Trauer und Trost

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„Jetzt werden es doch nur zwölf sein", wieso kommt mir gerade jetzt dieser dämliche Satz über die Lippen?

„Das stimmt. Aber das ist das geringste Problem. Wir schaffen das schon." Krotos spricht nun in normaler Lautstärke. Und er antwortet mir, als sei es nicht ungewöhnlich, dass ich mir in diesem Moment ausgerechnet darum Gedanken mache.

Ich löse mich von seiner Schulter und sehe in seine dunklen, braunen Augen, deren Wärme und Güte ich nie zuvor so deutlich wahrgenommen habe. „Tut mir leid. Das war eine dumme Bemerkung. Ich sollte trauern." Ich schäme mich, dass meine Augen noch immer trocken sind. Sollte ich nicht weinen und klagen, müsste meine Seele nicht erfüllt sein von Schmerz und Verzweiflung? Aber ich fühle nichts mehr, nur eine entsetzliche Leere.

„Zum Trauern ist es noch zu früh", erwidert Krotos leise. „Das wird alles noch kommen."

Ich begreife, dass er recht hat. Noch bin ich betäubt von diesem Verlust, noch habe ich nicht völlig realisiert, was Astraias Tod für mich bedeutet. Die Qual wird später kommen und umso schlimmer sein.

„Da waren fremde Stimmen dabei." Ich versuche mich etwas abzulenken. Und ich will mich auf keinen Fall umdrehen. Will dieses leblose Bündel nicht mehr sehen, welches einmal eines der liebenswürdigsten Wesen dieser Welt war. Will nicht sehen und hören, wie sich die Ratsmitglieder sachlich und geschäftsmäßig über den Zustand von etwas unterhalten, was sie unpersönlich als „Leiche" bezeichnen.

„Ja. Der Schlangenträger und Cheiron sind ebenfalls gekommen. Und du weißt ja, sie sind beide Ärzte."

Das stimmt. Und jetzt weiß ich auch, warum ich die Stimmen nicht zuordnen konnte, obwohl ich sie kenne. Ich hatte vergessen, dass sie jetzt zu unserem Kreis gehören.

„Ihr seid alle gekommen, nicht wahr?" Irgendwie ist es mir wichtig zu wissen, dass alle Zodiaks, alle Wachter, alle Räte Astraias leblosen Körper umstehen, ihr stumm die letzte Ehre erweisen und kaum weniger um sie trauern als ich. Wenn es jemand nicht verdient hat, unbeweint zu sterben, dann ist es Astraia.

„Natürlich. Zum Glück ist unsere stete Anwesenheit in der Ekliptik nicht erforderlich." Krotos lacht ein wenig. „Dann würden wir auch niemals zur Ruhe kommen und hätten keinerlei Privatleben."

„Was gerade für dich furchtbar sein würde", rutscht es mir heraus. Krotos mit seinen vielseitigen Interessen und seiner Begeisterungsfähigkeit für alles Neue würde sich entsetzlich langweilen, müsste er 24 Stunden am Tag im Sternkreis verbringen.

„Ja. Aber für die anderen auch. Astraia erzählt oft – hat oft erzählt, wie sehr es sie es genossen hat, mit dir auf Entdeckungsreisen zu gehen. Ich habe sie manchmal beneidet. Ich kann nicht mit dir unter Wasser gehen; nach Astraias Worten muss es dort wunderschön sein."

„Ja, im Meer spielen wir beide gerne", ich merke selbst, wie meine Stimme bei diesen Worten bricht. „Jetzt – werde ich nie mehr mit ihr ..."

Sofort nimmt mich Krotos wieder fester in die Arme. „Weine nur, wenn es dir guttut."

Seine Erlaubnis scheint eine innere Blockade zu brechen. Ich klammere mich an ihn und lasse zu, dass meine Tränen seine Brust benetzen. Krotos stört es nicht. Wie üblich ist er nackt und entgeht so dem unangenehmen Gefühl von feuchter Kleidung auf der Haut.

„Ich verstehe nicht", stammele ich irgendwann in Krotos' Schulter hinein, „wie kann – irgendjemand – so etwas tun? Sie hat niemandem etwas getan. Und warum – warum sollte jemand einen Zodiak töten wollen?"

„Da gibt es leider so einige Gründe", eröffnet mir Krotos. „Darum haben wir ja Wächter."

„Wächter, die versagen", erwidere ich bitter.

„Nein!" Die Überzeugung in Krotos' Stimme überrascht mich. Verwirrt sehe ich zu ihm auf.

Krotos umfasst mein Gesicht mit beiden Händen und zwingt mich, in seine ungewohnt ernste Miene zu sehen.

„Nein, Keto! Rede dir das nicht ein! Du hast nicht versagt! Wir alle wissen genau, dass du eine sehr sorgfältige und pflichtbewusste Wächterin bist. Niemand kann alles voraussehen und kein noch so guter Wächter kann jeden Zwischenfall verhindern. Gibt dir auf keinen Fall die Schuld! Was auch immer geschehen ist, du trägst keine Schuld!"

Unwillkürlich muss ich lächeln. Und schäme mich gleich darauf dafür. Wie kann ich auch nur einen winzigen Hauch von Freude über Krotos' Worte verspüren, wenn Astraia tot ist und ich dies nicht mit ihr teilen kann?

„Woher willst du wissen, dass ich nicht schuld bin, wenn du noch gar nicht weißt, was passiert ist?"

„Weil ich dich kenne!", gibt Krotos heftig zurück. „Und weil ich genau weiß, wie Melete in diesem Moment zumute wäre, wäre ich das Opfer gewesen." Melete, die Muse der Geschicklichkeit, ist die Wächterin für diesen Mann, dem die Götter für seine Handfertigkeit, seinen Fleiß, seine Schießkunst, seinen Scharfsinn und seine Schnelligkeit die Gestalt eines Kentauren gegeben haben. Und ihm das Sternbild des Schützen zugeordnet haben.

„Melete hätte besser auf dich geachtet als ich auf Astraia."

„So ein Unsinn! Ihr hätte es ebenso zustoßen können, dass sie meine Leiche findet. Wenn jemand nur den Kreis brechen wollte, bevor der Schlangenträger zu uns stößt, hätte er jedem von uns das Herz herausreißen können!"

Unwillkürlich blicke ich auf Krotos' Brust und dann tiefer. „Bei dir hätte er mehr Arbeit gehabt." Schon wieder so ein unsinniger, völlig belangloser Gedanke.

Einer von Krotos' Mundwinkeln zuckt belustigt. „Das ist wahr."

„Du hast zwei, nicht wahr?" Das hat mich schon lange beschäftigt, aber ich habe mich nie getraut zu fragen.

„Herzen? Ja. Mein Menschenherz könnte nicht genug Blut für meinen Pferdekörper pumpen."

„Und man muss beide treffen, damit du stirbst?"

„Das hab ich noch nicht ausprobiert. Ich vermute, dass mein Pferdeherz auch für meinen Menschenkörper mitarbeiten kann. Umgekehrt geht es nicht."

„Probier's bitte nicht", sage ich. Krotos wäre es zuzutrauen, dass er ein solches Experiment macht, nur um zu sehen, wie es ausgeht.

„Keine Sorge, das habe ich nicht vor."

„Keto!" Der Ruf erschreckt mich. Vorsichtig drehe ich mich um und erkenne die Gestalten der anderen weit hinter uns. Hat Krotos mich so weit fortgebracht? Ach, er wird uns weiter weggezappt haben als ich gedacht habe. Sonst habe ich ein gutes Gespür für die gezappte Entfernung, aber durch meinem Schock ist mir nicht aufgefallen, dass wir mehr als nur ein Dutzend Meter zurückgelegt haben.

„Komm zurück! Wir müssen uns beraten!" Apollons Tonfall verrät Dringlichkeit, aber keinen Ärger. Vermutlich ist er froh darüber, dass sich Krotos um mich bemüht und ihm die Entscheidung abgenommen hat, ob er den Untersuchungen beiwohnen soll oder erst mich beruhigen. Apollon mag arrogant und selbstherrlich sein - von diesen Eigenschaften hat er in den letzten zweitausend Jahren allerdings schon einiges verloren - aber er kümmert sich sehr um die Zodiaks und ihre Wächter.

„Steig auf!", fordert mich Krotos auf. Ich zögere einen Moment und er dreht sich halb um und reicht mir eine Hand. Da nehme ich sie, greife mit meiner anderen Hand um seine menschliche Taille und ziehe mich auf seinen Pferderücken. Ich habe mir schon lange gewünscht, einmal auf ihm reiten zu können, nachdem mir Astraia von ihren wilden Ritten mit Krotos erzählt hat. Jetzt erscheint mir dieser Wunsch seltsam banal und unwichtig.

Krotos galoppiert zum Strand und stoppt kurz vor Apollons Füßen. „Zur Stelle!", meldet er und salutiert kurz. Selbst jetzt kann er seine Faxen nicht sein lassen. Irgendwie beruhigt es mich etwas; es ist wie ein Stück Normalität in einer völlig auf den Kopf gestellten Welt.

Apollon blickt zu ihm auf. „Hast du sie beruhigt? Das ist gut. Keto, es tut mir leid, aber wir werden dich erst befragen müssen, bevor du dir Ruhe gönnen kannst."

„Wenigstens siehst du ein, dass Keto sich von diesem Schock erholen muss", bemerkt Melete anzüglich und schwingt sich hinter mir auf Krotos' Rücken. „Wir beide werden uns um sie kümmern. Asklepios, übernimmst du Krotos' Bereich mit?"

„Mach ich", verspricht der Schlangenträger. Und Nemesis fügt an: „Ich überwache Astraias Gebiet mit, bis wir eine Lösung gefunden haben."

„Gut so." Apollon segnet diesen Ausweg bereitwillig ab, schränkt aber gleich ein: „Das gilt aber nur für einige Tage." Er blickt zu den Ärzten hinüber. „Bringt ihren Körper in die Halle der Toten. Wir treffen uns dann im Beratungsraum." Und mit einem strengen Blick über die Versammelten: „Alle!"

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