Knochen

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Sven steuert seinen Zweisitzer sicher und ohne mich nach dem Weg zu fragen durch die Stadt. Und ich hocke neben ihm und überlege, ob er wirklich einfach weiß, wo ich wohne oder ob er es gerade aus meinen Gedanken liest. Diese Telepathie ist wirklich eine ganz schön schauerliche Fähigkeit. Vor allem für diejenigen, die es nicht beherrschen, aber davon wissen. Ich verstehe jetzt, warum Freddie von einer verschworenen Ungemeinschaft gesprochen hat. In diesem Fall hat er wohl die Wahrheit gesagt, was immer er mir sonst für Lügen aufgetischt haben mag.

Oder hat Sven gelogen? Auf der Fahrt denke ich auch über ihn nach und mir fallen tatsächlich einige Einzelheiten ein, die darauf hindeuten, dass wir uns zumindest kennen. Aber wenn ich beide Männer richtig verstanden habe, kann man mir auch Dinge ins Hirn projizieren, die ich tatsächlich niemals erlebt habe. Das glaube ich ihnen auch sofort. Wenn das schon Psychologen durch bloßes Einreden fertigbekommen, muss das für Telepathen erst recht ein Leichtes sein. Oder sind die Therapeuten, denen man nachweisen konnte, ihren Patienten falsche Erinnerungen eingeflüstert zu haben, etwa auch Telepathen? Verflucht, mein ganzes Weltbild ist erschüttert worden. Ich will jetzt ganz dringend zu Sissi, dem einzigen Wesen in meinem Umkreis, dem ich jetzt noch vertrauen kann. Und ich will nicht mehr nachdenken müssen.

Aber die Gedanken kommen von ganz alleine. Ich kann einfach nicht aufhören mit Denken. Ob Freddie das gemeint hat damit, dass ich so „laut" denken würde? Ständig bin ich im Kopf mit etwas beschäftigt und formuliere das auch aus, als würde ich mit jemandem sprechen. Einmal habe ich meine Mutter gefragt; ihr geht es nicht so. Vor allem während des Malens denkt sie überhaupt nichts, sondern geht völlig im Gefühl des Pinsels in ihrer Hand und dem Rausch der Farben auf. Wenn ich ein Handtuch besticke, löse ich in der gleichen Zeit politische Konflikte auf, entwerfe ein Webdesign, forme ein Kochrezept auf vegan um, weil meine Schwester mich besuchen will oder versuche hinter die Geheimnisse von Schwarzen Löchern zu kommen.

Und auch jetzt denke ich ununterbrochen. Wenn ich Sven so nahe gekommen bin, müsste ich doch auch wissen, wie er nackt aussieht. Und daraufhin fällt mir ein, dass er unter der linken Brustwarze ein Muttermal hat. Oder doch unter der rechten? Weitere Einzelheiten bleiben im Dunkeln. Ich hasse das. Wenn mir etwas vage bekannt vorkommt, wühle ich normalerweise in meinem Gedächtnis herum, bis ich die Assoziation gefunden habe. Aber heute klappt das nicht mehr.

Ich versuche, mich in dem doch recht bequemen Ledersitz zu entspannen. Selbst hätte ich mir einen solchen Sportwagen nicht gekauft, aber ich gebe zu, dass es Spaß macht, darin mitzufahren. Cayman. Das Wort kommt mir in den Sinn und mir wird bewusst, dass dies der Typ des Wagens ist. Von Automarken habe ich keinen Schimmer und aus der Form gleich zu erkennen, um welches Auto es sich handelt, ist mir zum Unverständnis meiner Brüder gänzlich unmöglich. Trotzdem weiß ich, dass ich in einem Cayman sitze; ergo muss ich das früher einmal mitbekommen haben. Diesmal habe ich nicht auf das Typenschild gesehen, bevor ich eingestiegen bin, dessen bin ich sicher.

