∙ I S A D O R A ∙

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng


I.XI


Sie starrte die beschlagene Scheibe an. Seit Tagen hatte es nicht aufgehört zu schneien.

„Lady Isadora."

Sie wischte sich den Mund mit der Serviette ab und fuhr den Rand ihres Weinglases nach.

Ove reichte ihr ein Tablett. Isadora griff nach dem Umschlag, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Stattdessen starrte sie aus dem grossen Fenster des alten Herrenhauses. Die Tannen blickten wie weisse Toten zurück. Ein Spatz landete auf einem Ast und liess weisses Pulver herunterrieseln.

„Wer hat ihn gebracht, Ove?" Sie griff nach dem schweren Brieföffner und riss das rote Siegel auf.

„Es war ein junger Mann", sagte die Magd.

Isadora überflog die geschwungene Schrift und ihre Lippen teilten sich zu einem Lächeln. Sie legte das Pergament beiseite und nippte am fruchtigen Wein. Ein Hauch eines Sommers, den sie niemals gekannt hatte.

„Wo ist Fayen?"

Sie hatte sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Sie hatte sich in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen und liess sich das Essen hochbringen. Fayen mochte die Einsamkeit.

Ove trat einen Schritt zurück. „In ihrem Gemach, Lady Isadora."

Die junge Adlige schnipste mit den ringgeschmückten Fingern und seufzte. Sie strich über die giftgrüne Schlange, die sich über ihren Mittelfinger bis zur Fingerspitze zog. Bei den diamantbesetzten Augen hielt sie inne.

„Weisst du, woran sie arbeitet?"

„Ihr wisst doch, Lady Isadora, das gibt sie ungern preis."

Isadora nickte nachdenklich, während ihr Blick über den gedeckten Tisch schweifte. Die Zuckerfrüchte in der Porzellanschale sahen ihr entgegen und schienen sie förmlich zu verhöhnen. So wie alles in diesem Haus.

Seit ihr Vater vor einigen Monden gestorben war, fühlte sie sich auf dem Gut einsam. Überall herrschte eine beklemmende Stille, die hinter den vereisten Springbrunnen hervor schlich und sich im Quietschen der grossen Flügeltüren versteckte. Manchmal glaubte sie, die etlichen Statuen, die den gekiesten Weg zäunten, würden sie mit ihren Blicken verfolgen, wenn sie mit der Kutsche aus- und einfuhr.

Sie war froh, wenn sie den Ort endlich verlassen konnte.

Fayen dagegen fühlte sich hier wohl. Sie genoss die Stille, die über dem Landsitz lag. Sie hatte die Hektik im Haus immer gehasst. Wenn Isadoras Vater zu Festen oder Bällen lud, dann verweilte sie nicht lange im Ballsaal. Es war, als müsste sie vor den Menschen fliehen, die angetrunken vom Branntwein und Champagner durch das Haus stolperten.

Isadora seufzte.

„Hol sie."

Ove machte einen Knicks. „Gewiss, Lady Isadora."

Sie verliess den Speisesaal und als ihre Schritte auf dem Korridor verstummten, griff Isadora wieder nach dem Pergament, um das Geschriebene erneut zu überfliegen.

Ihr Vater hätte das niemals geduldet. Doch jetzt war er nicht mehr hier. Obwohl sie ihn schon vor einigen Tagen den schwarzen Engeln überlassen hatte, überkam sie dieses Stechen in der Brust, wenn sie daran dachte. Sie hatte sich im dunklen Tempel nicht willkommen gefühlt. Die toten Götter hatten auf sie herabgestarrt, wohlwissend, dass sie nicht in ihre heiligen Stätten gehörte. Trotzdem war sie bis zum Ende der Zeremonie geblieben. Das hatte sie ihm geschuldet. Doch kaum war sein Körper mit den lodernden Eisblumen bedeckt und bis zur Unerkenntlichkeit verkohlt gewesen, war sie gegangen. Als sie durch das goldige Tor geschritten war und die kleinen Türme durch die Tannen erblickt hatte, war sie in Tränen ausgebrochen. Einerseits aus Erleichterung, andererseits vor Schmerz. Fayen hatte sie an der Eingangstür erwartet, ihr stillschweigend heissen Wein eingeschenkt und die Mägde damit aufgetragen, ihr neue Kleidung zu bringen, damit sie das graue Kleid und den Schleier im Wissen verbrennen konnte, dass sie es niemals wieder tragen musste.

