Wolfsspuren

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„Ich verstehe das nicht ganz", sagt Lidelen mit seiner hellen, modulationslosen Stimme, der man anhört, dass er sich selbst nicht hören kann. „Ich habe aus den Lippenbewegungen herausgelesen, dass ein Werwolf jemand ermordet haben soll und du darum nicht heiraten darfst. Und dass Melchton die Menschen hinrichten lassen will."

Das kommt also heraus, wenn man nur Bruchstücke mitbekommt. Zum Glück verbreitet der Faun nicht das nur halb Verstandene und falsch Zusammengesetzte, sondern erkundigt sich, was denn nun richtig ist. Damit beweist er mehr Kompetenz als so mancher Erwachsene - Lidelen ist wie ich siebzehn Jahre alt. Damit ist er nach Definition der Fabelwesen zwar volljährig, aber noch jugendlich.

Wie üblich gehen Lidelen und ich gemeinsam nach Hause. Der Eichenhain liegt hinter dem Hundehüttenweg; so haben wir den gleichen Heimweg. Und wie immer fragt mich Lidelen über alles aus, was er im Trubel des Tages nicht hat verstehen können. Ich selbst habe ihm das gleich angeboten. Es ist keine große Sache für mich, im Gegenteil. Indem ich Meister Engals Lektionen für Lidelen wiederhole, bleiben sie auch in meinem Gedächtnis besser haften.

Wenn ich jetzt die Debatte vom Mittagessen wieder aufwärme, wird auch das meine Gedanken sortieren und mir helfen, die Zusammenhänge besser zu verstehen. Verflixt, ich kann es einfach nicht sein lassen, dabei wollte ich doch nie wieder Ermittler spielen!

„Weißt du, dass Baron Kollos seine Tochter Elino mit dem Werwolf Andari verheiraten wollte?" Ich spreche deutlich und sehe den tauben Faun an, damit er meine Lippen sehen kann. Gleichzeitig forme ich meine Worte in Handzeichen um. Die Handsprache ist einfacher und wortkarger als die gesprochene, darum setze ich immer beides ein.

„Ja, das habe ich gehört. Meine Eltern haben gesagt, das ist ein gutes Zeichen. Sie sind auch für die Vereinigung von Menschen und Fabelwesen."

„Ridis, der Bruder von Baron Kollos ist ermordet worden."

Lidelen wird blass. „Das ist ja schrecklich!" Faunen ist das Leben sehr wichtig. Selbst in Notwehr würden sie nicht töten und die Vorstellung, dass jemand vorsätzlich ein Leben beendet, ist für sie ein Alptraum, schlimmer als alles, was eine Drude einem vorgaukeln kann.

Lidelen nimmt es zwar hin, dass wir anders sind, bleibt aber sich selbst treu. Einige in der Schmiede machen sich darüber lustig, dass Lidelen nichts isst, wofür ein Lebewesen sein Leben lassen musste, was nicht nur Fleisch, sondern auch die meisten Gemüsearten einschließt. Letha respektiert das und bereitet extra für ihn Mahlzeiten aus Obst, Milch, Käse und Eiern zu.

Ich finde das auch in Ordnung so. Lidelen sagt nichts, wenn ich in seiner Gegenwart Fleisch oder Karotten esse, also mische ich mich auch nicht in seine Ernährung ein. Bei Fabelwesen ist das auch üblich, da sie ohnehin an viele verschiedene Arten mit unterschiedlichen Lebensweisen gewöhnt sind. Menschen sind da wesentlich unduldsamer.

„War das dann ein Werwolf?" Lidelen versucht, die Informationen zusammenzufügen.

„Das wird behauptet. Keiner weiß etwas Genaues."

„Und warum darfst du darum nicht heiraten?"

„Ach, er hat nur gemeint, einen Werwolf zu heiraten wäre fast so schlimm wie mich zum Mann zu nehmen."

„Aber wieso sollte man dich nicht heiraten sollen?"