Bei Cayman denke ich eher an das Tier. Und an „Käpt'n Kaiman" von Karl May. Flüchtig kommt mir der Inhalt dieser Erzählung in den Sinn, dann lenke ich meinen Gedankenfluss wieder auf das Auto. Für den Alltag finde ich es unpraktisch. Ich würde mir nie einen Wagen zulegen, in dem nur zwei Leute sitzen können; wie soll ich dann meine Kollegen mitnehmen oder den ganzen Kram für eine Schaufensterdekoration einladen? Mein Typ Auto ist eher ein kleiner Pickup oder ein Kombi. So einer wie der katzenaugengrüne Passat, der auf einem der Parkplätze meines Wohnhauses direkt neben dem Taxistand hält und dessen Farbe mich irgendwie an Sissis Augen erinnert. Und an Freddies. Svens Augen hingegen sind cyanblau.

Sven stellt sich zwei Plätze von dem Passat entfernt hin. Beim Aussteigen sehe ich hinüber und bemerke, dass vorne zwei Personen sitzen. Ob sie auf jemanden warten?

Die Antwort bekomme ich sofort. Als ich die Tür des süßkirschenroten Caymans zuschlage, öffnet sich die Fahrertür des Passat und Freddie steigt aus.

„Pascha!" In diesem einen Wort ist deutlich das Rollen des Steines zu vernehmen, der Freddie von der Seele fällt. „Ich habe gehofft, dass du herkommst! Wer ..." Er spricht nicht weiter, denn Sven ist um den Cayman herumgegangen und stellt sich nun zwischen uns. „Hast du ihr nicht schon genug angetan, Saltern?"

Freddie fällt regelrecht die Kinnlade herunter. „Ich?"

„Wer sonst? Du hast sie über eine halbe Stunde lang festgehalten und ihr Gedächtnis manipuliert!"

Freddie errötet und wirkt plötzlich schuldbewusst. „Ich hätte nicht schnüffeln sollen", gibt er zu. „Aber manipuliert habe ich nichts. Ich hab nur einen heillosen Schrecken bekommen, als sie plötzlich fort war. Ich hab dann ihre Adresse eruiert und bin hierher gefahren und als sie nicht geöffnet hat, habe ich beschlossen, auf sie zu warten."

„Und wenn ich nicht aufgetaucht wäre?", erkundige ich mich neugierig. Freddie antwortet sofort; offenbar hat er die gleiche Angewohnheit wie ich, direkte Fragen direkt zu beantworten: „Ich hätte versucht, dich als vermisst zu melden."

„Solltest du dazu nicht ein Angehöriger sein?"

„Ja, aber ich kenne ja einige der Leute, mit denen du schon mehrmals im ‚Hygge' warst. Die hätten mir da sicher geholfen, dich zu finden oder deine Eltern zu kontaktieren."

„Hör endlich auf, Pascha zu stalken", fährt Sven wütend dazwischen.

„Das ist gar nicht meine Absicht", faucht Freddie zurück, einem gereizten Kater nicht unähnlich. „Aber ich kann doch nicht zusehen, wenn ich jemanden in Gefahr weiß! Zum Glück hast du sie ja zurückgebracht. Wo hast du sie eigentlich gefunden?"

„Gefunden? Ich hab sie vor dir in Sicherheit gebracht!"

„Das wäre nicht nötig gewesen. Ich habe nichts Böses mit ihr vor."

„Für dich ist das vielleicht nichts Böses, aber Pascha wird das anders sehen. Du kannst doch nicht einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden."

Der Meinung bin ich auch. Aber wenn ich es recht bedenke, haben das beide Männer mit mir getan. Natürlich nur zu meinem Besten. Aber ich würde gerne selbst beschließen, was ich für das Beste halte.

Freddie fährt sich nervös durch die blonden Haare, die jetzt im Kontrast zur Dämmerung und im Licht der Straßenlampe noch heller leuchten. Einige der aufgewühlten Locken stellen sich auf und erinnern an ein gesträubtes Fell. Freddies Ähnlichkeit mit einem Kater ist wirklich frappant. Ich sollte ihn unbedingt Sissi vorstellen.

„Du meinst, weil ich sie für einen Moment an der Flucht gehindert habe? Ihre Gedanken zeigten so deutlich an, dass sie vollkommen ahnungslos ist. Ich dachte, ich kläre sie besser auf, bevor sie davonrennt, nie wieder ins ‚Hygge' kommt und dann Menschen begegnet, die ihre Taubheit ausnutzen."

„Also hast du ihr alles erzählt und dabei so ganz nebenbei ihre Erinnerungen an mich gelöscht, ja?"

Freddies grüne Augen leuchten in wilder Erregung auf. „Du spinnst wohl! Was sollte Pascha denn mit dir zu tun haben? Und ich habe kein Interesse daran, irgendetwas zu löschen, weder bei ihr noch bei jemand anderem! Langsam glaube ich, du wolltest Pascha nicht in Sicherheit bringen, sondern sie aus meiner Reichweite schaffen, damit ich sie nicht schützen kann!"

Auch Svens blaue Augen glühen mittlerweile vor Wut. Beide Männer stehen mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen einander gegenüber. Ich muss dabei an zwei Hunde denken, die sich um einen Knochen streiten. Und der Knochen bin ich. Keine beneidenswerte Position. Zumal ich keine Ahnung habe, wem der Knochen eigentlich zusteht, wenn überhaupt einem dieser beiden.

„Pascha ist seit einigen Monaten meine Freundin und jetzt weiß sie nichts mehr davon! Wer soll das getan haben, wenn nicht du?"

„Deine Freundin? Das hast du ihr eingeredet? Warum das denn?" Freddies erst fragend hochgezogene Brauen runzeln sich einen Moment später und ziehen sich zu einer ärgerlichen Mimik zusammen. „Hast du etwa ..."

„Ich habe ihr nichts eingeredet. Du unterstellst mir, was du selbst tun wolltest!"

Erneut läuft Freddie rot an, ob aus Verlegenheit oder vor Empörung, kann ich nicht sagen. Ich sollte ihn wirklich an die Verkehrsbetriebe vermitteln. Mit den grünen Augen, dem lichtblonden Haar und den zornroten Wangen gibt er eine perfekte Ampel ab.

Freddie zuckt zusammen und kann trotz seiner Rage ein Grinsen nicht unterdrücken. „Bitte, Pascha, denk doch etwas leiser!"

Und an Sven gewandt: „Tun wollen und wirklich machen sind zwei Dinge. Ich gebe zu, dass mir der Gedanke kurz kam, aber ich würde es niemals tun – schon gar nicht bei einem so starken, lebendigen Geist wie Paschas."

Allmählich wird mir der Hahnenkampf um mich zu viel. Außerdem hat Sissi sicherlich Hunger. Ich schließe die Haustür auf und gehe zur linken Wohnungstür. Sven folgt mir sofort. Freddie zögert einen Moment und kommt dann ebenfalls hinterher.

Als ich meine Tür öffne, steht Sven bereits neben mir. Während meine grauweißschwarzblondrotbraun getigerfleckte Schönheit mir mit elegantem, lautlosem Tappen entgegenwandelt und mir ihre Essensbestellung in die Ohren miaut, stellt er einen Fuß in die Tür und funkelt Freddie an: „Wage es ja nicht, ihr zu folgen!"

Freddie blickt nicht ihn, sondern mich an, als er fragt: „Darf ich?"

Es hat wohl wenig Sinn, die beiden sich vor meiner Tür gegenseitig verkloppen zu lassen. Oder eben das entsprechende Äquivalent – was weiß denn ich, was sich Telepathen gegenseitig antun können. „Kommt rein." Ich marschiere erst einmal in die Küche, umkreist von Sissi, die ständig versucht, ihr Köpfchen an meiner Jeans zu reiben und gefolgt von beiden Männern, die sich zornig anfunkeln, aber wenigstens die Klappe halten.

„Setzt euch!" Ich weise auf die Sitzecke und bücke mich nach Sissis Napf, um ihn auszuwaschen. Im Sitzen lässt es sich leichter diskutieren und Schläge kann man über eine Tischplatte hinweg schlecht austeilen.

Das scheinen die beiden auch so zu sehen. Als ich mich umdrehe, um die Katzenfutterdose aus dem Schrank zu holen, sitzt Sven stocksteif auf dem Stuhl am Fenster, die Fäuste auf den Knien,  und verbreitet die argwöhnische Aura eines gut gedrillten Wachhunds. Freddie lehnt in lässiger Haltung ihm gegenüber auf dem kurzen Schenkel der Eckbank, den linken Fuß auf dem rechten Knie und gemahnt mich an einen dösenden Kater, der dennoch jederzeit bereit zum Aufspringen ist.

Sven beobachtet mich dabei, wie ich die Dose öffne und den Inhalt in den Napf gebe. Freddies Blick ist auf Sissi gerichtet, die mich umschnurrt und mit der Pfote betapst. Als ich den Napf auf den Boden stelle, treffen sich die Blickrichtungen der Männer und bleiben dann beide auf den gleichen Punkt fokussiert – mich.

Ich lasse mich auf dem Stuhl zwischen den beiden nieder. „Meint ihr, wir können das Ganze in Ruhe besprechen?"

Freddie zuckt die Schultern, Sven nickt. „Wäre zu wünschen." Er blickt mich ernst an. „Pascha, ich weiß nicht genau, was geschehen ist, sorry dafür, dass ich Freddie gleich die Schuld gegeben habe. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, wer sonst schuld sein soll. Ich kann dir nur sagen, dass wir uns seit einigen Monaten kennen und gerade an dem Punkt sind, an dem wir überlegen, ob es was Festeres werden soll."

„Sowas weiß man sofort oder gar nicht", platzt Freddie dazwischen. „Wenn man erst darüber nachdenken muss, kann man's gleich vergessen!"

Sven wirft ihm einen verächtlichen Blick zu. „Es gibt auch Menschen, die nicht nur nach dem Instinkt gehen!"

Ich kann nicht umhin, beiden recht zu geben. Würde ich mit Sven zusammenkommen wollen, würde ich das langsam angehen und erst vorsichtig sondieren. Bei Freddie hingegen kann ich mir vorstellen, mich auf den ersten Blick in ihn zu verlieben und eine Woche später bei ihm einzuziehen. Ich meine, wenn ich mich verliebt hätte. Im Augenblick merke ich nichts von irgendwelchen Gefühlen einem der beiden Männer gegenüber, abgesehen von Misstrauen und dem vagen Eindruck, beide eigentlich näher kennen zu müssen.

Sissi schnuppert währenddessen den Napf ab, nimmt vorsichtig einen Bissen und befindet das Futter offensichtlich für gut. Nach zwei weiteren Happen beschließt sie, sich den Rest für später aufzuheben und zuerst den Besuch genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie schnüffelt Svens Füße und Beine ab und legt eine Pfote auf den feinen Zwirn, welcher die letzteren umhüllt.

Sven reicht die Hand hinunter. „Willst du rauf?"

Sofort weicht Sissi zurück und mustert ihn von oben bis unten. Unvermittelt nimmt sie Anlauf und springt auf Svens Schoß. Dieser lacht leise, hütet sich aber, sie zu streicheln. Sissi hockt ziemlich steif auf ihm und macht keine Anstalten, sich zu entspannen. Stattdessen riecht sie weiter an ihm.

„Deine Katze prüft auch genau, wem sie vertraut." Sven lächelt mich an. Auch Freddie muss grinsen. „Das gehört halt zum Kennenlernen."

Als Freddie spricht, dreht sich Sissi zu ihm um und zieht mit geöffnetem Schnäuzchen und gerümpfter Nase seinen Duft ein. Plötzlich sträubt sich ihr Fell und sie faucht ihn an.

Zu meiner Überraschung lacht Freddie. „Nein, ich habe ihn nicht dabei. Und selbst wenn, er würde dir nichts tun. Er liebt Katzen."

Als ob Sissi ihn verstanden hätte, springt sie auf den langen Schenkel der Eckbank und nähert sich Freddie sehr vorsichtig. Früher hätte ich das als Zeichen gesehen, dass Tiere eben den Tonfall interpretieren und dadurch ungefähr umsetzen, was die Menschen zu ihnen sagen. Jetzt kommt mir ein anderer Gedanke, den ich auch prompt ausspreche:

„Können Tiere auch Telepathie?"

Daraufhin richten sich drei Augenpaare auf mich und fixieren mich nachdenklich.


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