Sie legte den Brief beiseite.

Eigentlich war das nicht ihre Idee gewesen. Trotzdem hatte sie sich um den Finger wickeln lassen.

Sie leerte den Kelch in einem Zug. Der Wein brannte in ihrem Hals.

Wenn man an die Spitze wollte, dann musste man wachsam sein. Ihr Vater hatte ihr das gelernt. Man musste die Schwächen der Reichen und Mächtigen kennen. Und das tat sie und sie würde nicht davor zurückschrecken, sie auszunutzen.

Das Knarren der Tür riss sie aus ihren Gedanken.

Am Türrahmen stand Fayen. Sie hatte sich zumindest die Mühe gemacht, sich ein anständiges Kleid anzuziehen. Der himmelblaue Stoff schmiegte sich wie eine zweite Haut an der dünnen Taille hoch und präsentierte einen gewagten mit Spitze überzogenen Ausschnitt. Der Rock bauschte sich auf wie kleine Wellen auf dem See im Wald.

„Du hast nach mir gerufen?" Ihre Augen funkelten im Schein des Kronleuchters wie Bernsteine.

Isadora musterte ihre schwarzen, kleinen Locken über ihre Schulter.

„Setz dich doch."

Fayen runzelte die Stirn. „Ich habe bereits gefrühstückt."

Mit einer bestimmten Handbewegung deutete Isadora auf den Stuhl am Glastisch.

„Ich bestehe darauf."

Fayen verbiss sich ein genervtes Seufzen und setzte sich. Sie passte nicht in den prunkvollen Frühstückssaal. Der getäfelte Boden liess sie blasser wirken und sie sah aus wie einer der Statuen, deren Köpfe auf vereinzelten Säulen entlang der hohen Fenster standen.

Ihr missbilliger Blick glitt über den Weinkrug. „Du solltest nicht schon am Morgen Wein trinken."

Isadoras Lächeln wurde breiter und sie griff über den Tisch, um den Kelch erneut zu füllen.

„Ich bin nun Gräfin. Ich darf tun, was ich möchte." Sie nippte an der süssen Flüssigkeit.

„Es schwächt deine Gabe."

Isadora presste die Lippen zu einem dünnen Strich und stellte den Kelch wieder ab.

„Lass das meine Sache sein, Fey."

Fayen zuckte mit den Schultern und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Hast du mich deswegen zu dir gerufen. Damit ich dich machen lasse? Dann tu, was du nicht lassen kannst."

Selbst wenn sie einem mochte, musste man sich ihre Gunst erkämpfen. Oder zumindest ihre Zeit. Denn sie mochte es, so zutun, als wäre sie immerzu beschäftigt.

„Nimm dir doch eine Limette."

Fayen stiess ein Seufzer aus. „Hast du sie vom protzigen Adelsmann aus Nuren abgekauft?" Sie beugte sich vor und griff nach der sauren Frucht, als sie den Brief bemerkte. Sie liess die Hand sinken. „Wann ist der angekommen?"

Isadora hatte gar nicht vorgehabt, ihn vor ihr zu verbergen. Aber irgendetwas sagte ihr, sie hätte es tun sollen. Doch es hätte sowieso kein Zweck gehabt. Fayen roch Lügen besser als ein Hund Blut.

„Gerade eben."

„Von ihm?"

Isadora nickte und nippte am Kelch. Ihr Blick wanderte über die Landschaftsgemälde, die ihr Vater so geliebt hatte.

Fayen starrte den Brief an, als wäre er Okul höchstpersönlich. Dann schnalzte sie mit der Zunge.

„Was steht darin?"