„Weil ich ein Höllenhund bin."

„Die Menschen sind sehr seltsam."

„Nicht nur die. Eine Werwölfin würde sich über einen Antrag von mir auch totlachen."

„Bei mir kann ich das ja verstehen, wer will schon einen tauben Partner. Aber bei dir? Du bist ein tolles Geschöpf, Navlin, klug, geschickt, stark, hübsch und vor allem sehr nett." Lidelen wird etwas rot, als er das sagt.

„Danke, aber es gibt leider sehr wenige, die da deiner Meinung sind." Ich lächele den kleinen Faun an, um ihm zu zeigen, dass ich ihm seine Worte weder übelnehme noch falsch verstehe. Mit meinem Tonfall kann ich es ihm ja nicht vermitteln.

Ich bin mir sicher, dass Lidelen Männer bevorzugt, das hat ihn wohl auch zu seinem Lob meiner Person bewogen. Ebenso weiß ich aber auch, dass ich für ihn einfach ein Freund bin. Ich bin es jedenfalls nicht, dem Lidelens Blicke folgen, wenn er durch die Räume der Schmiede geht.

„Ist auch egal, er musste mich da einfach reinziehen, um mich mal wieder schmähen zu können."

„Ich mag ihn nicht." Das sagt Lidelen ganz ruhig und in gelassenem Tonfall. Seine Mimik verrät aber etwas ganz anderes. Manchmal ist er mir unheimlich, aber ich weiß ja, dass er nichts dafür kann.

„Ich auch nicht."

„Aber wenn ein Werwolf jetzt den Onkel der Braut getötet hat ..." Lidelen schaudert es sichtlich bei diesen Worten. „... was wird jetzt aus der Hochzeit? Und wie werden die Menschen das aufnehmen? Ich glaube, das wird Probleme geben. Menschen und Fabelwesen trauen einander noch nicht wirklich."

„Ja, ich denke auch, das ist zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt passiert. Melchton wird fluchen!"

„Du kennst ihn persönlich, nicht wahr?" Der Faun blickt bewundernd zu mir auf.

„Das hat sich so ergeben", wehre ich ab.

„Aber warum will er jetzt die Menschen hinrichten?"

„Das war dummes Gerede. Melchton hat doch die Todesstrafe abgeschafft. Beim Mittagstisch hat ein Dummkopf behauptet, das würde nur für die Fabelwesen gelten und Menschen würden weiterhin hingerichtet werden, wenn man ihnen ein Verbrechen nachweisen könne. Und das würde Zawei dann fingieren."

Lidelen denkt sichtlich nach, während wir weitergehen. „Denken viele Menschen so?"

„Das weiß ich nicht. Ich werde mich aber morgen auf dem Markt umhören."

Lidelen blickt traurig drein. „Mutter will dann auch auf den Markt gehen und hat mich gefragt, ob ich ihr tragen helfe. Ich würde dir gerne helfen, aber ich höre ja nicht, was die Leute sprechen."

„Dafür kannst ihre Lippen lesen, auch wenn du weiter weg bist und dich stört auch nicht der Lärm um dich herum. Ich denke, du wirst dich auch gut umhören - umsehen können."

Lidelen lächelt. „Ich werde es versuchen."

Wir haben inzwischen den Hundehüttenweg erreicht. Ich verabschiede mich von Lidelen, lege meine Tasche in die Hütte hinein, verwandle mich einen großen, braunweißen Hund und zwänge mich durch das Eingangsloch in die Hütte. Dort rolle ich mich zusammen und schließe die Augen. Ich habe einige arbeitsreiche Tage hinter mir und brauche den Schlaf dringend. Nur gut, dass morgen einer der drei freien Tage im Monat ist.

„Morgen!", begrüßt mich Kandreo, als ich in Isovres Haus trete. „Pass auf, wenn du in die Küche gehst, die ist voll!"

„Soviel Besuch am frühen Morgen?", wundere ich mich.

„Nee, bloß einer, aber der hat's in sich!" Die Erklärung des weißen Raben verstehe ich erst, als ich die Küche komme und beinahe gegen ein mächtiges, braunbefelltes Hinterteil laufe. Dessen Besitzer dreht sich zu mir um, stützt die Hände auf seinem Rücken ab und lächelt mich an. „Schön, dass du auch da bist, Navlin. Ich wollte mit euch beiden sprechen und das möglichst ohne Ohren an den Wänden!"

Die Beweglichkeit von Kentauren ist für mich ein immer neues Wunder. Oberrat Melchton kann seinen menschlichen Oberkörper um gute 160 Grad in Richtung Rücken drehen, ihn auf seinem Pferderücken ablegen oder ihn senkrecht nach unten biegen. Und das macht er auch gerne, unbekümmert darum, wie das auf andere Personen wirkt. Einmal bin ich auf ihm geritten und ich erinnere mich noch immer mit Unbehagen daran, wie er sich mittendrin zu mir umgedreht hat.

„Mich gruselt's, bieg dich bitte wieder richtig rum", bemerkt Isovre. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was deine Wirbelsäule mitmachen muss, wenn du sowas tust." Sie sitzt am Tisch, den sie so dicht an die Bank geschoben hat, dass sie nun sozusagen in ihrem Sitz eingeklemmt ist. Etwas anderes ist ihr auch nicht übrig geblieben. Die Küche ist zwar recht groß, aber nicht dafür gedacht, einen Kentauren aufzunehmen.

Ich zwänge mich an Melchton vorbei, tauche unter den Tisch und auf der anderen Seite wieder auf. In aller Ruhe nehme ich die schlafende Margoli hoch, setze mich neben Isovre und platziere die Katze auf meinen Schoß, ohne diese sich rührt.

„Ich würde dir gerne Tee anbieten", meint Isovre trocken. „Aber darum wirst du dich selbst kümmern müssen. Ich komme an nichts mehr ran."

„Das kann er machen." Melchton stellt eine kleine Flasche auf den Tisch und entstöpselt sie. Augenblicklich quillt blauer Rauch heraus, entfaltet sich, schwebt vom Tisch herunter und verdichtet sich zu Hauptermittler Zawei. „Ich hasse es, auf diese Art zu reisen!" Er ordnet seine schwarzen Locken und wirft Melchton einen ungnädigen Blick zu. „Langsam kommt man auch ans Ziel, hast dir das noch keiner gesagt? Dein munterer Trab durch die halbe Stadt hat mich ziemlich durchgerüttelt!" Er setzt sich auf den freien Stuhl gegenüber dem Herd und schielt zu diesem hinüber. „Du hast ja noch nicht einmal Feuer gemacht!"

„Wann denn? Bis vor einer Minute habe ich noch geschlafen!", protestiert die Hexe.

Daraufhin sehe ich genauer hin. Schade, sie hat doch schon die Zeit gefunden, in ihre geliebten Wildlederhosen und eine Kapuzentunika zu schlüpfen. Unsere erst ungeliebte und mittlerweile von vielen Bewohnern verehrte Stadthexe hat sich immer noch nicht der Tradition ergeben, die unförmige, schwarze Kleider und ein halbes Dutzend Umhänge darüber als angemessene Uniform für Hexen vorsieht. Isovre liebt Tuniken in grün, rot und blau, die auch wunderbar zu ihrem glänzendschwarzem Haarvorhang passen und sie hasst Röcke über alles. Die einzige Konzession, die sie an ihren Beruf macht, ist der spitze Hexenhut, der auch jetzt auf ihrem Haupt thront und darüber hinwegtäuscht, dass die Hexe ziemlich klein ist.

Zawei seufzt nur auf Isovres empörten Einwurf. Die Tür der Brennkammer öffnet sich, einige Scheite erheben sich aus dem Holzkorb und begeben sich gemessenen Schrittes in die Kammer. Eine Handvoll Reisig eilt hinterher und zuletzt lässt sich etwas Zunder darauf nieder. Ein Flint und ein Pyrit schweben nun von dem Bord über dem Herd herunter und verschwinden miteinander in der Brennkammer. Man hört ein mehrmaliges Plonk!, dann kommen die beiden wieder zum Vorschein und legen sich auf dem Bord zur Ruhe, während es in der Kammer allmählich heller wird.

Es ist immer wieder faszinierend, dabei zuzusehen, wie der Dschinn Gegenstände bewegt, ohne seine Hände dabei zu nutzen. Nachmachen möchte ich ihm das aber nicht; ich liebe es, das Holz des Hammergriffs und den Stahl der Zange in meinen Händen zu spüren und zu fühlen, wie sich der Werkstoff unter meinen Schlägen verformt. Das ist übrigens ein Grund, warum Lidelen auch ohne Gehör schmieden lernen kann. Viele Schmiede hören am Klang des Aufschlags die Spröde und den Wiederstand des Metalls, aber auch durch die Vibration beim Aufschlag kann man das feststellen.

„Ihr habt wahrscheinlich schon gehört, was geschehen ist", beginnt Melchton, als das Feuer flackert und der Kessel mit Wasser gefüllt auf dem Herd steht. „Und wohl auch einiges, was nun geredet wird."

„Ja, ich durfte mir schon einige Theorien anhören", stimmt Isovre zu. „Am besten gefällt mir ja die, nach der Andari eigentlich nicht in Elino, sondern in Kollos verliebt ist und dessen Tochter nur heiraten will, um an Kollos heranzukommen, weil die Werwölfe nämlich gegen gleichgeschlechtliche Ehen sind. Ridis hingegen soll seine Nichte begehrt haben und die Hochzeit zu verhindern gesucht haben, woraufhin ihn Andari umgebracht hat."

Melchton mustert Isovre misstrauisch; er ist wohl nicht sicher, ob dieses Gerücht tatsächlich umhergeht oder sie sich das in diesem Moment ausgedacht hat. Isovre ist so etwas zuzutrauen, den Schwätzern in unserer Stadt allerdings auch.

„Wer immer auf die Idee gekommen ist, sollte dramatische Romane schreiben", murmelt Zawei.

„Heißt es nicht, das Leben schreibt die besten Romane?", fragt Isovre unschuldig. „Aber verdächtige nicht mich, Melchton. Das hat mir der Wirt des Goldenen Löwens tatsächlich in aller Ausführlichkeit auseinandergesetzt."

„In seliger Unkenntnis der Tatsache, dass die Werwölfe die ersten waren, die gleichgeschlechtliche Ehen zugelassen haben", ergänzt Zawei. „Ich glaube, mit derartigen Thesen müssen wir uns nicht befassen. Traurige Tatsache ist jedoch, dass der Mord mehr als einen Tag her ist und wir noch genauso schlau sind wie zuvor. Es gibt viel zu viele Spuren, die aber alle in verschiedene Richtungen führen und meist in einer Sackgasse enden."

„Was hat die Untersuchung des Leichnams ergeben?", fragt Isovre. Zawei zuckt ratlos die Achseln. „Dass es ein Werwolf war. Fertig, aus."

„Und woher weiß man, dass es ein Werwolf gewesen ist?", erkundige ich mich.

„Weil ihm der Hals durchgebissen wurde."

„Was für ein Blödsinn!" Ich reiche die schlafende Katze an Zawei weiter, der sie geistesabwesend streichelt und stelle mich auf die Bank.

„Was hast du vor?" Isovre schielt skeptisch zu mir hoch.

Ich habe bereits eines der Kranzbrote von der Stange dicht unter der Decke geangelt, hocke mich jetzt auf die Bank, springe in meine Hundeform, beiße kräftig in das Brot und werde wieder zum Menschen. „So, Zawei, kannst du diesem Biss ansehen, ob es ein Hund oder ein Werwolf war?"

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