Kapitel 1

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

„Komm mit mir! Ich bringe dich an einen besseren Ort."

Der abgemagerte Junge mit den zerissenen Klamotten und den vom Dreck verklebten, seiner Meinung nach viel zu langen Haaren, hängt dem Fremden förmlich an den Lippen, als dieser spricht. Er betrachtet ihn argwöhnisch, wie er so vor ihm steht und Versprechen macht.

„Du wirst dort im vor der Tür stehenden Winter nicht so frieren wie hier, der Regen wird dich nicht druchnässen, du wirst nicht verhungern, denn es gibt genug zu essen. Du wirst in einem Bett schlafen, nicht auf dem Boden oder einer kleinen Parkbank. Komm mit, es ist dort besser als hier." Mit fast schon flehenden Augen sieht er den Jungen an.

Diesem kommt es so vor, als würde der etwas Ältere vom Schlaraffenland sprechen.

„Es gibt eigentlich keine Regeln, jede Menge Spaß und keine Erwachsenen dort. Erwachsene, die dich abfällig betrachten, dich nicht ernst nehmen. Erwachsene, die dich auf die Straße setzen und vergessen. Erwachsene, die dein Leben zerstören." Er klingt verbittert. Mit jedem Wort, jedem Satz verfinstert sich seine Mine, seine Stimme zittert, als er den letzten ausspricht. Bilder blitzen vor seinem inneren Auge auf. Bilder toter Menschen, Bilder eines fünfjährigen toten Mädchens, einer jungen Frau, Bilder gefüllt von einem ihn erdrückenden Rot.
Plötzlich ist da wieder dieses Gefühl des Erstickens. So, wie es immer da ist, wenn ihn die Ereignisse wie ein Felsbrocken überrollen, ihm die Luft aus den Lungen drücken, sie ihm abschnüren, wie es ein Strick tun würde. Er greift sich an den Ausschnitt seines schwarzen Pullis und zieht ihn unruhig nach vorne. Das muss aufhören. Bald. Ja, bald würde es aufhören, das glaubt er.

Er ist leiser geworden und der Schmerz in seiner Stimme, die Wut und Enttäuschung in seinem Gesicht zeigen dem heimatlosen Kind, dass er es ernst meint. Die Worte müssen der Wahrheit entsprechen.
Es erinnert ihn an eine Geschichte, das, was der Teenager gesagt hat. Nur hat er die mittlerweile vergessen und das Einzige, an das er sich erinnert ist, dass ein Junge Kinder in ein Land bringt und nicht erwachsen werden will, weil er Erwachsene hasst.
Wie oft hat er sich gewünscht, jemand würde ihn an so einen Platz bringen, der Junge würde auftauchen und ihn mitnehmen. Jede verdammte einsame Nacht auf der kalten Straße, immer wenn er kein Auge zu bekam, immer wenn er das Gefühl hatte vor Hunger zu sterben. Weg aus dieser Welt wollte er, aber er wusste, dass der Tod der einzig Ausweg war. Und sich umbringen, das wollte es dann doch nicht. Zu sehr träumte er dann noch von einem schönen Leben, um sein eigenes dem Sensenmann zu übergeben.
Und jetzt steht da der Typ vor ihm und erzählt ihm von einem solchen Platz.
Er reibt sich die Augen und blinzelt einige Male.
Träumt er?
Ist er tot?
Ungläubig sieht er in an. Die einzige Reaktion allerdings ist ein Grinsen und Nicken, als könnte er seine Gedanken erahnen.
Eine gefüllte Speisekammer und Himmelbetten tauchen vor seinem inneren Auge auf. Er braucht es nicht, keinen Luxus, erwartet es nicht, aber er will sich wenigsten kurz in dieser süßen Vorstellung verlieren.

„Es gibt nur eine Bedingung." Er macht eine kunstvolle Pause und betrachtet das Gesicht des Kindes.

Dieses starrt ihn aber nur gespannt an und lauscht ihm wie besessen, das Bild im Kopf habend.

„Du musst mir helfen, mich an meinem Vater zu rächen", bei keinem dieser Worte verschwindet der freundliche Ausdruck in dem Gesicht des Fremden, aber das Straßenkind ist eigentlich sogar froh darüber.
Es lässt ihn sich sicherer fühlen und irgendwie besonders, weil es ihm gilt, einem Obdachlosem.
Er fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben bestätigt, ernst genommen, ja, vielleicht sogar gemocht. Vielleicht ist das der Grund, warum er die Mundwinkel hochzieht, vielleicht aber ist es die Vorstellung eines besseren Lebens.

Zu verlockend ist der Gedanke an ein Paradies, zu besessen ist er von dem Lächeln des netten Jungens, als dass er sich von dem Satz abschrecken lässt, zu groß ist der Hass auf seine Eltern, als dass er es hinterfragt.
Also steht er vom Boden auf und reicht dem Jungen, den er doch gar nicht kennt, die Hand.

„Tristan", stellt dieser sich vor und er nickt nur, nicht wissend, wie er ihm antworten soll.
Seinen Namen hat er mit den alten Zeiten hinter sich gelassen und seitdem ist er nur irgendein Obdachloser, der keinen verdient hat.
Wieso soll er auch einen Namen tragen, den ihm Leute gegeben haben, die ihn verlassen haben?

