Tagen ausgegangen. Und jetzt wusste Adriel Bescheid. Und trotzdem...

Mühsam richtete sie sich in der Koje auf und ließ die Beine über die Kante baumeln. Adriel würde einen anderen Weg finden, seinen Onkel zu retten. Er musste einfach. Vielleicht würde auch niemandem auffallen, dass Mika'il nicht mehr in dieser Welt war. Oder Adriel würde irgendwann doch seinen Thron besteigen und er könnte Sir Ranwic einfach freisprechen.

Ihr war aufgefallen, dass niemand die Tür abgeschlossen hatte. Und ein leeres Kabinett an der Wand verriet ihr, dass jemand den Alkohol entfernt hatte. Schlechtes Gewissen rollte sich wie eine Schlange in ihrem Bauch zusammen. Was sie vorhatte, war Verrat. Verrat an Adriel, seiner Mission und seinem Onkel. Aber er wusste jetzt Bescheid.

Tee, Sir Ranwics Schlüssel und eine Öllampe standen auf dem Nachttisch. Sie nahm die letzten beiden Dinge und schlich sich zur Tür. Es war eine beschissene Mission, in einer doofen Welt mit einem furchtbaren Rechtssystem. Sie konnte sich nicht erlauben, in zwei Welten verrückt zu sein.

Bewegungslos blieb sie vor der Tür stehen.
Einatmen.
Ausatmen.

Wenn sie das hier richtig anstellte, rettete sie Mika'il das Leben. Davon würde sie Cassy erzählen können. Von ihrer ersten eigenen Rettungsmission. Ihr Herz machte einen schnelleren Schlag und schlang ihre Finger um die Türklinke.

Ihr erstes Abenteuer, das kein Traum war.

Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, als sie durch die Tür schlüpfte. Vor ihr lag der Gang stumm und leer. Über den gleichmäßigen Regen und das Rauschen der Welle hinweg, schnarchten unter Deck mehrere Stimmen.

Eisige Luft zog von der geschlossenen Luke über ihr hinab und erinnerte sie daran, dass sie das schon einmal gemacht hatte. Unbeabsichtigt. Und da war es ihr leichter gefallen. Jetzt fühlte es sich wie Abschied an. Als würde sie ihnen allen den Rücken kehren.

Ana konnte Adriel nicht orten, so wie er immer zu wissen schien, wo sie sich befand, aber sie vermutete, dass er oben auf Deck war. Oder zumindest hoffte sie das, als sie auf Zehenspitzen zu der Luke ihrer alten Kajüte schlich. Sie wollte sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn er sie fand. Entschieden schob Ana das widerwärtige Gefühl zurück. Er wusste, dass sie verrückt war. Sie rette sich nur, bevor er es unmöglich machen würde.

...zumindest versuchte sie sich das einzureden.

Gebückt hantierte sie an dem Schloss der Luke herum, bis sich der Riegel mit einem schrillen Knarren löste. In der Bewegung gefroren lauschte Ana nach möglichen Schritten oder neuen Rufen. Irgendjemand, der sie hören und aufhalten würde. Jemand mit leichtem Schlaf. Jemand mit einem schlechten Gefühl.

Sie wartete darauf. Wusste, dass in dieser Welt mehr zwischen Himmel und Meer einen Finger auf dem Puls des Schicksals hatte. Kräfte, die bisher noch immer gegen sie gearbeitet hatten.

Aber anscheinend nicht, wenn sie furchtbare Ideen hatte. Denn die Nacht blieb genauso atemlos still, wie sie. Und so hob sie die Luke an und huschte umso schneller in die vermeintliche Sicherheit der Zelle.

Mika'il saß unter dem Bullauge, das Mondlicht in den Haaren und die Beine ausgestreckt. Mit schiefgelegtem Kopf beobachtete er sie, wie sie hinter der Luke zögerte, ein winziges selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen. Er war nicht überrascht, sie hier unten zu sehen.

Es nervte sie unaussprechlich. Hätte sie noch eine Bestätigung gebraucht, dass sie hier unten nichts verloren hatte, wäre es das gewesen. Aber sie brauchte ihn. Sie musste von hier fort, musste wissen, was er wusste. Also kam sie die Stiege hinunter.
„Schau nicht so. Ich bin nicht freiwillig hier." Steif von der Anspannung ihrer Muskeln ließ sie sich auf einer der untersten Stufen nieder und schlang die Arme um ihren eigenen Körper.

Mika'ils Mundwinkel zuckten nur noch mehr.
„Hat dein Prinz dich etwa gezwungen, meine dunkelsten Geheimnisse aus mir herauszubekommen?", er wackelte mit den Augenbrauen, „Folter oder Flirten?"

Anas Brauen fielen zu einer geraden, unamüsierten Linie ab. Wäre sie bereit, ihn für seine Informationen zu foltern? Es war beinahe armselig, wie die Antwort immer noch 'nein' lautete. Sie wollte das hier einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen.
„Du hast gesagt, du wüsstest, wie ich nach Hause kommen kann? Aber anscheinend werde ich hier gefoltert."

Mika'ils Miene hellte sich merklich auf.
„Also flirten!" Er lehnte sich auf seinen Ellenbogen nach vorne, als würde sie ihm jeden Moment ein wunderbares Geheimnis verraten.

Ana lehnte sich von ihm weg. Wenn es das Flirten der Jungs an ihrer Schule war, würde sie lieber gefoltert werden.
„Mika'il bitte."

Mika'il verschränkte spöttisch langsam die Arme und lehnte sich noch ein Stück weiter nach vorne, das Grinsen breit und unverwackelt. „Das sagen die meisten meiner Mordopfer auch." Und dann zwinkerte er ihr zu.

Ana blinzelte.

Brauchte eine Sekunde...

.... und entließ ein sehr sehr langes Seufzen. Sie hatte hierfür keine Zeit. Es war von Anfang an eine dumme Idee gewesen und jetzt wurden ihr die Ausmaße wirklich bewusst.
„Du weißt es nicht, oder?" Die Enttäuschung sammelte sich wie in einem Becken in ihrem Magen.

Mika'il machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich betreibe nur Smalltalk." Er zog noch eine Grimasse, ein halbes Grinsen, das seine Sommersprossen verschob, als solle es dort gar nicht sein. „Wir können doch nicht gleich mit dem Geschäftlichen beginnen. Sonst bekomme ich noch den Eindruck, du bist gar nicht wegen meinem Charme hier unten. „

Ana starrte ihn einfach nur weiterhin an. Wie konnte er so entspannt sein? Er sah einer Zukunft auf einem Scheiterhaufen entgegen und riss Witze. Sollte er sie nicht eher anflehen, dass sie ihn befreite? Oder genau wie Mane Bork versuchen, Adriel durch sie zu töten?
„Die meisten beginnen Smalltalk mit dem Wetter."

Er zuckte mit den Schultern. Sie wurde den Eindruck nicht los, das es nur wenig gab, was seinen goldenen Augen entging.
„Das letzte Mal hast du den Smalltalk damit begonnen, mich zu fragen, wie es mir geht. Das ist schlimmer als Mord. Hat dir niemand flirten beigebracht?"

Anas Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Unfähig, zu begreifen, wie er bisher durch seine anderen Leben gekommen war, kniff sie die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, ehe sie ein klein wenig vehementer zurückgab:
„Du sitzt in einer Zelle auf dem Weg zu deiner Hinrichtung. Ich finde meine Frage berechtigt."

Mika'il zuckte. Es war nur eine winzige Bewegung des Kopfs, den er neigte, als habe er sie falsch verstanden, doch er fing sich beachtlich schnell.
„Bei einem gewöhnlichen Menschen vielleicht. Ich bin ein seelenloser Massenmörder. Mein Gesprächsstarter macht viel mehr Sinn."

Er sagte es, wie Ana mit Nele darüber Witze machte, dass sie mit einem Bein bereits wieder in der Klapse stand. Das falsche hohe Lachen aus einer anderen Welt echote dissonant in ihren Ohren.

Irgendwas stimmte hier nicht. Irgendwas stimmte mit ihm nicht.

Die Augen leicht verengt, stützte sie ihr Kinn auf ihrer Faust auf und beugte sich näher.
„Wann war denn das letzte Mal, dass du jemanden getötet hast? Deinen neuen Körper einmal ausgenommen?" Sie hatte all die Geschichten über ihn gehört. Dass er kleine Kinder zum Spaß folterte. Dass er bei seiner ersten Ankunft einen Berg auf Leichen hinterlassen hatte. Aber es hatte auch Geschichten darüber gegeben, dass sie Dr. Neill ein Ohr abgebissen hätte. Die Chancen standen also fifty-fifty.

Mika'il runzelte die Stirn. Das war definitiv nicht der Grund gewesen, warum er hatte mir ihr sprechen wollen, sie konnte es ihm von der Nasenspitze ablesen.
„Hat dir niemand gesagt, dass man psychopatische Massenmörder nicht auf ihren Mangel an Leichen hinweist", er warf einen bedeutungsvollen Blick durch den winzigen Raum, „Ganz besonders, wenn man zu ihnen alleine in eine Zelle klettert?"

Ana blinzelte. Er war der Frage ausgewichen.
„Du denkst, ich lasse dich hier raus, wenn ich tot bin?"

„Die Luke ist unverschlossen."

„Und ich soll bitte leise sterben?"

Mika'il lachte in sich hinein, musterte sie noch eine Sekunde länger und lehnte sich dann entspannt zwischen zwei Bullaugen gegen die Schiffswand.
„Du willst wissen, wie du heimkommst, ich will wissen, was du über Dämonensteine weißt."

„Danach hatte Kaïa auch gefragt", Ana richtete sich auf. Es war die einzige Frage gewesen, als Kaïa sie angegriffen hatte. Kaïas Verrat. Sie wollte Mika'il nicht danach fragen. Die Antworten waren immer gleich. „Was ist das?"

„Ein Dekostück, das verschwunden ist. Nichts wichtiges."

Ana verschränkte die Arme wieder und lehnte sich zurück.
„Liar, liar pants on fire." Es hatte etwas mit ihrer Heimkehr zu tun.

Mika'il grinste und wackelte mit den Füßen. Ein Jahrhunderte altes Kind in einem fremden Körper.
„Ich bin ehrlich. Dekoration ist vielleicht nicht der Hauptverwendungszweck, aber ich werde niemandem vorschreiben, was ein geeigneter Briefbeschwerer ist."

Ana kniff lediglich die Augen zusammen. Er hatte die Frage noch immer nicht beantwortet.

Mika'ils Grinsen flackerte nicht einmal. Stattdessen wanderten seine Augen amüsiert über ihre ablehnende Haltung.
„Ich bin noch nie gerettet worden. Vielleicht hat die Seelenweberin deshalb ihr Leben für deines gegeben? Damit du mich noch retten kannst?"

Ana hatte das Gefühl, dass er sich über sie lustig machte.
„Vielleicht hatte sie Mitleid mit mir, weil ich dir begegnet bin."

Ein schnaubendes Lachen brach aus Mika'il heraus und ließ Ana besorgte Blicke zur Luke schicken. Als es draußen jedoch leise blieb, kreuzte der Weltenwandler die Füße an den Gelenken und verschränkte ebenfalls entspannt die Arme.
„Charmant."

„Wir könnten sie befragen...", sie machte eine Geste die Stiege hoch, „... Ich meine, wenn ich dich hier rausbekomme." Auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, wie weit sie draußen auf See waren, wurde sie den Eindruck nicht los, das Mika'il seine Festnahme aus einem bestimmten Grund in die letzte Stadt verlegt hatte.

„Und dafür bringe ich dich aus dieser Welt?", er lehnte sich ein Stück nach vorne, „Ist das dein Preis, Prinzessin?"

Ana gefiel der Spitzname nicht. Und auch nicht die Implikation, dass sie sein Leben nur für eine Belohnung retten würde.
„Kaïa sagte, dass du den Weg zu den Seelenweberinnen kennst. Selbst wenn du keine Ahnung hast, wie ich nach Hause komme wissen sie vielleicht mehr."

Mika'ils Blick wurde berechnend. Für einige Sekunden sah er aus, als würde er eine schwierige Berechnung mit mehreren Variablen machen, ehe er schließlich sagte: „Die Überfahrt ist gefährlich. Sie hat dich vielleicht dieses Mal nicht den Verstand gekostet, aber niemand könnte eine Garantie auf einen zweiten, oder... dritten Versuch geben." Er machte eine vielsagende Pause.

Die Stirn in Falten gelegt, versuchte Ana die offensichtliche Doppelbedeutung zu begreifen, auf die er anspielte. Doch sie blieb erfolglos. Noch mehr den Verstand verlieren klang in diesem Moment beinahe schon attraktiv.

Als sie ihm eine Antwort schuldig blieb, rappelte Mika'il sich hoch.
„Ich zeige dir lediglich die Fakten auf, Prinzessin."

Instinktiv lehnte Ana sich von ihm weg. Er war vielleicht nicht besonders groß oder muskulös, aber alte Sorgen erinnerten sie daran, dass Flirten auch in Stürzen aus Fenstern endeten.
„Nenn mich nicht so", brachte sie abwehrend heraus.

„Warum nicht? In anderen Welten würde dir deine Art Band zu dem Prinzen ein Anrecht auf die Krone geben."

„Ich will diese Krone nicht. Ich möchte nach Hause", Ana holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Zu ihrer eigenen Überraschung war es mehr Ärger als Angst, die ihr Herz schneller schlagen ließ.

„Also gut", Mika'il klatschte in die Hände, „Willst du es magisch besiegeln?"

Sie hörte den Funken Begeisterung in seiner Stimme, auch wenn er ihn durch Überheblichkeit kaschieren wollte. Sie maß ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick und kam dann ebenfalls auf die Füße.
„Ich denke, ich werde dir als mein Lotse vertrauen müssen." Mehr noch, als er wusste. Was, wenn sie wieder ein Feuer auslöste, das sonst niemand sah?

Mika'ils Gesicht verfinsterte sich, als hätte er ihren Gedanken gehört. Mit großen, bestimmten Schritten kam er auf sie zu und ließ sie einen Schritt rückwärts die Stiege hochklettern.
Das ist eine furchtbare Idee."

Anas Herzschlag gewann an Tempo. Es war nur das dünne Echo ihrer sonstigen Panik.
Damit kennst du dich bestimmt aus." Und bevor er die wachsende Sorge in ihren Augen sah, drehte sie sich um und kletterte schnell die Stiege wieder hoch.

Sie fanden das Deck nur von einzelnen Öllampen beleuchtet vor. Die Regen hatte sich in Schnee gewandelt, der träge aus einem wolkenverhangenen Himmel fiel und sofort schmolz, als er das Holz berührt.

Ana blieb direkt vor der Luke stehen und schlang ihre Arme um ihren Körper, um sich gegen die Kälte zu wappnen. Sie spürte Mika'ils Präsenz hinter ihr, aber fokussierte ihre Augen bewusst auf die leere Vorrichtung, in der sonst ein Beiboot wartete. Marteel und die Crew hatte es zu Wasser gelassen, um von ihm aus Reparaturen am Schiffrumpf vorzunehmen. Ein Tau zog es hinter dem Schiff hinterher, während die Mannschaft ihre verdiente Ruhe fand.

Nur Adriel konnte sie nicht an Deck von ihrem Standpunkt aus sehen. Sie wartete mehrere Momente, in denen ihr Herz schmerzhaft gegen ihre Rippen schlug, ehe sie mit einem stummen Nicken Mika'il in die Richtung deutete.

Der Weltenwandler schlüpfte ohne eine Antwort an ihr vorbei und nutzte die Schatten, um sich erst zum Mast und dann zur Reling zu stehlen. Mit einem Fingerzeig bedeutete er Ana, das sich am Steuer jemand befand und der wachhabende Matrose ebenfalls am Heck des Schiffes stand.

Ana schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, das Rauschen der Wellen auszublenden, bis sie sanfte Konversation auf dem Wind hörte. Ein tiefer Atemzug reichte nicht, um ihren Puls zu beruhigen. Sie würde all das hinter sich lassen. Sie würde Adriel und seinen Onkel verraten. Und sie würde nach Hause kommen. Dann huschte sie ebenfalls aus der Luke und folgte auf demselben Weg, den Mika'il genommen hatte.

Gemeinsam duckten sie sich hinter ein befestigtes Fass. Oben beim Steuerrad unterhielten sich die zwei Matrosen, die Köpfe zusammengesteckt und blind für alles, was an Deck vor sich ging. Ana musste außerdem, dass der Schiffjunge auch oben im Krähennest schlief.

Mika'il linste unterdessen über die Reling und zog eine Grimasse. Keine Leiter führte zu dem kleinen Beiboot und die Paddel lagen zwischen ihm und Ana.
„Wir werden uns das Seil herunterhangeln müssen", flüsterte er Ana zu, die Zweifel unausgesprochen lassend, dass sie körperlich dazu überhaupt in der Lage war.

Ana riskierte ebenfalls einen Blick und rümpfte die Nase. Sie war noch nie sonderlich sportlich gewesen und hatte es kein einziges Mal geschafft, das Seil in der Sporthalle bis hoch zu der Glocke zu erklimmen. Aber sie hatten nicht wirklich eine Wahl.
„Geh du zuerst", wisperte sie Mika'il zu, angespannt durch die Nähe in ihrem Versteck, „Ich reiche dir die Paddel an und du kannst das Seil festhalten, wenn ich dir folge."

Statt einer Antwort nickte Mika'il, linste ein letztes Mal zum Steuerbord und kletterte dann behände über die Reling. Sein Schopf war verschwunden, bevor Ana die angehaltene Luft ausgestoßen hatte. Sie quetschte ihr Gesicht zwischen zwei der Verstrebungen und beobachtete Mika'il, wir er sich schmerzhaft langsam herunter hangelte. Das Seil schwang und ließ den Knoten an der Reling ächzen.

Oben beendeten die zwei Matrosen ihr Gespräch und einer von ihnen kam die Treppe aufs Hauptdeck herunter. Er trug eine Öllampe bei sich, die die Nacht um ihn herum vertrieb.

Ana presste sich dichter an ihr Fass heran, kaum noch fähig zu Atmen. Erinnerungen an das Feuer stahlen ihr die Konzentration. Ihre Finger tasteten neben sich nach Halt, während die Schatten um sie herum kleiner wurden.

Der Matrose setzte seine Runde fort. Hinter Ana kam Mika'il mit einem dumpfen Laut im Beiboot auf. Wispernd rief er ihren Namen, während die Schritte des Matrosen ihn immer näher an ihr Versteck brachten.

Anas Muskeln wurden stocksteif. Schnee setzte sich auf ihrer Kleidung ab, während der Schein der Öllampe Mika'il verstummen ließ und ihr Versteck kurzzeitig erhellte. Dann ging der Matrose weiter. Er musste sich nur umdrehen... Nur ein Geräusch hören...

Ana erlaubte sich erst wieder zu atmen, als er weiter hinten am Heck angekommen war. Mit klammen Fingern schob sie erst das eine und dann das andere Paddel durch die Reling hindurch und reichte sie Mika'il an.

Irgendwo hinter ihr wurde eine Tür geöffnet und erregte die Aufmerksamkeit des anderen Matrosen. Ana linste zu ihm hinüber, doch er hatte den Kopf weggedreht und lief zu der offenstehenden Tür hinüber, die Schritte eilig.

Jetzt oder nie. Mit zitternden Knien richtete Ana sich auf und sah zu Mika'il herunter, der das Beiboot so nahe an die Bordwand gezogen hatte, dass er direkt unter ihr dümpelte.
„Lös den Knoten und spring", rief er leise, die Arme ausgebreitet, „Ich werde dich fangen."

Anas Augen wurden riesig. Das würde nicht funktionieren. Das Beiboot würde kippen. Von dem Aufprall aus der Balance kommen. Doch als sie die Finger um das Seil schloss, spürte sie zum ersten Mal die scharfe Salzkruste, die sich darauf gebildet hatte.

Sehr langsam packte sie den Knoten und begann ihn zu lösen. Er war steif und fest. Unter zu viel Spannung, um einfach nachzugeben.

Hinter ihr hörte sie wieder Schritte. Schnelle Schritte. Sie zog und zerrte an dem Knoten, bis das dicke Seil widerwillig nachgab. Mit einem Eigenleben glitt es ihr aus den Händen und folgte der Schwerkraft von Bord. Schneller und schneller in das Dunkel hinein.

Jemand rief etwas. Es war nur ein dumpfer Laut in ihren Ohren, die sich mit tobendem Rauschen füllten. Ana drehte sich nicht um. Die Reling umklammert schwang sie ein Bein darüber und sah nach unten.

Ihr Herz sprang in ihren Hals. Der Sprung ging tief. Tiefer als sie erwartet hatte. Dunkles Wasser umgab das winzige Beiboot in finsterer Unendlichkeit. Instinktiv packte sie die Reling fester. Sie erinnerte sich an das schwerelose Gefühl in ihrem Magen. An jedes verschwommene Detail ihres Sturzes. Es machte sie Bewegungsunfähig. Nicht jetzt. Sie hatte keine Zeit für Nerven.

Ihr Herz ging zu schnell. Es rannte förmlich. Zu schnell für ihren Körper. Zu schnell für ihre Atmung, die kaum hinterherkam.

„Ana", flüsterte Mika'il ihren Namen eindringlich, die Arme ausgebreitet. Sein Blick glitt immer wieder hinter sie, wo jetzt mehrere Leute sich gegenseitig Dinge zuriefen.

Anas Muskeln krampften sich zusammen, bis sie glaubte zerrissen zu werden. Sie bekam keine Luft. Die Erinnerung an ihren Sturz ließ sie schwindeln. Die Kontrolle verlieren. Ihre Muskeln waren zu zittrig. Zu schwach. Sie würde fallen.
Vor ihren Augen verzerrte sich das Bild, zog sich auseinander und kippte. Innerhalb von Sekunden verlor Ana das Bewusstsein für oben und unten. Alles drehte sich.

Sie hörte Mika'ils warnenden Ruf wie durch einen weit entfernten Tunnel, geechot durch mehrere Stimmen hinter ihr. Ihre Sicht wurde rapide kleiner, während die Erinnerung sich in ihr ausweitete. Das Lachen der Leute. Die Gesichter der Jungen oben im zerbrochenen Fenster.

Und dann der Fall.

Jemand schlang einen Arm um ihre Mitte und zog sie nach hinten. Doch sie sah bereits nichts mehr. Allein ihr rapider Herzschlag hämmerte in ihr fort. Ließ sie unkontrolliert zittern und um Kontrolle ringend. Sie fühlte sich, als fiele sie in ihr eigenes schwarzes Loch tief in ihr selbst hinein. Dann war sie fort.

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"Von Sternen können wir uns vielleicht einen Selbst-Rettungs-Kurs leisten." - Mika'il und Ana. Absolut sh*t in Rettungsversuchen.

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