„Du weisst, was darin steht", sagte sie und faltete die Hände. Sie riss ihren Blick von den Gemälden los.

„Wenn der Winter über die Berge zieht, dann sind es die Wölfe, die nach den verlorenen Lämmern suchen, um ihren Magen zu wärmen", murmelte Fayen vor sich hin.

Sie mochte es nicht, wenn Fayen die alten Geschichten zitierte. Sie hatte sie schon als Kind gehasst und mit ihren zwanzig Jahren konnte sie sie noch immer nicht ausstehen.

„Nur sind wir dieses Mal nicht die Lämmer." Fayen hob den Kopf und ein flüchtiges Grinsen zuckte über ihren Mund. Doch es zerfiel gleich wieder, als sie Isadoras Blick begegnete. „Zumindest du nicht."

Sie wussten beide, was sie damit meinte.

„Du warst nie ein Lamm, Fay", sagte Isadora zärtlich.

Fayen schnaubte. „Mich kannst du nicht belügen."

Das wusste sie.

Isadora griff über den Tisch nach einem der kleinen, glasierten Kuchenstücken und biss hinein, um nicht sprechen zu müssen. Sie wollte sich nicht mit Fayen streiten.

„Ich habe nicht vor, hier auf dich zu warten", sagte Fayen und lehnte sich im Stuhl zurück. Ihre Finger klopften auf die steinerne Lehne.

Isadora verschluckte sich an dem Kuchenstück. Hustend trank sie einen grossen Schluck Wein und wischte sich mit der Serviette über den Mund.

„Was meinst du damit?", fragte sie, als sie ihre Stimme wieder gefunden hatte.

Fayen verschränkte die Arme vor der Brust.

„Hier hält mich nichts, Isa. Ich werde wieder zurückkehren."

„Wohin?"

„Dorthin, wo ich hingehöre." Fayen seufzte. „Du weisst genau, wohin. Dorthin, wo du nie zurückkehren würdest."

Isadora versteifte sich. Ihr Blick wurde eisern.

„Wieso bist du lieber dort, als hier? Ich dachte, du magst das Haus."

Fayen verzog den Mund. „Ich mag das Haus. Aber das ist nicht das, was zu mir passt. All das gehört zu dir. Diese Kleider." Sie strich abfällig über den Stoff. „Diese Säle, die Bälle und den ganzen teuren Wein. Das passt nicht zu mir. Diamanten und Rubine sind mir nicht wichtig im Leben."

Isadora ballte unter dem Tisch die Fäuste.

„Glaubst du etwa, das ist alles, was mich interessiert?"

Fayen zuckte mit den Schultern.

„Seit dein Vater sich hochgekauft hat, hast du dich verändert. Seit du diesen Titel trägst, bist du nicht mehr dieselbe. Ich meine, früher hat es dir nichts ausgemacht, durch den Wald zu rennen und verstecken zu spielen. Heute schnauzt du mich an, wenn ich keinen geraden Rücken mache."

„Weil wir erwachsen geworden sind, Fey." Isadora starrte sie an.

„Nein, weil du dich daran gewöhnt hast. Und das ist nichts Schlechtes. Aber es ist kein Leben, das ich leben möchte."

Es war lächerlich.

Isadora konnte nicht verstehen, was mit Fayen los war. Als sie gegangen waren, hatte sie sie förmlich angebettelt, sie mitzunehmen. So lange, bis ihr Vater zugestimmt hatte. Die Karune hatte das Haus anfangs gehasst. Aber sie mochte das Grundstück mit seinen kleinen Wäldern und Seen.

„Hier geht es dir tausendmal besser als bei ihm."

„Kannst du nicht sehen, was gerade geschieht?"

Isadora biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste, was Fayen damit sagen wollte. Doch das wollte sie nicht hören.

„Du tanzt nach seiner Melodie. Und das willst du dir nicht eingestehen, Isa." Fayen beugte sich über den Tisch.

Isadora drehte an den Ringen. „Ich tue das nicht wegen ihm."

Fayen streckte die Hand aus. Isadora konnte ihren Blick auf sich spüren. So sah sie sie an, wenn sie wusste, dass sie log, und das hasste sie. Sie brauchte kein Mitleid.

„Du musst es dir endlich eingestehen, dass du nie von ihm wegkommen wirst, Isa", sagte Fayen leise, aber eindringlich.

Isadora presste die Lippen zu einem dünnen Strich und griff nach dem Glas. Sie leerte den Kelch in einem Schluck und donnerte ihn auf den Tisch zurück. „Ich habe mich von ihm befreit."

Fayen zog ihre Hand langsam wieder zurück.

„Deine Mutter hat sich von ihm versucht, zu befreien", sagte sie. „Und sie hat es nicht geschafft. Das weisst du."

Isadoras Herz krampfte sich zusammen.

„Du solltest aufpassen, was du sagst."

Fayen schüttelte den Kopf. „Ich will nicht, dass du dich in deiner Fantasie verirrst. Ich kenne dich gut."

Sie starrte aus dem Fenster und sah zu, wie die einzelnen Schneeflocken wie Tränen vom Himmel fielen. Die Wolken hatten der Sonne den Zugang zur Erde verwehrt.

Sie strich über das Mal an ihrem Handgelenk.

„Ich weiss", sagte sie leise.

Fayen stiess den Stuhl zurück. „Warum hörst du dann nicht damit auf? Warum lässt du es immer weitertreiben?"

„Weil ich muss."

Fayens Blick wurde sanft und sie beugte sich über den Tisch. Isadora streckte ihr die Hand jedoch nicht entgegen. Dafür hatte sie heute zu wenig Kraft.

„Du musst nicht. Das weisst du. Und ich mache mir Sorgen."

„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Eine Lüge und das wussten sie beide.

Fayen verzog den Mund.

Ein Spatz hüpfte durch den dicken Schnee. Isadora sah ihm zu, wie er mit den Flügeln flatterte und krächzte.

Eines Tages würde sie so frei sein wie er. Irgendwann.

„Ich will nicht, dass du in diesem Strudel ertrinkst. Denn du weisst rein gar nichts", sagte Fayen schliesslich.

Dafür hatte Isadora sie nicht geholt. Sie hatte gehofft, dass sie ihre Vorfreude und Nervosität teilen würde.

„Ich weiss mehr, als du glaubst."

„Das denke ich kaum. Weisst du denn, was er von dir will?"

Isadora griff nach dem Brieft.

„Da steht alles drin."

Fayens Augen verengten sich. „Du willst jetzt nicht ernsthaft, dass ich ihn auch noch lese."

„Dann solltest du nicht urteilen", zischte Isadora und knallte den Umschlag auf den Tisch, bevor sie nach ihrem Kelch griff und sich nachschenkte.

Fayen schob den Stuhl zurück und richtete sich auf. Mit einer Hand strich sie ihr Kleid glatt, mit der anderen nahm sie sich eine Limette.

„Dann gehe ich besser", sagte sie. „Ich kann dir hier schlecht dienen, wenn du nicht auf meine Ratschläge hörst."

Isadora erwiderte nichts. Sie starrte aus dem Fenster, als die Tür zuschlug.

Der Kloss in ihrem Hals wurde schwerer und grösser. Jetzt war die Freude wie ein Windhauch verstrichen und zurückblieb Verbitterung. Auf einmal war es im Saal kalt geworden. Es war, als würde der eisige Winter, der draussen herrschte, durch die Ritzen ins Haus gelangen.

Sie schlang die Arme um ihre Brust.

Ihr Blick fiel auf das blättrige Siegel auf dem Umschlag. Sie würde den Auftrag erfüllen. Mit oder ohne Fayen.

Sie griff nach der kleinen Messingglocke und klingelte. Es dauerte wenige Sekunden, da tauchte Ove am Türrahmen auf.

„Lady, was kann ich für Euch tun?"

Isadora schenkte ihr ein knappes Lächeln. „Ordne an, dass meine Sachen gepackt werden. Ich werde für eine Weile verreisen."

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro