∙ A Z I E L ∙

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I.IV


Die Hitze hatte die trockene Luft zum Flimmern gebracht. Wie ein Schleier durchbrochen von glühenden Sonnenstrahlen glitt sie über die Wüste. Der Horizont flackerte wie eine durstige Flamme, die sich am Ende der trostlosen Weite sammelte. Heller Sand verschmolz in der rastlosen Ferne. Die Wüste erstreckte sich wie eine sonnengebadete Einöde in alle Richtung, als würde sie versprechen, einem im flachen Irrgarten aus flimmernder Luft und Bildern zu verschlucken.

Karawanen aus Kamelen zogen wie aufgezogene Perlen auf einem Draht in der Ferne über die hohen Kämme der Dünen. Aasgeier kreisten am opalblauen Himmel und verschwammen im Sonnenlicht zu dunklen Flecken.

Als würde seine Haut sich an die glühende Wärme erinnern, die sich wie eine erstickende Decke über das Land ausbreitete, kroch ein angenehmes Kribbeln über seinen Rücken. Die lauten Stimmen, die bis an Rand der Stadt drangen, vermischten sich mit dem Klappern von Hufen und dem Rattern von Karren, die man durch die sandige Strasse schob.

„Aziel", riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.

Er wandte den Kopf und sah zu seinem Kumpan, die im Schatten einer sandfarbenen Hauswand lehnten. Eine schmale Gasse führte an ihnen vorbei in den Irrgarten aus Häuser und Tüchern, wo man vom Geruch von Pfeffer und schwarzem Zucker verfolgt wurde. Der wolkenlose Himmel war von aufgewirbeltem Staub verdreckt und Hitze hing in der Luft.

Mit ihrer blassen Haut passten sie nicht zu den Menschen, die mit dicken Gewändern und Turbanen vorbeiliefen. Sie hatten ihre von Schweiss durchnässten Hemden aufgeknöpft und fächerten sich Luft zu, während sie auf dem schattigen Boden sassen und die Gewehre gegen die Mauer lehnten.

Er überquerte die schmale Strasse. Sein Blick fiel auf die leeren Feldflaschen. Sie hatten alles ausgetrunken. Er ging zu Frioder, der zur Seite rutschte, um ihm einen Platz im Schatten anzubieten.

„Ich habe dir noch etwas zu trinken aufbewahrt", sagte er und zog eine Flasche von seinem Hosenbund.

Dankbar nahm Aziel sie entgegen.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass er heute noch etwas trinken würde.

Nachdem er einige Schlucke getrunken hatte, gab er dem Blondhaarigen die Feldflasche zurück. Dieser steckte sie gleich wieder weg und schüttelte den Kopf, als er dabei feststellte, dass sie noch halb voll war.

„Du wirst uns irgendwann noch verdursten."

Aziel hatte für seine Worte nur ein müdes Lächeln übrig. Der Tag war anstrengend gewesen. Vor einigen Wochen war seine Einheit in Arkura angekommen. Schon auf dem Seichtmeer waren die Stimmung der Soldaten gekippt. Die Meisten waren sich der Schwüle nicht gewöhnt, der sie auf einmal ausgesetzt waren. Sie verbrannten sich an der Sonne und waren am Hitzefieber erkrankt, das die Stechmücken übertrugen. Bisher war er davon verschont geblieben. Doch dadurch, dass mehr als die Hälfte des Lagers kaum aus den Betten kam, hatten sich die Aufgaben auf die wenigen Gesunden verteilt.

Er hatte Bewohnerkontrollen durchgeführt. Mit Frioder war er durch die Gassen gezogen und hatte jeden einzelnen Namen aufgeschrieben. Währenddessen hatten die Soldaten den Fluss bewacht, der durch die Stadt floss, um die Bewohner daran zu hintern, zu fliehen. Sie hatten die Sajeren-Familie gestürzt und abgeführt. Und nach dreissig Tagen war es endlich geschafft. Everyn befand sich in ihrem Besitz.

Er liess seinen Blick über die Strasse schweifen.

Zwar war die Feindseligkeit an jeder Ecke zu spüren, doch die Kinder warfen keine Steine mehr nach ihnen und die Erwachsenen schlossen sich kaum zu rebellischen Gruppen zusammen.

„Menschenfresser."

Ein Metallstück landete scheppernd vor seinen Füssen und riss ihn aus seinen Gedanken.

Er sah auf und blickte in zwei grüne Augen.

Breitbeinig stellte Kjell sich vor ihm auf und sah auf ihn herab. Die blonden Haarsträhnen fielen ihm in das rotverbrannte Gesicht. Seine Nase war schräg, weil Aziel sie ihm vor einigen Jahren gebrochen hatte.

„Was willst du?"

Kjell grinste. „Fühlst du dich wie zuhause?"

Aziel hatte gelernt, bei diesen Bemerkungen wegzuhören. Es brachte nichts, sich jedes Mal aufs Neue darüber aufzuregen. Schliesslich konnte er die Gedanken nicht aus Kjells Schädel prügeln. So gerne er es auch getan hätte.

„Er kommt aus Odewil, so wie du auch", knurrte Frioder und stützte sich vom Boden ab. „Also halt dein Maul."

Kjell warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

„Jedes Kind sieht diesem Menschenfresser an, dass er nicht aus Odewil kommt", sagte er und spuckte vor Aziel aus.

Früher hätte er sich angegriffen gefühlt. Er hätte sich aufgerichtet und ihm die Rippen gebrochen. Doch mittlerweile konnte er sich beherrschen. Zumindest bis zu einem Punkt.

„Immerhin hat mir die Sonne mein Gesicht nicht weggebrannt", murrte er. Er spielte mit dem Gewehr, das neben ihm Boden lag. Es war brühendheiss.

Kjell schnaubte. „Weil du ein Mulatte bist."

„Verpiss dich." Frioder richtete sich auf und baute sich wie eine Mauer auf. „Wenn du nur hergekommen bist, um einen Gesandten des Königs zu beleidigen, solltest du dir im Klaren sein, was für Konsequenzen das mit sich ziehen kann."

Aziel hätte am liebsten aufgelacht. Er sah sich nicht als Gesandten des Königs. Er war nicht so dumm, zu glauben, dass man seine Herkunft vergessen würde. Es gab immer Menschen wie Kjell, die ihn daran erinnern würden.

„Ein Hund ist er."

Mit diesen Worten drehte Kjell sich um und ging wieder zu seiner Gruppe hinüber. Frioder sah ihm mit verengten Augen hinterher und warf Aziel einen Blick zu. Er liess sich auf den sandigen Boden sinken. Seine schwarzen Hosen waren verstaubt und seit Tagen nicht gewaschen worden. Genauso wenig sein Hemd, das er bis zum letzten Knopf aufgeknöpft hatte. Seine Brust war schon knallrot und seine Haare hatten sich weisslich verfärbt.

„Nimm es dir nicht zu herzen", sagte er.

Aziel nickte und starrte auf die Wüste hinaus, die sich vor ihnen erstreckte. Es war nicht so, dass es ihn berührte. Schon früh hatte er festgestellt, dass er sich mehr behaupten musste, als andere, denn sein Leben war weniger wert.

„Du brauchst mich nicht zu beschützen."

Er konnte Frioders erstaunten Blick auf sich spüren. „Das hatte ich nicht vor."

Belustigung schwankte in seiner Stimme mit.

Seit Aziel in der Armee diente, hatte er sich verändert. Die Männer waren grob und grausam. Sie ergötzten sich am Leid anderer und fanden Gefallen daran, sich über seine Herkunft zu äussern. In den ersten Monaten hatte er stumm über sich ergehen lassen und sich in seinen Gedanken zurückgezogen, doch nach einer Weile hatte er angefangen, auf jedes Bespucken mit Gewalt zu reagieren. So war es nicht selten vorgekommen, dass er im Kerker gesessen hatte.

„Stimmt es, was man sich sagt?", fragte Frioder nach einer Weile.

Aziel warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

„Dass der König dich zum Offizier machen wollte."

Er schnaubte und wandte sich von ihm ab. „Würde er einem Mann wie mir vertrauen?"

„Ich kenne einige Soldaten, die dir nicht vertrauen würden. Aber es scheint, als würde es der König tun."

Darauf antwortete Aziel nicht. Stattdessen sah er zu, wie die glühende Mittagssonne über den Himmel glitt, auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer.



❈ ∙ ❈ ∙ ❈





Seine Schritte hallten im Flur wie ein fernes Donnergrollen, wenn die schwarzen Wolken am Himmel ein Gewitter ankündigten. Der Schatten an der kalten Steinwand begleitete ihn die Treppe hoch. Die schmalen Fenster boten nur wenig Licht Einlass. Draussen prasselte Regen gegen die Fensterscheiben und verkündigten einen trüben Tag wie jeder andere im Norden an. Die Scheiben waren von der Kälte beschlagen und graue Tauben hatten sich auf den Fensterbrettern auf der Suche nach Schutz niedergelassen.

Es war lange her, seit Aziel das letzte Mal im Schloss gewesen war. Damals war er zehn Jahre alt gewesen und sein Vater hatte ihn dem alten König vorgeführt.

Ein beklemmendes Gefühl beschlich ihn, als er die letzte Stufe hoch schritt. Dem jungen König war er einige Male schon begegnet, doch bisher hatte er ihn ignoriert. Hin und wieder hat er seine Seitenblicke auf sich gespürt. Die Abschätzung, während dessen Vater seine Hautfarbe musterte. Aziel brauchte keine gestochenen Ketten am Schlüsselbein. Man sah seiner karamellfarbenen Haut an, dass er zu den Gefangenen des achten Krieges gehörte.

Soldaten in schwarzer Rüstung positionierten sich vor der grossen Flügeltür. Einer drehte sich zu ihm um und selbst durch das schmale Visier spürte er die Verachtung.

Aziel reckte das Kinn. Sein Vater hatte ihm gelernt, dass er sich niemals klein machen durfte. Er ging auf die Soldaten zu und reichte ihnen das vergilbte Pergament mit dem odevirgen Siegel.

Dieser riss es ihm aus den Händen und strich es glatt. Der zweite Soldat liess ihn keine Sekunde aus den Augen. Er umklammerte den Speer fester.

Er schluckte die Wut hinunter und starrte auf die schwarzen Tore, die ihn vom König trennten. Der erste Soldat studierte eingehend das Pergament, als wollte er jeden so kleinen Fehler finden. Aziel war sich sicher, dass er es schon zum vierten Mal durchlas. Die eisblauen Adleraugen huschten über die Schrift und schliesslich seufzte der Mann. Das Klappern seiner Rüstung riss Aziel aus seiner Starre.

„Hier", murrte er und reichte es ihm.

Als Aziel danach griff, liess der Soldat das Pergament nicht los. Er starrte ihn an.

Diesen Blick kannte er. So sah man ihn an, wenn er sich ausserhalb seines Viertels herumtrieb. So hatte man ihn gemustert, als er in die Armee eingetreten war, und so würde man ihn immer betrachten.

In den Augen des Soldaten glitzerte die Abscheu wie die Reflexion der milden Sonne auf den schäumenden Wellen des eisigen Meeres auf. Sein Blick glitt über Aziels kantiges Gesicht und blieb an seinen schwarzen Locken hängen, die sich unter seinem Ohr kringelten. Sein Mundwinkel zuckte und er liess das Pergament los.

„Wenn du irgendwelche Dummheiten vorhast, wird das dein Tod sein", sagte er und trat beiseite.

Aziel rollte das Schriftstück zusammen und unterdrückte das Verlangen, dem Blondhaarigen die Faust ins Gesicht zu donnern. Er steckte es zurück in die Tasche und zwang sich, zu lächeln.

„Das weiss ich, aber vielen Dank für die Warnung", erwiderte er und trat an dem Soldaten vorbei.

Der Mann deutete seinem Kameraden, die Flügeltür zu öffnen.

Aziels Herz stolperte, als der Soldat die Tür aufstiess. Sie glitten wie zwei massive Flügel tonlos auseinander. Fast so, als würden sie über den schwarzen Boden schweben.

Es war lang her, seit er das letzte Mal gesehen hatte, wie diese Tore sich für ihn öffneten. Wie dunkler Nebel stiegen die Erinnerungen auf, die er so schnell wie möglich vertrieb. Er wollte nicht an das eingefallene Gesicht seines Vaters denken, als sie den Palast verlassen hatten. Heute würde er dem neuen König begegnen. Dem Schattenbeschwörer.

Das war nicht beruhigender, doch an diesem Namen klebten keine alten Erinnerungen. Er hatte schon vieles von dem jungen Mann gehört, der den Thron an sich gerissen hatte. Manche im Viertel sagten, dass mit ihm die Befreiung kommen würde. Er war selbst ein Ausgestossener. Obwohl der König seine Herkunft behütet hatte, wusste es das ganze Reich. Doch niemand traute sich, die Worte in den Mund zu nehmen. Man hatte gesehen, was mit denjenigen geschah, die es wagten. Und es war eine Lehre.

Aziel verdrängte die Gedanken und holte tief Luft. Die Blicke der Soldaten stachen in seinem Rücken.

Mit straffer Haltung betrat er den Thronsaal. Seine Schritte hallten auf dem kalten Stein wie das Echo von Schüssen in weiter Ferne. Die Dunkelheit schlängelte sich an den Wänden entlang und hing über ihm an der Decke. Die Malerei auf den Wandteppichen waren vergilbt. Wenn er sie nicht schon gesehen hätte, als ihre Farbe noch frisch gewesen war, hätte er die Abbildungen der alten Geschichte nicht erkannt.

Im Thronsaal war es leise. Allein seine Anwesenheit schien die bedrohliche Ruhe, die in der kalten Luft lag, zu stören. Das Licht des Kronleuchters liess seinen Schatten über den Steinboden gleiten und die Flammen flackerten wie eine Fackel in stockdunkler Nacht.

Auf dem Thron sass ein Mann, der eine Kühle ausstrahlte, dass Aziel glaubte, das Blut in seinen Adern würde zu Schnee. Er starrte auf den Soldaten hinab wie ein Eisfalke, der sich jeden Augenblick auf seine Beute stürzte. Schwarzer Stoff umhüllte ihn wie ein See aus Pech. Die Krone auf seinem Haupt war das Einzige, das Wärme ausstrahlte, und selbst sie wirkte in der Gegenwart des Königs wie ein trügerisches Scheinbild.

Aziel schluckte und ging in die Knie.

Der Blick des Herrschers frass sich in seine Haut und schien, einen Einblick in seine Seele zu suchen. Frost überzog ihn wie das feine Netz einer Raupe.

„Erheb dich." Seine Stimme brach wie ein Donnern über ihm ein.

Langsam richtete er sich auf.

Der junge Mann war nicht wie sein Vater. Er wirkte beherrscht und kühl. Distanzierter. In seinem Gesicht konnte Aziel kein Hauch menschlicher Regung erkennen.

„Du bist also der Mann, den sie den Menschenfresser nennen", sagte der König, nachdem er ihn eingehend gemustert hatte. Seine ringgeschmückten Finger trommelten auf der Lehne des Throns. Er neigte den Kopf, als könnte er ihn so besser betrachten. Eine weisse Strähne fiel ihm in die Augen. „Ist es wahr, was man über dich berichtet?"

Aziel schluckte. Seine Zunge war schwer. Die Narbe an seiner Schläfe zuckte, als wollte sie die Wut herausschreien, die wie die Schatten an den Wänden in ihm hochkroch.

„Das ist abhängig davon, was man Euch berichtet hat, Eure Hoheit."

Die Mundwinkel des Königs zuckten leicht.

„Dann wirst du mir sagen müssen, was es zu berichten gibt."

Aziel zögerte. „Ich kann Euch nicht sagen, weshalb Ihr mich herbestellt habt."

Der König lehnte sich tiefer in den Thron. Das verdunkelte Eisen schien sich an seine Haut zu schmiegen, als wäre er einer der Bergmagnete, die man im Wintergebirge abbaute. Die Schatten, die in der Luft lagen, wurden dichter, bis Aziel nicht einmal mehr die Hand vor seinen Augen sehen konnte.

„Was weisst du über mich?"

Aziel hatte schon einiges von dem König gehört. Im Viertel sprach man über ihn. Viele glaubten, er würde eine neue Zeit einläuten. Denn es hatte sich nach dem Tod des Königspaares herumgesprochen, dass der junge König den Glauben und die Ziele seines Vaters stets missbilligt hatte. Die Hoffnung wuchs in den ärmeren Stadtvierteln.

Doch er selbst hatte diese Erleichterung nie geteilt. Er wusste, was es bedeutete, einen jungen Mann an der Macht zu haben. Fünfundzwanzig Jahre alt. Er war noch nicht bereit dazu, dieses Reich zu leiten. Viel mehr würde er es in den Untergang stürzen.

Doch er sprach es nicht aus. Die Jahre der Erniedrigung hatten ihn gelernt, dass es Gedanken gab, denen man keine Worte schenkte. Denn sie konnten gefährlich werden. Er dachte an seinen Vater, der stets zu sagen pflegte, die Sprache wöge mehr als Gold. Sie entschied zwischen dem Galgen und Rosengarten. Und ein falsches Wort in diesem Augenblick würde seinen Kopf kosten.

„Ihr seid der jüngste König der nördlichen Zone, Eure Hoheit", sagte er schliesslich.

„Da hast du Recht, doch das meinte ich nicht, Soldat", hallte die kühle Stimme aus der Dunkelheit zu ihm durch. „Glaubst du, ich weiss nicht, was in den Städten über mich gesprochen wird? Sag mir, wie sie mich nennen."

Aziel rang mit sich. „Den Mörderkönig."

„Und wie nennt man dich, Soldat?"

Er presste die Lippen zu einem Strich. Die Jahre hatten ihn gelernt, dass er nichts war ausser der Hauch eines kühlen Windes an einem Frühlingsmorgen.

Seine Gedanken huschten zu dem Soldaten, der die Tür bewachte.

„Menschenfresser", sagte er ohne einen Wank in der Stimme.

Als hätte der König das Licht in den Saal gerufen, zogen sich die Schatten zurück, schlüpften in die Ritzen der Wände und versteckten sich hinter den dicken Vorhängen, die die Fenster schmückten. Das schmale Lächeln, das auf seinen Lippen lag, glich dem Zähnefletschen eines wilden Hunds. Der junge König breitete die Arme aus und richtete sich auf. Auf einmal wirkte er deutlich grösser.

„Weisst du, was das bedeutet, Menschenfresser?"

Aziel starrte den Mann. In ihm kroch die heissgeliebte Wut hoch. Doch er verbiss sich die Worte. Stattdessen erwiderte er den Blick des Königs standhaft.

„Nein, Eure Hoheit", sagte er.

Ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

Der König legte den Kopf schräg. „Wir sind gleichermassen ausgestossen und verachtet. Doch wenn du meinem Ruf folgst, können wir alle bezahlen lassen, die uns so nennen."

Aziel verschränkte die Finger hinter dem Rücken. Sein Herz schlug bei dem Gedanken schneller.

„Du bist nicht aus diesem Land", sagte der König und liess sich in den Thron zurücksinken. Seine Euphorie, die eben noch den ganzen Raum eingenommen hatte, schwand. „Sag mir, woher stammst du?"

„Meine Eltern stammen aus Gregen, Eure Hoheit. Ich wurde jedoch in Odewil geboren."

Seine Brust zog sich zusammen. Als er hochsah, schimmerte ein Leuchten in den Augen des Königs, das ihn beunruhigte.

„Aus Gregen, also. Grenzend an Modia, habe ich recht?"

Der mitschweifende Unterton erinnerte Aziel an das Schleifen von Eisen. Scharf zerteilte es die gefasste Stimme und brach sie in hunderte von Glassplittern. Sie verteilten sich im Raum und richteten die Spitzen auf seine Brust.

Zögernd nickte er.

„Ja, Eure Hoheit."