Er geht mit ihm, ohne noch einmal zurückzusehen, ohne es sich noch einmal zu überlegen.
Es kann doch nur besser sein, als es jetzt ist.
Er folgt dem brünetten Jungen durch die Stadt, die er, obwohl er sein ganzes Leben lang dort verbracht hatte, nicht kennt.
Weg von dem einzigen vertrauten Ort.

Das Kind hat lange schon kein Zeitgefühl mehr, aber es muss eine Ewigkeit sein, ein bis zwei Stunden wohlmöglich, die sie langsam durch die Straßen Pittsburghs schlendern. Mittlerweile wird es schon dunkel. Sie sprechen nicht miteinander, er geht Tristan nur stumm hinterher, gespannt und aufgeregt, aber in dem Versuch sich nichts anmerken zu lassen. Niemals hätte er gedacht, das es jemals einen solchen Moment geben wird, in dem er die Straße verlasse kann und doch hat er die Hoffnung nie aufgegeben, denn Hoffnung war das Einzige, das ihn am Leben hielt.

Natürlich bemerkt Tristan, dass er seine Hände nervös knetet und den Ausdruck in dem Gesicht des Heimatlosen, das Leuchten in seinen Iriden. Er ignoriert es, geht weiter und quetscht sich durch vereinzelte Menschenmassen.

Tristan wird ihn zu sich nach Hause mitnehmen, vermutet er. Im Grunde ist es auch so, nur glaubte das Kind nicht, das der seltsame Fremde in einem verfallenen, alten Haus etwas außerhalb der Stadt wohnt.
Die Bilder, die langsam vor seinen Augen verschwimmen und verblassen, lassen ihn jetzt die Realität sehen.
Das Gebäude, vor dem er steht, ist klein und aus alten, grauen Steinen gebaut, von denen die Farbe schon längst abgeblättert ist. Jetzt kann man nur noch erahnen, welche Bemalung die Wände einst zierte. Die Fenster sind teils zerbrochen und auch das Dach, dessen blassrote Ziegel ebenso wie manche Teile der Mauern von Moos und Efeu bewachsen sind, hat Löcher. Aber wenigstens scheint die Tür zu schließen.

„Hast du einen Namen?", fragt Tristan ihn, bevor sie eintreten. Natürlich hat er bemerkt, dass der Junge sich nicht vorgestellt hat.
Dieser stockt nur kurz, als müsse er überlegen, was er darauf sagen soll. Er schüttelt den Kopf und nickt gleich daraufhin. „Nein ... also ja, doch. Irgendwann einmal hatte ich einen, nur gehört der nicht mehr zu mir."
„Ok, dann wirst du ab jetzt Dan heißen!", beschließt Tristan. Seine Stimme ist bestimmt, aber der freundliche und ruhige Unterton in ihr weicht nicht. Als Dan wieder einfach nur zustimmt und nicht wie das Mädchen beginnt Fragen zu stellen ist er erleichtert. Unnötige Erklärungen verbrauchen nur unnötig viel Zeit und die will er nicht noch mehr verschwenden. Dieser Albtraum in seinem Kopf muss endlich enden und Rache ist die einzige Lösung dafür.
Tristan kann es nicht begründen, noch nicht, sonst würden die beiden vermutlich verschwinden und er müsste sich neue Personen suchen.
Denn Fakt ist, er braucht Hilfe. Alleine ist er verloren, alleine kann er es nicht durchziehen, seinen Plan, seine Revanche.

„Komm", sagt Tristan und betritt die Bruchbude.
Einige schmutzige Matratzen mit genauso dreckigen, abgeranzten Decken liegen rum. Die Türen zu den anderen Räumen sind aus den Angeln gerissen. Überall verstreut, auf dem betonierten Boden, auf und in Pappkartons, die teilweise zu Tischen umfunktioniert wurden, liegt Hab und Gut. Irgendwelcher Krempel, vermutlich hauptsächlich von einem Vorbesitzer.
In dem dämmrigen Licht kann Dan nicht viel mehr erkennen und die Lichter, sofern es überhaupt Lampen gibt, funktionieren anscheinend nicht mehr.
Er denkt an die verblasste Vorstellung eines Paradieses, wagt aber trotzdem nicht etwas zu sagen. Tristan hat ja Recht, es ist besser als auf der Straße und dafür ist er dankbar.

„Wohnen hier noch mehr Leute?", fragt er nun und deutet auf die Betten.

„Ja, noch ein Mädchen.Morgen wirst du sie kennenlernen."
Mittlerweile sind nur noch Tristans Umrisse zu erkennen, so kann er anhand derMimik nicht erkennen, was er von ihr hält. Aber darin ist er sowieso nicht gut,im Lesen, was anderen so im Kopf rumgeht.
Er ist müde und es ist ihm recht, wenn er sie heute nicht mehr treffen muss.Als er gähnt, zeigt der Fremde auf eines der provisorischen Betten. Es istdicht an einer der Mauern unter einem der kaputten Fenster, so, dass eswindgeschützt ist. Dankbar nickt er und setzt sich erst langsam darauf. DieMatratze ist hart und durchgelegen, aber wenigstens doch weicher als eineParkbank und somit bemerkt er es nur nebenbei. Einen kurzen Moment sieht ersich nochmal im Raum um, dann legt er sich hin. Alles was er will ist schlafen.Seine Lider fühlen sich schwer an und wenige Momente später fallen ihm dieAugen zu.
Es ist nicht perfekt, aber immerhin besser als auf der Straße.    


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro