Gedankenleser

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Laut denken? Er will doch damit nicht etwa sagen, dass er tatsächlich Gedanken lesen kann! Und die anderen Cafégäste ...? Quatsch, beruhige ich mich selbst. Mama und Andrea sprechen auch immer von laut denken, wenn ich mal wieder vor mich hinrede, ohne es zu merken.

„Tut mir leid", warum entschuldige ich mich eigentlich andauernd? „Ich wollte die anderen Gäste nicht stören. War ich sehr laut? Ich neige dazu, mit mir selbst zu sprechen, das wirkt natürlich befremdlich."

„Du hast nicht gesprochen. Du hast gedacht. Aber sehr hörbar." Freddies kräftige Kiefer wirken etwas weniger angespannt.

„Naja", ich versuche zu lachen. Es misslingt kläglich; der Laut aus meiner Kehle klingt eher nach Miauen und Freddies Blick nach ziehe ich wohl eine üble Grimasse. „Dann waren es wohl meine Blicke? Aber ich habe mir nichts Böses dabei gedacht."

„Das weiß ich." Ihm gelingt das Lächeln viel besser als mir. „Sorry, ich hätte dich nicht so angreifen sollen. Aber du hast mich wirklich erschreckt. Jeder auch nur halbwegs Begabte konnte dich überaus deutlich hören."

„Sie tun so, als gäbe es sowas wie Gedankenlesen wirklich. Was soll das?" So langsam frage ich mich, ob der Kellner noch alle Tassen im Schrank hat. Und damit meine ich nicht die antike Anrichte, aus der die Rothaarige vorhin die Tassen geangelt hat.

„Du bist wirklich völlig ahnungslos", seufzt Freddie und fährt sich mit der Hand durch das dichte, blonde Haar. „Sag mal, wie heißt du eigentlich? Auf deiner Karte steht nur P Punkt."

Ich werde grad den Teufel tun und ihm meinen Vornamen verraten, denke ich.

„Pascalina? Hübscher Name, aber ziemlich selten."

„Deshalb nennen mich die meisten auch Pascha", erkläre ich, ehe mir aufgeht, was er gesagt hat. „Woher ...?"

„Du hast an deinen Namen gedacht, als du beschlossen hast, ihn mir nicht zu nennen." Er grinst. „Glaubst du mir nun? Oder muss ich dir noch weitere Beweise liefern?"

Mir wird eiskalt und mein Atem geht flach. Die Muskeln in meiner Brust spannen sich an und klemmen mein Herz ein – so fühlt es sich jedenfalls an. Ich stehe kurz vor einem Schock. Aber so schnell will ich nicht klein beigeben. Hastig suche ich nach Erklärungen, die mich beruhigen können, während mein Kreislauf immer mehr in die Knie geht.

Meinen Vornamen kann er irgendwie anders eruiert haben – immerhin hatte er ja meine Karte und zudem bin ich nicht zum ersten Male hier. Vielleicht hat er bei einem früheren Besuch meinerseits mitbekommen, wie mich jemand absichtlich mit vollem Namen angesprochen hat.

„Nein, so einfach ist das nicht", widerspricht er meinen Gedanken. „Und außerdem – nein, ich streiche nicht nachts um die Häuser und suche nach Weibchen, auch wenn ich Kateraugen habe."

Das ist zuviel für mich. Unmöglich kann er wissen, was ich vorhin gedacht habe, wenn er es nicht wirklich aus meinen Gehirn gezogen hat. Das bedeutet also – aber das geht doch einfach nicht!

Ich merke, dass meine Beine einknicken. Alle meine Muskeln sind erschlafft und meine Sicht wird undeutlich. Und irgendwie wird es mir immer kälter. Verständlich, mein Blut ist wahrscheinlich komplett in die Füße abgesackt. Ich stehe kurz vor einer Ohnmacht und registriere dennoch jede Einzelheit. So ist es oft bei mir; als würde ich mich selbst ständig beobachten.

Freddie zieht einen Stuhl heran und drückt mich auf den Sitz. „Atme tief ein", befiehlt er mir. „Konzentrier dich nur darauf, ein- und auszuatmen. Ich hol Wasser." Während ich die Schwäche bewusst wegatme, fischt er eine Wasserflasche unter dem Schreibtisch hervor und gießt mir ein Glas ein, welches auf dem Tisch gestanden hat. Dann hält er es mir an die Lippen.

„Ich – kann alleine", wehre ich ab und ergreife das Glas mit zitternden Händen. Das kühle, sprudelnde Nass tut gut. Die Kälte in meinem Körper schwindet allmählich, mein Herz kann wieder frei schlagen und ich traue mir sogar zu, aufzustehen. Wenn es nicht sofort sein muss.

„Davon zu erfahren ist immer ein Schock", sagt Freddie leise. „Ich wusste nicht, dass du gänzlich taub bist. Ich hielt dich für minderbegabt, aber nicht für taub. Deine Gedanken sind so laut!"

„Wie können Gedanken laut oder leise sein?", frage ich verwirrt.

„Das hängt von der Intensivität deines Denkens ab", erklärt Freddie. „Nicht-Telepathen sind für gewöhnlich auch schlecht hörbar für uns. Das schützt sie in gewisser Weise, denn wir können nicht unterscheiden, ob ein Nicht-Telepath denkt oder ein Telepath seine Gedanken abschwächt, um nicht belauscht zu werden."

„Du redest so locker darüber, als sei das normal." Meine Neugier löst die Verwirrung ab. Das ist bei mir oft so. So erschreckend etwas auch für mich, ich beruhige mich schnell und will dann mehr wissen. Mein Forscherdrang ist weitaus stärker als alle Ängste, die ich mit mir herumschleppe.

Freddie zuckt die Schultern. „Es ist normal. Es wird nur totgeschwiegen."

„WIE BITTE?"

Nicht nur Freddie, auch ich selbst zucke unter der Lautstärke zusammen, die ich angeschlagen habe. Ich schraube meine Stimme einige Dezibel und Oktaven hinunter und erkundigte mich etwas ruhiger: „Das heißt, es gibt eine Geheimverschwörung der Telepathen, von der wir unbegabten Menschen nichts wissen?"

„Hm, nicht so ganz. Es ist eher eine verschworene Ungemeinschaft. Es ist ja nicht so, dass es Pläne zur Welteroberung oder zur Versklavung aller Nicht-Telepathen gibt. Die Telepathen haben nicht alle die gleichen Ziele und die meisten möchten einfach nur ihr Leben so gut wie möglich leben. Nur eröffnet diese Fähigkeit den Telepathen noch weitaus mehr Möglichkeiten, dafür zu sorgen."

„Indem sie die Gedanken der anderen ausspionieren und so an nützliche Informationen gelangen?"

„Nicht nur das. Telepathie ist mehr als die Fähigkeit, offene Gedanken der anderen erfassen zu können. Man kann sie auch manipulieren."

Also doch. Ich habe mir schon gedacht, dass das zusammengehören müsste. Vermutlich hat mich Freddie auch vorhin so festgehalten, als ich fortrennen wollte und doch wie angenagelt auf meinem Platz geblieben bin. „Und macht das Spaß?", frage ich.

„Äh – was?" Freddie ist offenbar nicht ganz mitgekommen. Komisch, liest er denn nicht schon die ganze Zeit meine Gedanken?

„Macht es Spaß, andere Menschen zu beherrschen? Ihre Erinnerungen zu verfälschen und sie zu versklaven?" In mir steigt wilde Wut auf, als ich mir bewusst mache, was man mit so einer Fähigkeit alles tun kann. Noch kann ich mich beherrschen, schließlich will ich wissen, was Freddie noch alles freiwillig preisgibt.

„Mir jedenfalls nicht", gibt Freddie etwas heftiger zurück als ich erwartet habe. Habe ich ihn gekränkt? Aber wenn er selbst zugibt, solche Gaben zu haben, sollte er auch mit derartigen Fragen rechnen.

Freddie zieht sich einen Hocker heran und setzt sich mir gegenüber. „Pascha, Telepathen sind normale Menschen – es gibt nette und weniger nette unter ihnen."

„Und du gehörst natürlich zu den netten", spotte ich.

Freddie wird rot. „Ich hoffe es wenigstens. Und auf jeden Fall finde ich es nicht gut, andere Menschen auszuspionieren und zu kontrollieren."

„Aha. Darum hast du mir auch ‚zugehört', als ich spintisiert habe." Das kann ich mir nicht verkneifen.

Die Röte in Freddies markanten Zügen vertieft sich. „Du hast völlig recht. Es gibt mehrere Erklärungen, aber keine Entschuldigung dafür."

Deshalb versucht er wohl gar nicht erst, sich zu entschuldigen, denke ich. Freddie zuckt zusammen.

„Ach, das hast du mitbekommen?" Ich stelle fest, dass es Spaß macht, ihn zu triezen. Entweder ist er ein vollendeter Schauspieler oder mir rhetorisch doch nicht ganz gewachsen.

Wenn Freddie noch röter wird, werde ich ihn als Warnleuchte an die Verkehrsbetriebe verkaufen. „Es ist sehr schwer, deine Gedanken abzuwehren, wenn du so schreist."

„Oh, wie nett. Ich bin also schuld. Natürlich. Ich bin taub, wie du das genannt hast und wohl dann selbst schuld, wenn ich zum Opfer eines Telepathen werde."

„Nein, verflucht! Ich weiß, dass viele so denken, aber ich gehöre da wirklich nicht dazu. Es ist einfach so ...", Freddie stockt, greift nach dem Glas und nimmt einen tiefen Schluck. „Ich will dir alles erklären, aber das ist nicht so einfach. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Du hast so wenig Ahnung."

Ich nehme ihm das Glas weg und trinke es aus. Das brauche ich jetzt einfach und wie's aussieht gibt es nur dieses eine Glas hier im Büro. Zu einem Unglückstag wie diesem würde es gehören, dass Freddie grade Corona hat – allerdings habe ich eh schon drei Impfungen und zwei Infektionen hinter mir. „Dann machen wir's so – ich frage und du antwortest."

„In Ordnung. Ist vielleicht der beste Weg."

Ich denke nach. „Wie viele Telepathen gibt es?"

„Dazu gibt es natürlich keine Erhebungen. Aber aufgrund meiner Erfahrungen schätze ich, dass so etwa 80 Prozent der Menschen telepathisch veranlagt sind, davon gut die Hälfte stark genug für die Manipulation. Und etwa 4 bis 5 Prozent sind so mächtig wie ich."

„Du bist also ein sehr begabter Telepath?"

„Ja. Aber ich versuche das nicht auszunützen."

„Was genau können Telepathen?"

„In erster Linie natürlich Gedanken und Gefühle wahrnehmen. Minderbegabte erfassen nur den ungefähren Sinn. Bei deinen Überlegungen über mich hätten sie das Bild einer Katze empfangen, ohne zu verstehen, warum. Stärkere Telepathen lesen genau deine offenen Gedanken, also das, was du bewusst denkst und im Kopf formulierst. Noch bessere können diese Gedanken ändern und in dir verankern. Wenn du dir also denkst, ‚der Typ ist mir unsympathisch', können sie das in ‚der Typ ist echt nett' ändern und so befestigen, dass genau das in Zukunft deine unabänderliche Meinung ist. Und Telepathen mit meinen Fähigkeiten können tiefer dringen und dir völlig falsche Erinnerungen einpflanzen, bis du selbst nicht mehr weißt, wer du einmal warst."

Ich gieße mir frisches Wasser ein und trinke hastig. „Das ist verdammt gruselig."

„Ja. Die meisten sind sich dessen bewusst und wenden das kaum oder niemals an. Dazu kommt, dass man das nur mit jemanden machen kann, der völlig wehrlos ist."

„Telepathen können also nicht gegenseitig ihre Gedanken lesen?"

„Doch, das schon. So wie ein Taschendieb auch einen anderen Taschendieb bestehlen kann. Aber Telepathen können sich besser dagegen wehren. Die meisten unterdrücken ihre offenen Gedanken und die tieferen Bereiche müssen nicht besonders geschützt werden, da kaum jemand die Gabe hat, soweit vorzudringen, ohne sich dabei bemerkbar zu machen. Es kommt einfach auf das Geschick an. Und auf die Skrupellosigkeit."

„Du meinst, du hättest Skrupel. Aber ich glaube, dass du deine Fähigkeit beim Servieren ausnutzt."

„Das stimmt. Aber ich richte meine Suche nur auf Gedanken, die ohnehin gerufen werden. Wenn jemand sein Glas leert und denkt, ‚ich möchte noch eins', dann richtet er diesen Gedanken automatisch auf mich. Ich nehme das wahr und komme zu ihm. Dieses Rufen machen auch Nicht-Telepathen so, nur ist es diesen weniger bewusst."

„Mich hast du aber belauscht."

„Ja. Ich konnte fast nicht anders. Deine Gedanken sind sehr laut – und sehr interessant. Es tut mir leid, aber ich – ich bin einfach fasziniert von deiner Persönlichkeit. Das ist aber gleichzeitig ein Grund, warum ich dich niemals manipulieren würde, selbst wenn ich jemand wäre, der so etwas tut. Es würde dir das nehmen, was am anziehendsten ist an dir."

Gesteht mir Freddie gerade, sich in mich verliebt zu haben? Oder ist das nur ein Trick? Ich bin verwirrt und weiche dem lieber aus. „Liest du im Moment meine Gedanken?"

„Nein, ich blocke sie soweit als möglich ab. Das tue ich in der Regel ohnehin, wenn ich mit Menschen spreche. Und auch das machen viele Telepathen so. Gedankenlesen ist etwas, das für Notfälle gedacht ist, im normalen Leben kann es sich weit eher störend auswirken. Das kannst du mit einem Kraftsportler vergleichen, der zwar eine halbe Tonne Gewicht heben kann, aber ein Kätzchen trotzdem sanft aufnimmt und dir nicht die Hand zerquetscht, wenn er dich begrüßt."

Freddies Metaphern machen es mir leichter, das Ganze zu verstehen. „Warum wird das geheim gehalten? Das klingt doch nach einer Verschwörung."

„Das ist eher eine unausgesprochene Vereinbarung, an die sich alle halten, obwohl niemand weiß, wer das aufgebracht hat. Ähnlich wie mit den Konventionen, die wir alle einhalten. So wie es kaum jemandem einfällt, den Kaffee direkt aus der Kanne zu trinken oder den Leuten zur Begrüßung auf den Po zu klopfen.

Würde man offen zugeben, dass es Telepathen und Nicht-Telepathen gibt, würde das Regeln für den Umgang miteinander erforderlich machen. Gesetze gegen Diskriminierung der Nicht-Telepathen und neue mögliche Vergehen und Verbrechen müssten im Strafkatalog aufgenommen werden. Es würden Forderungen nach Unterricht in Telepathie laut werden, nach Dämpfern für die Telepathen, um die Nicht-Telepathen zu schützen und die Wissenschaft wäre gefordert, herauszufinden, wie man Taube zu Telepathen machen kann. Möglicherweise würde man Telepathen wie damals die Juden im Dritten Reich kennzeichnen, je nach ihrer Macht oder andersrum Nicht-Telepathen ausgrenzen.

Du hast die beiden Mädchen gehört – die würden sich dann darüber auslassen, wer wieweit begabt ist und darum ‚wert', mit ihnen auszugehen. Es könnte sogar zu einer Kontrolle kommen, wer sich fortpflanzen darf und wer nicht."

Ich schaudere. „Das ist eine sehr gruselige Vorstellung. Soweit habe ich das nicht bedacht. Aber ich glaube, du liegst da völlig richtig. So sind die Menschen eben."

Freddie nickt. „Und wir Telepathen sind uns dessen mehr oder weniger bewusst. Also reden wir einfach nicht darüber. So wie man im viktorianischen Zeitalter einfach nicht darüber sprach, dass es so etwas wie Sex gibt oder dass der Großteil der Bevölkerung in erbärmlichster Armut lebte. Die meisten wussten genau Bescheid, dass ihr Wohlstand auf dem Leid vieler anderer aufgebaut war, aber – man redete einfach nicht davon und damit war alles gut."

Jetzt verstehe ich die Sache etwas besser. „Und die Folge davon ist, dass wir Tauben nicht den leisesten Schimmer davon haben."

Freddie nickt und zieht die lange, etwas krumme Nase kraus. Diese Eigenart ist mir vorher schon aufgefallen, jetzt begreife ich, dass es ein Reflex von ihm ist, wenn er nachdenkt. „Das kannst du wieder mit dem viktorianischen Zeitalter und meinem Beispiel vergleichen. Ich möchte nicht wissen, wie viele junge Frauen in der Hochzeitsnacht erst aufgeklärt wurden – und das auch nur mit ‚das musst du eben ertragen'. Und ich finde diese Praxis ebenso widerlich wie die Ansicht so einiger Telepathen, dass Nicht-Telepathen eben selbst schuld sind, wenn sie zum Opfer werden."

Schon wieder diese Andeutung. „Was können Telepathen denn mit mir tun? Ich meine konkret. Und vor allem warum?"

Freddies Haar wird erneut mit einer heftigen Geste verstrubbelt. Ich unterdrücke den Drang, die wirren Locken zurecht zu zupfen und gieße mir lieber Wasser nach, während sich Freddie seine Antwort überlegt.

„Wenn du zum Beispiel die Menschen im Außenbereich nimmst", sagt er schließlich bedächtig, „sie haben alle ihre eigenen Probleme und du könntest sie vielleicht lösen.

Als ich in der Schule war, gab es in meiner Klasse eine Mädchen-Clique, welche die taube Kusine der einen missbrauchte. Wann immer sie ausgehen wollten und eine erwachsene Begleitung brauchten, zwangen sie die junge Frau, ihnen zu helfen. Sie fuhr die Mädchen überall hin, lieh ihnen Geld, beschaffte ihnen Karten zu Veranstaltungen und Clubs, die erst ab 18 waren und was weiß ich noch alles. Als ich dahinterkam, löste ich die Sperren in ihrem Geist, damit sie sich erinnern konnte und ließ die Mädchen vergessen, dass die Frau taub ist. Das war sicher ziemlich selbstherrlich von mir, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen."

„Da wären Gesetze dagegen sinnvoll", bemerke ich. Freddie nickt wieder. „Nur ist das eben nicht zu beweisen. Das Opfer kann nicht aussagen, weil es keine Erinnerung daran hat und ein Zeuge könnte in Wahrheit der Täter sein und der Beklagte ebenfalls ein Opfer. Verstehst du die Problematik?"

„Oh ja", meine Phantasie reicht locker aus, mir alle möglichen Szenarios auszumalen.

„Was nun die Telepathen im Außenbereich anbetrifft", fährt Freddie fort. „Die beiden Mädchen könnten dich ebenso wie jene Clique in meiner Klasse benutzen. Elly, die Frau mit den vielen Taschen, könnte versuchen, ihren Geist in deinen Körper zu versetzen. Du bist viel jünger und hübscher als sie und das ist alles, was für sie zählt. Walter, der alte Herr mit der Zeitung, wird von seinen Kindern gedrängt, in ein Heim zu ziehen, damit sie sich nicht mehr um ihn kümmern müssen oder einen Pflegedienst bezahlen – du könntest ihn unter Zwang umsonst pflegen. Mariannas und Bobs einzige Tochter ist vor einigen Monaten mit ihrem Mann nach Neuseeland ausgewandert und sie vermissen sie sehr – du könntest sie ersetzen. Thomas und Mirko könnten dich als Freundin eines von ihnen ausgeben, um sich zu schützen. Beide werden von Kollegen wegen ihrer Sexualität gemobbt."

„Und du?", frage ich, als Freddie schweigt. Er wird wieder rot und blickt zur Seite. Offenbar hätte auch Freddie eine Verwendung für mich. Ich sollte es mir wirklich überlegen, ob ich ihm trauen will.

Aber dann sieht mich Freddie wieder an. „Ich würde dich nicht beeinflussen wollen, selbst wenn ich dich dadurch für mich gewinnen könnte. Jeder Eingriff in deine Erinnerungen kann dich verändern. Das würde ich nur in einem absoluten Notfall riskieren. Eigentlich bin ich bei jedem Menschen sehr vorsichtig mit derartigen Dingen, aber vor allem bei dir. Deine Persönlichkeit ist etwas ganz Besonderes, etwas Einzigartiges und ich möchte das auf jeden Fall bewahren."

„Oh", ich bin reichlich verwirrt, weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Schließlich habe ich keinen Schimmer, wie Freddie das meint und auch keine Idee, wie ich unverfänglich danach fragen kann.

„Freddie!" Von draußen hämmert jemand an die Tür. „Herr Bischof ist hier!"

Der Gerufene zuckt zusammen und seufzt dann hörbar. „In Ordnung, Maren, ich komme!" Zu mir gewandt sagt er: „Ich muss kurz weg. Ich lasse die Tür unabgeschlossen, aber bleib drinnen, ja? Ich bin so bald wie möglich wieder da."

„Okay", vielleicht nicht so schlecht. Da kann ich in aller Ruhe über all das Neue nachdenken.

Freddie geht und ich versuche, seine Mitteilungen in eine Reihenfolge zu bringen. Wenn er recht hat, war ich ein Vierteljahrhundert lang von Telepathen umgeben, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben. Und ohne das geringste Wissen über die Gefahr, der ich als Nicht-Telepathin ausgesetzt bin. Auf der einen Seite klingt das völlig unglaubwürdig. Andererseits habe ich auch keine Ahnung davon, wie viele Menschen in meiner Umgebung Kampfsportler sind, die mir mit einem leichten Schlag das Genick brechen könnten. Es ist wohl so, wie es Freddie durchblicken lassen hat: Es kommt auf die Absicht an, nicht auf die Macht, die jemand hat.

Mir wird bewusst, dass der Druck im Kopf verschwunden ist, als Freddie mich ins Büro geführt hat. Vielleicht ist der tatsächlich von jemandem gekommen, der versucht hat, mich zu beeinflussen. Da ich so taub bin, kann es gut sein, dass ich nicht mehr als einen leichten Druck wahrnehme, wenn mich ein Telepath übernehmen will.

Dafür verspüre ich jetzt einen anderen Druck. Kein Wunder, ich habe die Sprudelflasche fast alleine geleert. Hier im Büro wird sich kaum ein WC befinden, aber sicher im Café. Und mal schnell auf die Toilette huschen wird schon nicht gefährlich sein. Ich werde danach sofort wieder in dieses Zimmer gehen. Nach Freddies Ausführungen fühle ich mich sehr verunsichert. Und ich möchte von ihm noch erfahren, wie ich mich schützen kann.

Als ich aus der Tür schaue, bemerkt mich Julia und zwinkert mir zu. „Alles in Ordnung?"

„Ich brauche mal das WC."

„Da drüben", sie weist auf die entsprechende Tür. Ein Glück, dass ich nicht durch den Raum gehen muss, sondern nur am Buffet vorbei. Ich beeile mich, hinter der Tür zu verschwinden, alles Nötige zu erledigen und wieder herauszukommen.

Als ich die Tür hinter mir schließe, stürzt der junge Mann auf mich zu, der vorhin mit dem Tablet am Nebentisch gesessen hat. „Pascha, Gott sei Dank! Wohin bist du so plötzlich verschwunden?"

Ich verstehe nicht, was das nun soll. „Was wollen Sie denn von mir?" Vorsichtshalber weiche ich etwas zurück, in Richtung Kuchenbuffet. Aber dort ist gerade niemand. Julia ist wohl wieder draußen, die anderen beiden Bedienungen sprechen gerade mit Gästen und Freddie sitzt ganz hinten mit einem Herrn im grauen Anzug an einem Tisch und liest die Papiere durch, die der andere ihm aus seiner Aktentasche anreicht.

Der Mann stellt sich so vor mich, dass ich Freddie nicht mehr sehen kann. „Pascha, erinnerst du dich nicht an mich? Wo warst du?"

„Mit Freddie im Büro", rutscht es mir raus. Meine doofe Angewohnheit, Fragen immer sofort und wahrheitsgemäß zu beantworten, hat mir wieder einmal einen Streich gespielt.

„Aha", das Gesicht des Mannes verfinstert sich. „Das habe ich befürchtet. Was zum Geier hat Saltern dir bloß angetan?"

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