Der König fand sein Lächeln im gleichen Atemzug wieder, wie er ihm zustimmte. Es glitt wie Eis über sein Gesicht.

„Sag mir, Menschenfresser, welche Stellungen stehen einem Kriegsgefangenen zur Verfügung?"

Aziel betete, dass ihm seine Gesichtszüge nicht entglitten.

„Kaum welche."

„Wie wahr. Und was würdest du sagen, wenn ich dich zum Gouverneur erkläre?"

Er war sich nicht sicher, ob er sich verhört hatte. Weshalb glaubte der König, dass diese Aufgabe ihm zustehen würde? Die Armee würde ihn nicht akzeptieren.

„Wollt Ihr, dass Eure Soldaten einem Kriegsgefangenen folgen?"

Der König musterte ihn.

„Ich will nicht, dass sie einem Kriegsgefangenen folgten, sondern dem Mann, den sie in ihren eigenen Reihen genug fürchten, um ihn den Menschenfresser nennen", erwiderte er.

„Man wird mich lunchen. Niemand wird mir folgen. Seht mich an, Eure Hoheit. Ich bin ein Mann, dem man nicht vertrauen kann. Meine Eltern haben dem fremden Land gedient, das Ihr in die Knie gezwungen habt. Man wird auch an Eurer Kompetenz zweifeln, wenn Ihr mich zum Gouverneur ernennt."

Keine Regung huschte über das Gesicht des Königs. Seine eisblauen Augen ruhten auf dem Soldaten, als wollte er ihn allein mit seinem Blick erdolchen.

„Ich bin mir nicht sicher, ob es von Mut zeugt, dass du es wagst, so mit deinem Herrscher zu sprechen", sagte er schliesslich. „Doch ich bin überrascht, dass du dich nicht um diesen Titel zu reissen scheinst."

Aziel schluckte und senkte den Blick. Sein Herz klopfte wie wild, während er sein Spiegelbild auf dem blankpolierten Saalboden siehst. Er sah sich in die eigenen, dunklen Augen. Seine Haut war trotz der wenigen Sonnenstrahlen in ein trübes Karamellbraun getaucht und die Locken waren für den Norden viel zu lange. Sie reichten ihm fast bis zur Schulter.

„Womit wärst du dann zufrieden, Soldat?", fragte der König.

Verunsichert hob er den Kopf. „Mit Verlaub, Eure Hoheit. Weshalb habt Ihr nach mir gerufen?"

Die Mundwinkel des Königs zuckten und er richtete sich auf seinem Thron auf. Der Umhang wölbte sich wie eine Welle, die gegen das steinige Ufer der Küsten schwappte.

„Man riet mir, wenn ich einen Mann bräuchte, der vor keiner Grausamkeit zurückschrecke, solle ich nach dem Menschenfresser rufen lassen."

Aziel ballte die Fäuste.

„Ist es wahr, was man mir sagte, Soldat?", fragte der König und seine Augen ruhten wie die eines Adlers auf ihm.

Widerwillig nickte er. „Sagt mir, was ich für Euch tun soll, Eure Hoheit."

Das Lächeln auf dem Gesicht des Königs wurde breiter und er stiess sich vom Thron hoch.

„Dies sind die ersten Worte dieses Tages, die mich mit Glück durchströmen lassen. Aber bist du dir dessen sicher?"

Die Frage schwebte wie eine unausgesprochene Drohung in der Luft und durchschnitt die Kälte wie eine messerscharfe Klinge.

Aziel musterte den König. Sein Blick glitt über sein glattes Gesicht. Selbst sein Lächeln wirkte wie eine unechte Schablone, die sich auf seinem schmalen Mund niedergelassen hatte. Die dünnen Augenbrauen sahen aus wie Schneeflocken, die auf die weissliche Haut niedergefallen waren. Kein Hauch von Leben war in seinen kalten Augen zu finden. Zum ersten Mal, seit er den Saal betreten hatte, fragte er sich, ob es klug war, diesem Mann zu vertrauen, der ihm mehr zu gleichen schien, als sein eigenes Spiegelbild, das auf dem blanken Boden verschwamm.

„Natürlich, Eure Hoheit."

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